Hans-Christian Ströbele

ESM-Kritik im Zeichen der Sonnenblume

Der Kreuzberger Grünen-MdB Ströbele irrlichtert seit Jahrzehnten durch die Republik. Manchmal hat er aber die besseren Argumente auf seiner Seite. Und zwar als einziger in seiner Partei.

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Seit knapp dreißig Jahren läuft im Radioprogramm des Norddeutschen Rundfunks ein überaus beliebtes Format. Mehrere hundert Hörer beteiligen sich nach Auskunft des NDR jeden Tag daran. Oder sie würden es zumindest gerne – wenn sie denn mit ihren Anrufen durchkämen. »Echt oder Ente« heißt die populäre Rubrik. Haarsträubende Alltagsgeschichten werden mit frei erfundenen Stories gemischt, und die Menschen an den Geräten sollen erkennen, welche Meldung »echt« ist und welche bloß eine »Ente«. Die Erfolgsquote ist Publikums ist dabei denkbar schlecht: Nur rund zwanzig Prozent der Teilnehmer schaffen es, drei Mal in Folge richtig zu liegen. Und nur dann gibt’s was zu gewinnen. Doch offenbar erscheint den Leuten vieles denkbar, was (noch) nicht Realität geworden ist. Und vieles andere, was tatsächlich der Wirklichkeit entspricht, klingt in ihren Ohren so absurd, dass sie es ins Reich der Phantasie verweisen.

Mit dem politischen Wirken des Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele könnte man »Echt oder Ente« problemlos eine volle Woche bestücken. Wahrscheinlich sogar noch länger. Nachfolgend einmal ein paar Beispiele mit der Bitte, daraus die »Enten« herauszufischen: Ströbele verbrachte seine Referendariatszeit in der Kanzlei des RAF- und NPD-Aktivisten Horst Mahler. Ströbele wurde wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. Ströbele flog aus der SPD, weil er die Terroristen der Roten Armee Fraktion als »Liebe Genossen« ansprach. Ströbele ist mit seinem Spruch »Gebt das Hanf frei« Star eines Musikvideos. Ströbele nannte das Bombardement durch Saddam Hussein die »fast zwingende Konsequenz der Politik Israels«. Ströbele kämpfte gegen die Eröffnung von McDonald’s in seinem Bundestagswahlkreis. Ströbele plakatierte einst den Slogan »Ströbele wählen heißt Fischer quälen«. Ströbele bekam als Direktkandidat in Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg 46,7 Prozent der Erststimmen. Alles Enten? Alles zu verrückt, um wahr zu sein? Mitnichten! Jede einzelne dieser Ströbele-Anekdoten stimmt und ist verbürgt. Was sollte man dazu jetzt noch an Absurditäten erfinden …

Auf schmalem Grat zwischen Genie und Wahnwitz

Gleichwohl: Hans-Christian Ströbele ist einer der profiliertesten Bundestagsabgeordneten überhaupt. Seine Bekanntheitswerte dürften jene diverser Minister weit in den Schatten stellen. Und auch unter den Vielen, die einen Großteil seiner Ansichten für bizarr halten, wird in einer Frage Einigkeit herrschen: Unser Parlament bräuchte mehr Volksvertreter wie ihn! Denn so abseitig seine Thesen oft auch sein mögen, er vertritt sie mit offenem Visier. Und manchmal trifft er sogar ins Schwarze: So hat Ströbele im Bundestag gegen Fiskalpakt und Stabilitätsmechanismus gestimmt. Als Einziger aus seiner Fraktion.

Dabei findet sich in Ströbeles Argumentation auch hierzu wieder merkwürdiges Zeug. Und seien wir ehrlich: Wirklich überraschen kann das nicht. »Der gnadenlose Sparkurs«, den der Ur-Grüne in den Krisenländern ortet, führe »zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung«, stellt er die Faktenlage auf den Kopf. Und so sieht er in vielen Staaten Südeuropas die »Gefahr von Armut und Elend« heranziehen. Dass auch jene Regionen bis in unsere Tage hinein Sehnsuchtsziel Unzähliger sind, in deren Heimat wirklich »Armut und Elend« herrschen, blendet er dabei aus.

Doch es finden sich auch viele kluge Gedanken in seiner ESM-Kritik, die man bis dato so deutlich aus dem Kreis der Etablierten noch nicht vernommen hat: So betreibe die Bundesregierung mit dem Fiskalpakt ein »unehrliches Doppelspiel«, wenn sie den »europäischen Sparkommissar« gebe und gleichzeitig Ankäufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank »augenzwinkernd zu tolerieren« scheine. Und auch den eigenen Leuten liest er vernehmlich die Leviten. So verweist der alte APO-Kämpfer die Grünen mit klaren Worten auf die Aufgaben einer innerparlamentarischen Opposition: »Es reicht nicht, in den Parlamentsdebatten zu polemisieren und dann in der Abstimmung Ja zu sagen«, kritisiert er das Verhalten seiner Fraktion mit Blick auf die »Euro-Rettung«. Die Ökopartei verfüge bei vielen Menschen über einen »Vorsprung an Glaubwürdigkeit«, so Ströbele. Dieser sei jedoch nicht deshalb entstanden, weil die Grünen »immer schön geschlossen abstimmen, sondern weil wir die besseren Alternativlösungen für viele Probleme der Gesellschaft früh formuliert und recht behalten haben«. Um zu »alter Frische zurückzufinden«, brauche man daher auch in der Europapolitik wieder »mehr Mut, auf eigenen Vorschlägen zu bestehen«.

Dies gelte zum Beispiel hinsichtlich der »Verzahnung« von Fiskalpakt und ESM, die vielfach wie zwei ganz unterschiedliche Instrumente diskutiert würden. Dabei sei der Stabilitätsmechanismus bereits seit 2013 »nur noch anwendbar für Länder, die den Fiskalpakt auch ratifiziert haben«. Des Weiteren fordert Ströbele ein klares Bekenntnis zu europäischen Institutionen, die zuletzt in den Hintergrund getreten sind: »Vor allem das Europäische Parlament« bleibe beim Kampf um die Gemeinschaftswährung »außen vor und hat keine Kontrollrechte«, beklagt der Politiker. Bemerkenswert ist schließlich der Verweis Ströbeles auf nationale Interessen, für deren Vertretung er sich sonst nur selten ereifert: »ESM und Fiskalpakt schränken die Souveränität der Vertragsstaaten« ein, betont er in ungewohnter Diktion. Und er warnt vor einer Ausweitung der Haftungspflichten deutscher Steuerzahler, falls andere Geberländer des Stabilitätsmechanismus ihrerseits bedürftig werden sollten.

Die Grünen machen alles mit

Dass sich Hans-Christian Ströbele so entschieden positioniert, hängt fraglos auch mit seinem Gespür für Trends im Kreise all jener zusammen, die sich vom hergebrachten Politzirkel nicht mehr vertreten fühlen. Den Grünen fehle zunehmend die »Unterscheidbarkeit von der Regierung«, beklagt der Parteiveteran. So bekämen »auf einmal andere politische Kräfte ihre Chance«, und zwar schon allein dadurch, »dass sie unbefangen und unbedarft die geschlossene Gesellschaft der ›Alteingesessenen‹ aufbrechen«.

Aus diesem Grunde versucht Ströbele einmal mehr die Solidarisierung mit außerparlamentarischen Kräften auf Seiten der Linken. Auch diese haben ja gegen Fiskalpakt und ESM mobil gemacht, besonders vernehmbar anlässlich einer Großdemonstration vor dem Reichstagsgebäude. Ver.di und Attac gehörten zu den Organisatoren, aber auch die auf den »demokratischen Sozialismus« festgelegten NaturFreunde Deutschlands und der vom Verfassungsschutz als »linksextremistisch beeinflusst« eingestufte Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Hans-Christian Ströbele gehörte zu den Hauptrednern ihrer Veranstaltung, und auch das eigene Team bekommt bei dieser Gelegenheit sein Fett weg: Für die Grünen stünden »Profil und Glaubwürdigkeit auf dem Spiel«, mahnt Ströbele wenige Tage vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag.

Am Ende jedoch bleibt er mit seiner Nein-Stimme zum ESM allein. 65 Grüne sagen Ja. Enthaltungen: Keine. Selten ist ein »Spiel um Glaubwürdigkeit« so eindeutig ausgegangen.

(Schicksale der ESM-Gegner Teil 8)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: -daniel Hage

Man mag von christian Ströbele halten was man will- aber 2 dinge müssen hier denn doch klargestellt werden! 1.) Ist seine Referendariatszeit bei Mahler weitestbekkannt- es gibt ja das bekannte Foto das Ihn UND Otto Schily !! im Gerichtssal zeigt wie Sie mahler verteidigen... NUR: Zu jener Zei war der Geisteskranke Horst Mahler Niemalsnicht in der Nähe dr NPD zu verorten - sondern wenn dann als verlängerter Arm der SED in Westdeutschland- kurz er war linker las links- und Ströbele auch! Die Faschistische Geisteskrankheit überkam Mahler erst viel später als Ströbele längst mit Ihm gebrochen hatte- ihm also die Nähe zu einem NPD-Unterstützer anhängern zu wollen ist unfair! und zu jenem Verfahren in welchem er seinerzeit verurteilt wurde Stellung zu nehmen ist müssig - eines der schreienden Unrechtsurteile in den Zeiten der grossen RAF-Hysterie- eine Verbrecherbande ohngleichen- Sicher- nur niemals mit mehr als der Unterstützung von höchstens 1% der Bevölkerung im Rücken! Wie viele tote- bei allem Repekt und aller Pietät !- hat denn am Ende die RAF auf Ihrem Gewissen ? Zu viel- sicher -jeder ist einer zu viel- aber viel weniger als jene Braunen Banden die seit nunmehr 24 Jahren v.a. in den sog Neuen Bundesländern Ihren Ausländerhass ausleben dürfen- von Hoyerswerda bis NSU- Die Staatsdienerinstitutionen auf Bundes und Landesebenen sind auf dem rechten auge Blind!
wie gesagt- jenes Verfahren samt Urteil von einst gegen Ströbele hielte heute keine Berufungsübwerprüfung stand- in keinster Weise! Und was das Hanf angeht- Ströbele enthält sich sein ganzes Leben lang sämtlich "Genußgiften"!- Nur ist er so frei zu sagen das man nich heucheln soll einerseits das Saufen nicht zu verbieten und andereseits das Kiffen schon- OK?
Ansonsten find ich den Bericht oben sehr gut !

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