Porträt Elisabeth Tuider

Sachlich auseinandergesetzt

Eine Professorin aus Kassel wird von einem Publizisten übel geschmäht und ist schockiert. Doch warum eigentlich? Ihre Thesen zur »Sexualpädagogik der Vielfalt« sind selbst schockierend.

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»Eine Wissenschaftlerin der Universität Kassel ist in den Sozialen Medien gegenwärtig diffamierenden Schmähungen ausgesetzt«. So beschwert sich die hessische Hochschule in einer Pressemitteilung. Wer nicht weiß, um wen es geht, wird somit erst einmal zur Eigenrecherche ermutigt.

Dem, der dazu keine Lust hat, sei gesagt, dass die Geschmähte Elisabeth Tuider heißt und seit 2011 den Lehrstuhl »Soziologie der Diversität unter besonderer Berücksichtigung der Dimension Gender« besetzt. In dieser Funktion forscht die Professorin mit ihrem Team zu Geschlechterbeziehungen und »Vielfalt der Lebensweisen«. Tuider »arbeitet, lebt, engagiert sich und liebt in unterschiedlichen Städten Deutschlands sowie Europas und Lateinamerikas«, so ihre Selbstbeschreibung. Und in der Tat, die 1973 geborene Dozentin ist schon ziemlich weit rumgekommen: Studium in Wien, Promotion in Kiel, Habilitation in Münster, eine erste Professur in Hildesheim und nun der Job in Kassel.

Man würde nicht auf Anhieb darauf kommen, dass so der Lebenslauf einer »Berufsperversen« aussieht. Doch Katzenkrimi- und »Skandalbuchautor« Akif Pirinçci unterstellt genau dieses. Ferner spekuliert er, nicht an der ehrwürdigen Wilhelms-Universität, sondern »offenkundig in einem arabischen Puff« habe Frau Tuider ihre Lehrberechtigung erlangt. Deren heutige Wirkungsstätte, die Universität Kassel, sieht darin mit einigem Recht »persönliche Angriffe«, die den »Regeln des angemessenen Umgangs« widersprächen. Gleichwohl werde sich die Wissenschaftlerin natürlich »einer kontrovers geführten Auseinandersetzung mit Ergebnissen ihrer Forschungstätigkeit stellen, solange sie sachlich geführt wird«.

Vielleicht sollte man das Angebot einfach einmal aufgreifen. Und zwar jenseits einer bewusst auf Krawall gebürsteten Diskussion, bei der es vor allem um Aufmerksamkeit und um Auflage geht. Um dann am Ende zu schauen, ob und wenn ja wie weit Akif Pirinçci mit seinem Urteil neben der Wahrheit liegt.

Grau ist alle Theorie

Gegenstand der Debatte ist vor allem Tuiders Lehrbuch »Sexualpädagogik der Vielfalt. Praxismethoden zu Identitäten, Beziehungen, Körper und Prävention für Schule und Jugendarbeit«. Das Werk wurde bereits im Jahre 2008 herausgegeben und ist dann 2012 in zweiter, überarbeiteter Auflage neu erschienen. Tuider und ihre Koautoren verlangen darin, herkömmliche Methoden der Sexualkunde durch »praktische Übungen« zu ergänzen. Insgesamt siebzig Anregungen hierzu sind in ihrem Buch enthalten.

Kritiker der Professorin stören sich vor allem an ihrem „Sex-Quiz«, das die Schüler mit Begriffen wie »Vakuumpumpe« und »Gangbang« vertraut machen will (ab zwölf Jahren). Besonders umstritten ist auch die Übung »Das erste Mal«, die Jugendliche anhält, Analsex »als Theaterstück« darzustellen (ab dreizehn Jahren). Im Rahmen des Rollenspiels »3 – 2 – 1 – Deins« werden Vierzehnjährige ermutigt, Häkeldeckchen und Vaginalkugeln für ein Mietshaus zu ersteigern. Dieses beherbergt »eine alleinerziehende Mutter, ein heterosexuelles kinderloses Paar, ein schwules Paar, ein lesbisches Paar mit zwei Kindern, ein Seniorenpaar, eine Wohngemeinschaft mit drei Behinderten und eine Spätaussiedlerin aus Kasachstan«. Ab Fünfzehn schließlich darf man sich dem Projekt »Ein Puff für alle« widmen. Dabei sollen die Präferenzen weißer, heterosexueller Männer ebenso berücksichtigt werden wie jene von muslimischen und katholischen Frauen sowie von transsexuellen Lesben (was immer man sich darunter vorstellen mag).

Was wären darob die Themen einer »kontrovers geführten Auseinandersetzung«, die »sachlich geführt wird«?

Pirinçci unterstellt Tuider und ihren Mitstreitern, sie würden sich »beim Gedanken an Lolita- und Knabensex aufgeilen«. Nun gibt es tatsächlich keinen konkreten Anhaltspunkt, die eine derart ehrenrührige Unterstellung rechtfertigen würde. Doch sollten sich die Professorin und ihr Team schon einmal fragen, welche Klientel sie denn auf den Plan rufen, wenn Sexualpädagogik dergestalt erteilt wird. Wem wird ein Anreiz geboten, diese Art von Unterweisung erbringen zu wollen? Wer wird versuchen, seine Neigungen auf diesem Wege zu kanalisieren? Und wer werden die Leidtragen sein, falls der Versuch misslingt? Die vorgeschlagenen »praktischen Übungen« überschreiten definitiv Grenzen, an deren Einhaltung gerade der Sexualpädagogik gelegen sein muss.

Noch schwerer wiegt der Gedanke, wie wohl jugendliche Teilnehmer solcher Lehreinheiten den so gestalteten Unterricht empfinden werden. Tatsache ist, dass zumindest im schulischen Rahmen ein Antrag auf Befreiung seitens der Eltern kaum Erfolg haben dürfte. Und auch die Schüler können sich nicht selbst befreien, zumindest nicht auf regulärem Wege. Der einzelne Minderjährige befindet sich also faktisch in einer Situation, in der er einer Lehrkraft ausgeliefert ist. Einer Lehrkraft, die ihn dazu nötigt, szenisch Analverkehr darzustellen. Wie groß ist da noch der Unterschied zum Besuch beim netten Onkel, der mit freundlichen Worten dazu einlädt, doch mal gemeinsam einen Film zu gucken? Missbrauchserfahrungen umfassen objektive, aber auch subjektive Elemente, wie Prof. Tuider sehr wohl weiß. Wie kann es sein, dass dieselben Leute, die einen »Aufschrei« veranstalten, wenn zwei Erwachsene weit nach Mitternacht an einer Hotelbar über Dirndl plaudern, überhaupt nichts dabei finden, wenn sie ihrerseits halbe Kinder mit Vaginalkugeln bedrängen?

Realität, die keine ist

Elisabeth Tuider argumentiert, sie würde die genannten Themen ja gar nicht selbst aufs Tapet bringen, sondern lediglich aufgreifen, was auf den Schulhöfen heutzutage eh diskutiert werde. Damit folgt sie derselben Logik wie der bambibepreiste Bundestagspraktikant Bushido, wenn er über die »Realität der Straße« schwadroniert. Doch natürlich erzeugt man so auch Wechselwirkungen, und es macht einen riesigen Unterschied, ob etwas auf der Ebene von Jugendlichen verbleibt oder ob es von Erwachsenen übernommen und damit in der Wahrnehmung Heranwachsender mit einem »OK« versehen wird.

Hinzu kommt, dass das Tuider-Buch wie so viele Publikationen aus der Genderforschung von einer Realität ausgeht, die die Wirklichkeit der Allermeisten überhaupt nicht abbildet. Drei Viertel der Mädchen und Jungen wachsen auch im Deutschland des Jahres 2014 bei ihren Eltern auf, ein weiteres Fünftel bei einem alleinerziehenden Elternteil. »Regenbogenfamilien« oder polyamore Gruppenbeziehungen mögen an ein paar Lehrstühlen unter dem Mikroskop seziert werden; im alltäglichen Leben sind sie so gut wie inexistent.

Und schließlich: Wer sagt eigentlich, dass die vielen hunderttausend Kinder und Jugendlichen, die in ganz herkömmlichen Familienstrukturen aufwachsen, die wenigen ihrer Altersgenossen, bei denen das nicht so ist, deshalb beschimpfen und beleidigen? Vielleicht bedarf es ja gar nicht ihrer Umerziehung durch die Sexualpädagogik, weil gerade die traditionelle Familie Anstand und Respekt vermittelt, gerade auch gegenüber jenen, die ganz anders leben. Tuider dagegen macht so ziemlich jeder Lebensspielart ihre Aufwartung – außer Müttern und Vätern, die selbstverständlich vom Prinzip der Heteronormativität in den Geschlechterbeziehungen ausgehen und dies ihren Kindern auch so weitergeben. Pirincci meint, es gehe der Professorin um die »Zerstörung der Familie«. Liegt er da völlig falsch?

