Ein Essay in fünf Folgen

Heiraten oder brennen, Teil II

Ehe und Familie stecken in der Krise. Manchmal sieht es so aus, als ob die Homo-Ehe die Rettung wäre. Andreas Lombard hält das für unwahrscheinlich. Die Homo-Ehe würde das Problem eher vergrößern, statt es zu lösen. Daher ist sie ein Problem aller. In fünf Teilen veröffentlicht die »Freie Welt« exklusiv das Schlusskapitel aus Lombards Buch »Homosexualität gibt es nicht«. Lesen Sie nach gestern heute die zweite Folge der Serie »Heiraten oder brennen«.

Andreas Lombard. Foto: privat
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Heiraten oder brennen, Teil II

 

Das bisher Gesagte zeigt, dass das wahre Problem gar nicht die letzten verbliebenen Hindernisse vor der Ehe sind. Das wahre Problem unserer Zeit ist, dass es keine Hindernisse mehr gibt, dass die Kraft der Liebe nicht auf die notwendige Gegenkraft stößt. Die schicksalhafte Liebe ist unter den Bedingungen »serieller Monogamie« eine ständige Option, eine Art Abonnement. Was soll noch kommen, wenn zwei Achtzehnjährige, Mann und Frau, eine Beziehung eingehen, ohne heiraten zu müssen oder heiraten zu wollen? Höchstwahrscheinlich gehen sie spätestens nach ein paar Jahren auseinander, um mit anderen »Partnern« ihr Glück zu versuchen. Wahrscheinlich werden sie es auch dann nicht finden oder wieder nur für ein paar Jahre. Ihr Problem wird nicht die Trennung sein, denn die geht ganz leicht und freundschaftlich über die Bühne, sondern die Bindung. Keineswegs ist die Scheidung zu schwer, so schmerzhaft sie auch sein mag. Nein, die Eheschließung ist so leicht geworden, dass es gleichgültig zu werden scheint, ob man mehrmals heiratet oder gar nicht. Wie sagte doch eine prominente Amerikanerin? – Es sei ein großartiges Gefühl, »zum ersten Mal« zu heiraten. Warum muss sie es überhaupt tun, wenn sie von vornherein an Scheidung denkt? Das Fehlen eines ernsthaften Willens zur Ehe offenbart das wahre Problem, dass die Hindernisse immer weiter abgesenkt und ausgeräumt wurden, jetzt sogar das Ehe-Hindernis der gleichgeschlechtlichen Anziehung. Ein Problem ist das nicht so sehr aus moralischen, sondern aus lebenspraktischen, existentiell-menschlichen Gründen.

Der moderne Mensch will jederzeit bereit sein für die schicksalhafte Liebe, denn von ihr, sagt Rougemont, verspricht er sich irgendeine Offenbarung über das Leben und sich selbst. Obwohl er immerzu für die schicksalhafte Liebe bereit sein will, als erwarte er die Auferstehung des Herrn, wundert er sich, dass er sie, wenn er sie trifft, nicht festhalten kann. Das Problem ist auch hier der Glaube an die Vereinbarkeit des Unvereinbaren. Natürlich gibt es ohne Leidenschaft keine Liebe, aber die Leidenschaft, die gepriesene, wird ihrerseits von zwei Seiten akut bedroht. Zum einen sind es Vernunftgründe, die die Ehe instrumentalisieren: das Arrangement, das Bedürfnis nach regelmäßiger Sexualität, nach Sicherheit, nach gesellschaftlicher Anerkennung oder der frühere Zwang zur »Muss-Ehe« der alleinerziehenden Mutter und was es sonst noch an Motiven gibt. Die Nationalsozialisten haben die Ehe in den Dienst der Fortpflanzung und des gesundem Volkes gestellt, auch das ist ihr nicht bekommen. In eine ähnliche Falle geht, wer sich dauerhaft vor Zeugung »schützt«, weil es bekanntlich nicht mehr knistert, sobald die Kinder da sind. Auch er riskiert eine Enttäuschung, die die Ehe unerträglich machen kann.

Soweit die Beispiele für gefährliche Instrumentalisierungen, die nicht nur das Wesen der Ehe verfehlen, sondern auch das Wesen der Leidenschaft, weil sie zu kurz kommt. Aber die Leidenschaft wird darüber hinaus von einer anderen Seite her bedroht. Mit Denis de Rougemont habe ich zu zeigen versucht, dass diese andere Gefahr in einer fantastischen Weltfremdheit liegt, die der Liebe die Aufgabe zuweist, uns von den Beschwernissen dieses Lebens zu befreien und uns zu vergöttlichen. Sowohl der Versuch, die Leidenschaft zum Zwecke der Zeugung zu instrumentalisieren oder sie durch Verhütung zu »retten«, als auch der Versuch, sie in den Dienst einer spirituellen Erhebung zu stellen, verfehlt die wahre Natur der Leidenschaft. Wenn die Leidenschaft instrumentalisiert oder aufgeblasen wird, verfehlt sie früher oder später sich selbst. Sie implodiert oder sie explodiert. Beides bekommt uns nicht. Im ersten Fall »sterben« wir an der ehelichen Langeweile und Nichtbezogenheit, im zweiten an den Folgen unseres Welt- und Selbstverzehrs, den wir besser unter den Namen Untreue, Arrangement, Swingerclub, Sexsucht, Promiskuität oder One-Night-Stand kennen, aber auch in der Form einer unverbindlichen »Beziehung«, die einen unrealistischen Dauerpegel an Verliebtheit braucht. Wie kann die Leidenschaft zur Ruhe kommen, ohne dass wir auf sie verzichten müssen?

Keinesfalls durch Politik. Und durch Gleichstellungspolitik schon gar nicht. Politik setzt Leidenschaft nicht frei, sondern absorbiert sie. Deshalb ist es schon im Ansatz verfehlt, sich von politischem Engagement eine Steigerung, Bestärkung oder Besicherung gleichgeschlechtlicher Gefühle zu erwarten. Die Frage, ob Homosexualität und Ehe zusammenpassen, ist trotzdem interessant, weil Homosexualität auch eine Chiffre für die reine, noch ungetrübte Leidenschaft ist. Die Welt tut ihr so viel Böses an, dass sie ohne dieses Böse ausschließlich gut sein muss. Da die von der Gesellschaft demnächst ungestörte und voll anerkannte homosexuelle Lebensweise angeblich keine eigenen Nachteile oder Schattenseiten kennt, scheint sie gegen jegliche Art von Enttäuschung gefeit zu sein. Diese Enttäuschungsfestigkeit wird umso intensiver beschworen, als die Enttäuschungen an freier Liebe und offenen Beziehungen längst endemisch geworden sind. Um die Enttäuschungsfestigkeit zu schützen und zu erhalten, müssen jedenfalls Forderungen auf Forderungen getürmt werden, weil sich im Augenblick des Forderungsverzichts sofort die mehr oder weniger schwierige Normalität des Lebens enthüllen würde. Mit immer neuen Forderungen wachsen aber auch die lebenspraktischen und gesellschaftspolitischen Fiktionen in den Himmel, bis analog zur Blasenbildung an den Finanzmärkten eines Tages der große Crash kommen muss. Die dahinterstehende Frage, die alle betrifft, lautet, ob die Ehe und die leidenschaftliche Liebe zusammenpassen. Wir wissen nicht erst seit heute, dass sie das erfahrungsgemäß nicht tun. Wir wissen, dass die anfängliche Verliebtheit vorübergeht und in Liebe verwandelt werden muss, damit die Bindung an den anderen halten kann. Der andere kann durchaus ein Mensch gleichen Geschlechts sein, aber die Empirie besagt, dass es zumindest für zwei Männer schwieriger als für Mann und Frau ist, eine solche Bindung einzugehen und auf Dauer zu halten.

Wenn die Behauptung der emanzipatorischen Propaganda lautet, dass der Nachteil homosexuellen Lebens dadurch zu beheben wäre, dass wir die Hindernisse beseitigen, die der homosexuellen Liebe vermeintlich im Wege stehen, dann wird damit so getan, als könnte man den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Noch einmal, es ist schon im Ansatz verfehlt, eine Steigerung oder Besicherung gleichgeschlechtlicher Liebesgefühle von politischen Errungenschaften der Gleichstellungspolitik zu erwarten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Leidenschaften, die von der Politik absorbiert werden, stehen für das Privatleben nicht mehr zu Verfügung. Nichts anderes hat Rosa von Praunheim in seinem sehenswerten Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt aus dem Jahre 1970 gezeigt, der dieses Drama nur in umgekehrter Reihenfolge erzählt. Dort wird das politische Engagement als eine Antwort auf die Enttäuschungen des homosexuellen Großstadtlebens präsentiert, das an allen Versuchen, eine emotionale Erfüllung zu finden, nach und nach gescheitert ist.

Das Engagement verschafft nicht die ersehnte Beruhigung. Im Gegenteil scheint die Unzufriedenheit sogar zu wachsen, jedenfalls dann, wenn man sie an den landläufigen Forderungen misst, die wie selbstverständlich aufgestellt werden. Im September 2015 machte die Fachschaftsinitiative Gender Studies an der Berliner Humboldt-Universität einen hauseigenen Fall von Rassismus öffentlich. Was vorgefallen war, wurde nicht bekannt, dafür aber ein befremdliches Beziehungsmuster, das nicht gerade für eine ausgeprägte Liebes- oder Beziehungsfähigkeit der Autoren sprach. Der Absatz der ins Netz gestellten Erklärung, der mir ins Auge stach, lautete: »Eine PoC [= farbige Person] oder Schwarze Person braucht weder die Erlaubnis einer weißen Person, um gegen Rassismus zu intervenieren, noch ist sie ihr Rechenschaft oder Auskunft schuldig. Deswegen sind die tatsächlichen Gender- und Race-Positionierungen an dieser Stelle auch irrelevant. Das Nachfragen an sich, als auch der Glaube, ein Recht auf eine Antwort zu haben, sind in diesem Zusammenhang rassistisch.« Bemerkenswert ist besonders der letzte Satz, weil er an die Positionen engagierter Homophobie-Gegner erinnert. Eines ihrer Argumente lautet so: Homosexualität wurde lange Zeit verfolgt und bestraft und darf jetzt nicht mehr verfolgt und bestraft werden. Forderungen, die auf Gleichheit zielen, dürfen deshalb nicht zurückgewiesen werden. Wenn sie trotzdem zurückgewiesen werden, kommt das einem neuerlichen Verbot der Homosexualität gleich und stellt einen unzulässigen Übergriff auf die sexuelle Selbstbestimmung der Homosexuellen dar, kurz, einen Rückfall in die Vergangenheit.

Ein Schweizer Gesetzentwurf gegen die Diskriminierung von Homosexuellen, der im Frühjahr 2015 vom Nationalrat gebilligt wurde, atmet denselben Geist. Er sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe für denjenigen vor, der eine »angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung verweigert«. Das ist allgemein genug gefasst, um die Frage von Ehe, Zeugung und Familie völlig auf den Kopf zu stellen. Verantwortlich für die Weitergabe des Lebens wäre nicht mehr das betroffene kinderlose Individuum, sondern irgendein anderes, das sich strafbar macht, wenn es jenem die Erfüllung seiner Wünsche abschlägt. Interessanterweise wird hier weder zwischen privaten und öffentlichen Leistungen unterschieden, noch zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen, auch nicht zwischen freiwilligen Angeboten und rechtmäßigen Ansprüchen. Es wird überhaupt keine konkrete »Leistung« genannt. Aber es wird allen verboten, sie nicht zu erbringen. Von Stalins Chefankläger Wyschinski ist der Satz überliefert: »Die Anklage ist berechtigt, weil sie erhoben wird.« Wir brauchen das Wort »Anklage« nur durch »Forderung« zu ersetzen, um zu erkennen, dass die Schweiz ein totalitäres Gesetz plant.


Aus »Homosexualität gibt es nicht« von Andreas Lombard, Berlin (Edition Sonderwege) 2015

Der erste Teil erschien auf »Freie Welt« am 17.03. (Do). Die dritte Folge erscheint am 22.03. (Di).








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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karl Brenner

Magdeburger schreibt:

"Und Homophobie kann auch in kleinen Dosen, wie in Ihrem Buch, nichts an den Realitäten des Lebens ändern"

Das innerpsychologische Durcheinander einer homoserotischen Störung (praktizierte Homosexualität zwischen zwei Männern) manifestiert sich auch in solchen absurden Kausalsynthesen und Konklusionen.

Gravatar: Magdeburger

Hallo Herr Lombard! Schon mal festgestellt, dass es selbst in der AFD eine Arbeitsgruppe Lesben und Schwule gibt, die auch sehr konservative Werte pflegen und leben? Manche wie Sie haben immer nur die linken und grünen Queeraktivisten vor Augen. Jedoch sind diese nur ein kleiner Teil der in Deutschland lebenden Schwulen und Lesben. Also bitte nicht pauschalisieren! Es gibt bei Schwulen, Lesben und Bisexuellen genauso eine große Bandbreite unterschiedlicher Lebenseinstellungen und politischer Orientierungen wie bei den Heterosexuellen.Und Homophobie kann auch in kleinen Dosen, wie in Ihrem Buch, nichts an den Realitäten des Lebens ändern.

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