China, Japan, USA, Russland

Machtblöcke im Sicherheitsdilemma

China beobachtet die Entwicklung der Ukraine-Krise genau. Denn das politisch-militärische Sicherheitsdilemma, in dem die NATO und Russland derzeit feststecken, droht auch dem Fernen Osten.

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Ein „Security Dilemma“ ist nach dem deutsch-amerikanischen Politikwissenschaftler John Herz eine Situation, bei der Staaten durch ihr gesteigertes Sicherheitsbedürfnis das Sicherheitsempfinden anderer Staaten verletzen und somit eine Spirale ins Gegenteil in Gang setzen können.

Klassische Fälle solcher Sicherheitsdilemmata sind die politischen Kettenreaktionen, die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten, sowie das Wettrüsten zur Zeit des Kalten Krieges, das die Welt an den Rand eines Atomkrieges brachte.

Nun steckt Osteuropa in einem solchen Dilemma: Russland fühlt sich seit zwei Jahrzehnten durch die Ostausweitung der NATO auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes und der einstigen Sowjetunion zunehmend bedroht. Doch je stärker sich Russland gegen diese Entwicklung stemmt, desto motivierter suchen die osteuropäischen Staaten Schutz im Westbündnis.

Länder wie Polen, Litauen, Lettland und Estland sehen sich durch die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine bestätigt, mit dem Beitritt zur NATO ihre Sicherheit gegenüber Russland gestärkt zu haben. Ihrem Schutzbedürfnis kommen die USA nur allzu gern entgegen. Dies ruft wiederum eine Gegenreaktion Moskaus auf den Plan. Die Spirale ist längst in Gang gesetzt.

China nimmt Stellung zur Ukraine-Krise

China hält sich außenpolitisch an das Prinzip der Nichteinmischung. Dies gilt, solange Chinas Sicherheitssphäre im Fernen Osten ungestört bleibt. Die Krise rund um die Ukraine und die Krim wird jedoch genau beobachtet. Denn ein ähnliches Szenario könnte sich auch in Fernost abspielen. Dort stehen sich ebenfalls zwei Machtblöcke gegenüber: China einerseits und das Bündnisnetzwerk zwischen Japan, Südkorea, Taiwan und den USA mit ihren zahlreichen Militärbasen andererseits. Hinzu kommt die Ausnahmesituation in Nordkorea, das zwar von China abhängig ist, aber allseits als unberechenbar eingeschätzt wird.

Lange blieb Peking in der Ukraine-Krise still. Nun hat sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zu Wort gemeldet. Am Sonntagabend führte er mit US-Präsident Barack Obama ein Telefongespräch. Dabei stellte Xi Jinping klar, dass China eine friedliche Lösung vorziehe. In der komplexen Situation müssen alle Seiten ruhig bleiben und besonnen handeln, um eine Eskalation der Spannungen zu verhindern.

Zuvor hatten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Xi Jinping die Lage am Telefon erörtert. Nach Darstellung des Regierungssprechers waren sich beide Seiten einig, dass eine politische Lösung durch den Dialog mit Russland zu suchen sei.

Bereits am letzten Freitag hatte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Qin Gan, verkündet, dass China in der Ukraine-Krise eine friedliche Konfliktlösung durch Verhandlungen unterstütze. China lehne eine Eskalation der Krise durch Androhung von Sanktionen ab.

Russland ist für China ein wichtiger strategischer Partner. China hat die wachsende Industrie. Russland hat die notwendigen Rohstoffe. Je provokanter die USA gegenüber Russland und China auftreten, desto enger könnten beide Staaten zusammenrücken.

Der Ferne Osten rüstet auf

Im vergangenen Dezember hatte die japanische Regierung eine deutliche Aufstockung der Militärausgaben sowie die Anschaffung weiterer U-Boote, Tarnkappenbomber, Drohnen und Kriegschiffe angekündigt. Auch Taiwan und Südkorea modernisieren ihre Armeen mit amerikanischen Waffen.

Peking konterte. Auf dem Volkskongress hat nun auch die chinesische Führung eine deutliche Erhöhung des Militärhaushaltes bekannt gegeben. „Frieden durch Stärke“ lautet das Credo.

China hat bereits den zweithöchsten Verteidigungsetat der Welt. Lediglich die USA stehen unangefochten an der Spitze. Doch während sich Washington mit Sparzwängen konfrontiert sieht, hat Peking Spielraum für weitere Aufstockungen. Zwischen beiden Mächten hat sich längst ein Wettlauf in der Entwicklung neuer Waffentechnologien entwickelt.

Nun ist der Verteidigungshaushalt kein alleiniger Maßstab für die Quantität und Qualität der Aufrüstung. Zum Budget gehören auch die Gehälter der Soldaten und Militärangestellten. Die Personalkosten pro Kopf sind in Staaten wie Japan oder den USA höher als in China oder Russland.

Dennoch lässt sich anhand des internationalen Vergleichs der Rüstungsentwicklungen ein globaler Trend erkennen: Der Ferne Osten rüstet schneller auf als andere Regionen der Welt.

Dabei spielt die pure Anzahl der aktiven Soldaten und paramilitärischen Kräfte eine vergleichsweise geringe Rolle. Waffensysteme sind entscheidend. Trotzdem ist es nicht ganz unwichtig zu konstatieren, dass China mit zwei Millionen aktiven Soldaten und fast vier Millionen paramilitärischen Kräften die mit Abstand größte Armee hat.

Selbst unbewohnte Eilande bergen Konfliktpotential

Im Konflikt um die auf Chinesisch Diàoyútái und auf Japanisch Senkaku genannte Inselgruppe im Ostchinesischen Meer gibt es keine Anzeichen einer Annäherung beider Nationen. Beide Seiten lehnen einen Kompromiss strikt ab und beharren auf ihre territorialen Ansprüche.

Früher begnügte man sich mit der symbolischen Besitznahme der unbewohnten Felseninseln. Erst seit der Entdeckung größerer Erdöl- und Ergasfelder unterhalb der Inseln, wurde der beiderseitige Anspruch mit größerer Deutlichkeit unterstrichen.

Dabei ist der Streit um die Inseln Symptom eines seit langem schwelenden Konkurrenzverhältnisses. China hat Japan als größte Wirtschaftsmacht Asiens abgelöst. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, denn Japan stagniert, China wächst.

Dabei hat sich Japan in eine gewisse Abhängigkeit manövriert. Zahlreiche japanische Konzerne haben Teile ihrer Industrieproduktion nach China ausgelagert. Für diese Firmen ist China ein kostengünstiger Industriestandort und zugleich ein wachsender Absatzmarkt.

Wachsender Patriotismus

Das 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in China als Epoche der Demütigungen empfunden. Die Opiumkriege, die Besetzungen chinesischer Küstenstädte durch europäische Kolonialmächte, die Eroberung Pekings während des Boxeraufstandes und schließlich der Horror des Zweiten Weltkrieges, den Japan über China brachte, haben sich ins Gedächtnis der chinesischen Bevölkerung eingebrannt.

Die anfangs glorreiche Wiederauferstehung unter Mao Zedong war von Rückschlägen unterbrochen, wie dem „großen Sprung nach vorn“, bei dem 20 Millionen Menschen einer fehlgeschlagenen Agrar- und Industrieform zum Opfer vielen, oder der Kulturrevolution von 1966-1976, die in einer politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Selbstzerfleischung des Landes mündete

Nach der Öffnung und Modernisierung Chinas unter Deng Xiaoping folgte das Wirtschaftswunder. Das chinesische Wirtschaftswachstum der letzten dreißig Jahre ist in seiner Dimension weltweit und historisch einmalig. Seit den 1990er Jahren wird dies auch im Westen öffentlich wahrgenommen und China als Großmacht der Zukunft angesehen.

Die Rückkehr Hongkongs in chinesisches Staatshoheitsgebiet im Jahre 1997, die olympischen Spiele 2008 in Peking, die Weltausstellung 2010 in Shanghai, das erfolgreiche Weltraumprogramm und die zunehmende Präsenz Chinas in der internationalen Politik sorgen für ein wachsendes chinesisches Nationalbewusstsein. China ist wieder dort angelangt, wo es seinen historischen Platz sieht: als Reich der Mitte.

Wettrüsten macht die Welt nicht sicherer

Sowohl China als auch Russland sehen sich durch die USA mit ihren Militärbasen und Bündnissystemen in ihrer regionalen Hegemonie und Sicherheit eingeschränkt. Die USA betrachten dagegen bereits den Verlust der globalen Kontrolle als Sicherheitsproblem.

Damit stecken die Machtblöcke in einem Sicherheitsdilemma. Krisen wie in der Ukraine könnten sich in Fernost wiederholen und somit zu weiteren Spannungen, zu verstärktem Wettrüsten oder gar einem bewaffneten Konflikt führen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.R. Vogt

Patriotismus ist Nationalismus sind im Grunde dasselbe.
Große Flächenstaaten, deren Bevölkerung aus vielen sehr unterschiedlichen Volksstämmen besteht , benötigen diesen emotionalen Kitt gegen Auflösungserscheinungen hauptsächlich verursacht durch die Todsünde Neid, welche das friedlicher Zusammenleben der Menschen schon seit Urzeiten bedroht.

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