Konkurrenz islamistischer Terrororganisationen

Die Rückkehr von Al-Qaida in Syrien

Kräfteverschiebung in Syrien? Während der „Islamische Staat“ (IS) in der Defensive ist, gewinnt Al-Qaida in Syrien an Einfluss, unterstützt von ihrem dortigen Ableger, der Al-Nusra-Front.

Foto: MrPenguin20 / Wikimedia Commons / Public Domain
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In den letzten Monaten haben die Milizen des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) an Boden verloren. Aus Palmyra wurden sie von den Regierungstruppen des Assad-Regimes zurückgedrängt. Die US-Luftangriffe haben zahlreiche Stellungen des IS zerstört. Im Norden Syriens konnten die Kurden des Gebietes von Rojava ihre Positionen gegen den IS behaupten, und im Norden des Irak konnten die Peschmerga weiter gegen den IS vorrücken. Auch die Regierungstruppen des Irak konnten im Zentrum des Zweitromlandes ihre Position gegenüber dem IS ausbauen. In Syrien haben die Luftangriffe der Franzosen, Briten und Amerikaner haben ihren Teil zum IS-Rückzug beigetragen. Die empfindlichsten Schläge hat der IS jedoch von den Russen bekommen. Russische Flugzeuge haben immer wieder die Tanklastkonvois, die Erdöl von Syrien in die Türkei brachten, massiv bombardiert. Ganze Straßenzüge entlang des Euphrat sind von ausgebrannten Tanklastzügen flankiert. Damit ist eine der wichtigsten Deviseneinnahmequellen des IS zerstört, nämlich der Schwarzhandel mit Erdöl über die Türkei.

Lange Zeit konnte der IS mehr Anhänger gewinnen als die vielen anderen Rebellengruppen, weil man besseren Sold zahlen konnte. Doch durch den Zusammenbruch des illegalen Erdölexports und durch massive Einbrüche der Devisenzufuhr mussten die IS-Kämpfer mit weniger Sold auskommen, teilweise sogar leer ausgehen. Das hat zur Frustration geführt. Weniger Geld und weniger militärische Erfolge bedeutet weniger Anziehungskraft für die radikalen Fundamentalisten, die lange Zeit den IS heimlich oder öffentlich bejubelten. Ihr Nimbus der Unbesiegbarkeit ist verlorengegangen.

New York Times berichtet von Ankunft hochrangiger Al-Qaida-Führer in Syrien

Al-Qaida scheint die Gunst der Stunde zu nutzen. Denn während sich die Weltgemeinschaft bei der Bewertung des IS als Terrororganisation einig war, blieb die Einschätzung anderer radikal-fundamentalistischer Gruppierungen in Syrien unklar. Besonders in den hügeligen Regionen Nordsyriens und Nordwestsyriens ist die Situation verworren. Unterschiedliche Gruppierungen und Warlords haben hier ihre Territorien markiert und bekämpfen sich zum Teil gegenseitig. Eine der radikal-islamischen Organisationen in dieser Region ist die Al-Nusra-Front, die genauso brutal gegen ihre Gegner vorgeht, wie die Anhänger des IS es tun. Die Al-Nusra-Front ist, wie ursprünglich der IS, ein Ableger von Al-Qaida.

Wie zunächst die New York Times und später auch verschiedene deutsche Medien berichteten, richtet die weltweit tätige Organisation Al-Qaida ihren Fokus immer mehr auf Syrien, um im Norden und Nordwesten einen islamischen radikal-sunnitschen Gottesstaat zu errichten. Dieser wäre sozusagen direkte Konkurrenz zum IS und könnte sogar von dort Kräfte absaugen, falls der IS weiter in Bedrängnis geraten könnte. Während der IS hauptsächlich entlang der Flüsse Euphrat und Tigris im Norden des syrischen und irakischen Mesopotamien sich ausgebreitet hat, setzte sich die mit Al-Qaida verbundene Al-Nusra-Font in den fruchtbaren und dicht bevölkerten Hügellandschaften Nordwestsyriens fest.

Wie die New York Times berichtete, gehen Terrorexperten davon aus, dass wichtige Köpfe und Funktionäre der Terrororganisation Al-Qaida ihre Hauptsitze und Rückzugsorte im Grenzgebiet von Afghanistan zu Pakistan verlassen haben, um ihren Zentralen nach Syrien zu verlegen. Als Gründe werden zum einen die anhaltenden Drohnenattacken vermutetet. Zum anderen geht man von einer Schwerpunktverlagerung aus. Al-Qaida könnte, so wird vermutet, seine Ambitionen in Syrien verstärken.

Die Situation könne, so wird vermutet, auf eine Eskalation der Konkurrenz zwischen dem IS und Al-Qaida hinauslaufen. Man vermutet sogar die Gründung eines islamischen Emirats als Gegenprojekt zum islamischen Kalifat des IS. Dabei würde Al-Qaida auf die Gebiete zurückgreifen, die bereits jetzt in der Hand der Al-Nusra-Front sind. Tatsächlich ist die Al-Nusra-Front nicht nur als Kampftruppe unterwegs, sondern bemüht sich, wie der IS, um die Beeinflussung und Gestaltung der gesellschaftlichen Strukturen, um den Weg zu einem islamischen Gottesstaat zu ebnen. Dazu gehört vor allem die Durchsetzung der Scharia als Rechtsform und die Ausbildung junger Kinder und Jugendlicher, die mit religiösem und ideologischem Gedankengut indoktriniert werden.

Der „Islamische Staat“ (IS) war anfangs ein Ableger von Al-Qaida

Rückblick: Mit dem Irakkrieg ab 2003 hatte sich ein Zweig von Al-Qaida mit dem Namen „Al-Qaida im Irak“ gebildet, um zum Dschihad gegen die Amerikaner aufzurufen. Aus dieser Organisation wurde schließlich der „Islamische Staat im Irak“ (ISI). Diese Organisation erhielt großen Zulauf unter den Irakern, weil die USA die irakische Baath-Partei von Saddam Hussein verboten hatte und allen ehemaligen Mitgliedern Ämter im neuen Irak verweigerte. Da jedoch viele Angehörige der Armee und der Polizei sowie des Verwaltungs- und Justizapparates Baath-Partei-Anhänger waren und zudem arabische Sunniten, denen wegen des Einstellungsverbotes der Amerikaner keine Zukunft mehr gegeben ist, haben sich viele dem neuen „Islamischen Staat“ angeschlossen.

Mit Beginn des Syrienkrieges 2011 griff der ISI auch auf Syrien über. Doch dann war es zur Spaltung gekommen. Der Chef des „Islamischen Staates im Irak“, Abu Bakr al-Baghdadi, wollte den zweiten Al-Qaida-Ableger in Syrien mit seiner Gruppierung im Irak vereinigen. Doch der Oberanführer von Al-Qaida, Aiman az-Zawahiri, war dagegen. Daraufhin hatte sich der ISI selbständig gemacht, von Al-Qaida losgesagt und ist selbsttätig auf dem syrischen Territorium aktiv geworden. Daraus entstand der „Islamischen Staat vom Irak und Syrien“ (ISIS), der dann zum IS wurde. Aus dem Al-Qaida-Ableger in Syrien wurde die Al-Nusra-Front.

Wichtigster Unterschied beider Gruppierungen war bis jetzt, dass Al-Qaida und Al-Nusra den Dschihad als Priorität ansahen, um am Ende das Kalifat aller gläubigen Sunniten ausrufen zu können. Doch der Anführer des IS hatte diesen Schritt schon vorweggenommen und ließ sich selbst zum Kalifen ausrufen. So war die Spaltung zwischen Al-Qaida/Al-Nusra und dem IS verfestigt worden. Überall auf der Welt mussten nun islamistisch-radikalsunnitische Dschihadisten-Gruppen sich entscheiden, ob sie Treue dem IS oder Al-Qaida schören wollten. Boko Haram bekannte sich zum IS. Die Islamistengruppen im Jemen zu Al-Qaida. Im Grenzgebiet von Afghanistan zu Pakistan waren die Taliban lange Zeit mit Al-Qaida vernetzt. Doch mittlerweile macht auch dort der IS von sich reden.

Konkurrenz statt Kooperation

In Syrien ist es mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen Al-Nusra und dem IS gekommen. Auch in Afghanistan hat sich der IS bereits mit den Taliban und Al-Qaida angelegt. Der IS konnte anfangs damit schockieren, noch grausamer und konsequenter zu sein als Taliban und Al-Qaida. Doch der anfängliche Schock hat sich gelegt, weil auch der IS seine Schwächen offengelegt hat. In Syrien sind viele Kämpfer zwischen den Gruppierungen gewechselt. Die Allianzen scheinen nicht so deutlich und offensichtlich zu sein, wie man vermuten könnte. Es scheinen auch materielle Gründe wie zum Beispiel die Höhe des Soldes eine Rolle zu spielen. Am Ende kommt der Propagandakrieg insbesondere im Internet zum Tragen, denn sowohl A-Qaida/Al-Nusra als auch der IS werben um neue Dschihadisten. Besonders viele Krieger kommen aus den Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien) und aus Ägypten, wo viele Muslimbrüder vor der Regierung untergetaucht sind. In der Tat waren im arabischen Frühling viele ägyptische Muslimbrüder in Syrien aktiv, um dort die Stimme für einen islamischen Gottesstaat zu erheben.

Wie es ausschaut, sind all die Gruppierungen mindestens ebenso in Konkurrenz zueinander wie im Kampf mit dem ungläubigen Westen. Hinzu kommen die vielen islamistischen Gruppierungen, die Teil der sogenannten gemäßigten Opposition sind, aber in ihren Zielen dem IS und Al-Qaida nicht fern stehen.

 

( Schlagwort: GeoAußenPolitik )

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