Syrien und Irak

Kollektiver Amoklauf der Terroristen

Syrien und der Irak sind im Kreislauf des Terrors und Gegenterrors gefangen. Die IS-Milizen hinterlassen Tod und Verwüstung, während die Beteiligten der Anti-Terror-Allianz eigene Ziele verfolgen.

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Auch wenn die Vorstellung der Blutrache in den Kulturen des Nahen und Mittleren Ostens heute nicht mehr so weit verbreitet ist wie in vergangenen Jahrhunderten, so werden sich dennoch viele Menschen in Syrien und im Irak dem Wunsch nach Rache nicht entziehen können. Wie auch immer sich der Krieg entwickelt, es wird es Menschen geben, die eine Rechnung offen haben.

Ein Großteil der Todesopfer dieses Bürgerkrieges wurde nicht aus militärischem Kalkül, sondern aus Rache, Vergeltung, Hass oder zur Abschreckung getötet. Anders lassen sich die unzähligen Hinrichtungen nicht erklären: das Werfen von Menschen aus hohen Stockwerken unter dem Jubel der Menge, das grausige Schächten und Abschneiden der Köpfe, die Massenhinrichtungen per Genickschuss, das Töten von Frauen und Kindern.

Wenn Menschen an Autos gebunden und dann durch die Straßen des Ortes geschleift werden, damit jeder sieht, was mit Verrätern geschieht, wenn abgeschnittene Köpfe demonstrativ am Ortseingang aufgehängt werden, dann sind das Aktionen, die zuallererst Schrecken verbreiten sollen. Und die Rechnung geht auf. Wo immer die IS-Milizen und Al-Nusra-Rebellen auftauchen, fliehen die Menschen in Todesangst.

Der Horror hatte sich bereits am Anfang des Bürgerkrieges hochgeschaukelt, als sich die syrische Armee und die Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) gegenseitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwarfen. Schon zu Beginn war klar, dass beide Seiten nicht vor Gräueltaten zurückschrecken.

Doch der Islamische Staat (IS) und die Al-Nusra-Front haben dem Geschehen eine neue Dimension verliehen. Anstatt, wie sonst in Bürgerkriegen üblich, Kriegsverbrechen dem jeweiligen Gegner vorzuwerfen oder in die Schuhe zu schieben, präsentieren die radikal-fundamentalistischen Terroristen ihre Opfer als Trophäen. Der abgeschnittene Kopf ist zum Statussymbol der Kämpfer geworden, mit dem sie sich fotografieren und filmen lassen.

Langsam formiert sich die internationale Allianz

Die Dimensionen des Schreckens erlauben es nicht mehr, indifferent zu bleiben. Es ist ein Genozid. Minderheiten verschwinden von der Landkarte. Mehr als 10 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Und der Terror kann überall zuschlagen.

Die USA haben sich nun als Führungsnation an die Spitze der Anti-Terror-Allianz gestellt. Doch es wirkt ein bisschen so, als verfolge man die Geister, die man selbst aus der Flasche gelassen hatte. Denn viele Staaten, die nun militärisch gegen die Terrortruppen in Syrien und im Nordirak vorgehen wollen, hatten reges Interesse am Sturz Baschar al-Assads gezeigt und jedwede Opposition gutgeheißen. Was sind überhaupt die Interessen dieser Staaten?

Welche Interessen verfolgen die USA in Syrien?

Die USA wollten eigentlich – nach dem Vorbild des NATO-Einsatzes in Libyen – gegen das syrische Regime von Baschar al-Assad vorgehen. Syrien ist seit Jahrzehnten auf der Liste der Staaten, in denen Washington einen Regime-Change herbeisehnt. Es war schließlich dem Beistand Russlands und der schnellen Reaktion auf das Chemie-Waffen-Ultimatum zu verdanken, dass den USA der Militärschlag gegen Assad verwehrt blieb.

Dennoch haben sich die USA immer wieder offen dazu bekannt, die syrischen Oppositionstruppen zu unterstützen. Damit war offiziell die Freie Syrische Armee (FSA) gemeint. Doch es gibt viele Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik, die vermuten, dass man auch die Islamisten unterstützt hat.

Eine militärische Operation der USA gegen den IS in Syrien wäre nun für die Amerikaner die lang erhoffte Gelegenheit, das Assad-Regime gleich mit auszuschalten.

Welche Interessen verfolgen die Golfstaaten?

Die Terrormilizen des IS und der Al-Nusra-Front bekommen seit Jahren erhebliche finanzielle Unterstützung. Es wird vermutet, dass die wichtigsten Geldquellen der Terroristengruppen ihren Ursprung in den Golfstaaten wie Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten haben.

Auch wenn diese Staaten dies offiziell verneinen, so scheint es dort zumindest private Unterstützer zu geben. Die radikal-religiösen Salafisten gewinnen insbesondere auf der arabischen Halbinsel an Anhängern. Auch die Terrororganisation Al-Qaida war von Personengruppen und Geldquellen aus Saudi-Arabien unterstützt worden.

Nun schließen sich die Golfstaaten offiziell der Anti-Terror-Allianz an. Ein aktueller Grund ist der Anspruch des IS, die heiligen Stätten von Mekka und Medina erobern zu wollen. Mit solchen Ausrufen könnte die Opposition in Saudi-Arabien angestachelt und der Machterhalt der saudischen Königsfamilie gefährdet werden. Tatsächlich gibt es in der saudi-arabischen Bevölkerung heimliche und offene Bewunderer des IS.

Welche Interessen verfolgt die Türkei?

Seit den Zeiten des alten Hafiz al-Assad konkurrieren die Türkei und Syrien um Einfluss im Nahen Osten. Unter Erdogan spielt sich die Türkei zunehmend als Schutzmacht der Sunniten auf.

Mit Beginn des syrischen Bürgerkriegs hat die Türkei die Freie Syrische Armee unterstützt. Kritiker behaupten, die Türkei habe auch die Terrororganisationen IS und die Al-Nusra-Front gefördert. Nun wird der IS zum Sicherheitsrisiko für die Türkei.

Durch den Bürgerkrieg sind bereits mehr als 1,5 Millionen Syrer in die Türkei geflohen. Viele davon sind Kurden. Die Türkei bekämpft seit Jahren kurdische Rebellengruppen wie die PKK. Nun befürchtet die Regierung in Ankara, dass der Bürgerkrieg mit seinen Kämpfern und Waffen auf türkisches Gebiet überschwappen und die Kurden gegen die türkische Regierung aufbringen könnte.

Der jüngste Vorschlag aus der Türkei ist, eine Pufferzone entlang der türkischen-syrischen Grenze einzurichten, in der türkische Truppen patrouillieren sollen. Doch viele Kurden befürchten, dass die Türkei primär über ein mögliches Aufbegehren der Kurden besorgt sei und weniger um die Lage der Menschen in Syrien. Durch eine Pufferzone in Nordsyrien könnte die Türkei auch die dortigen kurdischen Minderheiten kontrollieren.

Was sind die Interessen der Kurden?

Von den insgesamt 35 Millionen Kurden leben die meisten in der Türkei, im Irak, in Syrien und im Iran. Eine große Mehrheit wünscht sich mehr Autonomie. Einige träumen von einem unabhängigen Kurdenstaat.

Im Nordostirak scheint die Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staates zum Greifen nahe zu sein. Die dortigen Peschmerga erhalten militärische Unterstützung aus dem Westen. Daher fürchtet die Türkei einen Zusammenschluss der Peschmerga mit der in der Türkei operierenden PKK.

Welche Interessen verfolgt der Iran?

Das schiitische Regime in Teheran ist seit Jahrzehnten mit der alewitischen Minderheiten-Regierung in Damaskus verbündet, ebenso mit den schiitischen Hisbollah-Milizen im Libanon. Der Iran will unter allen Umständen ein Vordringen der Sunniten im Irak verhindern. Bereits jetzt unterstützt der Iran die Schiiten im Süden des Irak.

Teheran hat bereist angekündigt, dass man im Falle eines weiteren Vormarsches der sunnitischen IS-Milizen die Initiative ergreifen und tief in irakisches Gebiet vordringen würde, um sie dort aufzuhalten.

Wie werden die islamistischen Terrormilizen auf die Allianz reagieren?

Die IS-Milizen haben bereits reagiert und ihre Taktik geändert. Sie operieren verdeckt, lassen ihre Fahrzeuge nur noch einzeln und nicht mehr in Konvois fahren. Sie verteilen ihre schwarzen Fahnen auf Häuser der Zivilisten, so dass bei einem gegnerischen Luftangriff militärische und zivile Ziele nicht mehr unterscheidbar sind.

Militärisch werden sie der Allianz unterlegen sein und deshalb verstärkt auf Selbstmordkommandos und menschliche Schutzschilde setzen. Jedenfalls ist für die letzten Phasen des Anti-Terror-Kampfes mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Sollte ihr Kampf am Ende aussichtslos werden, könnten die Terroristen ihre schwarzen Verhüllungen ablegen und sich in ziviler Kleidung als Flüchtlinge und Opfer ausgeben. Dann hätten sie womöglich eine Chance, sich in westliche Länder abzusetzen und dort als »Schläfer« auf ihren neuen Einsatz in einem anderen Kriegsgebiet zu warten.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Smithc9

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