Der Lebensschutz braucht eine breite Basis

Lebensschutz ist ein Anliegen, das mehr Menschen teilen als man denkt. Die Lebensrechtsbewegung könnte breitere Bündnisse schließen – und damit weit über ihren explizit christlichen Kern hinauswachsen.

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4.500 Teilnehmer zählte die Berliner Polizei beim jüngsten „Marsch für das Leben“ – bis dato ein Rekord. Noch vor zwei Jahren waren es gerade einmal halb so viele. Und das Potential ist noch längst nicht ausgeschöpft: 140.000 Bundesbürger haben sich mittlerweile mit ihrer Unterschrift zum Europäischen Bürgerbegehren „Einer von uns“ bekannt, das sich gegen eine EU-Finanzierung der „verbrauchenden Embryonenforschung“ wendet. Die Sensibilität vieler Deutscher für Lebensschutzfragen ist also größer, als es oft den Anschein hat.

Doch es gibt auch die andere Seite. „Jeder Mensch, ob geboren oder ungeboren, hat das Recht auf Leben und Achtung seiner Würde“, schreiben die Organisatoren des Marsches durch Berlin in ihrem diesjährigen Veranstaltungsaufruf. Entsprechend gelte die „Schutzpflicht des Staates jedem einzelnen Menschen“. Denn „dessen Menschenwürde und Lebensrecht“ bestünden „unabhängig von der Entscheidung Dritter“. Gesellschaftlicher Konsens sind solche Aussagen im Deutschland des Jahres 2013 jedoch nicht. Entsprechend scharf fällt das Urteil über die Marschteilnehmer denn auch mancherorts aus: „Belehrende Religiöse“ nennt der „Spiegel“ die Lebensrechtler. „Fundi-Christen“ sind sie für die „taz“. Und auch die Organisatoren einer Gegendemonstration sprechen von „christlichen Fundamentalist_innen“. Der Unterstrich soll dabei „den Ort symbolisieren, an dem Überschneidungen und Wanderungen zwischen Geschlechtsidentitäten ihren Platz haben“.

Nun könnte man Kritik dieser Art einfach abprallen lassen, weil man weiß, woher sie kommt. Einigen gilt ja schon als extremistischer Eiferer, wer an Weihnachten in die Kirche geht. Und doch streifen die genannten Bezeichnungen zumindest an einem Punkt die Wahrheit: Explizit christliche Gruppen sind unter den Organisatoren des „Marsches für das Leben“ in der Mehrzahl. So beziehen sich von den vierzehn Trägern der Veranstaltung zumindest neun ausdrücklich auf den Glauben der Christen. Und unter den zweiunddreißig Gruppen, die die offizielle Internetseite der Demonstration als Unterstützer auflistet, sind mehr als zwanzig schon anhand des Namens als christliche Initiativen zu erkennen. Dieser Eindruck wird noch einmal unterstrichen durch das „Marsch-Programm“, in dem Gebete und Gottesdienste breiten Raum einnehmen. Ferner tragen viele Teilnehmer weiße Kreuze vor sich her, die natürlich für Christen ebenso wie für Nicht-Christen nicht bloß ein „Symbol des abendländischen Kulturkreises“ sind, sondern ausdrücklich über einen „appellativen Charakter“ verfügen.

Doch muss man wirklich Christ sein, um zu bejahen, dass jede Person ein unveräußerliches Recht auf Leben besitzt? Wie viele Wege gibt es, um diese Wahrheit zu erkennen?

So viele, wie es Menschen gibt

Häufig wird behauptet, das Lebensrechtspostulat „von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod“ sei eine Art „christliches Sondergut“, das Rechtskatholiken und Evangelikale der Allgemeinheit aufzuzwingen versuchten. Dass dem nicht so ist, zeigen viele Initiativen, die sich aus ganz anderen Quellen speisen. Mit ihnen muss man sich verbünden, will man auf Dauer die gern zitierten „gesellschaftlichen Mehrheiten“ zusammenbringen.

Beim Bundestagsentscheid über die Zulassung der selektiven Präimplantationsdiagnostik im Jahr 2011 war es vor allem das Abstimmungsverhalten der Unionsabgeordneten, das die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Dabei sollte man jedoch nicht übersehen, dass von den 146 Mitgliedern der damaligen SPD-Fraktion immerhin 36 mit Nein stimmten. Außerdem verweigerten sich 29 von 76 Parlamentariern der Linken einer Freigabe, und bei den Grünen ergriffen von 68 Abgeordneten beachtliche 36 Partei für den Lebensschutz. Doch auch jenseits tagespolitischer Entscheidungen werden im linken Lager durchaus interessante Ansätze diskutiert. So macht die grenzüberschreitend agierende Bewegung der „Pro Life Socialists“ das „utilitaristische Menschenbild des Kapitalismus“ für zeitgenössische Gefährdungen des Lebensrechts verantwortlich. Eine vorgeburtlich diagnostizierte Behinderung oder eine Demenz in späten Lebensjahren lasse die Betroffenen als „Kostenfaktor“ erscheinen, die sich der nutzenmaximierende „Homo oeconomicus“ möglichst vom Hals schaffen wolle. Zudem errichte der freie Markt Eintrittsbarrieren für benachteiligte Schichten, was den Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeitseinkommen angehe. So sei der Kampf gegen das „System der Ausbeutung“ immer auch tatkräftiger Einsatz für das Lebensrecht der Schwächsten.

Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt auch der „Pro-Life“-Flügel in der globalen Frauenbewegung. „Ohne Ausnahme verurteilten die frühen Feministinnen die Abtreibung mit den schärfsten denkbaren Worten“, betonen denn auch die „Feminists for Life“. Die Organisation beruft sich dabei auf Gründermütter des Feldzugs für die Gleichberechtigung wie Susan B. Anthony, Elizabeth Cady Stanton oder Mary Wollstonecraft. Erst recht durch die faktische Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sei es Männern leicht gemacht worden, sich ihrer Verantwortung für ein ungeborenes Kind zu entziehen. So seien Frauen zu den „ersten Opfern des Rechts auf Abtreibung“ geworden, stellt die Vereinigung klar. Um dem entgegenzuwirken, setzen die „Feminists for Life“ auf verbesserte Schulbildung gerade von Mädchen und auf einen verstärkten Einsatz des Staates gegen sexuelle Ausbeutung und häusliche Gewalt. Ein wichtiges Thema im feministischen Diskurs ist seit einiger Zeit zudem die hohe Zahl selektiver Schwangerschaftsabbrüche weiblicher Föten vor allem in China und Indien. Die staatliche „Ein-Kind-Politik“ und gesellschaftlich tradierte Werturteile haben hier eine Entwicklung herbeigeführt, die nicht wenige Frauenrechtlerinnen umdenken lässt.

Ganz Große Koalition für den Lebensschutz

So ergibt sich auch für die Lebensrechtsbewegung in Deutschland die Chance, ein noch breiteres Bündnis zur Umsetzung ihrer Anliegen zu schmieden. Anstehende Themen listet sie im Aufruf zum „Marsch für das Leben“ selber auf: Die Rückkehr zum gesetzlichen Verbot der Präimplantationsdiagnostik, eine Korrektur der geltenden Abtreibungsgesetze, die Beendigung der Staatsfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Bestrafung jeder organisierten Beihilfe zum Suizid sind dabei nur die drängendsten Punkte. Sie erfolgreich abzuarbeiten, ist und bleibt schwierig genug. Daher sollte man Unterstützung suchen, wo immer man sie finden kann. Der Lebensschutz ist nicht nur ein Thema für Christen, sondern auch für viele Anders- und Nichtgläubige. Um erfolgreich Koalitionen zu schmieden, sollte man sich auf jene Fragen konzentrieren, in denen man Übereinstimmung feststellt. Hundert Prozent wären natürlich ideal, aber achtzig Prozent sind immer noch deutlich mehr als nichts. Daher wäre es auch ein grober Fehler, das Anliegen des Lebensschutzes mit anderen Zielen zu verknüpfen – zum Beispiel dem Erhalt des traditionellen Begriffs von Ehe und Familie oder dem Wunsch nach einer Steigerung der Geburtenrate. Wer so argumentiert, meint es sicherlich gut. Aber er schadet einem Anliegen, das mehr Menschen teilen, als man denkt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Thomas Rießler

Letztlich kommt es darauf an, auf der richtigen Seite zu stehen, auf der Seite Gottes, denn: „Alles Fleisch ist Gras und all seine Schönheit wie die Blume des Feldes: das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Hauch des HERRN sie anweht – ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unsers Gottes bleibt ewig bestehen.“

Gravatar: Richard

Das spielt keine wahnsinnig große Rolle. Denn außerhalb der fundamental-religiösen Ecke gibt es für die sogenannten "Lebensschützer" ohnehin nicht viel zu holen (außer bei ein paar Ultra-Rechten, die ja immer gerne glatzköpfig mitmarschieren). "Feminists for Live" z.B. gibt es weltweit vielleicht 500. Und ob jetzt 4.000 oder 5.000 Heinis mit ihren Kreuzchen durch Berlin marschieren spielt auch keine große Rolle. Beim "Christopher Street Day" waren über 1,2 Millionen. Nur zum Vergleich.

Gravatar: Tilda

seit § 218 sind in Deutschland 1.5oo ooo Kinder abgetrieben worden, jeden Tag 1000.
Wenn die alle in die Rentenkasse einzahlten, wäre die Alterspyramide gesichert.
Wir haben eine Kultur des Todes geschaffen, die Quittung werden wir noch bekommen.
China Abtreibung- Mädchen= Frauenmangel von staatsveränderntem Ausmaß, Indien fast ebenso. In England straffreie Abtreibung von Mädchen. Wo bleibt der Aufschrei der Feministinnen? Der Europ. Gerichtshof hat den Beginn des Lebens mit der Zeugung festgelegt, jede Abtreibung ist also Mord. ich maße mir bei Abtreibung ein Urteil über die Wertigkeit eines Lebens an- Hitler auch. Erst die Kleinen, dann die Alten- dann die Kranken und wir sind wieder bei Hitler. Welchen Todeskampf die kleinen Menschlein haben, sagt keiner, sie werden verätzt, zerteilt zerstochen- alles ohne Betäubung- sie können nicht schreien, deshalb müssen wir das Wort für sie ergreifen. Für jedes Tier wird heute die Stimme erhoben, aber bitte auch für die kleinen Menschlein, die keine Stimme haben.
Die Hormoncremen,die aus Embryonen herstellt werden, kleistern wir ins Gesicht.
Vor Gott sind tausend Jahre, wie ein Tag- Gott läßt seiner nicht spotten.
Wie gesagt, die Quittung kommt noch!!

Gravatar: Crono

... sehe ich keinen elementaren Unterschied zu den Islamisten. ...
... wird mir schlecht. ...
~~~
Das wundert mich in Ihrem Fall gar nicht. Mir wird auch schlecht, wenn ich einige Stellen in Ihren Beitrag lese. Und was machen wir denn jetzt?
... sehe ich keinen elementaren Unterschied zu den Islamisten. ...
Das wundert mich in Ihrem Fall gar nicht.

Gravatar: Thomas Rießler

Wenn es darum geht, aus taktischen Gründen breite Bündnisse zu schließen und Kompromisse einzugehen, ist man im Bereich der Politik angekommen. Der Lebensschutz sollte jedoch kein Feld für Kompromisse und taktisches Kalkül sein. Im Humanismus wird es wohl immer ein Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes geben. Welcher der beiden Punkte die Oberhand gewinnt, mag für einen Humanisten diskutabel sein. Fakt ist jedoch, dass das Recht auf Abtreibung seit jeher ein grundlegendes Anliegen der Kommunisten und vieler „linker“ Humanisten ist und man als Christ auch nicht berufen ist, den Humanismus besser als die Humanisten selbst verstehen zu sollen. Lebensschützer mit humanistischem Hintergrund und verweltlichte „Christen“ mögen ja gerne mit den Menschenrechten für das Lebensrecht argumentieren, damit begeben sie sich aber außerhalb des Glaubens und Vertrauens auf Gott und seine Gebote. Letzteres kann selbst der Einsatz für das Lebensrecht von Kindern nicht rechtfertigen.

Gravatar: Musharraf Naveed Khan

@ Herrmann Walter

Sie sollten sich in Sachen (nachgeburtlicher) Abtreibung einmal unter der Rubrik "Kindsmord" auf www.frauengewalt.de.vu informieren. Vielleicht geht Ihr argumentativer Umgang mit einem Recht auf Abtreibung/restriktive Abtreibungspolitik gehörig an der Sache vorbei. Für mich steht ein Recht auf Leben im Vordergrund und leider ist es in Deutschland mittlerweile so, dass die Tötung eines Kindes, ob vor- oder nachgeburtlich, als Zeitungsmeldung schon gar nicht mehr so richtig zur Kenntnis genommen wird. Wo leben wir hier eigentlich mittlerweile und wer hält Ihrer Meinung nach die Wert- und Moralvorstellungen noch oben?

Kinder sind eine Bereicherung, keine Last und niemand hat das Recht zu Töten. Ihrer Meinung nach schränkt das ja die persönliche Freiheit des Einzelnen ein. Ich lebe dann lieber unfrei, aber ich habe nicht getötet.

Gravatar: Richard

Das Problem ist nur, dass eine "fundamentale Änderung der Abtreibungsgesetzgebung" in der Gesellschaft vielleicht einen Zustimmung von 10 % hat (sagen zumindest die Studien). Wenn Sie da die fundamental Religiösen, die Rassisten die sich für einer Türkeninvasion fürchten und die Nazis, die den "Tod des deutschen Volkes im Mutterleib"beklagen wegrechnen, bleiben vielleicht 0,3 % übrig. Nicht gerade berauschend.

Gravatar: Hermann Walter

Grundsätzlich bin zwar Gegner einer liberalen Abtreibungspolitik. Diese jedoch weitgehend christlich zu begründen bzw. mit christlichem Pathos aufzutreten läuft der Sache zuwider.
In einer liberalen, freiheitlichen und laizistischen Gesellschaft - und ich gehe davon aus, dass die meisten Leser dieses Blogs sich eine solche wünschen - sollte man den Wunsch nach einer restriktiven Abtreibungspolitik rein humanistisch begründen, was durchaus möglich ist.
Wenn ich die die Kommentare zu diesem Thema hier lese, wo von "Gott sei Dank; lobet den Herrn etc. " die Rede ist wird mir schlecht. Eure religiösen Ansichten dürft ihr gerne haben und auch leben. Aber lasst uns andere Bürger mit euren religiös motivierten freiheitseinschänkenden Maßnahmen in Ruhe.
Wenn ihr nicht oder anders gläubigen Menschen Abtreibung mit Verweis auf christliche Grundsätze verbietet, sehe ich keinen elementaren Unterschied zu den Islamisten.

Also: demonstriert gegen Abtreibung, kämpft für die Rechte ungeborener Kinder, aber lasst Eure Kreuze und Bibelsprüche dort wo soe hingehören: zu Hause!

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