Medien hofieren die Bundeskanzlerin

Ist an Merkels Regierung alles in Ordnung?

Die Kritik der Basis an Merkel wächst. Doch die großen Medien halten ihr die Treue. In den Talkshows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird kaum Kritik am Kurs der Kanzlerin geübt.

Foto: Olga Bandelowa / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0 (Ausschn.)
Veröffentlicht:
von

Umfragen bestätigen eine sinkende Zustimmung zur Politik der Kanzlerin. Die CDU ist in ihrer Wählergunst auf dem Tiefflug. Die Basis der CDU und CSU ist zerstritten. Immer mehr Demonstrationen und Petitionen fordern: „Merkel muss weg“.

Doch man traut seinen Augen und Ohren nicht: Die Infotainment-Industrie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spielt eine heile Welt vor. Alle lieben Merkel. Sie mache alles richtig. Man könne sie nur loben. Sie sei standfest.

Talk bei Anne Will

Über Angela Merkels Kanzlerschaft diskutierten am Mittwoch in der ARD bei Anne Will die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Klaus von Dohnanyi (SPD), Christian Lindner (FDP) und Sahra Wagenknecht (Die Linke). Thema: Wieviel Autorität hat Angela Merkel noch?

Es fing mit einer Runde Mitleid an: Die „arme“ Kanzlerin musste eine halbe Stunde neben Host Seehofer stehen und sich dessen kritische Rede anhören. Arme Kanzlerin. Ist dies bereits ein Zeichen für den Autoritätsverlust der Kanzlerin?

Immerhin hat Sahra Wagenknecht einen entscheidenden Punkt getroffen: Die Kanzlerin verliere an Rückhalt in der Bevölkerung, weil sich der Eindruck verbreite, dass die Kanzlerin keinen Plan habe, konzeptionslos sei und die Probleme der Flüchtlingskrise auf die Länder und Gemeinden abwälze. Die Kommunen seien am Rande der Verzweiflung, die Landräte würden sich beschweren, das Geld würde fehlen. Außerdem würden diese Kosten getragen, indem an anderer Stelle zu Lasten der Bevölkerung gespart werde.

Damit hat Wagenknecht vollkommen Recht. Doch in der Diskussionsrunde wurde dieser Punkt nicht weiter ausgeführt. Klaus von Dohnanyi erklärte sofort, dass er diese Argumentation überhaupt nicht verstehen könne. Annegret Kramp-Karrenbauer hielt Wagenknecht vor, ihre Aussagen seien vollkommen überzogen.

Die Kritik aus den Reihen der CSU an der Politik der Kanzlerin wurde von Anne Will despektierlich als „Zwergenaufstand“ bezeichnet. Christian Lindner konstatiert zur Lage: „Die Bundeskanzlerin hat die Situation mit Souveränität durchgestanden“. Horst Seehofers Vorgehen, so meinte Lindner, sei dumm und blamabel gewesen.

Kramp-Karrenbauer versicherte, dass Angela Merkel nach wie vor einen großen Rückhalt in der CDU habe. Sie sehe allerdings Defizite bei der Koordination des Bundeskanzleramtes zwischen den unterschiedlichen Ressorts, auch zwischen Bund und Ländern. Immerhin wurde von allen Diskussionsteilnehmern erkannt, dass es einen relativ hohen Grad der Verunsicherung in der Bevölkerung gebe. Doch darauf wurde nicht näher eingegangen.

Wie Sorgen kleingeredet werden

Dann wurde Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, aus einem Interview zitiert, dass er der Zeitung „Die Welt“ gegeben hatte. Die Zitate:

„Viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des Islamischen Staates und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig entstammen sie aber Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind.“ „Denken sie nicht nur an die Juden, denken sie an die Gleichberechtigung von Frau und Mann oder den Umgang mit Homosexuellen.“ „Über kurz oder lang werden wir um Obergrenzen nicht herumkommen.“

Wie reagierten die Diskutierenden? Auf diese Zitate entgegnete Christian Lindner verständnislos, dies sei ein Beitrag, um das gesellschaftliche Klima in Deutschland zu vergiften. Er halte solche Aussagen für falsch. Dohnanyi ergänzte, dass durch solche Aussagen, wie jene des Herrn Schuster, der öffentliche Dialog erschwert würde. Immerhin konnte Kramp-Karrenbauer die Sorgen des Zentralrates der Juden nachvollziehen. Dass die Aussagen und Sorgen des Herrn Schuster von vielen Deutschen geteilt werden, wurde nicht ausgeführt.

Allerdings waren die Diskutanten sich in einer Frage einig, dass nämlich zur Lösung der Flüchtlingskrise die anderen europäischen Länder verstärkt mit einbezogen werden müssten. Doch das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wer an den Geldtöpfen der EU beteiligt werden will, muss auch an der Verantwortung teilnehmen.

Wozu über Merkel reden?

Während die Diskussion die politische Figur Angela Merkel nur in den ersten Minuten kurz ansprach, wurde für die meiste Zeit der Sendung generell über die Flüchtlingskrise und deren Lösungsmöglichkeiten gesprochen, obwohl die Autorität Merkels das Thema der Sendung war. Erst in der 59. Minute kehrte Anne Will wieder zum eigentlichen Thema, nämlich Merkel, zurück. Doch auch hier entglitt ihr die Diskussion in die Klärung allgemeiner Fragen. Niemand wollte Merkel offen kritisieren.

Zum Schluss fragt Anne Will noch einmal nach: „Ist sie eine bedeutende Kanzlerin?“ Nach Dohnanyi ist sie eine Kanzlerin, die sich von Einsichten und neuen Erkenntnissen leiten lasse. Bezüglich der Flüchtlingspolitik habe sie richtige Entscheidungen getroffen und hätte Stehvermögen gezeigt. Annegret Kramp-Karrenbauer stellte mit Rückblick auf die bisherigen zehn Jahre Amtszeit der Kanzlerin Angela Merkel ein gutes Zeugnis aus.

Die Wunden Punkte von Angela Merkels Regierung wurden am Ende nicht angesprochen. Es schien, als ob die Diskutierenden sich der Frage nach der Bewertung von Angela Merkels Regierungsstil und Amtszeit entziehen wollten. Damit war letztendlich das Thema der Sendung verfehlt.

Dabei sind zur Amtszeit Angela Merkels viele Richtungsentscheidungen und Weichen gestellt worden, die es in der Sendung grundsätzlich zu kritisieren möglich gewesen wäre. Tatsächlich haben doch immer mehr Menschen im Lande das Gefühl, dass etwas gründlich schief läuft. Die Spaltung der Gesellschaft nimmt zu, die Wahlbeteiligung nimmt ab, die Proteste nehmen zu: Sind das keine klaren Signale für eine Fehlentwicklung?

Regierungskurs ohne demokratische Rückkoppelung

Bankenrettung, Griechenlandrettung, Zuwanderung, Militäreinsätze der Bundeswehr, Erneuerung der Atomwaffen auf deutschem Boden, TTIP, CETA, Haushaltsabgabe der Rundfunkgebühren, Überwachung – alles ohne Zustimmung der Bevölkerung, die stets vor vollendete Tatsachen gestellt wird.

Für die Regierung stellt sich nicht die Frage, ob die Bevölkerung diese Politik möchte oder nicht, sondern ob die Ziele der Politik richtig „kommuniziert“ werden. Findet die Politik keine Zustimmung in der Bevölkerung, gilt das als Fehler der Medien und PR-Unternehmen, weil sie es nicht geschafft haben, die „alternativlose“ Politik der Regierung richtig zu „kommunizieren“.

Eine Politik, die von vornherein auf die Verlautbarungen und Bedürfnisse der Bevölkerung Rücksicht nimmt, wird dagegen als „populistisch“ eingestuft. „Populistisch“ zu sein, gilt heute als schwerer Makel. Das ist eigentlich ein Offenbarungseid: Die Politik gibt zu, an den wirklichen Bedürfnissen der Bevölkerung nicht interessiert zu sein, sie nicht hören zu wollen.

Genau hier liegt die Crux des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Anstatt der Bevölkerung eine Plattform zu bieten, die unterschiedlichen Meinungen auszudiskutieren und Wünsche an die Politik heranzutragen, wird das Programm von ARD und ZDF wie eine Erziehungsmaßnahme den mündigen Bürgern vorgesetzt, als ob man eine Klasse Schulkinder erziehen müsse.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Giovanni Casagrande

Pippi Langstrumpf: "Ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt" Da haben wir eine Menge Pippi Langstrümpfe in der Politik und den Medien. Manchmal frage ich mich, was haben die geraucht? Deutschland muss doch kaputt zu kriegen sein. Huntingtons Clash of Civilisation ist durchaus akut!

Gravatar: Michael

Frau Merkel hat aus eigener Überzeugung oder fremdgesteuert mit Erfolg in Deutschland und in Europa die Demokratie ausgehebelt und die Einhaltung von Gesetzen unmöglich gemacht.
Das Fazit ihrer 10-jährigen Tätigkeit ist, sie hat sich immer bemüht nur zerstörerisch für Deutschland und erst recht für Europa zu wirken
Ich weiß nicht warum diese Frau hofiert wird.
Sie ist für uns schädlich.

Gravatar: Christoph Behrends

Das Bild von der zu erziehenden Klasse ist zwar sehr naheliegend, aber irreführend, denn Indoktrination ist im deutschen Schulwesen ausdrücklich verboten. Ob das noch überall im Bewusstsein ist, ist hingegen in der Tat fraglich.

Gravatar: Karin Weber

Viele Menschen reden nicht von ARD&ZDF, sondern von DDR 1 und DDR 2.

Ja, es ist vieles wie im Endstadium der Ex-DDR. Wer das damals bewusst miterlebt hat, erkennt heute viele Parallelen. Und sei es auch nur die Realitätsverweigerung einer bürgerresistenten Regierung.

Gravatar: Ernst D. Lüg

Kommunikation? Mutti hat dazu gegenüber Peter Frey schon alles gesagt, was sie zu sagen hat. Lügen ist alternativlos, absolut gleiche Philosophie in Berlin. Dieser Auffassung ist auf europäischer Ebene ja auch J.C.Juncker.

http://www.spiegel.de/forum/kultur/us-sendung-60-minutes-fernsehreporter-legende-mike-wallace-ist-tot-thread-58366-1.html#postbit_9984828



J.C.Juncker:

"Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." - in Die Brüsseler Republik, Der Spiegel, 27. Dezember 1999.

"Fischer hat nicht nur Marx und Mao Tse-Tung studiert...

http://www.spiegel.de/forum/panorama/gewalt-gegen-lehrer-wie-kann-man-paedagogen-besser-schuetzen-thread-12277-25.html#postbit_5052334

...sondern auch Brehms Tierleben, weil in Brehms Tierleben ist nachzulesen, dass große und kleine Tiere gemeinsam atmen, leben und sich bewegen müssen. Zum Beispiel weiß jeder, auch der in Brehms Tierleben weniger Kundige, dass ein Floh einen Löwen zum Wahnsinn treiben kann, ein Löwe einen Floh aber nie zum Wahnsinn treiben wird." - in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Gottlieb Duttweiler Preises an Joschka Fischer, 4. Mai 2004. www.gouvernement.lu

"Wenn es ernst wird, muss man lügen." - auf einer Abendveranstaltung zur Euro-Krise in Brüssel im April 2011 dapd, zitiert nach spiegel.de

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang