Wo sozial drauf steht, ist oft unsozial drin

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CDU-Programm unter der Lupe: Mindestlohn (Teil 1)

Wenn bei einer politischen Rede sonst nichts mehr geht, dann hilft immer noch der Griff in die Moralkiste. „Wer Vollzeit arbeitet, muss davon leben können“. Ein leichtes Zittern der Lippen, ein brüchiger Moment in der Stimme – schon brandet Beifall auf im Saal.

Das wäre ja auch noch schöner, wenn Geld zum knappen Gut würde… Und so verdrängt die moralisierende Selbstgewissheit die leidige Auseinandersetzung mit der Realität. Man gehört zur großen Schar der Anständigen, die die Anliegen der „kleinen Leute“ im Blick haben. Und deshalb muss er auch endlich her – der Mindestlohn. Dabei ist dieser eigentlich erst seit 2009 ein politisches Thema in Deutschland. Die SPD hat ihn damals als Wahlkampfschlager entdeckt. Am Anfang hielt die Union noch tapfer dagegen: „Mit dem Mindestlohn werden Arbeitsplätze zerstört“, hieß es im Programm zur Bundestagswahl. An dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage hat sich zwar nichts geändert. Aber die Christdemokraten haben seither eine Kehrtwende vollzogen, über die man nur staunen kann.

Ein für ein „menschenwürdiges Leben“ notwendiges Einkommen sichere nicht der „Mindestlohn, sondern, wo dies erforderlich ist, eine Kombination aus fairen Löhnen und ergänzenden staatlichen Leistungen“, schrieben die C-Parteien noch vor vier Jahren. Ihr Modell erschien ökonomisch vernünftig und ethisch fundiert. „Zum christlichen Menschenbild der CDU gehört es sicher nicht, dass der Arbeitsmarkt so streng reglementiert wird, dass Menschen mit geringer Qualifikation keine Stelle mehr finden", ließ der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, denn auch zum Thema vernehmen. Doch er sollte sich geirrt haben. Der einstige Schutzwall der Union gegen den Mindestlohn erhielt schon kurz nach der Bundestagswahl erste Risse. Mit Ursula von der Leyen vorneweg. Bereits im Frühjahr 2010 setzte sie eine Lohnuntergrenze in der Pflege durch. Auch für die Zeitarbeit brachte sie ein entsprechendes Gesetz auf den Weg. Auf ungeteilte Zustimmung im Unionslager stieß sie zunächst nur bei der CDA. Doch deren Chef Karl-Josef Laumann arbeitete hartnäckig daran, die christdemokratische Programmatik in seinem Sinne „weiterzuentwickeln“. Der Aufwand, mit dem Laumann und seine Mitstreiter für ihre Vorstellungen warben, war beträchtlich. Und so gewann die Mindestlohnbewegung an Zustimmung, nicht zuletzt auch in den Reihen der Union.

Der von Angela Merkel oft erwähnte Kompass ist bekanntlich ein Kombigerät mit seismographischer Funktion. Daher blieb ihr die Stimmungsentwicklung nicht verborgen: Während 2008 nur rund die Hälfte der Deutschen in Umfragen für einen Mindestlohn eintraten, waren es Mitte 2011 im Gefolge einer andauernden öffentlichen Debatte bereits drei Viertel. Und auch bei den Anhängern der Unionsparteien veränderte sich das Meinungsbild: Wurde der Mindestlohn vor der letzten Bundestagswahl noch durch zwei von drei CDU-Wählern abgelehnt, stand mittlerweile eine Mehrheit auf Seiten der Befürworter. Vor diesem Hintergrund vollzog die Merkel-Partei innerhalb weniger Tage eine Kehrtwende. Auf ihrem Bundestreffen in Leipzig beschloss die CDU im Herbst 2011 eine Sprachregelung, die sich nun auch im Wahlprogramm wiederfindet. So will die Union Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände „gesetzlich in die Pflicht nehmen“, eine Kommission einzurichten, die „einen tariflichen Mindestlohn“ festgelegt. Dieser wird als „marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze“ bezeichnet.

Nun wäre die Lohnuntergrenze in einem freiheitlichen Wirtschaftssystem der Preis, zu dem eine vollständige Markträumung erfolgt. Doch nicht einmal dem korporatistischen Modell der Tarifautonomie wird der Unionsansatz noch gerecht: So eröffnet die von Artikel 9 GG garantierte Koalitionsfreiheit natürlich auch die Möglichkeit, keine Koalition zu schließen. Dieses Recht wird durch eine per Gesetz geschaffene Mindestlohnkommission ausgehebelt.

Nichts ist so unsozial wie der Mindestlohn

Doch es ist nicht in erster Linie der systematische Bruch im CDU-Konzept, der Kritik auf sich zieht. Vielmehr sind es ökonomische und letztlich auch ethische Argumente, die gegen eine Lohnuntergrenze sprechen. So grenzt der Mindestlohn nämlich gerade Geringqualifizierte vom Arbeitsmarkt aus. Wer eine Leistung anzubieten hat, die einem Stundenwert von 7,50 Euro entspricht, wird auch künftig nicht mit 8,50 Euro entlohnt werden. Vielmehr wird derjenige schlichtweg nicht eingestellt. Da erscheint es nur konsequent, wenn die Union parallel zur Errichtung von Einstiegshindernissen in eine geregelte Beschäftigung den Ausbau von Staatsaktivitäten zugunsten Betroffener fordert. Offensiv setzen sich CDU und CSU in ihrem Wahlprogramm daher für die verstärkte Förderung von Problemgruppen ein. So wird der Staat zum Retter für jene, denen er zuvor die Chancen zur Aufnahme einer Berufstätigkeit zerschlagen hat.

Dennoch kann sich die Union mit ihrer Mindestlohnwende nicht aus der Zwickmühle befreien. Denn während sie Wirtschaftsliberale noch weiter verprellt, wird der Gegenwind von Links keineswegs schwächer. Das Modell der Lohnuntergrenze sei gar kein richtiger Mindestlohn, heißt es da, und der Verzicht auf einen plakativen Mindestbetrag lässt die Merkel-Anhänger in der Debatte ohnehin alt aussehen.

Dabei hätten CDU und CSU lange die Möglichkeit gehabt, der Diskussion ihren Stempel aufzudrücken: Durch einen Frontalangriff auf das Zerrbild von der Verelendung breiter Volksschichten durch Dumpinglöhne! Dieser wäre schon allein mit dem Gesetzbuch in der Hand zu führen gewesen. Denn Lohnvereinbarungen, die die üblichen Tariflöhne um mehr als ein Drittel unterschreiten, sind bereits nach geltender Rechtslage nichtig. Aber auch politisch hätte man den Streit ganz anders austragen können, weil die Arbeitsmarktbilanz der letzten Jahre durchaus überzeugt: Die Zahl der Erwerbstätigen liegt bei einem Rekordwert von 41,7 Millionen. Die Arbeitslosenquote ist auf unter sieben Prozent zurückgegangen. Die Zahl der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse ist seit 2005 um drei Millionen gestiegen, ebenso wie die der Tätigkeiten mit Sozialversicherungspflicht. Zugleich haben rund eine Million Menschen den Sprung aus Hartz IV geschafft. Nicht nur, aber eben auch im Niedriglohnsektor sind neue Stellen entstanden. Dabei liegt sein Anteil am Arbeitsmarkt kontinuierlich bei unter einem Viertel. Wenn etwas zu kritisieren ist, dann nur dies. Denn das starke Anwachsen von Jobs für Geringqualifizierte kann als größter sozialer Fortschritt der letzten Jahre gelten. Zugleich hat sich auch der Kombilohn als praxistauglich erwiesen: Gut 1,3 Mio. Menschen sind heute nur noch ergänzend auf Hartz IV angewiesen – den Grundstock ihres Einkommens legen sie durch eigene Arbeit.

Vom moralischen Anspruch bleibt am Ende nichts mehr übrig

Doch es ist wohl nicht nur die Angst vor Kontroversen, die die Mindestlohnwende der Union verursacht hat. Wenn mit Bezug auf Lohnuntergrenzen darauf verwiesen wird, dass diese ja „sogar“ in den USA zum Alltag gehörten, lenkt dies den Blick unfreiwillig auf den eigentlichen Kern: In den dreißiger Jahren verlegten Textilunternehmen große Teile ihrer Produktion von der Ostküste in den Süden. Die oft gering qualifizierten Arbeiter dort nutzten ihren Kostenvorteil. Sie boten ihre Leistungen günstiger an, und sie hatten damit Erfolg. Doch das wollte die Mittelschicht in Neuengland nicht hinnehmen. So trat im Jahre 1938 das erste Mindestlohngesetz in Kraft. Der Wettbewerbsvorteil des Südens wurde zunichte gemacht, die soziale Struktur ein weiteres Mal zementiert.

In der Tat: Mindestlohn ist konservativ. Aber im schlechtesten Sinne. Denn er schützt die Starken vor den Schwachen. Doch vielleicht ist das auch einkalkuliert: Laut einer Umfrage sind selbst dann noch gut sechzig Prozent der Deutschen für einen Mindestlohn, wenn dieser explizit zu Arbeitsplatzverlusten führt. Offenbar kommt die Moral, frei nach Bert Brecht, halt doch nur an zweiter Stelle.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

,,Wo sozial drauf steht, ist oft unsozial drin,,
Und
Wo Merkel draufsteht ist oft Erdogan drin.

Gravatar: pit

Nur Abwählen genügt nicht, wenn wir dann Rot/Grün am Hals haben mit deren weit schlimmerer Sozial-, Bildungs- oder Familienpolitik. Was dieses Linksbündnis unter sozialer Gerechtigkeit versteht, ist nichts als Ausbeutung der steuerzahlenden Leistungsträger zum Zwecke der Umverteilung und Gleichmacherei.
Einzig richtig ist m. E. der Versuch mit der AfD. Jedenfalls werde ich es mit dieser Partei versuchen.

Gravatar: Ein Realist

JEDER klagt über die jetzige Regierung, aber bei Umfragen liegt sie merkwürdigerweise immer noch vorne. Hier sind zwei Videos mit interessanten Daten und Links in den Beschreibungen:

http://youtu.be/fxmeDxyFzQ8

http://youtu.be/6HnBkjuagX8

AUFWACHEN und unbedingt Schwarz-Gelb ABWÄHLEN, da sie sonst ihre bisherige ungerechte Sozialpolitik fortsetzen!!! U. von der Leyen hat schon angekündigt, im Amt bleiben zu wollen!!!

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