Junge Christdemokraten

Neun Irrtümer über ESM-Gegner

In der Union-Bundestagsfraktion vertritt eine Handvoll Bundestagsabgeordneter die Meinung, dass der ESM nicht vertretbare Risiken birgt. Es gibt neun Gründe, warum sie Recht haben.

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Mitglieder des Bundestages sind »an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen«. So will es das Grundgesetz. Und deshalb führt es in die Irre, wenn man von Abgeordneten Gefügigkeit gegenüber tagesaktuellen Befragungen verlangt. Gleichwohl gibt es Themen, bei denen die Differenz zwischen »Volksmeinung« und Parlamentsposition frappierend erscheint. So hat das Forschungsinstitut YouGov ermittelt, dass 54 Prozent der Deutschen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ablehnen. Auch unter Unionswählern sieht eine relative Mehrheit den ESM kritisch.

Doch im Bundestag wurde er von 493 Mitgliedern ratifiziert; nur 106 Parlamentarier haben gegen ihn gestimmt, davon ganze zehn aus den Reihen der Christdemokraten. Und das Image dieser Zweihandvoll ist denkbar negativ. Zumindest, wenn man den Massenmedien folgt. Dort werden die »Neinsager« als ewig gestrige Europafeinde dargestellt, die von Ökonomie keine Ahnung haben – was sie jedoch nicht daran hindert, gegen die Euro-Rettung zu zetern, ohne einen Alternativvorschlag einzubringen. ESM-Gegner in der CDU sind demnach Politiker, die ihre Grundsätze längst verraten haben, allenfalls mit verdecktem Visier kämpfen und letztlich auch in ihrer Partei auf die Nase fallen. Doch am Ende bleiben sie trotzdem Vertreter des Establishments, die wollen, dass alles beim Alten bleibt.

Neun Vorwürfe sind das. Und alle sind falsch.

Sie sind jung, kompetent und europabegeistert

Erstens: Die meisten Kritiker des Stabilitätsmechanismus aus dem Kreis der Merkel-Partei sind jung. Thomas Dörflinger ist Jahrgang 1965, Christian von Stetten wurde 1970 geboren, Michael Brand entstammt dem Jahr 1973, im Folgejahr kam Alexander Funk zur Welt, und bei Carsten Linnemann steht 1977 im Reisepass. Nicht verknöcherte Alte sind gegen den ESM, sondern jene, die kleine Kinder haben und die auch selber die Zukunft noch vor sich sehen. »Risiken, die die jährlichen Ausgaben des Bundes um das drei- bis vierfache übersteigen«, nennt zum Beispiel Alexander Funk als Grund für sein negatives Votum. »Wir dürfen unsere Kreditfähigkeit nicht überschätzen«, mahnt Christian von Stetten. Und beide warnen davor, dass nachfolgende Generationen den Preis der Eurorettung »zu tragen haben«.

Zweitens: Die Mechanismusgegner in der CDU sind Pro-Europäer. Nicht trotzdem, sondern deshalb lehnen sie den ESM ab. Man müsse endlich »Abschied nehmen von dem Mantra«, dass »die 17 Euroländer« eine »nicht trennbare Schicksalsgemeinschaft bilden«, so Carsten Linnemann. Und Alexander Funk warnt, die Rettungspolitik beschädige »den Zusammenhalt der europäischen Staatengemeinschaft nachhaltig«. Die Bewohner der Krisenstaaten würden es »nicht akzeptieren«, dass sich Vertreter der EU als »Sparkommissare oder Kontrolleure aufspielen«, während »unsere Bürger zurecht fassungslos den Bruch« aller »Versprechen bei der Euro-Einführung« konstatieren müssten. So entstehe eine »explosive Mischung«, die das Projekt Europa zu zerstören drohe.

Drittens: Die ESM-Kritiker sind keine ökonomischen Ignoranten. Im Gegenteil, sie widersprechen mit erfrischender Deutlichkeit dem linken Dogma vom »Primat der Politik«. Eine Währungsunion könne nun mal »nicht nach politischen Vorstellungen« funktionieren, stellt Carsten Linnemann klar, sondern sie folge halt »ökonomischen Gesetzen«. Und so wird die Euro-Krise denn auch als »Krise der preislichen Wettbewerbsfähigkeit« identifiziert, die die betroffenen Staaten unter normalen Umständen »durch Abwertung ihrer Währung« selbst beseitigen könnten. Da dies unter den Bedingungen der Gemeinschaftswährung jedoch nicht möglich sei, reagiere man mit »Preis- und Lohnkürzungen«. Zudem versuche die EU, »Sanktionen des Marktes« auszuschalten, indem man künstlich verminderte Refinanzierungszinsen herbeiführe. Dies geschehe unter Umgehung des EU-Vertragswerks, insofern ökonomische Fehlentwicklungen als »außergewöhnliche Ereignisse« uminterpretiert würden, die sich jeglicher »Kontrolle entziehen«. So weisen die Kritiker nach, dass es letztlich ihre Opponenten sind, die die Gesetze der Wirtschaft missachten.

Viertens: Die Gegner des Stabilitätsmechanismus sind keine notorischen Nörgler, sondern sie wissen sehr wohl mit Argumenten umzugehen. So macht Thomas Dörflinger darauf aufmerksam, dass der ESM mit seinem 80-Milliarden-Volumen an Hilfszahlungen und weiteren 620 Milliarden an »abrufbarem Kapital für den Bedarfsfall« nur eine »Ergänzung« darstelle zu den »über eine Billion Euro«, die die EZB zu niedrigen Zinsen in das Bankensystem gespült habe. Und er ergänzt, dass nicht einmal diese Maßnahmen ausreichen würden, »falls sich die Krise ausbreitet«. Und insofern sei eine »Insolvenz von Staaten immer noch besser«, sekundiert Christian von Stetten. Denn damit schaffe man dann zumindest einen »Schlusspunkt«.

Fünftens: In diesem Sinne schlagen die christdemokratischen Abgeordneten denn auch als Alternative »eine Staateninsolvenzordnung« und »ein Verfahren zur Suspendierung von der Eurozone« vor. Entsprechende Maßnahmen könnten mit »einer Art Marshallplan unter europäischer Aufsicht« einhergehen. Ausdrücklich spricht Alexander Funk in diesem Kontext von »übertriebenen Horror-Szenarien«, mit denen ESM-Befürworter jede ernsthafte Debatte darüber unterbinden wollten.

Gute Gründe, dagegen zu sein

Sechstens: Mit Nachdruck verwahren sich die jungen Unionspolitiker gegen den Vorwurf, Grundsätze christdemokratischer Europapolitik zu verraten. Und in der Tat: Letztlich sind sie es, die die Grundsatzfragen überhaupt erst aufwerfen. So müsse sich die CDU irgendwann einmal erklären, »ob wir einen europäischen Bundesstaat mit mehr Zentralisierung haben wollen«, verlangt Carsten Linnemann. Bisher sei unklar, was »mehr Europa« eigentlich heißen solle. Und Alexander Funk betont, dass es sich bei der ESM-Abstimmung »um eine klassische Gewissensentscheidung« handele. Er folge bei seinem Nein »unüberwindlichen Bedenken« – grundsätzlicher kann man eigentlich nicht argumentieren.

Siebtens: Die Behauptung, CDU-interne Gegner des Mechanismus seien Heckenschützen, besteht den Realitätstest ebenfalls nicht. »Es scheint unter vielen Politikern in Mode gekommen zu sein, die eigenen Vorhaben als ›alternativlos‹ einzustufen«, formuliert Carsten Linnemann sehr direkt. Doch »die Wirklichkeit sieht anders aus: Nichts ist alternativlos!« Einen anderen Begriff verwendet Alexander Funk, doch der Inhalt ist derselbe: »Das neue Unwort beim ESM lautet nicht mehr ›alternativlos‹, sondern: ›ultima ratio‹. Das hat aber jetzt eine neue Bedeutung: Es meint: Im Zweifelsfall bürgen wir immer«, kritisiert er die Chefin ebenso unmissverständlich. Und auch Christian von Stetten hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: »Die Kanzlerin kämpft für die deutschen Interessen«, lobt er zwar, doch Merkel lasse sich letztlich »von den spanischen, italienischen und französischen Regierungschefs erpressen«. Und so habe die Bundesregierung »schon mehr gezogene roten Linien überschritten als es Eulen in ganz Athen gibt«.

Achtens: Versöhnlich mag einem erscheinen, dass die CDU toleranter gegenüber »Abweichlern« auftritt, als es häufig den Eindruck macht. Carsten Linnemann wurde Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in der Union, Michael Brand ist im neuen Bundestag Ausschussvorsitzender, Thomas Dörflinger gehört auch weiterhin dem EU-Ausschuss an und Christian von Stetten kann seine Mitgliedschaft im Finanzausschuss fortführen.

Neuntens: Schließlich scheinen die jungen Mechanismusskeptiker sogar offen für eine Verbreiterung parlamentarischer Debatten zu sein. Sozialdemokraten und Grüne seien ein »Totalausfall« in der Eurodebatte, insofern sie »willfährig jeder weiteren Vergrößerung der Gemeinschaftshaftung das Wort« geredet und »die Interessen« der Deutschen »hinter eine ideologisch motivierte Rhetorik von angeblicher europäischer Solidarität« gestellt hätten, beklagt Alexander Funk. Und wer weiß: Vielleicht zeichnen sich so für die Zukunft Bündnisse mit neuen politischen Kräften ab, von denen man heute noch kaum zu träumen wagt.

(Schicksale der ESM-Gegner Teil 1)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klingler Andreas

Der einzige Schutz gegen politische Verirrungen:
D I R E K T E - D E M O K R A T I E
mit verbindlichen VOLKSABSTIMMUNGEN einfordern !

Gravatar: reiner tiroch

es gibt über 600 politische Irrläufer, desshalb wähle ich die AfD

Gravatar: Joe Bloch

Je mehr sich Deutsche für mehr Europa anbiedern, je mehr werden sie gehasst. Die Euro-Rettungshysterie spaltet Europa. Die CDU ist unfähig eine Eurodebatte zu führen, gelähmt von ihrem Euro-Wahn, der wie ein Damoklesschwert über ihr hängt, verursacht durch die französische Erpressung, die D-Mark aufzugeben für die Zustimmung zur Wiedervereiniung.
Versailles Nr. 2 ? (Delors und Mitterand: "Die D-Mark ist die Atombombe der Deutschen" !)
Die CDU wird dafür noch bitter bezahlen, da ihre Wähler der Partei abhanden kommen und
sich anderen Vereinigungen zuwenden. SPD, Grüne und FDP sind unfähig, eine eigene
Europapolitik zu artikulieren, Angst,Schockstarre pur !

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