Porträt Gerd Müller

Der Mann von Seite 180

Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit – zuständig für »Entwicklungshilfe« – wird von der GroKo stiefmütterlich behandelt. Sein neuer Chef ist ein unbekannter Nachwuchspolitiker.

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Oft hat man den Eindruck, dass es kaum etwas gibt, was sich deutsche Politiker nicht zutrauen. Und oft hat man den Eindruck, dass es kaum etwas gibt, was die Deutschen ihren Politikern nicht zutrauen. Doch nimmt sich all dies noch harmlos aus im Vergleich zu dem, was ausländische Beobachter in der heimischen Szenerie für möglich halten.

Der Große Unbekannte

Dass es der sudanesischen Zeitung The Democrat denkbar erscheint, dass Deutschland einen Mann namens Jido Fister Filly zum Außenminister macht, mag man ja noch hinnehmen. Aber dass der renommierte Nachrichtensender CNN das Außenamt an »Hans-Christian Stroebel« vergibt, geht dann doch ein bisschen zu weit. Und dass die türkische Hürriyet nichts dabei findet, wenn der »Torschützenkönig der Nationalmannschaft« von jetzt auf gleich zum obersten Entwicklungshelfer mutiert, schlägt dem Fass den Boden aus.

Es stimmt zwar, dass Gerd Müller seit dem vergangenen Dezember »Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« ist. Aber es handelt sich hier nun wirklich nicht um den »Bomber der Nation« (für die Älteren). Und auch nicht um den Typ mit Bart, der Thomas Müller in der Joghurtwerbung am Kühlschrank überrascht (für die Jüngeren). Vielmehr ist dieser Gerd Müller ein altgedienter Unionspolitiker, der heuer den Höhe- und Endpunkt seiner Karriere erlebt.

Das Entwicklungshilferessort, erst 1961 ins Leben gerufen und seither oft genug totgesagt, gilt vielfach als Manövriermasse bei der Herstellung des passenden Politproporzes. Vierzehn Hausherren hatte die Behörde schon, die seit 2006 im Bonner Ex-Kanzleramt residiert. Die Hälfte davon kam von der CSU. Die kleine Unionsschwester betrachtet das Ministerium seit jeher als eine Art »Auswärtiges Nebenamt«, durch das sich ein wenig am großen Rad mitdrehen lässt.

In der Vergangenheit erfolgte  seine Besetzung gerne mit einem fränkischen Protestanten, um die parteiinterne Balance zu sichern. Gerd Müller ist nun allerdings Schwabe und außerdem Katholik. Doch der Bayerische Rundfunk, dem Vernehmen nach in CSU-Kreisen nicht unvernetzt, kann das erklären: Der schwäbische Bezirksverband sei nach dem Rückzug des langgedienten Fraktionschefs im Münchner »Maximilianeum«, Georg Winter, »zuletzt unterrepräsentiert« gewesen. Und nach dieser Logik ist Müllers Aufstieg zum Entwicklungshilfeminister nur folgerichtig.

Doch wenn man fair sein will, ist die Personalie ganz so abwegig nicht. Gerd Müller kann auf eine lange Politikerlaufbahn zurückblicken, und auch eine gewisse Fachkompetenz ist ihm schwerlich abzustreiten. Seit 1989 ist er Abgeordneter, zunächst im EU-Parlament, seit 1994 im Deutschen Bundestag. Seine Schwerpunkte lagen dabei stets im Agrarbereich sowie auf dem Feld der Internationalen Politik. Von 2005 bis 2013 war Müller Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, zunächst unter Horst Seehofer, später dann bei Ilse Aigner. Oft hat er seine Chefs bei Beratungen der Europäischen Union in Brüssel vertreten, aber auch bei der UNO in New York oder bei deren Agrarorganisation, der FAO in Rom.

Denen man nicht vergibt

Einer breiteren Öffentlichkeit ist Gerd Müller dabei unbekannt geblieben, und so gleiten Porträts anlässlich seiner Berufung ins Kabinett auch häufig ins Anekdotische ab: Promoviert habe der neue Minister, wird da süffisant bemerkt – und zwar mit einer Arbeit zum Thema »Die Junge Union Bayerns und ihr Beitrag zur politischen Jugend- und Erwachsenenbildung«. Man liest es und fragt sich, was nerviger ist: ambitionierte Jungpolitiker, die sich ein solches Thema wählen, oder selbsterklärte Investigativreporter auf der Suche nach geeigneter Prüfsoftware.

Ebenfalls gern erwähnt wird Müllers Forderung aus seiner politischen »Sturm- und Drangzeit«, Art. 102 GG zu novellieren. »Die Todesstrafe ist abgeschafft«, heißt es dort. Natürlich wäre eine solche Verfassungsänderung in sich grundgesetzwidrig, und an diesem einen Punkt ist »gesamtgesellschaftlicher Konsens« auch einmal etwas Gutes. Gleichwohl befremdet der Versuch, Müller unter Hinweis auf eine zweieinhalb Jahrzehnte alte Äußerung als Rechtsausleger darzustellen. Schwarze Amerikaner können offenbar auch als Befürworter der Todesstrafe zum Liebling der Linksliberalen werden. Schwarzen Bayern vergibt man dergleichen nie.

Und auch eine dritte Müller-Story, auf die man in diesen Tagen gelegentlich stößt, spielt in den Achtzigern: Damals habe der heutige Minister »eine Demonstration gegen Abtreibung« organisiert, schreibt die Zeit und rümpft ihr intellektuelles Näschen. Irgendwie beruhigt es da, dass man trotz solcher Altlasten im Deutschland des Jahres 2013 noch Minister werden kann. Man ist ja bescheiden geworden.

Eine vermutlich selbst gestreute Geschichte zu Gerd Müller stammt dagegen aus einer Bundestagsrede, die gerade einmal dreizehn Jahre zurückliegt. Darin geht es zwar um alles Mögliche, aber es finden sich auch Sätze, die zumindest Respekt einflößen: »Die Aufnahme Griechenlands in den Eurokreis zum jetzigen Zeitpunkt war ein schwerer Fehler«, hält Müller der damaligen Bundesregierung vor. »Die Staatsverschuldung betrug 104 Prozent. Bei der Inflationsbekämpfung wurde manipuliert. Sie haben die Kriterien einfach einmal mit links hinweg geschoben und das Vertrauen in den Euro beschädigt«. Recht dürre Worte zehn Tage nach dem Beschluss zur Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion – aber immerhin wurden sie gesagt.

Nichts Neues unter der Sahara-Sonne

Nun also das »Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung«. Viel Spielraum für eine innovative Politik lässt die »GroKo« dem neuen Ressortchef dort nicht. Im 185-seitigen Koalitionsvertrag wird das Thema auf die Seiten 180 bis 183 verbannt. Doch diese zementieren den »Status quo« auch für die kommenden Jahre: »Wir halten an dem Ziel fest, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen«, heißt es dort unter Hinweis auf eine Vorgabe der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1970. Und so vereinbaren die Koalitionäre denn auch »jährliche Steigerungen der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen des Bundeshaushalts«.

Die Konsistenz dieser Politik lässt sich durch eine Vielzahl von Argumenten in Zweifel ziehen. Eine Auswahl: Wie vertragen sich entsprechende Zielvorgaben mit der »Mittelfristigen Finanzplanung«, nach der das Volumen des Müller-Ressorts bis 2017 von 6,3 auf 6,1 Milliarden Euro gekürzt werden soll? Welcher Sinn steckt dahinter, Ausgaben für Entwicklungshilfe ans BIP zu koppeln und sie damit den Konjunkturschwankungen zu unterwerfen? Welche Glaubwürdigkeit besitzt eine Zielmarke, die man seit 43 Jahren anzustreben vorgibt? Warum sollten es ausgerechnet die Staatsleistungen sein, die es zugunsten der Entwicklungsländer zu erhöhen gilt? Wieso landet das Gros der Bundesmittel bei internationalen Organisationen wie UN oder Weltbank, und weshalb fließen Jahr für Jahr 200 Millionen Euro in »entwicklungswichtige Vorhaben der Kirchen«? Warum setzt man stattdessen nicht viel stärker auf Direktinvestitionen privater Unternehmen, die allerdings auf rechtsstaatliche Strukturen in den Partnerländern angewiesen wären und auf einen wirklich liberalisierten Welthandel, der endlich Schluss macht mit dem allgegenwärtigen Protektionismus?

»Die deutsche Entwicklungspolitik setzt sich für den Abbau von Agrarexportsubventionen« ein, heißt es im Vorwort zum jüngsten Haushaltsplan des Ministeriums. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu jedoch nichts, obwohl man gerade dadurch Wettbewerbsverzerrungen zulasten von Drittweltstaaten abbauen würde. Stattdessen ist es Union und SPD ein Anliegen, »die Durchsetzung der Rechte von Mädchen und Frauen zu einer Querschnittsaufgabe« machen. »Gender Mainstreaming« statt echter Reformen – so schafft man natürlich auch einen Markt, zumindest für Soziologen.

Gerd Müller wird diese Politik in den kommenden Jahren auszuführen haben. Spektakulär ist das nicht. Aber zumindest steht am Ende dann doch noch »Minister« im Briefkopf.

Aus der Reihe: "Merkels neue Minister"

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