Ein Toter vor Gericht – zwei Seiten einer Geschichte

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Am Donnerstag endete der Fall um den russischen Juristen Sergej Magnizki. Ein Moskauer Gericht hat den Anwalt postum für schuldig befunden, Steuerhinterziehung begangen zu haben. Der Fall war politisch hochbrisant und sorgte für internationale Spannungen. Freie Welt vergleicht zwei gegensätzliche Meldungen zu dem Urteil.

Die erste Meldung entnehmen wir der Onlineausgabe des Spiegels – eines der renommiertesten Mainstreampublikationen der Bundesrepublik – und die zweite der Nachrichtenagentur Russia Today (RT), die als Sprachrohr der Putin-Regierung gilt. Man kann davon ausgehen, dass beide Meldungen professionell erarbeitet wurden und die genannten Fakten weitestgehend stimmen; nur zeigen beide Medien unterschiedliche Fakten auf und gewichten diese unterschiedlich. Es ergeben sich verschiedene Bilder, je nach Blickwinkel. Die beiden Meldungen zu vergleichen, liefert ein Lehrstück in Sachen Medien.

Magnizki bezichtigt Beamte der Korruption und wird verhaftet

Der Fall nahm 2008 seinen Anfang, als die russischen Behörden den Juristen und Vertrauten des Bankers William Browder verhaften. Magnizki hatte laut Spiegel „Beamten des russischen Innenministeriums Verwicklung in einen großen Korruptionsfall vorgeworfen.“

Demgegenüber liest man auf RT: „Russian investigators, in turn, claim Magnitsky’s statements were not reports about crimes, but a testimony within the criminal case that had been already opened against him.” “Russische Ermittler halten dem entgegen, dass es sich bei Magnizkis Angaben nicht um eine Anzeige von Straftaten gehandelt hätte, sondern um Geständnisse im Rahmen einer Untersuchung, die bereits gegen ihn eingeleitet war.“ Magnizki erhob die Vorwürfe also nicht uneigennützig. Der Spiegel lässt dies, im Sinne seiner Story, außen vor.

Der Anwalt stirbt im Untersuchungsgefängnis

Der Spiegel zeichnet ein tragisches Bild vom Tod des 37-Jährigen, das den Leser unweigerlich an die Zustände in der Sowjetunion denken lässt. Fast ein Jahr habe der Anwalt im „berüchtigten“ russischen Untersuchungsgefängnis „Matrosenstille“ verbracht. Monatelang sei ihm „offenbar“ eine medizinische Behandlung verwehrt worden und man habe ihn auch misshandelt. Tatsächlich befand eine Untersuchungskommission Magnizki sei „physischem und psychischem Druck“ ausgesetzt gewesen und attestierte „grausame und unmenschliche“ Haftbedingungen.

Im November habe Magnizki unter starken Schmerzen gelitten. Doch statt von einem Arzt behandelt zu werden, sei der psychiatrische Dienst erschienen und habe ihn ans Bett gefesselt. Am 16. November starb Magnizki an Entzündungen der Gallenblase und der Bauchspeicheldrüse. Ein Moskauer Gericht habe den einzigen wegen dem Todesfall angeklagten Beamten freigesprochen.

RT widmet der Haft und den Tod des noch jungen Anwalts nur zwei Sätze. Er sei 2009 in einem Untersuchungsgefängnis an einer akuten Bachspeicheldrüsenentzündung und Herzversagen gestorben. Behandelnde Ärzte hätten sich vor Gericht verantworten müssen. Die staatstragende russische Nachrichtenagentur fasst sich hier so kurz wie möglich.

Der Fall Magnizki sorg für internationale Verwicklungen

Die USA reagierten auf den Fall Magnizki mit dem „Justice for Sergej Magnizki Act“. Man beschloss russische Bürger mit Einreiseverboten und Vermögenssperren zu belegen, wenn diese in den Tod Magnizkis oder andere Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren, was Russland als eine „Einmischung in innere Angelegenheiten“ interpretierte. Bis hier überschneiden sich die Meldungen von RT und Spiegel.de. Nun hätte Russland laut letzterem reagiert, indem es US-Amerikanern verbot, russische Waisenkinder zu adoptieren. RT hingegen nennt die „Guantanamo List“ als Reaktion. Diese würde eine Reihe von Sanktionen gegen ausländische Regierungsbeamte beinhalten, die im Verdacht stehen, die Menschenrechte verletzt zu haben.

Gericht verurteilt einen Toten

Zum ersten Mal in der jüngeren Rechtsgeschichte Russlands verurteilt ein Gericht einen Toten. Der Spiegel schreibt dazu: „In Deutschland wäre ein Urteil gegen einen Toten gar nicht erst möglich – der Tod beendet ein Strafverfahren.“ Wie es zu dem Urteilsspruch kommen konnte, bleibt unklar. Hier schafft ein Blick in die RT-Meldung Abhilfe. Offenbar gilt im russischem Recht seit Kurzem, dass ein Strafverfahren nach dem Tod eines Angeklagten nur mit Einwilligung der Angehörigen beendet werden darf. Da Magnizkis Angehörige den Prozess als nicht legitim anprangerten, hätten sie diese Einwilligung verweigert. Demzufolge wäre der postume Urteilsspruch gar nicht anders möglich gewesen.

Sowohl der Spiegel, als auch Russia Today blenden wichtige Fakten des Falles aus. Über die Gründe kann man spekulieren.

Lesen Sie die Artikel auf: RT und Spiegel.de

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