Rechtswissenschaftler sieht gute Perspektiven für EINER VON UNS

Der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, Professor Klaus F. Gärditz, ist der Meinung, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Streit Greenpeace vs. Oliver Brüstle dem Lebensschutz dienlich ist. Rechtsakte von EU-Institutionen, die die embryonale Stammzellenforschung fördern, würden als nichtig anzusehen sein, schreibt er in einem Gutachten.

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Der EuGH hatte festgestellt, dass – kurz gesagt – eine befruchtete menschliche Eizelle ein Mensch ist und deshalb nicht patentiert werden darf. Dabei haben die Richter insbesondere auf die Menschenwürde Bezug genommen, einem Recht, das einfachem Unionsrecht übergeordnet ist, wie Gärditz schreibt. Er identifiziert fünf Rechtsquellen, auf die sich die Richter in ihrem Urteil beziehen.

Da ist zuerst die Europäische Menschenrechtskonvention, die die Menschenwürde zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber gleichwohl darin einschließt. »Der Kern der Konvention ist der Respekt für die Würde und die Freiheit des Menschen«, heißt es in einem anderen Urteil des EuGH. Der Geist der Menschenrechtskonvention und überhaupt aller Rechtsbereiche der EU baut auf diesem fundamentalen Gedanken auf, jedes nachgeordnete Gesetz muss in diesem Licht interpretiert werden.

Die zweite Quelle sind die Verfassungstraditionen der EU-Mitgliedsstaaten. Die sind zwar nicht überall dieselben, aber fast alle »beziehen sich auf menschliche Würde, Personalität und Integrität als fundamentale Aspekte der Würde.«

Drittens garantiert Artikel 1 der Grundrechtecharta der EU die Menschenwürde, die das Fundament für alle anderen Gesetze und Rechte ist. Dort heißt es: »Die menschliche Würde ist unverletzlich. Sie muss respektiert und geschützt werden.« Gärditz folgert daraus: »Es gibt kein rechtliches Argument, das die Verletzung der Menschenwürde rechtfertigen kann. (…) In Übereinstimmung mit Artikel 1 verlangt die Menschenwürde von der Europäischen Union, dass sie Gesetze erlässt, die jedermann vor Beeinträchtigungen seiner Rechte schützt, sofern die Europäische Union die ausreichende Kompetenz zur Regelung der Materie hat. Genau das hat die Europäische Union getan, als sie die Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen einschränkte«.

Viertens schützt Artikel 3 der Grundrechtecharta die Menschenwürde, wenn die Freiheit der Wissenschaft mit ihr in Konflikt zu geraten droht. Hier geht die Menschenwürde vor. »Folglich dient Artikel 3(2) der Charta als Rechtfertigung, ein Verhalten zu verbieten, das in einem anderen Fall Teil der Freiheit von Forschung und Lehre nach Artikel 13 der Charta wäre. In Hinblick auf die Gefahren einer schrankenlosen Biowissenschaft haben die Gründer der Charta sie absichtsvoll beschränkt, um die Menschenwürde besser zu schützen.«

Schließlich legt Artikel 6,1 des EU-Vertrages fest, dass die Charta Bestandteil des Rechts der EU und somit bindend für alle ist.

Bezogen auf diese Bestimmungen kommt Gärditz in seinem Gutachten zu einem eindeutigen Schluss: »Der Europäische Gerichtshof akzeptiert zu Recht, dass die Menschenwürde vom Recht der Europäischen Union geschützt werden muss, sobald der Prozess der Entstehung menschlichen Lebens begonnen hat. Es ist die Würde und die Integrität des Embryos, die unverletzlich ist und folglich nicht als Mittel der Forschung oder als ein Objekt kommerzieller Ausbeutung behandelt werden darf. Der Embryo hat in bezug auf die Menschenwürde einen unabhängigen Status. Dieses Status wird verletzt, besonders wenn der Embryo zerstört wird.« Und er fügt seine eigene Bewertung hinzu: »Für mich ist klar, dass die Förderung der Forschung mit embryonalen Stammzellen durch die Europäische Union unter Kapitel XIX der TFEU folgerichtig die Menschenwürde verletzen würde, die durch das Primärrecht geschützt ist.«

Für die Forschung an embryonalen Stammzellen hat die Entscheidung des EuGH eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, selbst wenn die EU weiterhin Stammzellenforschung fördern würde, schreibt Gärditz. Denn damit würde die EU Aktivitäten fördern, die nach europäischem Recht nicht patentierbar und deren Ergebnisse deshalb von Forschern außerhalb der EU rechtmäßig verwertbar sind. Wäre es unter diesen Umständen sinnvoll, fragt Gärditz, dass die EU öffentliche Gelder ausschüttet, die Forschern außerhalb der EU zu Gute kommen? Wohl kaum: »Es wäre zumindest politisch unangemessen, Stammzellenforschungsprojekte zu fördern.«

 

Anmerkung: Das Gutachten wurde veröffentlicht in der Zeitschrift für Lebensrecht 4/2011, 20. Jg., S. 136-139 (auf Englisch).

Zur Europäischen Bürgerinitiative EINER VON UNS.

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