ESM-Gegner in der FDP

Dennoch unverzagt, dennoch unverloren?

Nach dem Ja der FDP zum ESM sind die ESM-Gegner in der Partei an den Rand gedrängt. Was wird aus den liberalen Euro-Rebellen?

Foto: Andreas Kobs / www.freiewelt.net / flickr.com
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Die Bundesrepublik Deutschland ist in die Jahre gekommen. Der einst als Pro-visorium erdachte Staat wird im kommenden Mai fünfundsechzig Jahre alt. In fünfzig davon saß die FDP mit in der Regierung. Auf glorreiche Zeiten blickt die liberale Partei zurück. Mit Theodor Heuss stellte sie den ersten Bundespräsi-denten. Ohne sie hätte Ludwig Erhard seine Ideen von einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung kaum verwirklichen können. In der Koalition mit den Sozi-aldemokraten gestaltete die FDP die Ostpolitik mit und strickte an einer Mo-dernisierung der Gesellschaft. Nach der Wende ‘82 bemühte sie sich um eine Sanierung der öffentlichen Finanzen und wurde mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher zu einem Wegbereiter der Deutschen Einheit. Noch bei der Bundestagswahl 2009 erzielten die Liberalen das beste Ergebnis ihrer Parteige-schichte.

Und dann das! Nach sechseinhalb Jahrzehnten ununterbrochener Zugehörig-keit die Abwahl aus dem Bundestag! Kein Mandat mehr für den Vizekanzler, der Außenminister fliegt aus dem Parlament, 93 Abgeordnete sind über Nacht ohne Job. Dabei hat sich der Abstieg lange angekündigt. Und doch haben am Ende wohl nur wenige damit gerechnet, dass es wirklich dazu kommen würde. Bloß hunderttausend Zweitstimmen haben den Liberalen am Ende gefehlt. Nicht viel bei über 43 Millionen gültigen Voten.

Über die Ursachen des Scheiterns ist seither viel gerätselt worden. Vielleicht war es das schwache Personaltableau, vielleicht die am Ende verzweifelt wir-kende Wahlkampagne, vielleicht waren es interne Streitigkeiten oder politische Fehlentscheidungen wie das Steuergeschenk an „reiche Hoteliers“. Womöglich war es aber auch ein Beschluss, den die FDP nicht getroffen hat.

So mag sich das Schicksal der Liberalen letztlich im Herbst 2011 entschieden haben. Da hätte die Partei noch die Chance gehabt, das Ruder herumzureißen: Mit einem entschlossenen Nein zum Europäischen Stabilitätsmechanismus. Beim Mitgliederentscheid dazu war jeder FDP-Beitragszahler ganz persönlich gefragt und gefordert. Doch die Mehrheit der Teilnehmer folgte dem Kurs des Bundesvorstands. Und was noch schwerer wiegt: Zwei Drittel der Blau-Gelben machten erst gar nicht mit. Oder sie wählten ungültig. Die Begründung vor allem dafür klingt haarsträubend: Der Stimmzettel und der Vordruck einer per-sönlichen Erklärung, die den Wahlunterlagen beizulegen war, seien auf unter-schiedlichen Seiten des Mitgliedermagazins abgedruckt worden. Deshalb hät-ten viele Abstimmungsberechtigte ihre eidesstattliche Versicherung schlicht-weg vergessen. Nicht gerade beeindruckend für einen Kreis von Leuten, die sich selbst gern als Leistungsträger verstehen.

Was wurde aus Schäffler & Co.?

Dabei hatten die liberalen ESM-Gegner durchaus überzeugende Galionsfigu-ren. Allen voran Frank Schäffler, seit 2005 Bundestagsabgeordneter aus Nord-rhein-Westfalen und eine Zeitlang Fraktionssprecher im Finanzausschuss. Die-sen einflussreichen Posten gab der Politiker bereits im Mai 2010 aus eigenem Antrieb auf, weil er sich mit dem Eurokurs der FDP-Spitze nicht länger identifi-zieren konnte. Schon wenige Monate später rief Schäffler mit Gleichgesinnten den „Liberalen Aufbruch“ ins Leben – eine Gruppe von Vordenkern innerhalb der Partei, die sich seither auf verschiedenen Politikfeldern für ein schärferes Profil stark machen. Beim Thema „Euro-Schirm“ warnten Schäffler und die Sei-nen früh vor einer Aushöhlung des Demokratieprinzips durch die Rettungspoli-tik. Und auch davor, den Bundestag am Ende zu einer „leeren Hülle“ verkom-men zu lassen. Im Frühjahr 2011 verlangten sie in einem Antrag zum Bundes-parteitag eine Kehrtwende. Immerhin ein Drittel der Funktionäre folgte bereits damals. Doch das Scheitern der Mitgliederbefragung im Herbst desselben Jah-res hat die Schäffler-Bewegung aus der Bahn geworfen. Zwar wurde deren Hauptprotagonist zur Bundestagswahl 2013 noch auf Platz 5 der NRW-Landesliste gesetzt. Doch aus dem Bundesvorstand der FDP wurde Schäffler nach nur einer Amtszeit gleich wieder herausgewählt. Dabei ist die liberale Führung dieser Tage eine erschreckende Ansammlung von No-Names. „Für viele Sympathisanten und Unterstützer des Liberalen Aufbruchs war der außer-ordentliche Bundesparteitag sicher ernüchternd“, bilanziert die Vereinigung denn auch resigniert. Doch Frank Schäffler ackert weiter. Er ist Bezirksvorsit-zender in Ostwestfalen-Lippe geblieben und glaubt noch immer an die Erneu-erbarkeit der FDP.

Gleiches gilt für Nicole Bracht-Bendt und Lutz Knopek aus Niedersachsen. Auch sie gehören zum „Liberalen Aufbruch“ und haben als Bundestagsabgeordnete gegen den ESM gestimmt. Doch während Christian Lindner in NRW um eine Einbindung der Kritiker bemüht war, hat die niedersächsische FDP um Ex-Bundeschef Rösler mit den Abweichlern kurzen Prozess gemacht. Bracht-Bendt und Knopek scheiterten beide bei ihren Bemühungen um vordere Listenplätze zur Wahl 2013 – „gegen alle Absprachen“, wie Bracht-Bendt ausdrücklich be-tont. Doch entmutigen lassen sich die beiden Überzeugungstäter davon nicht: Beide arbeiten weiter aktiv im Landesvorstand mit. Nicole Bracht-Bendt wurde in einer Kampfabstimmung zur Bundesvize der Seniorenvereinigung gewählt, Knopek engagiert sich nach wie vor als Kreisvorsitzender der FDP in Göttingen. Im Übrigen lassen sie sich vom „Liberalen Aufbruch“ als Redner für Veranstal-tungen vermitteln.

Notorische Querulantenclubs

Noch mehr Gegenwind erfahren die ESM-Kritiker in Hamburg und Berlin, was aber auch mit „Besonderheiten“ der dortigen Parteigliederungen zusammen-hängt. So hat Euro-Rebellin Sylvia Canel zwar ihren Landesvorsitz in der Han-sestadt gegen die Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft verteidigen kön-nen, doch brach ihr bereits nach einer Amtszeit das halbe Vorstandsteam weg. Außerdem scheiterte Canel bei ihrem Versuch, Spitzenkandidatin für die Bun-destagswahl zu werden. Sie wäre somit auch dann nicht im Parlament geblie-ben, wenn es für die FDP insgesamt gereicht hätte. Gleichwohl scheint Canel entschlossen, den innerparteilichen Kampf weiterzuführen. Keine leichte Sache in einer politischen Formation, die in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten ein gutes Dutzend Vorsitzende verschlissen hat.

Ähnliches gilt für die Liberalen in der Hauptstadt: Auch hier ist man einander seit jeher in herzlicher Abneigung zugetan. Und so haben die beiden Rettungs-schirmgegner Lars Lindemann und Holger Krestel zwar zur Bundestagswahl wieder die Listenplätze 2 und 3 erobert, aber in der Berliner FDP ist traditionell nur wenig von Dauer. Lindemann war einst stellvertretender Landesvorsitzen-der und ist jetzt nur noch Schatzmeister. Krestel nennt seinen Weg in den Bundestag „mühsam und ziemlich lang“, während seine Abwahl nach nur drei Jahren reichlich zügig ging. So kann er derzeit nur als Bezirkschef in Tempel-hof-Schöneberg Politik machen. Beide haben in ihrer Partei schon so einiges hinter sich: Lindemann sah sich Rücktrittsforderungen aus Kreisen der Jungli-beralen ausgesetzt, als er nur wenige Tage nach seiner erneuten Nominierung für den Bundestag bekanntgab, gleichzeitig als Hauptgeschäftsführer des Ver-bandes der Fachärzte Deutschlands arbeiten zu wollen. Außerdem machte er sich Feinde mit der Forderung, den Berliner Tierpark zu schließen. Und er griff daneben, als er Kritik am grünen „VeggieDay“ mit einer Zeichnung aus der NS-Kampagne zur Volksgesundheit illustrierte. Krestel, der innerhalb der FDP „dem nationalliberalen Flügel zugeordnet wird“, gilt vielen als „unsicherer Kantonist“. Einst gehörte er der CDU an, die er verließ, als Helmut Kohl Erich Honecker im Bonner Kanzleramt empfing. Bereits im Zusammenhang mit der „18-Prozent“-Kampagne forderte Krestel den Rücktritt von Parteichef Westerwelle. Und auch als Obmann im Ausschuss zur Untersuchung des Berliner Bankenskandals hat er sich nicht nur Freunde gemacht.

So mögen all diese Euro-Rebellen auch künftig in der FDP Politik machen wol-len. Ob die FDP dies allerdings auch will, wird erst die Zukunft zeigen.

(Schicksale der ESM-Gegner Teil 9)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Kitsch

Frau Weber, Ihr Vorschlag, dass ein von der Wurzel her freiheitlich gesinnter Mann (also ein Radiakl-Liberaler), wie der Herr Schäffler, zur AfD wechseln sollte, ist ein Irrtum. Die Lucke-Partei wird durch Lucke (der das Erbe Kohls, also den Marsch in die totalitäre Demokratie der EUdSSR verwalten und verwirklichen will) auf stramm konservativ und anti-liberal getrimmt!
Für tatsächliche Liberale – wie Herrn Schäffler und den liberalen Aufbruch – gibt es leider zur Zeit keine Partei, die Chancen bei Wahlen hat.
Die FDP des NRW-Lindners, eines lupenreinen staatshörigen Wesens, ist keinesfalls freiheitlich, sondern wird – insbesondere durch NRW-Lindner – immer sozialdemokratistischer = menschenverachtend!

Gravatar: Karin Weber

Herr Schäffler ist ein sehr kompetenter Mann, aber ich glaube, dass er in der AfD besser aufgehoben ist. Die FDP hat keine Zukunft mehr, die Altlasten sind einfach zu groß. Die Herren Westerwelle und Rössler waren eigentlich nur die Bestatter.

Eigentlich gesamtpolitisch gesehen, ein katastrophaler Vorgang. Sorgt doch erst eine lebendige Parteienvielfalt für eine Reflexion des Bürgerwillens und eine funktionierende Demokratie. Mittlerweile sind wir ja schutzlos der Einheitspartei Deutschlands und deren Blockparteien ausgesetzt. Von Meinungsvielfalt keine Spur. Mutti hat das Sagen und wer nicht folgt, bekommt von ihr "das Vertrauen ausgesprochen". Das ist politisch gesehen eine regelrechte Monokultur, die auch irgendwann an einem Baum enden wird.

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