Zu einer »einer kontrovers geführten Auseinandersetzung«, die »sachlich geführt wird«, ist Elisabeth Tuider nach dem Bekunden ihrer Hochschule bereit. Bedauerlich, dass ihre Kollegin Paula-Irene Villa Kritiker von vornherein als »Modernisierungsverängstigte« brandmarkt, »die sich gegen eine Pluralisierung wehren«. Schade, dass der Vorstand der »Fachgesellschaft Gender« potentiellen Diskussionspartnern pauschal ein »autoritäres, hierarchisches und doktrinäres Verständnis von Wissenschaft und Gesellschaft« unterstellt, das »gezielt rassistische und nationalistische Ressentiments« schüren wolle. So kann ein ehrlicher Dialog leider kaum gelingen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Monica Mantovani

Wenn der Intellekt so hoch ausgebildet ist, wie man es bei einer Professorin erwarten kann, besteht die große Gefahr ,ihn zu missbrauchen, um die seelische Dürftigkeit und absolute Geistlosigkeit dahinter zu verstecken. Der Kommentar von Kindern : "Wenn das so ist, will ich nicht erwachsen werden". Und wer zahlt dann die Pension dieser so absolut verantwortungslosen "Dame"?
Mantovani

Gravatar: Bruno Heil

Roman Bodurka sagt: "...ohne die absolute Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung Lehre wäre eine Entwicklung des Menschen nahezu ausgeschlossen." Und wie hat sich die Menschheit in den letzten Jahrtausenden entwickelt?
Im Übrigen stimme ich nahezu allen Kommentaren zur Ihrem GG-Zitat zu. Dennoch ist es wichtig, daran erinnert zu werden. Der GG-Freiraum sollte aber auch interpretationsfähig bleiben.

Gravatar: Claudia Cometh

Toll, den - sehr guten - Pirincci-Artikel etwas ausgewalzt. Das ist doch keine sachliche Auseinandersetzung mit diesen Irren, die immer kürzeren Abständen auftreten.

Das Tuider-Buch ist nicht neu und wird bei Amazon vertrieben. Wieso bedarf es eines pirincci, damit dieser Skandal, ein Schulbuch für Kranke Päderastenphantasien, auffliegt?

Dasselbe beim Bildungsplan Bad-Württ., den ein einzelner trotz persönlichen Repressalien gestoppt hat.

Das ist ein eklatantes zivilgesellschaftliches Versagen, um mal eine typische Formulierung der linksgrünversifften aufzunehmen. Wenn man Kinder den kranken Phantasien von Pädagogen ausliefert, die über analsex bei 13jährigen phantasieren.

Gravatar: donalfoso

Meinungsfreiheit hört da auf wo man andere schädigt. Und hier meine ich Kinder und Schutzbefohlene. Ich stell mir grad vor wie der Erzieher in der Kindertagsstätte den kleinen Mädchen zwischen den Beinen Fummelt und darauf wartet ob sie im sagen, das ist aber schön Onkel Klaus. Darauf scheint´s ja hinauszulaufen. Hier sollte schon StGB 130 greifen bei solch verblödeten Pseudowissenschaftlern, die dafür auch noch viel Geld und später eine gute Pension bekommen und in der Zeit Ihren Schwachsinn bei den späteren Pädagogen und Soziologen als Fortschritt verkaufen. Ich frag mich ob die selber an Ihren blödsinn glauben oder nur Ihre bezahlte Rolle spielen

Gravatar: Ulrich Neumann

Wie einfältig, im Gegensatz zu "mehrfältig": “Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.” Aber: Leider haben Sie nicht erkannt, und die Rektionen hierzu auch nicht, daß eine Freiheit nur so weit gehen kann, daß die Freiheit des Nachbarn, Nächsten, Anderen nicht eingschränkt wird. Hier würde die Freiheit der Kinder und Eltern massivst eingeschränkt, mißachtet, ja sogar beseitigt.

Gravatar: Conni

Warum wird diese Frau als "Wissenschaftlerin" bezeichnet? Glaubensbekenntnisse und Missionierung haben doch nichts mit Wissenschaft zu tun.

Gravatar: Peter Schaefer

Werter Bodurka,

Sie schreiben völlig richtig:
“Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.”

Was genau ist denn an den Vorschlägen und vor allem an der Umsetzung dieser Vorschläge in Recht Kunst, Wissenschaft, Forschung oder Lehre?

Gravatar: Der Bremer

Mit Juristerei kommen Sie hier nicht weiter. Frau Tuider fordert Kinder und Jugendliche unter anderem dazu auf, sich mit Sexspielzeug auseinanderzusetzen, welches man nur in Läden bekommt, wo der Eintritt für Personen unter 18 Jahren verboten ist. Wenn Sie so schon die juristischen Grundlagen des Grundgesetzes hier auseinanderflöhen, wie steht es denn mit dem Jugendschutz? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht? Diese Form des Unterrichts halte ich für extrem distanzlos. Die Lehrer erhalten den Auftrag, in den persönlichsten und diskretesten Freiraum der Heranwachsenen einzudringen und sind sich wahrscheinlich gar nicht darüber im klaren, was für Schäden sie damit anrichten. Hier in Bremen wird dieser Schwachsinn gottlob nicht praktiziert.

Ich glaube, dass ich den Unterricht, oder zumindest die Mitarbeit in diesem, verweigern, boykottieren und stören würde, wenn ich jetzt 30 Jahre jünger wäre.

Gravatar: KaRa

“Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.”

Im Grundgesetz steht aber nicht, das der Steuerzahler allen Stuß bezahlen muß.

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