Wenn der Euro scheitert, scheitert Frau Merkel

Veröffentlicht:
von

CDU-Programm unter der Lupe: Euro-Politik (Teil 3)

Zitate entwickeln über die Jahre hinweg oft ein Eigenleben. Manche sind von vornherein bloß gut erfunden. Andere setzen sich mit falschem Wortlaut in den Köpfen fest. Wieder andere werden in einen unrichtigen Zusammenhang gerückt. So wird von Helmut Kohl seit zwei Jahrzehnten behauptet, er habe den Erfolg des Euro als „Frage von Krieg und Frieden“ bezeichnet. Das ist so nicht wahr. Viel-mehr hat er den Prozess der europäischen Einigung insgesamt in diesen Kontext gestellt. Dass der Satz gleichwohl mit dem Euro verbunden wird, legt den Schluss nahe, dass eine solche Aussage des Altkanzlers zumindest denkbar erscheint.

Dies gilt umso mehr, als bis heute oft in ähnlicher Form argumentiert wird, wenn es um die gemein-same Währung geht. Dabei gibt es für viele nur zwei mögliche Denkmuster: Wer für Europa ist, ist für den Euro. Und wer gegen den Euro ist, ist gegen Europa. Dass man auch andere Ansätze vertreten kann, wird apodiktisch ausgeschlossen.

Der Euro ist bloß Geld, sonst nichts

Dabei kann man in jedem Schulbuch nachlesen, dass Geld nur drei Funktionen besitzt: Es ist Zahlungsinstrument, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel. Doch in der EU erfüllt es auch die Aufgabe eines Symbols. Nein, des Symbols schlechthin. „Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa“. Dieses Zitat stammt von Helmut Kohls Nachfolgerin Angela Merkel. Und in diesem Falle ist seine Korrektheit verbürgt.

Dass es ziemlich arm wäre, wenn nur das Geld die Europäer verbinden und Europa vereinen würde, wird dabei ausgeblendet. Dabei täte man dem Euro einen großen Gefallen, würde man ihn auf die herkömmlichen Geldfunktionen reduzieren, anstatt ihn fast schon mystisch zu überhöhen. Doch leider war ihm dieses Glück von Anfang an verwehrt. Wenn Helmut Kohl betont, „die Einheit Deutschlands und die europäische Einigung“ seien „zwei Seiten derselben Medaille“, dann stimmt das in einem ganz unmittelbaren Sinne. Denn die Schaffung einer gemeinsamen Währung war beschlossene Sache, als die französische Regierung ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung mit eben dieser Bedingung ver-knüpfte. Zwar hätte die Bundesregierung dem Drängen Frankreichs nicht zwangsläufig nachgeben müssen – die britische Regierung hat ihr Einverständnis bekanntlich nicht an die Einführung einer Gemeinschaftswährung geknüpft, um es vorsichtig zu formulieren –, aber sie entschied sich, diese Option nicht zu wählen. So wurde der Euro mit dem Maastrichter Vertrag auf den Weg gebracht und zum Beginn des Jahres 1999 durch die unwiderrufliche Wechselkursfestschreibung der beteiligten Nationalwährungen realisiert.

Ein Großteil der Deutschen stand dem Gemeinschaftsgeld von Beginn an kritisch gegenüber. Insbe-sondere die schon damals hohe Staatsverschuldung in mehreren Euro-Ländern war vielen ein Dorn im Auge. Doch die deutsche Politik versuchte, die Wähler zu beschwichtigen – allen voran die CDU. So hieß es in einem mittlerweile legendären Flugblatt der Partei aus dem Jahr 1998: „Muss Deutschland für die Schulden anderer Länder aufkommen? Ein ganz klares Nein! Der Maastrichter Vertrag verbietet ausdrücklich, dass die Europäische Union für die Schulden eines Mitgliedsstates haftet. Mit den Stabilitätskriterien wird von vornherein sichergestellt, dass die Nettoverschuldung auf unter 3 % des Bruttoinlandsprodukts begrenzt wird. Die Euro-Teilnehmerstaaten werden daher auf Dauer ohne Probleme ihren Schuldendienst leisten können. Eine Überschuldung eines Euro-Teilnehmerstaats kann daher von vornherein ausgeschlossen werden".

In einer dramatischen Nachtsitzung im Frühjahr 2010 retteten die Staats- und Regierungschefs des Euroraums Griechenland mit einem milliardenschweren Hilfspaket vor der Überschuldung. In den Jahren zuvor waren die Stabilitätskriterien insgesamt sechzig Mal verletzt worden, ohne dass ange-drohte Sanktionen jemals wirksam geworden wären. Seither wurde die Europäische Finanzstabilisie-rungsfaszilität (EFSF) eingerichtet und wieder abgelöst durch den Europäischen Stabilitätsmechanis-mus (ESM). Deutschland hat Garantien in dreistelliger Milliardenhöhe ausgesprochen, und selbst dem Bundesfinanzministerium scheint es inzwischen schwerzufallen, deren exakten Betrag zu beziffern. Auch viele Bundestagsabgeordnete geben zu, den Überblick längst verloren zu haben. Bei der Ent-scheidung über das jeweils neueste Hilfspaket stimmen sie einfach nur noch so ab, wie es die Frakti-onsführungen vorgeben. Diese sind zweifellos im Film – doch man fragt sich manchmal, in welchem. Da wundert es kaum, dass auch viele Bürger längst abgeschaltet haben und vom Thema Eurokrise nichts mehr wissen wollen. Angela Merkel vertritt offenbar deutsche Interessen, sonst würden die Südeuropäer ja nicht gegen sie demonstrieren. Das muss als Wissensstand genügen, meinen viele.

Frech kommt weiter

In diese Lethargie hinein können CDU und CSU in ihrem Wahlprogramm auf den politischen Gegner zeigen, ohne dass Beachtung fände, wie viele Finger dabei auf sie selbst zurückverweisen. Rot-Grün setze auf „eine europäische Schuldenunion“, wettert die Merkel-Partei, „in der deutsche Steuerzahler nahezu unbegrenzt für die Schulden anderer Länder einstehen müssten“. Diese Aussage ist zweifellos richtig, aber setzt die Union auf etwas anderes? Je größer das Volumen der bereitgestellten Garantien für Krisenstaaten wird, desto höher ist deren Erpressungspotential, mit dem sie weitere Hilfen erzwingen können. „Eine europaweite Einlagensicherung lehnen wir ab, denn damit würde das Haftungsrisiko vergemeinschaftet und deutsche Sparer müssten für die Einlagen in anderen Ländern haften“, schreibt die Union weiter. Doch was würden CDU und CSU tun, wenn Bankkunden in Südeuropa ihre Konten abräumen? Wir „verteidigen die Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank, die nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank von uns durchgesetzt wurde“. Und was ist mit den Staatsanleihen im Gesamtumfang von 220 Milliarden Euro, die von der EZB zwischenzeitlich aufgekauft wurden? „Wer gegen die vereinbarten Grenzwerte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes verstößt, muss mit Sanktionen rechnen“. Soll das im Ernst noch jemand glauben?

Dennoch könnte das Kalkül der C-Parteien, sich als verantwortungsvolle Währungsretter zu profilieren, am Wahlabend aufgehen. Zwei Aspekte spielen der Union dabei in die Hände: Zum einen finden viele Wähler das Thema Eurokrise derart kompliziert, dass sie sich nicht ernsthaft damit befassen. Statt der ESM-Debatte stoßen fleischfreie Kantinentage auf allgemeine Aufmerksamkeit. Und viele finden den Euro immer noch deshalb gut, weil man ja jetzt im Urlaub kein Geld mehr tauschen muss. Die Verweigerung gegenüber der Realität ist also das eine Problem. Das andere ist die indirekte, zeit-verschobene und letztlich verschleierte Finanzierung der Euro-Rettungskosten. Würden die Hilfsmaß-nahmen über Steuererhöhungen bestritten, herrschte in Deutschland längst Ausnahmezustand. Tat-sächlich werden die beschlossenen Leistungen aber durch die Enteignung von Sparern durch Nied-rigzinsen und durch nachfolgende Inflation als Resultat einer zu starken Ausweitung der Geldmenge bezahlt. Mit Blick darauf, dass die Deutschen nach wie vor mehr als 200 Milliarden Euro auf Sparbü-chern und rund 400 Milliarden Euro auf Tagesgeldkonten „anlegen“, obwohl die Verzinsung bereits jetzt unterhalb der Inflationsrate liegt, offenbart sich ein erstaunlicher Gleichmut, der der Merkel-Regierung zugute kommt.

Die politischen Begleitumstände der Krisenbewältigung sind gleichwohl verheerend. Die als Friedensbringer überhöhte Gemeinschaftswährung entpuppt sich als Spaltpilz. Chauvinistisches Gerede über die „faulen Südländer“, die sich das Geld der reichen Vettern aus dem Norden erschleichen, ist längst wieder hoffähig. Gleichzeitig wird in Südeuropa mit Plakaten demonstriert, die die Bundeskanzlerin mit Hitlerbärtchen zeigen. Vor diesem Hintergrund ist es absurd, dass gerade jene in die nationalistische Ecke gestellt werden, die endlich Alternativen zur Alternativlosigkeit aufzeigen.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang