Menschenrechte und Demokratie

Türkei bereitet der EU Probleme

Die Türkei unter Präsident Erdogan bereitet Europa zunehmend Kopfzerbrechen und Probleme. Doch trotz aller Bedenken und Kritik will die EU an den Beitrittsverhandlungen festhalten.

Foto: European Union
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Welchen Weg wird die Türkei künftig unter dem neuen und alten starken Mann Recep Tayyip Erdogan einschlagen? Wie wird er seine Pläne zur Verfassungsreform umsetzen, um seine Macht zu stärken? Wie wird er zukünftig mit den Kurden umgehen? Wird die türkische Gesellschaft sich verstärkt dem Islam und der Scharia zuwenden? Wie ernst wird noch das säkulare Erbe Kemal Atatürks genommen? Wie wird Erdogan den Einfluss der Türkei auf die Krisenregion nutzen?

Die Türkei ist ein Land im Umbruch. In Brüssel und in Berlin ist man unsicher, wie die Entwicklung des Landes am Bosporus einzuordnen ist. Die Liste der Kritikpunkte ist lang. Gleichzeitig ist man von der Türkei abhängiger denn je.

EU-Bericht zur Lage in der Türkei fällt negatives Urteil

Am Dienstag, den 10. November, hat die EU-Kommission ihren alljährlichen Bericht über die Entwicklungen in der Türkei veröffentlicht. Dabei wurde der Türkei ein negativer Trend konstatiert. Es gebe Rückschritte bei den Themenfeldern Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Die Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit werde zunehmend eingeschränkt, heißt es unter anderem.

Unter Erdogan rückt die Türkei immer stärker vom westlichen Wertekanon ab. Richter und Anwälte werden unter politischen unter Druck gesetzt. Es wird hart gegen Demonstranten vorgegangen und es gibt Vorwürfe der Folter in Gefängnissen.

Die Reaktion aus Ankara folgte prompt. Der Bericht sei unfair und inakzeptabel, heißt es unter anderem. Schon seit längerem hält sich in Ankara die Stimmung, dass Europa die Türkei hinhalten wolle. Aus der Türkei gibt es zudem immer wieder Stimmen, die darauf hinweisen, dass das Land sich im Kampf gegen den Terrorismus befinde: Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung USA.

Europa braucht das Wohlwollen der türkischen Regierung

Die Situation bringt die EU in die Zwickmühle. Einerseits ist die Türkei weit davon entfernt, Teil der EU werden zu können. Andererseits darf man es sich nicht mit der türkischen Regierung verderben.

Ein Frieden in Syrien und eine Lösung der Flüchtlingskrise ist ohne die Zusammenarbeit mit der Türkei nicht denkbar. Mittlerweile sind bereits rund 2,5 Millionen Syrer in die Türkei geflohen. Viele wollen nach Europa weiter ziehen. Es liegt am Wohlwollen der türkischen Regierung, ob den Syrern in der Türkei – in direkter Nachbarschaft zu ihrem Heimatland – eine Zukunft geboten werden kann, auf dass ihnen die Chance erhalten bleibt, wieder nach Hause zurückzukehren, wenn der Krieg eines Tages vorbei ist.

Doch nicht nur in der Flüchtlingsfrage spielt die Türkei eine bedeutende Rolle. Die Türkei ist Schlüsselland für die Erdgas-Pipelines vom Aserbeidschan am Kaspischen Meer zum Balkan, die man braucht, um sich vom russischen Gas unabhängiger zu machen. Auch die arabischen Länder möchten ihr Erdgas via Pipeline in das türkische und von dort in das europäische Netz einspeisen, um den europäischen Markt zu bedienen.

Wichtiger aber unberechenbarer NATO-Partner

Die Türkei ist wichtiger NATO-Partner. Als geostrategischer Dreh- und Angelpunkt ist die Türkei die Brücke zwischen Europa und Asien. Zudem bewacht die Türkei am Bosporus und den Dardanellen die Verbindung vom Mittelmeer zum Schwarzen Meer. Wie ein Keil liegt die Türkei zwischen Russland und dem Nahen Osten. Schon in den 1960er Jahren stationierten hier die USA ihre Mittelstreckenraketen gegen die Sowjetunion. Heute starten von türkischen Stützpunkten US-Flugzeuge und Drohnen zu ihrem Einsatz in den Irak und in Syrien.

Doch mit der türkischen Führung ist es nicht immer einfach zu verhandeln. Selbst gegenüber den USA haben türkischen Regierungen immer wieder einen eignen Weg beschritten. So mussten die USA beim Golfkrieg 1990-91 und bei Irakkrieg ab 2003 auf die erhoffte Unterstützung durch die Bereitstellung und Nutzung türkischer Flughäfen und Stützpunkte verzichten und stattdessen ihre Militäroperationen gegen den Irak vom Süden aus organisieren. So wurden Saudi-Arabien und Kuwait zur Basis der Nahostkriege Bush Seniors und Bush Juniors.

Auch die Differenzen zwischen Griechenland und der Türkei und beiderlei Bemühen um die Zypern-Frage haben immer wieder zu einer seltsamen Situation innerhalb der NATO geführt. Denn es war nie auszuschließen, dass beide Staaten sich eventuelle bekriegen könnten. Für den NATO-Zusammenhalt war dies immer ein Problem.

Welchen Sinn hätte eine Mitgliedschaft der Türkei in der EU?

Für die EU stellt sich die Frage nach einem tieferen Sinn einer eventuellen türkischen Mitgliedschaft. Weder in der Finanzkrise noch in der Griechenlandkrise und erst recht nicht in den Flüchtlingskrise hat die EU bisher unter Beweis gestellt, dass die Mitgliedsländer sich schnell auf einen gemeinsamen Nenner einigen können. Vielmehr scheinen die Probleme mit der Größe der EU zu wachsen. Je heterogener das Gesamtbild der EU wird, desto schwieriger wird es, Kompromisse zu finden, die alle gleichermaßen zufrieden stellen.

Abgesehen davon wird die Türkei in den nächsten Jahren Deutschland an Einwohnerzahl überhohlen. Dann würde die Türkei, hypothetisch gesprochen und gemessen an der Bevölkerung, das größte Land der EU sein und entsprechend stark im EU-Parlament vertreten sein. Die Türkei würde gleich zu Beginn auf selber Augenhöhe mit Großbritannien, Deutschland und Frankreich stehen. Wenn es schon jetzt schwierig ist, Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen in Berlin, Paris und London zu überbrücken, wie sollte es dann im EU-Alltag funktionieren, wenn auch Ankara noch allem zustimmen müsste?

Eine Aufnahme der Türkei in die EU hängt zuletzt auch an der Frage, ob sie als sicheres Land gewertet werden kann, das nicht von Bürgerkrieg geprägt ist. Hier hängt viel von den Entwicklungen in der Kurdenfrage ab. Würde die Türkei trotz der unsicheren Lage in Kurdistan aufgenommen werden, dann gäbe es auch keinen Grund mehr, die unsichere Ukraine vom EU-Beitritt zurückzuhalten. Würde die EU solche Erweiterungen verkraften?

Trotzdem bleibt Zusammenarbeit unverzichtbar

Bei aller Kritik und bei allem Vorbehalt gegenüber einem Beitritt der Türkei in die EU muss jedoch konstatiert werden, dass eine weitere enge Zusammenarbeit auf Dauer unverzichtbar bleiben wird. Ein Abdriften der Türkei in die Wertewelt der nahöstlichen Nachbarländer hätte für Europa und die NATO dramatische Konsequenzen.

Umgekehrt bleibt die Türkei das einzige größere islamische Land, welches das Potential hat, als demokratischer und säkularer Staat eine kulturelle Brücke zum Westen zu bilden. Damit wird den anderen islamischen Ländern eine Alternative zum Islamismus und Fundamentalismus aufgezeigt. Bleibt zu hoffen, dass die Türkei langfristig den richtigen Weg beschreitet. Doch die Zukunft ist ungewiss.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: KritischeStimme

Jahrzentelang sind die EU Politiker ueber die Welt gereist+haben ueberall mit gehobenem Finger gesprochen von Menschenrechten.Jetzt wird die Tuerkei gebeten Fluechtlinge aufzunehmen nachdem die Nato zusammen mit der Tuerkei 5 Jahre lang Terroristen fuer Syrien ausgebildet,finanziert,bewaffnet hat,eine klare Verletzung von internationalem Recht,Art 2 Ziffer 4 UN Charta.Das Resultat viele Terroristengruppen worunter ISIS,12 mio Opfer wovon 250.000 Tote+eine Ueberfuelle von Menschenrechtsverletzungen. Christen inSyrien werden v/d Aufstaendischen Islamisten gejagt.Ein Internationaler Hof kommt nicht inAnspruch fuer diese Staatsoberhaeupte weil der Hof gerade v diesen Laendern bezahlt wird,ein noch nicht reorganisierter VN unter BanKiMoon=auch nicht neutral genug,als bleibt vorlaeufig straffreiheit f die Taeter

Gravatar: frohgemut

das europa auf die türkei angewiesen ist das hat sie nur ihrem unsolidarischen verhalten ihrer mitgliedsländer zu verdanken wie dies besonders deutlich in der flüchtlingskrise wird,und die türkei wird solange nicht in die europäische union eintreten solange griechenland mitglied ist den der beitrit muss einstimmig unter den mitgliedsländer erfolgen-

Gravatar: Michael

Die Türkei bereitet uns doch noch keine Probleme, gegen die wir uns nicht wehren könnten.
Einfach Grenzen zu!
Aber Probleme werden wir bekommen, wenn mit der Türkei eine Visafreiheit vereinbart wird. Dann haben wir die Türken auch noch an der Backe. Als legale Migranten.
Özdemir gefällt das. Vielleicht wird er dann Anführer einer neuen Partei?

Gravatar: Anton Aman

Die Türkei hat schon einmal Halb-Europa erobert! Nach
der fatalen Schlacht bei Mohács 1526, wo auch der
Ungarn-König Lajos II.sein Leben lassen musste, hat die
Türkei Ungarn 150 Jahre(!) lang besetzt, inkl. die Balkan-
Länder!
Es ist nicht anzunehmen, dass die islamistische Türkei
ein guter Partner des christlichen Abendlandes werden würde, denn der kulturelle und religiöse Unterschied wäre
ein vorprogrammierter Zankapfel!
Ein friedliches Nebeneinander der Völker, ohne diktatorische Einbindung der Länder ist der bessere Weg,
denn kultureller, religiöser und wirtschaftlicher Interessen-
Austausch brächte keine Spannungen, sondern gegenseitiges Interesse für Einander.

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