Katalonien hat bereits großzügige Autonomie, doch manche wollen Alles

Gespaltene Bevölkerung: Die zwei Gesichter Kataloniens

Die Medienberichte zeigen Menschenmassen, die für die Unabhängigkeit Kataloniens demonstrieren. Doch es gibt auch die andere Seite: Viele Katalanen wünschen sich ein Verbleib bei Spanien, sind jedoch zu den Veranstaltungen und Abstimmungen nicht erschienen, weil sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Die Stimmung ist aufgeheizt. In den nächsten Wochen könnte es zu einer Eskalation kommen.

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In Katalonien rumort es. Spanien droht zu zerfallen. Eine Eskalation ist nicht auszuschließen. Droht ein neues 1936? Die Medien berichten über die Menschenmassen mit katalanischen Fahnen und über Polizeigewalt. Doch die Lage ist verworren und kompliziert.


Tatsache ist, dass Katalonien bereits ein außerordentliches Maß an Autonomie besitzt. Neben Navarra, dem Baskenland und Galicien ist Katalonien eine sogenannte »Autonome Gemeinschaft« innerhalb des spanischen Staates. Sowohl in der Verwaltung als auch in der Gesetzgebung genießt die Region enorme Unabhängigkeit von Madrid. Es gibt sogar ein katalanisches Parlament. Man versteht sich als quasi eigene Nation. Für europäische Verhältnisse ist diese Situation fast einzigartig. Im Jahre 2006 wurden diese Autonomierechte sogar noch erweitert. Von Bevormundung aus Madrid kann keine Rede sein.


An den Schulen wird auf Katalanisch unterrichtet. Spanisch wird wie eine Fremdsprache behandelt. Viele Eltern beschweren sich, weil der Spanischunterricht geringer ausfällt als der Englischunterricht. Der Geschichtsunterricht an katalanischen Schulen hebt die Bedeutung Kataloniens hervor, als sei die Region in ihrer Geschichte die meiste Zeit eine quasi unabhängige Region gewesen. Doch das war sie nie. Katalonien gehört seit mehr als 800 Jahren zu Spanien.


Die Bevölkerung ist gespalten. Nach einer Umfrage aus dem Jahre 2008 waren 35 Prozent für die Unabhängigkeit Kataloniens. Doch 45 Prozent waren für den Verbleib bei Spanien. Dann gab es immer wieder Volksabstimmungen, bei denen die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer für die Unabhängigkeit stimmte. Problematisch war, dass bei diesen Abstimmungen stets weniger als die Hälfte der Stimmberechtigten teilnahmen.


Tatsache ist, dass es in Barcelona eine große Lobby gibt, die seit vielen Jahren Kampagnen zur Stimmungsmache gegen Madrid finanziert. Immer wieder sind katalanische Politiker in massive Korruptionsfälle verwickelt. Bei der Unabhängigkeit geht es auch um Geld, und zwar um sehr viel Geld.


Viele Katalanen, die sich für den Verbleib bei Spanien aussprechen, fühlen sich unter Druck gesetzt. In der Schule oder am Arbeitsplatz trauen sich viele nicht den Mund aufzumachen und frei gegen die Unabhängigkeit zu argumentieren. Der gesellschaftliche Konformitätsdruck ist groß – wie bei einer Massenhysterie. Die feindliche Stimmung gegen Spanien und Madrid ist Teil des alltäglichen Umgangstons geworden. Wer nicht mitmacht, droht sich zu isolieren. Die katalanischen Medien haben an diesem Konformitätsdruck großen Anteil. Seit Jahrzehnten machen sie Stimmung gegen Madrid.


Derweil hat die katalanische Regierung angekündigt, dass Katalonien offiziell bald seine Unabhängigkeit erklären werde. Der spanische König hat versucht zu vermitteln. Er nannte das Vorgehen der katalanischen Regionalregierung unverantwortlich. Er hat ihr vorgeworfen, die Einheit Spaniens spalten zu wollen. Auch die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, hat sich inzwischen gegen die Unabhängigkeit Kataloniens ausgesprochen. Sie hat beide Seiten zum Dialog aufgefordert.


Bei den großen Massendemonstrationen der letzten Tage war es bei Polizeieinsätzen zu zahlreichen Verletzten gekommen. Kritisiert wurde das harte Vorgehen der Polizei. Viele Augenzeugen berichten aber auch, dass die spanische Polizei extrem provoziert worden sei. Vermutlich gibt es für alle Szenen Beispiele, die beide Richtungen bestätigen, so dass gegenseitige Vorwürfe zu erwarten sind – wie unlängst beim G20-Gipfel in Hamburg.


Wie auch immer man die Situation beurteilen will, sie ist komplizierter als es in den Mainstream-Medien dargestellt wird. Eines sind die Katalanen gewisse nicht: eine arme unterdrückte Bevölkerung. Im Gegenteil: Katalonien ist reich und autonom. Vielen Spaniern anderer Regionen geht es schlechter.



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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hanna Bretzke

Und SOROS hat mal wieder Gelder gespendet

CIDOB: Für ein unabhängiges Katalonien und für eine sicherere, freiere und gerechtere Welt
Auch das CIDOB erhielt eine Spende von 24.973 Dollar von der Soros-Stiftung. Von diesem Geld wurde laut „La Vanguardia“ eine Konferenz über Integration finanziert

Er mischt sich in der ganzen Welt ein um zu Destabilisieren und zerstören

Gravatar: Horst Rüdiger

Ein eigenartiger Bericht!
Da sind die schlimmen Finger von Separatisten, die alle Madrid treuen Katalanen so unter Druck setzen, dass diese nicht zur (freien, geheimen?) Abstimmung gehen.

Ein seltsamer Vermittler, der Spanische König, der der einen Seite gleich Unverantwortlichkeit vorwirft. Solche Moderatoren gibt es zu Hauf, zum Beispiel bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Eine seltsame Zentralregierung, die eine Abstimmung verbietet. Sie sollte eine Abstimmung anordnen. Dann werden doch wohl die unterdrückten Madrid Treuen zur Abstimmung gehen, und die unverantwortliche Minderheit von Separatisten wird ihre Niederlage einfahren – wenn der Bericht hier die Realität widerspiegelt.
Und denen, die dann nicht abgestimmt haben, wird der Ausgang wohl ziemlich gleichgültig sein.

Wie war das noch mit der Demokratie?

Und wenn die Katalanen die Unabhängigkeit gewählt haben sollten und dann so herumlavieren wie die Briten nach ihrem Brexit, kann Madrid sie ganz sicher wieder in den Schoß der EU setzen, und alle werden ruhig sein.

Gravatar: Hercule Poirot

Es ist ein Elitenstreit in Spanien. Meiner Meinung macht diese Sektiererei keinen Sinn für Katalonien. Man sollte stattdessen lieber erklären, warum man sich lossagen möchte. Geht es nur um Geld?

Gravatar: Duffy

@ Katy: bedeutet das im Umkehrschluß, daß die NATO mit einem Zerfall der EU rechnet und deshalb autonome Militärbasen errichten möchte? Umgeben von multi-ethnischen, multi-kulturellem Chaos?

Gravatar: Wolfgang Steiger

Ich lebe seit 44 Jahren in Spanien, davon 12 Jahre in Katalonien, das ich nur noch Cacalonien nenne, denn der Gerneration nach FRANCO hat jemand ins Gehirn geschissen!

Mit auslandsDEUTSCHEM Gruss!

Wolfgang Steiger Trebus

Gravatar: Elisabeth Sauer

Da sieht man, wenn man genau hinsehen will wie die Medien ihre Macht ausnutzen. Das ist inzwischen europaweit zu sehen. Es geht schlicht und einfach um veröffentlichen von Wahrheit. Das richtige Gefühl dafür fehlt wohl der Mehrheit der Medienschaffenden. Sehr,sehr traurig. Hat man das in den Schulen der 70iger und 80iger Jahre so gelernt? War es wichtiger gegen die bestehenden Gesellschaften zu schreiben, als dafür eine gewisse Dankbarkeit zu haben, in diesen Teil der Welt hineingeboren zu sein?

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