Wer Bücher kauft, ist klar im Nachteil

Die Langfristprognose für ein Überleben der Buchpreisbindung erscheint schlecht – trotz aller politischen Unterstützung durch die Parteien, meint Dr. Georg Alfes

Veröffentlicht:
von

Wenn sich alle einig sind, ist Vorsicht geboten. Der britische Philosoph Bertrand Russell hat sich mit diesem Satz zwar ausdrücklich auf Experten beschränkt. Doch auch wenn man Laien ranlässt, be-wahrt das Zitat seine Gültigkeit. Daher muss es Besorgnis auslösen, dass die Politik beim Thema Buchpreisbindung offenbar eine Einheitsmeinung vertritt: Alle großen Parteien bekennen sich zu dem seit Kaisers Zeiten geltenden Prinzip, dass die Verlage dem Handel seine Endverkaufspreise vorschreiben. Für Bücher. Für „Produkte, die Bücher, Musiknoten oder kartographische Produkte reproduzieren oder substituieren und bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlags- oder buchhandelstypisch anzusehen sind“. Und für „kombinierte Objekte, bei denen eines der genannten Erzeugnisse die Hauptsache bildet“. So besagt es das „Gesetz über die Preisbindung für Bücher“.

Und so soll es nach Meinung der Parteien auch bleiben: „Für die SPD gilt die Buchpreisbindung un-eingeschränkt“, versichern die Sozialdemokraten. Die Grünen gehen noch weiter: Sie empfinden „große Sympathie für die Ausdehnung des Buchpreisbindungsgesetzes auf E-Books“. Auch die FDP vermag in der Buchpreisbindung „eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Vielfalt des Bücherangebots zu erschwinglichen Preisen“ zu entdecken. Und die Union erklärt in Treue fest: „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht unverbrüchlich zur Buchpreisbindung. Sie ist ein entscheidender Garant für die Vielfalt und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Buchmarktes. Das hat die diesjährige Frankfurter Buchmesse, die größte der Welt, wieder gezeigt. 7.300 Aussteller aus über 100 Ländern trafen sich mit über 280.000 Besuchern“. Nun lassen die Besucherzahlen bei der Buchmesse zwar objektiv keine Rückschlüsse auf die Sinnhaftigkeit der Preisbindung zu. Doch offenbart ihr breiter Rückhalt in der Politik, dass eine schlagkräftige Lobby hinter ihr steht.

Nach außen hin ist es natürlich die Sorge um das Gute, Wahre und Schöne, das die Apologeten des Bindungsgesetzes antreibt. Das Buch sei nun mal kein Produkt wie jedes andere, argumentieren sie, sondern ein Kulturgut. Festpreise seien ein Garant für Titelvielfalt, weil die hohe Rendite aus der Massenliteratur Investitionen in kulturell Wertvolles ermögliche. Und schließlich werde der Fortbestand eines dichten Buchhändlernetzes gesichert, das überall und allen den Zugang zu Literatur eröffne.

Doch bei näherer Betrachtung kann keines dieser Argumente überzeugen. Auch deutsches Brot steht mittlerweile auf der Kandidatenliste für das Unesco-Weltkulturerbe – und muss sich gleichwohl den Gesetzen des Marktes unterwerfen. Nirgendwo existiert eine Joghurt-Preisbindung, und „dennoch“ ist die Sortenvielfalt enorm. Monopolgewinne in der Bücherbranche zwingen mitnichten zur Re-Investition in weniger gewinnträchtige Nischentitel. Dass „von oben her“ entschieden wird, was besonderen Wert besitzt, offenbart ein elitär-autokratisches Kulturverständnis. Und der Bestandsschutz für den verstaubten kleinen Buchladen verliert außerhalb von Notting Hill (und ohne Julia Roberts) massiv an Charme.

Tatsächlich geht es jedoch bei der Buchpreisbindung um all das – nicht. Vielmehr bedienen sich Verlagskonzerne und Händlerkartelle der Preisgarantie, um zulasten ihrer Kunden zusätzlich Kasse zu machen. Auf dem freien Markt hätten sich die Verlage um Kosteneffizienz und verbesserte Absatzwege zu bemühen. Großabnehmer könnten Rabatte erkämpfen, und Buchhändler müssten ihre Kunden mit günstigen Preisen umwerben. Doch all dies bleibt ihnen in der Festpreisrepublik erspart.

Gebunden oder für Taschengeld?

Dass es auch anders geht, belegen die Beispiele jener Länder, die sich bereits von diesem Werkzeug aus dem Baukasten der Planwirtschaft verabschiedet haben. So haben die Schweizer im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit gegen die Wiedereinführung der 2007 abgeschafften Buchpreisbindung votiert. Die Hauptursache für die weise Entscheidung der Stimmbürger dürfte darin liegen, dass das Preisniveau für Bücher dramatisch gesunken ist. Dies lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass Branchenriese Amazon bei Buchexporten in die Schweiz mittlerweile einen Preisnachlass von zwanzig Prozent gewährt, wenn die bestellten Publikationen aus Deutschland stammen. Großbritannien ist den Eidgenossen schon ein Jahrzehnt voraus, was freie Preisgestaltung bei Büchern betrifft. Bereits in den ersten beiden Jahren nach der Tilgung gesetzlicher Restriktionen stieg die Zahl der verlegten Titel um vierzehn Prozent. Mittlerweile übertrifft das Volumen der Buchveröffentlichungen in Großbritannien den deutschen Vergleichswert um gut ein Viertel. Speziell in den Supermärkten hat sich ein lebhaftes Geschäft mit Literatur entwickelt: Die Ketten bieten ihren Kunden Bücher an, deren Preis oft um bis zu siebzig Prozent unter der Verlagsempfehlung liegt. Die Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ analysiert zur Abschaffung der Buchpreisbindung in Großbritannien: „Konsumenten aus niedrigen Ein-kommensschichten decken eine weitgehend unveränderte Nachfrage nach Büchern zu niedrigeren Preisen. Hierdurch erfahren die betreffenden Haushalte eine Steigerung der verfügbaren realen Einkommens“. Verlierer eines freien Buchmarktes seien auf Kundenseite allenfalls jene, die „überproportional viele nicht rabattierte Titel, insbesondere gebundene Neuerscheinungen und wissenschaftliche Werke, erwerben“. Ein Effekt der Preisfreigabe liegt also auch in der Erleichterung des Zugangs zu Büchern für die „Unterschicht“ und in der Beseitigung von Subventionstatbeständen zugunsten der „Elite“. Vielleicht erklärt dieser Umstand mehr als alles andere, warum die Buchpreisbindung gerade in den Feuilletons so viele Befürworter findet.

Die normative Kraft „in action“

Besonders erfreulich ist vor diesem Hintergrund, dass die Langfristprognose für ein Überleben der Preisbindung auch hierzulande denkbar schlecht erscheint – trotz aller politischen Unterstützung durch die Parteien. So werden die geltenden Bestimmungen bereits jetzt von nicht wenigen Beteiligten recht freiheitlich interpretiert. Das Preisbindungsgesetz ermöglicht Abschläge auf Bücher, die schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin vorbestellt wurden. Außerdem können Verlage die Preisbindung anderthalb Jahre nach Veröffentlichung eines Buches aufheben. Beide Regelungen laden ein zu kreativer Gestaltung, und die Innovativeren unter den Verlagshäusern machen davon rege Gebrauch. Rabatte auf Bücher sind auch bei Beschädigungen möglich, wobei sich das Oberlandesgericht Frankfurt kürzlich genötigt sah, darauf hinzuweisen, „dass die Kennzeichnung eines Buches mit dem Stempel ‚Mängelexemplar‘ nicht selbst als Mangel zu werten ist“. Somit müssen wohl verstärkt Minijobber zum Einsatz kommen, die Eselsohren in die Neuproduktion einknicken oder den Bildband mit Kaffeeflecken verschönern. Sage niemand, Regulierung schaffe keine Arbeitsplätze! Doch auch gegen seriösere Attacken muss sich die Buchpreisbindung vermehrt zur Wehr setzen. Die Monopolkommission des Bundes hat sich bereits für eine Abschaffung stark gemacht, und die Europäische Union wirft mit Blick auf Verletzungen des Wettbewerbsrechts ein waches Auge auf das Literaturkartell. So musste der Bundestag bereits gesetzlich klarstellen, dass die Preisbindung „nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes“ gilt. Im Gefolge werden nun Gerichte mit Fällen beschäftigt, in denen „Bücher allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um dieses Gesetz zu umgehen“. Schließlich wird wohl auch der technische Fortschritt seinen Beitrag leisten, um der Buchpreisbindung über kurz oder lang den Rest zu geben. Hörbücher und E-Books, Internetauktionen und Versandhandel stärken die Freiheitsrechte der Konsumenten. Und so wird die Politik wohl bald entscheiden müssen, ob sie selbst aktiv werden will, oder ob sie sich vom Lauf der Ereignisse ein weiteres Mal überrollen lässt.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: H.von Bugenhagen

,,Wer Bücher kauft, ist klar im Nachteil,,
Wer zur Zeit in Deutschland lebt ist das wohl auch.

Gravatar: Anonymus

Vermutlich werden Bücher nicht aussterben aber nach und nach die Aura eines Orchideenfachs bekommen.

Die ersten Bücher, die am Verschwinden sind im Sinne einer abgeschlossenen Kunstgattung sind Atlanten und Lexika. Die letzte Ausgabe der Encyclopædia Britannica sehen wir im Rückspiegel. The Times Atlas oft the World Millenium Edition wird wohl auch die letzte sein. Brockhaus ist verramscht und auf einen neuen, grossen MEYER warten wir wohl vergeblich.

Lesen Jungs heute noch Karl May (D), Jules Verne (F), Forester (GB), Cooper (USA), Salgari (I)? Ich nehme mal eher an, die sehen die Verfilmungen an und das war es. Aber das Problem geht weiter, während ein Johann Heinrich Voß vor rund 200 Jahren für uns das Licht in der Antike anknipste, ist das nun auch wieder ausgeknipst worden. Ich bin wohl an die zehn Mal nach Sizilien gereist. Auf dem Fährschiff durch die Stretta di Messina sind auch immer Deutsche mit Kindern. Nie ein Wort über Skylla und Charybdis. Ich konnte mit meinem Vater noch die Scavi di Literno mit den Rovinen der Villa des Scipius Africanus bewundern, fragen Sie mal heute 15 Jährige, was das ist und wo das ist.

Früher erschien alle 25 Jahre eine Neuauflage von Helbigs 4-Bändigem Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom, das war einmal (das letzte Mal in den 60er Jahren), wer das haben will beschaffe sich bitte im Antiquariat!

Ich gestehe es, ich selber bin süchtig, sozusagen „bibliophil“ veranlagt, ich nenne eine Erstausgabe von Gregoroviussens Sizilina Anno 1842 mein eigen und Anderes und das als Naturwissenschaftler, aber ich sehe tief dunkelschwarz für die Zukunft des Buches. Ob Krimis und „Frauenromane“ nur noch eine Zukunft als E-Book haben ist in meinen Augen total egal. Umgekehrt bin ich „Führer“ für die Panamericana selber am einscannen, der ich mich als Pensionär widmen will und wo ich keinen Bücherschrank mitnehmen kann, aber E-Books wenn sich inzwischen 32 GB auf einem Fingernagel speichern lassen.

Gravatar: Anonymus

Wenn es denn wirklich so wäre, dass die Branche für Buchpreisbindung wäre, könnte man ja darüber reden, nur dem ist absolut nicht so.

Der Normaöfall ist, dass ein Buch mehr oder weniger lange in Phase 1 zum gebundenen Buchpreis angeboten wird und dann wird der Restbestand in Phase 2 zu herabgesetzten Preisen verrammscht wird. So weit so gut!

Nur genau das stimmt nicht! In oder während Phase 1 werden die Bücher im Schnitt Haufenweise mit einem Stempel "Mängelexemplar" versehen und dann schon verrammscht. Dann habe ich gestaunt beim antiquarischen Buchmarkt wie viele Bücher gleichzeitig mit unterschiedlichen oder gleichen ISBN-Nummern und unterschiedlichen Einbänden und Schutzumschlaägen gleichzeitig angeboten wurden und werden, das kommt nun alles Dank Internet heraus.

Wenn ich dann weiter schon vor Jahren feststellen konnte, dass grosse Buchketten (Osiander) immer NUR eine andere Ausgabe des Buches, welches ich haben will, besorgen können (weil gewinnträchtiger) dann sollte der Staat sich da endgültig raushalten.

Es ist nicht Aufgabe des Staates dieser Branche, die viel "schlimmer" ist ist der Handel mit Orient-Teppichen und bei der alles auf Beschiss angelegt ist, auch noch einen "Schutzpark" einzurichten.

Genau deshalb gehen die Buchhändler unter, weil die Käufer im Internet alles nebeneinander sehen und "Ihr" Buchhändler ist trotz Preisbindung viel zu teuer. Nun sind die Beschissenen nicht mehr die Leser, sondern die Buchändler mit Laden.

Gravatar: Klimax

Selbstverständlich ist die FDP für die Buchpreisbindung, es wäre ja auch völlig irritierend, wenn diese Partei einmal eine liberale, marktwirtschaftliche Position verträte.

Gravatar: Karin Weber

Ich glaube nicht, dass Bücher jemals aussterben werden. Dieser neumodische Kram mit diesen eBookReadern ist sicher nur eine Modekrankheit. Ich bin froh noch viele alte Bücher zu haben, die verschiedene Diktaturen überlebt haben. Woher sollen unsere Kinder/Enkelkinder denn sonst ihr Grundwissen beziehen? Ohne die alten Bücher hätten sie keine Chance, diesen Schwachfug "Gender-Mainstreaming" zu hinterfragen und als solches zu erkenne. Blind müssten sie glauben, was ihnen vorgesetzt wird. Eltern u. Bücher haben einen Bildungsauftrag, nämlich das wieder geradezurücken, was sie in den Einrichtungen mit "staatlichem Bildungsauftrag" nicht oder falsch beigebracht bekommen. Erwähnt sei nur die "deutsche Rechtsschreibung", wo eigentlich kein Mensch mehr weiß, welchen Stand die gerade hat. Für viele ist die Autokorrektur der Office-Lösungen da der Rettungsanker, obwohl ein Blick ins Buch bilden würde.

Ich habe noch Bücher und Nachschlagewerke aus der Nach-Adolf- und Vor-Ulbricht-Zeit, da steht echt noch die Wahrheit drin. Heutzutage sind ja nicht mal mehr die phantasievollen Märchen echt, sondern gegendert.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang