Kinder ohne Macht. Zur christdemokratischen Krippenoffensive

Dr. Georg Alfes zeigt auf, warum christdemokratische „Familienpolitik“ auf das Kindeswohl pfeift.

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CDU-Programm unter der Lupe: Krippenpolitik (Teil 7)

An der Karl-Liebknecht-Straße in Berlin, direkt gegenüber dem Dom, befindet sich das DDR-Museum. Ein Besuch dort lohnt sich, denn die Ausstellung ist sehr gut gemacht. Die Politik spielt natürlich eine Rolle, aber im Mittelpunkt steht der Alltag im real existierenden Sozialismus. Dessen Darstellung ist weit entfernt von jeder Verklärung, und das Bemühen um Objektivität bleibt immer erkennbar. Einzig eine Museumstafel zur Familienpolitik im Arbeiter- und Bauernstaat wirkt negativ in der Erinnerung nach. So rückständig die DDR in vielerlei Hinsicht gewesen sei, so fortschrittlich erscheine sie bis heute beim Thema Kinderbetreuung, heißt es dort sinngemäß.

Fairerweise muss man zugestehen, dass die Kuratoren mit ihrer Einschätzung zu Honeckers lilastichiger Jungvolksbildung eine Sichtweise widergeben, die bis weit hinein in die oft zitierte „Mitte der Gesellschaft“ mehrheitsfähig ist. Den Satz, dass die DDR zwar ein übler Staat gewesen sei, die Kinderbetreuung aber gut organisiert habe, könnte man auch als Talkshow-Gast bei Johannes B. Kerner von sich geben, ohne deshalb gleich aus der Sendung zu fliegen.

So war das Risiko für die Unionsparteien von vornherein gering, mit Blick auf ihr Familienbild einen „Modernisierungskurs“ einzuschlagen. „Wir schreiben den Menschen nicht vor, wie sie zu leben haben“, lautet dabei der Schlüsselsatz, der in der eigenen Wahrnehmung offenbar ein großzügiges Zugeständnis darstellt. In der Konsequenz sprechen sich CDU und CSU heute für „Wahlfreiheit“ aus, wenn es darum geht, ob Eltern ihre Kinder in den ersten Lebensjahren zu Hause versorgen oder in eine Betreuungseinrichtung geben. Für Letztere haben sich mittlerweile die Begriffe Krippe und Kita im Sprachgebrauch festgesetzt, obwohl sie früher im Westen so gebräuchlich waren wie Broiler und Ketwurst.

Sie berechnen spitz, was sie tun

Nun ist Freiheit immer gut und somit auch „Wahlfreiheit“, wenngleich das Wort etwas von „Volksdemokratie“ an sich hat. Doch das, was CDU und CSU mit ihrer Politik verwirklichen, ist etwas anderes. Mit dem „Rechtsanspruch“ auf einen Betreuungsplatz, der zum 1. August 2013 in Kraft getreten ist, hat man geschickt den Eindruck erweckt, als gehe es um eine Ausweitung der Bürgerrechte gegenüber dem Staat. In Wirklichkeit ist jedoch genau das Gegenteil der Fall. Das Erreichen einer gesetzlich vorgegebenen Betreuungsquote wird zum Ziel erklärt, und je schneller sich die Realität dieser Maßgabe annähert, desto erfolgreicher die zugrundeliegende Politik. Denn ginge es wirklich um eine Gleichwertigkeit von Heim- und Hortbetreuung, wie ließe es sich dann erklären, dass die unionsgeführte Bundesregierung einen Krippenplatz mit 1.000 bis 1.200 Euro im Monat bezuschusst, während sich das Betreuungsgeld für die Erziehung zu Hause auf karge 100 Euro beläuft? Und wie hätte es dann dazu kommen können, dass der Bund bis 2014 rund 5,4 Mrd. Euro für den Ausbau und 2,7 Mrd. Euro für den Betrieb von Kinderkrippen bezahlt haben wird, während das Betreuungsgeld erst einen Monat vor Ende der Wahlperiode realisiert wurde?

Dass es mit Blick auf die föderalstaatliche Ordnung Deutschlands höchst eigenwillig erscheint, die Kleinkinderpflege als Bundesaufgabe zu deklarieren, ist dabei nur ein Nebenkriegsschauplatz. Viel bemerkenswerter ist die faktische Präferenz der Union zugunsten der Betreuung in Einrichtungen, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Denn das „umstrittene Betreuungsgeld“, welches die Medien derart oft mit diesem Attribut versehen haben, dass man meinen könnte, die Formulierung stehe so im Gesetz, fristet in der Realität nur ein Schattendasein. Tatsächlich werden alle Kräfte für den Ausbau der außerhäuslichen Betreuung mobilisiert, und das aus einer ganzen Reihe von Gründen. Zu diesen gehört das Kindeswohl übrigens nicht.

Vielmehr geht es zunächst einmal darum, die Arbeitsmarktnachfrage der Wirtschaft durch eine Ausweitung des Angebots zu bedienen. „Der Anteil berufstätiger Frauen ist bei uns seit 2005 deutlich gestiegen, stärker als in jedem anderen Land der Europäischen Union“, schreibt die Union in ihrem Wahlprogramm und fügt treuherzig hinzu: „Das ist eine gute Entwicklung für Deutschland“. In der Tat geht es dabei nicht in erster Linie um Frauen, sondern um die Eindämmung des Lohnniveauwachstums und um eine Abmilderung des Zuwanderungsbedarfs, den CDU und CSU mit Blick auf Veränderungen in der Wählerstruktur fürchten.

Darüber hinaus werden die Interessen eines Klientels bedient, das sich gerade nicht aus den „sozial Schwachen“ zusammensetzt, sondern zuvorderst aus hochqualifizierten Doppelverdienern. Denn es sind nur vorgeblich die Kinder aus „bildungsfernen Schichten“, die zu einem besonders hohen Anteil staatlich finanzierte Krippen besuchen. Tatsächlich ist dort keine Gruppe so stark vertreten wie der Nachwuchs aus Haushalten mit Spitzeneinkommen, für den laut Unionsprogramm natürlich auch „eine bedarfsgerechte Ganztagsbetreuung“ sowie „24-Stunden-Kitas und andere flexible Betreuungsangebote“ nicht zu teuer sind. So soll offenbar erreicht werden, dass künftig in Deutschland wieder „die Richtigen“ die Kinder kriegen, wie es ein Minister der Merkel-Regierung vielleicht ausdrücken würde.

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass der öffentliche Dienst auch bei CDU und CSU über beträchtlichen Einfluss verfügt. Jede Sozialleistung schafft sich ihre Nachfrage selbst, und so bewirkt auch der Ausbau der außerhäuslichen Kinderbetreuung seine zunehmende Inanspruchnahme. Auf diese Weise entsteht ein pulsierender neuer Arbeitsmarkt, und man kann für sich in Anspruch nehmen, wieder zusätzliche Jobs geschaffen zu haben. Unter dem Kostenaspekt ist das natürlich ebenso unsinnig, als würde man den stationären Anteil in der Altenpflege gezielt in die Höhe treiben. Dies ändert aber nichts daran, dass genau das bei der Kinderbetreuung zurzeit geschieht.

Dem Trübsinn kein Ende

Gleichwohl erscheinen die Unionsparteien in der öffentlichen Debatte über die Kinderbetreuung noch halbwegs als „Stimme der Vernunft“. Dieser Umstand ist jedoch kaum eigenem Verdienst zuzuschreiben, sondern beruht im Wesentlichen auf der Abseitigkeit von Diskussionsbeiträgen der linken Opposition. Diese unterstellt Eltern, sie würden ihren Kindern „Bildung vorenthalten“, wenn sie sie zu Hause betreuen. Und sie hält Frauen vor, sie würden sich mit einer „Herdprämie“ ködern lassen, wenn sie nach einer Geburt für längere Zeit aus dem Beruf aussteigen. Offenbar schützt die politische Korrektheit nur bestimmte gesellschaftliche Gruppen vor Diffamierung und Diskriminierung. Familien und speziell Mütter gehören augenscheinlich nicht zu diesem Kreis.

Doch auch bei der Union haben sich die Koordinaten des Wertesystems dramatisch verschoben. Dies wird besonders deutlich an der Haltung der C-Parteien zum Thema Kindergartenpflicht. Ministerin von der Leyen tritt spätestens seit 2010 für einen erzwungenen Kitabesuch im letzten Jahr vor der Einschulung ein. Bei vielen Landespolitikern ist auch eine dreijährige Verpflichtung längst kein Tabu mehr. Begründet wird dies damit, dass die Gruppenerfahrung mit Gleichaltrigen gut für Kinder sei. Einschlägige Studien würden das belegen. Wenn man in einer Diskussion mit Christdemokraten einwendet, dass es doch Sache der Eltern sein müsse, dies zu beurteilen, wird das Argument zum Teil nicht einmal mehr verstanden. Die Gruppenerfahrung mit Gleichaltrigen sei gut für Kinder. Einschlägige Studien … und so weiter. Oder, um es mit den Worten des Wahlprogramms zu sagen: Die Menschen brauchen einen „verlässlichen Staat, der ihnen und ihren Familien Sicherheit und Stabilität gibt". In diesem Sinne: Vielen Dank, lieber Staat. Wenn wir Dich nicht hätten.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: K. L.

Auch optimal für die Kinder?
Für Mütter ist es vielleicht am optimalsten, gar keine Kinder zu haben. Dann fallen alle Unannehmlichkeiten durch den Nachwuchs weg. Warum ihn nur zum großen Teil wegrationalisieren, wenn es auch hundertprozentig geht?

Gravatar: mara

Ich finde das Betreuungsgesetz gut. Für Mütter optimal!

Gravatar: Tanja Sch.

Ein ausgezeichneter Kommentar! Hier kämpft jemand wirklich wie eine Löwin für das vielzitierte Wohl der Kleinstkinder, das durch die verantwortungslose Schönfärberei der Krippenbetreuung massenhaft gefährdet ist.

Gravatar: Bergische Löwin

"In diesem Sinne: Vielen Dank, lieber Staat. Wenn wir Dich nicht hätten."

Ja, was wäre dann? Gibt es ernstzunehmende Berechnungen, was die Streichung völlig unsinniger Subventionen, wie z. B. die hier genannte, tatsächlich bewirken würde? Um wieviel würde die Abgabenlast der Menschen sinken, wenn man wieder einmal den Markt Markt sein ließe und sich aus den so zahlreichen Feldern heraushalten würde, die "den Staat" überhaupt nichts angehen?

Wenn wir diese unselige KITA-Ausweitungsdebatte und ABM-Maßnahmen, die auf dem Rücken unserer Kinder ausgetragen werden, nicht hätten, dann würde so manchem erst einmal klar, dass er selbst für das Wohl und die Bildung seiner Kinder verantwortlich ist!
Na sowas!

Nun ist die erwartete und von den Medien herbeigewünschte Klagewelle derer, die keinen KITA-Platz bekommen haben, völlig ausgeblieben. Wie kann das sein? Haben denn die Eltern nicht erkannt, dass ein KITA-Platz für ihr Kind unabdingbar ist? Dass es ohne ganztägigem KITA-Besuch (bei leider andauernd unerträglichem Lärmpegel) unmöglich "gebildet" (!) werden kann? Dass ihr Kind in Sachen Sozialverhalten (oder ist hier vielleicht der Einsatz der Ellenbogen oder auch die geschickteste Buhlerei um die Gunst und die Zuwendung der Erzieherin gemeint?) völlig neben der Spur sein wird, wenn es bei der Mama bleibt und deren Gunst allein genießen darf? Dass das Einjährige ja völlig verweichlicht, wenn es nicht um 6:30 Uhr vom Wecker aus den Träumen gerissen wird, sondern weiterträumen darf, bis es ausgeschlafen ist? Ja, wissen die Eltern denn nicht, dass ihr Kleinkind völlig hinter dem Mond lebt, wenn es nicht in der KITA möglichst früh von Gendertanten (oder -tunten) mit Plüschsexualorganen aufgeklärt wird , sondern stattdessen seine Fragen erst dann stellt, wenn sie ihm selber in den Sinn kommen und die eigene Entwicklung soweit fortgeschritten ist? Was ist los mit den jungen Eltern? Sollten sie es vielleicht doch besser wissen, als die zahlreichen kinderlosen Karrieristen im Bundestag?

Ich bitte um Verzeihung, aber ich finde diese Entwicklung so entsetzlich für unsere Babies und kleinen Kinder, dass mir nur die Ironie bleibt, um dieses moderne Kinder-Elend zu kommentieren.

Ist schon einmal jemand auf die Idee gekommen, welchem Stress und welchem Anpassungsdruck Babies und kleine Kinder bei einer Ganztagesbetreuung hier massenhaft ausgesetzt werden? Dass ihnen vielleicht Rückzugmöglichkeiten fehlen? Dass sie kaum mehr zu "sich selber" finden können, da sie nur noch nach außen hin funktionieren müssen? Dass ihnen schlicht das Vorbild, die Zeit und Zuwendung der einen geliebten Person fehlen und sonst gar nichts?? Warum bezieht sich niemand mehr auf Pestalozzi oder Montessori, auch Astrid Lindgren hat all dies schon gewusst. Wie sagte schon (die elternlose!) Pippi zur Prusseliese: "Ich bin ein Kind und das ist mein Heim, ich brauche nicht in Dein Kinderheim! Soll sie sich doch ein anderes Kind suchen, nur nicht mich!"

Pippi steht für die Freiheit und vielleicht haben sie die Mütter von heute ja doch noch nicht ganz vergessen, wenn sie ihre Tochter ansehen (auch wenn Frau von der Leyen ihre persönliche Freiheitssehnsucht scheinbar erfolgreich verdrängt hat). Ich hoffe es so sehr.

Gravatar: silenda

Sehr richtig Herr Dr. Alfes - auf den Kopf getroffen!

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