„Unser Leitbild ist die Soziale Marktwirtschaft. Sie bringt unserem Land Wohlstand und soziale Sicherheit. Denn sie baut auf zwei Säulen auf“. So beschreibt es das Wahlprogramm von CDU und CSU zur letzten Bundestagswahl. Und dann wird wortreich erläutert, worin diese „zwei Säulen“ bestehen – und warum unser Wirtschaftssystem demnach „einerseits“ Marktwirtschaft ist, aber „andererseits“ auch als sozial zu gelten hat.
Diese Dualität der Begriffe findet sich folgerichtig in zahllosen Reden der Parteivorsitzenden und anderer führender Funktionäre wieder. Und sie offenbart, wie weit sich große Teile der Union mittlerweile von den Thesen ihres einstigen Idols Ludwig Erhard entfernt haben.
Denn anders, als es bis weit ins „bürgerliche“ Parteienspektrum hinein gerne dargestellt wird, bildet die „Soziale Marktwirtschaft“ kein bipolares, sondern ein organisches System. Das ist zwar bis dato nicht die Fachterminologie der Wissenschaft, aber vielleicht ein geeignetes Hilfsmittel, um zwei gänzlich verschiedene Konzepte zu skizzieren.
Ein bisschen bi schadet nie?
Wäre die „Soziale Marktwirtschaft“ ein bipolares System, dann gälte folgende Logik: Die Marktwirtschaft führt zwar absolut gesehen zur Wohlstandsmaximierung, bewirkt aber zugleich eine Konzentration des Reichtums in den Händen weniger, während die breiten Massen außen vor bleiben. Daher hat der Staat auf den Plan zu treten, um durch seine Sozialpolitik ein Gegengewicht zu den Resultaten des Marktes zu schaffen. Diese Sichtweise wird seit Anbeginn der Bundesrepublik, zurückgreifend auf noch weiter in die Vergangenheit reichende Traditionen, von großen Teilen der Bevölkerung vertreten. Nur so lässt sich erklären, wie es möglich ist, dass die überwiegende Zahl der Deutschen bei den Mitte-Rechts-Parteien die Wirtschaftskompetenz, dagegen bei den Mitte-Links-Parteien die Sozialkompetenz verortet. Während also die einen ein stetiges Wirtschaftswachstum herbeiführen, sorgen die anderen für Arbeitsplätze und soziale Sicherheit – als ob eine solche Differenzierung möglich wäre.
Eine organische Sicht der „Sozialen Marktwirtschaft“ dagegen verortet beides zwangsläufig auf derselben Seite: Denn „nur die Marktwirtschaft ist sozial“, wie es bereits Ludwig Erhard formuliert hat. Noch im Jahre 2007 hat sich auch seine Partei zu diesem Gedanken bekannt und ihn im CDU-Grundsatzprogramm aufgegriffen: „Die Soziale Marktwirtschaft ist sozial, weil sie den Menschen die Möglichkeit gibt, ihrer Bestimmung zur Selbstständigkeit gemäß zu leben und für sich und für die Ihren selbst zu sorgen“, heißt es dort. „Sie ist sozial, weil sie die Kräfte der Einzelnen in ein gesellschaftliches Zusammenwirken führt“. Und gerade so „verwirklicht sie soziale Gerechtigkeit“.
Wenn man dieser Grundüberzeugung folgt, derer die Union in ihrem praktischen Handeln gelegentlich gedenken sollte, dann sind es gerade nicht zuvorderst die staatlichen Eingriffe, die die Grundlage von Gerechtigkeit schaffen – nicht die Rente und nicht das Arbeitslosengeld, nicht die Leistungen bei Krankheit und Pflege und schon gar nicht Mindestlohn und Mietpreisbremse. Vielmehr will das Konzept der „Sozialen Marktwirtschaft“ Gerechtigkeit vor allem durch ein Instrument realisieren, das vielfach als „neoliberal“ und „marktradikal“ verunglimpft wird: Den freien Wettbewerb. Dieser war für Ludwig Erhard „unlöslich Bestandteil, ja innerstes Element einer marktwirtschaftlichen Ordnung“, so dass „seine Eliminie¬rung, Beeinträchtigung oder Behinderung schlechthin zu einer Sprengung des Systems überhaupt führen“ würde. Und demnach darf sich eine Politik auch „nur dann sozial nennen, wenn sie den wirtschaftlichen Fortschritt, die höhere Leistungsergiebigkeit und die steigende Produktivität dem Verbraucher schlechthin zugute kommen lässt“. Das „vorzüglichste Mittel“, dieses Ziel „innerhalb einer freien Gesellschaftsordnung zu erreichen, ist und bleibt der Wettbewerb; er ist der tragende Pfeiler dieses Systems“.
Und so besteht jede Sozialpolitik zuallererst in der Sicherung von Wettbewerbsfreiheit. Sozialpolitik ist also: Gewährleistung der unbehinderten Gewerbeausübung, die wirtschaftliche Betätigung nicht an eine endlose Liste von Genehmigungsvorbehalten und Erlaubnispflichten, Auflagen und Zwangsmitgliedschaften knüpft. Sozialpolitik ist: Stärkung der Vertragsfreiheit, auch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auch beim Aushandeln eines Lohns, der für beide Seiten akzeptabel ist, ohne Einmischung betriebsfremder „Tarifparteien“ und deren „Allgemeinverbindlichkeitserklärungen“ und erst recht ohne staatliche Mindestvorgaben. Sozialpolitik ist: Sicherung freier Preisbildung, die sich ausschließlich aus Angebot und Nachfrage heraus ergibt und nicht aus Kappungsgrenzen und steuerlicher Lenkung. Sozialpolitik ist: Durchbrechung von Kartellen, die nach wie vor Legion sind – bei der Briefzustellung und im öffentlichen Nahverkehr, bei der Energieversorgung und der Müllbeseitigung, im Abwasserwesen und bei Rundfunk und Fernsehen. Sozialpolitik ist: Beseitigung von Markteintrittsbarrieren, durch die der Staat und semistaatliche Institutionen wie Kammern und Verbände immer neue Hindernisse für Neugründungen aufrichten, anstatt auf die Entscheidungsfreiheit und die Entscheidungsweisheit der Konsumenten zu vertrauen. Sozialpolitik ist: Schutz des Privateigentums statt seiner Enteignung – durch immer neue Steuern und immer höhere Abgaben, durch politisch manipulierte Zinsen und schleichende Geldentwertung und durch einen entfesselten Sozialstaat, der sich durch immer mehr Verschuldung selbst zu Tode finanziert. Sozialpolitik ist: Achtung der individuellen Freiheit bei der Berufswahlentscheidung statt Quotenvorgaben und „Gender Mainstreaming“.
Gebt endlich den Konsum frei!
Sozialpolitik ist: Respekt vor den Konsumentscheidungen der Verbraucher statt Gängelung durch exzessive Kennzeichnungsvorschriften und rote, gelbe oder grüne Ampeln.
Eine Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft, die so gern von Politikern aller Couleur gefordert wird, würde also in der Tat „das Soziale wieder stärker betonen“. Aber nicht als Gegenpol zur Idee der Marktwirtschaft, sondern als erläuterndes Adjektiv, das dem Begriff ohnehin innewohnt.
Doch davon sind wir heute wahrscheinlich weiter entfernt denn je. Und so hat auch Ludwig Erhards Klage nichts an Aktualität verloren: „Was muss sich eigentlich noch ereignen, um bestätigt zu finden, dass die Marktwirtschaft zugleich auch die leistungsfähigste soziale Ordnung begründet?“
Kommentare zum Artikel
Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.
SOZIAL IST NUR DIE MARKTWIRSCHAFT:::::100% Zustimmung zu diesen Satz!
20.12.2013, 21:0101Onkel Igor
Als liberaler hat nicht die absolute Verwügungsgewalt über das Privateigentum Priorität, sondern eine Ausgewogenheit nach kosten/Nutzen
Ein Beispiel:
Das unter Maria Theresia erlassene Wegerecht gestattet die freie Passage durch fremdes Eigentum, wenn der Passant am Weg zu seinem Heim, auf Handelsreise, als Handwerker durch einen anderen Weg rund um das Eigentum übermäßig belastet würde und damit größere finanzielle oder zeitliche Verluste einhergehen.
Wahrscheinlich hat Maria Theresia den Beschluss zum Wegrecht erlassen,
weil ein streitbarer Zeitgenosse war, den Wald vor einer Siedlung kaufte und Handwerker & Bauern jetzt 5h länger durch die Umgehung zur nächsten Stadt mit Markt brauchten. Dadurch hatten sie weniger Einkommen. Maria Theresia dachte "so geht das nicht und wenn Leute an ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit durch Titus Petronius gehindert werden, verliere ich durch ihn Steuereinnahmen.
weiters muss der Staat Rahmenbedingungen für den fairen Wettbewerb schaffen:
Kartelle und Monopole sind das eine Problem, aber es gibt noch ein anderes:
Wenn ich null Umweltauflagen einhalte und mir leibeigene Arbeiter halte, denen ich essen minimale Wohnmöglichkeiten und 1 Cent pro Stunde zahle, bin ich dann ein fairer Mitbewerber?
gebt endlich den Konsum frei... auch das unterstütze ich und würde es begrüßen
Hier ist nix mehr mit demokratischen Mitteln zu retten. Unter dem Druck von Merkel & Co respeptive der EU ist herrscht in diesem Lande mittlerweile ein Raubkapitalismus mit planwirtschaftlichen Zügen.
So ist es, Herr Alfes, und daraus folgt, daß der deutsche Staat noch nie so unsozial war wie derzeit, und das, obwohl die sogenannten "Sozialausgaben" steigen und steigen.