Michael Lüders erklärt, wie es zu den heutigen Krisen gekommen ist

Die Mitschuld des Westens an den Krisen im Nahen Osten

Die Destabilisierung von Staaten und die Unterstützung von Dschihadisten-Gruppen durch den Westen hat erheblich zum Chaos im Nahen Osten beigetragen, erklärt Nahostexperte Michael Lüders.

Foto: Das blaue Sofa / Club Bertelsmann / flickr.com / CC BY 20.0 (Ausschn., Bearb.)
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In einem Fernsehvortrag im Rahmen der SWR-Teleakademie (ARD), gehalten im Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg, hatte im Frühjahr 2015 der Nahostexperte, Politik- und Islamwissenschaftler Dr. Michael Lüders die Folgen der westlichen Interventionspolitik im Nahen Osten zusammenfassend erläutert. Der Vortrag erschien anlässlich der Publikation seines neuen Buches „Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet“, das im Beck-Verlag erschienen ist.

Nach Michael Lüders ist der Westen nicht unschuldig an den Entwicklungen im Nahen Osten. Das habe bereits mit der kolonialen Vergangenheit Großbritanniens und Frankreichs angefangen und setze sich bis heute fort. Die westlichen Interventionen würden, so Lüders, in immer kürzeren Abständen stattfinden und immer größere Auswirkungen haben.

Schlüsselereignis Nummer eins: Der Putsch im Iran von 1953 und dessen Folgen

Als eine Art Ursünde bezeichnet Lüders den Militärputsch gegen den demokratisch gewählten und einst international anerkannten iranischen Premierminister Mohammed Mossadegh im Jahre 1953, an dem der US-amerikanische CIA und der britische Geheimdienst MI6 ihr Zutun hatten. Grund war die Verstaatlichung der iranischen Ölquellen gewesen. Damals war der Iran der wichtigste Erdöllieferant Großbritanniens. Es waren unter anderem Winston Churchill und der britische Außenminister Anthony Eden, die an der Einfädelung des Putsches und der Einbeziehung der USA in das Umsturzprojekt beteiligt waren. Die Dokumente hierzu sind heute größtenteils deklassifiziert und öffentlich einsehbar.

Schon damals, so schildet Lüders, lief der Putsch nach bekannten Mustern ab. Zunächst wechselte die internationale Presse den Tonfall, indem der zuvor allseits gelobte und vom Time Magazin zum Mann des Jahres gewählte Mossadegh  plötzlich damönisiert wurde, um im Lande und in der Welt die Stimmung gegen ihn zu richten. Dann wurden hohe Amtsträger und Militärs bestochen, um gegen Mossadegh vorzugehen.

Lüders weist darauf hin, dass die Rhetorik und Terminologie, die seitens der Medien und Politik plötzlich gegen Mossadegh aufgefahren wurde, in erschreckender Weise derer ähnelt, die gegen viele andere Staats- und Regierungschefs während der letzten Jahrzehnte angewandt wurde: Gamal Abdel Nasser (nachdem er den Suez-Kanal verstaatlicht hatte), Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein, aktuell Baschar al-Assad und ebenfalls auch gegen Wladimir Putin. Sobald führende Politiker eines Landes eine dem Westen nicht genehme Politik anstrebten, würde ein solcher Rhetorikwechsel einsetzen, konstatierte Lüders. Die entsprechenden Politiker würden zur Unperson stilisiert. Höhepunkt sei oftmals der Vergleich mit Adolf Hitler. Diese Rhetorik sei in der Regel die Vorbereitung einer militärischen Intervention oder eines angestrebten Regimewechsels.

Nach dem Sturz Mossadeghs kam der Schah Mohammed Reza Pahlavi an die Macht. Obwohl unter seiner Herrschaft die Opposition gnadenlos verfolgt wurde, hofierte die westliche Presse den Schah, ein Umstand, der von aufgeklärten Jugend und den Intellektuellen im Westen erkannt wurde und während des Besuches des Schahs in der Bundesrepublik zu den Studentenunruhen der 1960er Jahre beigetragen hatte. Michael Lüder erinnert daran, wie sehr der Schah dem Westen folgsam war und deshalb von der internationalen Presse ins positive Licht gerückt wurde. Der Schah stand dem Westen gegen die Sowjetunion bei, war ein Verbündeter Israels, kooperierte mit westlichen Energie- und Ölkonzernen und war ein verlässlicher Einkäufer westlicher Waffen. Da nahm man es in Kauf, über sein Schreckensregime hinwegzusehen.

1979 wurde während der islamischen Revolution im Iran der Schah gestürzt. Der islamische Klerus hat schließlich den fundamentalistischen Gottesstaat geschaffen. Weil die USA und Israel wichtige Verbündete des alten Schahs waren, wurden beide Staaten von den Mullahs verteufelt und zu Feinden erklärt.

Lüders hält fest: Ohne den Putsch gegen Mossadegh 1953 hätte es die islamische Revolution des Ajatollah Khomeini nicht gegeben. Diese islamische Revolution bezeichnet Lüders als „Big Bang“ des politischen Islam. Auch wenn diese Revolution von Schiiten getragen wurde, war sie dennoch Vorbild auch für die sunnitische Ausrichtung des politischen Islam.

Schlüsselereignis Nummer zwei: Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan 1979 und dessen Folgen

Im Jahre 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein. In diesem Zusammenhang erinnert Michael Lüder an ein Interview, dass der US-Regierungs- und Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski 1998 einem Interview mit der Zeitung „Le Nouvel Observateur“ gab. Hier gab Brzezinski frei und offen zu, wie die US-amerikanischen Geheimdienste alles dafür Taten, die UdSSR in eine Falle zu locken, nämlich sie in einen Krieg mit Afghanistan zu verwickeln, der langfristig die sowjetischen Kräfte binden würde. Auf die Frage, ob die USA damit die Büchse der Pandora geöffnet haben, weil radikale Islamisten mobilisiert wurden, antwortete Brzezinski sinngemäß, dass dies ein kleiner Preis gegen die Niederringung der Sowjetunion gewesen sei.

Während des Afghanistankrieges haben die USA, Saudi-Arabien und Pakistan die islamischen Mudschaheddin in ihrem Kampf gegen die Sowjetunion unterstützt. Aus diesen Glaubenskriegern der Mudschaheddin sind nach dem Abzug der Sowjettruppen andere Dschihadisten-Gruppen hervorgegangen, darunter auch die Taliban und Al-Qaida.

Einer der Organisatoren des Guerillakrieges der Mudschaheddin gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan war der aus Saudi-Arabien stammende Osama Bin Laden. Weil dieser eine Liste der personellen Basis der islamischen Gotteskrieger führte, wurde er einer ihrer führenden Köpfe. Der Name Al-Qaida steht für dieses Basisliste.

Doch nach dem Abzug der Sowjetunion war die Organisation nicht mehr von Nutzen. Der Einsatz von Al-Qaida gegen Saddam Hussein im Golfkrieg von 1990-91 wurde von den Saudis abgelehnt, weil Osama Bin Laden der saudischen Führung zu radikal war. Doch viele konservative Saudis lehnten die US-Militärbasen in Saudi-Arabien ab, weil es mit der militärischen Präsenz Ungläubiger im heiligen Lande des Islam einherging. Dies war einer der Motive, die Al-Qaida gegen die USA aufgebracht hatte.

Schlüsselereignis Nummer drei: Saddams Einmarsch in Kuwait

Rückblickend erinnert Lüders daran, dass Saddam Hussein im selben Jahr die Macht im Irak an sich gerissen hatte, als im Iran der Schah gestürzt worden war, nämlich im Jahr 1979. Saddam Hussein glaubte, dass der Iran leichte Beute sei, weil das Land durch die Revolution geschwächt war. Er hatte es auf den ölreichen Südwesten des Iran abgesehen.

Als der Krieg zwischen Irak und dem Iran (1980-88) zugunsten des Iran sich zu wenden schien, begannen die USA Saddam Hussein zu unterstützen, weil man keinen Sieg des Iran wollte. Während des Iran-Irak-Krieges war es den USA bereits bekannt, dass Hussein die Kurden unterdrückte und auch Giftgas angewandt hatte. Auch an der Front gegen den Iran ließ Saddam Hussein Gas als Waffe einsetzen. Doch der Einsatz dieser geächteten Waffen wurde erst nach Ende dieses Krieges zum Thema.

Nach dem ersten Golfkrieg hatte Saddam Hussein Kuwait überfallen lassen. Warum hatte er das getan? Einer der Gründe war, dass der Irak nach dem Krieg pleite war und seine Kriegsschulden insbesondere bei den reichen Golfstaaten und den USA nicht zurückzahlen konnte. Doch alles Bitten um Schuldenerlass oder Schuldenerleichterung hatte nicht geholfen. Hinzu kamen Spannungen mit Kuwait um Ölfelder im Grenzgebiet.

Daraufhin erfolgte die irakische Besetzung Kuwaits. Kurz vor dem irakischen Angriff auf Kuwait hatte die US-amerikanische Botschafterin noch Hussein in der Ansicht bestärkt, dass die USA sich in regionale Konflikte am Golf nicht einmischen würden, obwohl die Amerikaner wussten, dass ein militärischer Konflikt bevorstand.

Nach der Befreiung Kuwaits durch eine US-amerikanisch geführte Koalition blieben die von der UNO gegen den Irak verhängten Sanktionen in Kraft. Zahlreiche UN-Resolutionen hatten die wirtschaftliche Aktivität im Irak weitgehend zum Stillstand gebracht. Die Sanktionen führten zu Knappheit insbesondere von Medikamenten. Im Laufe der 1990er Jahre sind im Irak mehr als eine Million Menschen an den Folgen der fortgeführten Sanktionen gestorben.

Michael Lüders erinnerte daran, dass vor den Sanktionen und vor dem Irakkrieg von 2003 es im Irak eine starke bürgerliche Mittelschicht gab. Doch die Sanktionen und die Kriege hätten die Mittelschicht verarmen und das Land verrohen lassen.

Dennoch hatte die Sanktionen ihr Ziel, Saddam zu Fall zu bringen, nicht erfüllt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte sich dann allerdings die Möglichkeit ergeben, gegen den Irak wieder militärisch vorzugehen, obwohl klar war, dass Saddam Hussein mit 9/11 nichts zu tun hatte.

Nachdem die US-geführte Koalition 2003 in den Irak einmarschiert und Saddam Hussein gestürzt war, hatten die Amerikaner keinen Plan für einen Wiederaufbau des Irak und der dortigen Gesellschaft. Viele Iraker waren arbeitslos und hatten keine Zukunft. Es gab keine Perspektiven, weil die staatliche und gesellschaftliche Ordnung zusammengebrochen war.

Die Ordnung baute sich wieder über die Ebenen Familie, Clan, Stamm, Bevölkerungsgruppe und Konfession auf. Während vor den Kriegen die bürgerliche Mittelschicht gemischt war, wurden nach dem Irakkrieg die einzelnen Gruppen als gesellschaftlichen Rückhalt genutzt, Schiiten und Sunniten wurden gegeneinander gestellt. Besonders die Tatsache, dass das Öl bei den Kurden im Norden und den Schiiten im Süden lag und die Sunniten in der Mitte und im Nordwesten leer ausgingen, war die Ursache eines sunnitischen Aufstandes. Bei den Sunniten hat sich dann schnell Al-Qaida ausgebreitet und in dessen Folge der „Islamische Staat“ (IS).

Aktuelles Schlüsselereignis: Krieg in Syrien seit 2011

Anfangs ein Aufstand gegen Baschar al-Assad, wurde aus der Revolution in Syrien schnell ein Stellvertreterkrieg, in dem unterschiedliche Ethnien und Konfessionen sich bekämpfen. Die Alawiten Syriens stehen den Schiiten im Irak nahe, die Sunniten in Syrien den Sunniten im Irak.

Im Westen wurde der Aufstand gegen Baschar al-Assad instrumentalisiert, weil Assad ein Verbündeter des Iran ist. Man erhoffte sich so, den Iran und die schiitischen Hisbollah im Libanon und Syrien zu schwächen. Doch die Bewegung gegen Assad wurde nicht von der ganzen Bevölkerung getragen. Es kam zum Bürgerkrieg.

Assad konnte nur die Westgebiete halten. Im Osten und Norden ist ein Machvakuum entstanden, in dem sich hauptsächlich vom Irak aus der „Islamische Staat“ (IS) ausbreiten konnte. Hier liegen auch die syrischen Ölquellen, mit denen der IS sich finanziert.

Destabilisierung als Ursache für das Chaos

Für Michael Lüders ist die sich wiederholende Destabilisierung der Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas eine der Hauptursachen für das Chaos und die Bürgerkriege. Dies zeigte sich an den Beispielen Syrien und Irak, aber auch in vielen anderen Ländern wie z.B. Libyen und den afrikanischen Ländern, in denen Boko Haram aktiv ist. Es werde vielerorts ein Machvakuum geschaffen, in dem sich die Terrororganisationen ausbreiten könnten.

Lüder warnt und befürchtet, dass die Situation sich im Nahen und Mittleren Osten in den nächsten Jahren noch verschlimmern werde. Besonders kritisch wäre es, so Lüders sinngemäß, wenn noch der Iran destabilisiert würde. Dann wäre die gesamte Region zwischen Libanon und Indien im Chaos.

YouTube-Video zum Vortrag:

youtu.be/syygOaRlwNE

( Schlagwort: GeoAußenPolitik )

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klimax

Klar: der Westen ist schuld! Das war nicht anders zu erwarten; denn der Schuldkult des Westens ist spätestens seit den 68ern unerschütterlich.

Gravatar: Jürg Rückert

Erstaunlich vernünftige Äußerungen, die ich Herrn Lüders bisher nicht zugetraut hätte!

Der britische Imperialismus ging nahtlos in den amerikanischen über.
Weder der Aufstand gegen Gaddaffi, noch der Aufstand gegen Assad, hätte je ohne vorbereitende Planung und Unterstützung durch die USA stattfinden können.
"Wir mussten die Stadt zerstören, um sie zu retten!" sagten 2 amerikanische Piloten im Vietnamkrieg.
Das war und ist amerikanische "kreative Zerstörung" bis heute.
Einer der ganz oberen Giftmischer dürfte der Herr Soros sein.
Leider, leider ist die göttliche Gerechtigkeit hier auf Erden so wenig spezifisch. Sie trifft eher die Falschen!

Gravatar: Alfred

Putin kennt die Übeltäter - nennt sie aber nicht beim Namen.
USA und Deutschland haben die Terroristen mit Waffen unterstützt.
Die USA macht sich vom Acker, indem sie keine Syrer einreisen lassen, Merkel soll die verbündeten Terroristen in Deutschland aufnehmen.
Damit die Deutschen den Schwindel nicht gleich merken, werden im Staats-Fernsehen ausschließlich Familien mit kleinen Kindern gezeigt, obwohl die Masse aus jungen Männern besteht.
Wir müssen unser Land retten und ein Ende der Doppel-Buletten-GroKo fordern!
De Maiziere fei übersetzt: "Wir müssen die Ausländer schützen und die deutsche Bevölkerung überwachen."

Gravatar: p.feldmann

Danke für die sehr gute synoptische Zusammenfassung!

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