CDU-Verbraucherschutz: Auf Wahlkampftour im Reformhaus

Dr. Georg Alfes zeigt anhand des CDU-Wahlprogramms, wie die Partei in das ihr eigentlich fernstehende Öko-Milieu eindringen will

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CDU-Programm unter der Lupe: Verbraucherschutz (Teil 9)

Manchmal ist Satire einfach nur widerlich. Zum Beispiel die Zeichnung des Karikaturisten Olaf Schwarzbach zum Thema Syrien. Das Bild wurde kürzlich in der Reihe „Die Mütter vom Kollwitzplatz“ veröffentlicht. Gezeigt werden zwei Frauen, die ihre Kinderwagen durch Prenzlauer Berg schieben. Dabei die eine zur anderen: „Bei biologischen Waffen würde ich nichts sagen, aber chemische Waffen gehen ja gar nicht“. Pfui Deibel, oder ?! Wer so etwas kauft, bestellt es wahrscheinlich auch noch bei den Ausbeutern von Amazon. Dort gibt es den Sammelband bereits ab 11,45 Euro. Kein Wunder bei den Hungerlöhnen, die die zahlen.

Bei allem Ekel muss man allerdings zugestehen, dass der Künstler das Denken in den von ihm kari-kierten Kreisen genau erfasst hat. Und zumindest in der medialen Wirklichkeit bestimmen die dort vertretenen Auffassungen auch den gesellschaftlichen Trend, und zwar längst nicht nur in der grün-hippen Szene der Hauptstadt. Mittlerweile scheint dies auch die Wahrnehmung der Strategen von CDU und CSU zu sein. In den Unionsparteien galten „Verbraucherschutz“ und „gesunde Lebensmittel“ lange als Orchideen-Themen von Leuten, die keine echten Probleme haben. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seitenweise liest man daher im Programm zur Bundestagswahl Ausführungen zu heißen Eisen wie dem „Aufbau klimastabilerer Wälder“ oder der fehlenden „Wertschätzung für Imker“.

Es wäre allerdings möglich, dass die Union mit diesem neuen Schwerpunkt am Ende zwischen allen Stühlen sitzt. Denn der gemeinen Ökotussi sind die C-Parteien eh „zu konservativ“, während die ge-standene Marktfrau lieber ihrem gesunden Menschenverstand vertraut statt jede Überspanntheit mit-zumachen. Und sie tut gut daran, denn nie zuvor in der Geschichte und nirgendwo sonst auf der Welt war und ist das Leben gesünder und sicherer als hier und heute bei uns in Deutschland. So erfassen der Horror vor Mängeln beim Verbraucherschutz und die Panik beim neuesten Lebensmittelskandal denn auch in erster Linie jene, denen es objektiv betrachtet eigentlich viel zu gut geht. Doch die Union hat sich nun einmal vorgenommen, tief in diese Wählerschicht einzudringen, und deshalb wird sie im Wahlprogramm großzügig bedacht.

Einkaufen kinderleicht gemacht

„Wir wollen, dass möglichst viel von dem, was wir essen und an nachwachsenden Rohstoffen brauchen, von den Feldern und aus den Ställen unserer Bauern und aus den heimischen Wäldern kommt“, sprechen die Christdemokraten das Bekenntnis aller Ökogläubigen zur klimaneutralen Nahrungsbeschaffung nach. Nun ruft diese Personengruppe bei vielen den unstillbaren Drang hervor, sich frische Erdbeeren aus Israel in die Silvesterbowle zu kippen. Doch die Union will nicht schocken, sondern Menschen fischen, und so möchte sie nach der Wahl „ein Bundesregionalprogramm starten, mit dem wir Transparenz beim Einkauf regionaler Lebensmittel schaffen“. Man nickt beim Lesen unwillkürlich mit dem Kopf, weil das natürlich jedem denkenden Menschen als eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit erscheinen muss. Und da man ja bekanntlich mit der Bewusstseinsschaffung nie früh genug beginnen kann und dann im weiteren Lebensverlauf nie wieder damit aufhören sollte, geschieht Verbraucherbildung à la Union „von klein an in der Kita, in den Schulen und geht bis zur Erwachsenenbildung, zum Beispiel in den Volkshochschulen“. Dabei ist dem Wahlprogramm ganz wichtig, dass „Wir“, also die Unionspolitiker, „die Menschen“, also uns, „für den Wert und den guten Um-gang mit Lebensmitteln sensibilisieren“ und so an der „Halbierung der Lebensmittelabfälle arbeiten“. Am besten nehmen „Wir“ bei der Gelegenheit dann auch gleich den Ferrero-Konzern an die Hand und bringen ihm bei, Nutella-Gläser so zu konstruieren, dass nicht ständig zwanzig Gramm für jeden Löffel unerreichbar zurückbleiben.

Doch bevor sie dieses Frühstückstischproblem lösen, gehen CDU und CSU erst einmal online und führen ihre Offensive in der digitalen Welt fort. Da viele Leute offenbar zu dumm zum Einkaufen, aber intelligent genug fürs Internet sind, plant die Union „das Projekt ‚Klarheit und Wahrheit‘“ (!) mit der Plattform „‚Lebensmittelklarheit.de‘ auch für andere Felder“ fortzuentwickeln, zum Beispiel für Haus-haltswaren und Bedarfsgegenstände. Künftig dürfen Konsumenten dann „Produkte nennen, von denen sie sich getäuscht fühlen. Die Verbraucherzentrale bewertet die Kennzeichnung und die betroffenen Unternehmen können dazu Stellung nehmen“. Und als ob das noch nicht innovativ genug wäre, will man zusätzlich „einen bundesweiten Online-Schlichter einführen, der unbürokratisch hilft, wenn beim Kauf im Internet etwas schief geht“.

Ohne den Staat läuft also nichts mehr, und so ist es nur folgerichtig, dass er nicht nur dem unbescholtenen Bürger bei der Verrichtung von Alltagstätigkeiten vermehrt zur Hand geht, sondern auch der transnationalen Obst- und Gemüsemafia noch massiver zu Leibe rückt: „Wir brauchen EU- und bundesweit eine hohe Kontrolldichte und einheitlich hohe Standards“, schreibt die Union. „Wir werden ein Frühwarnsystem für den Lebensmittelsektor in Europa entwickeln, das wirtschaftliche Anreize für Betrüger frühzeitig ausfindig machen soll. Keiner soll an Lebensmittelbetrug verdienen“, außer natürlich der öffentliche Dienst, dessen Personal das Frühwarnsystem bestücken wird.

Doch betrachten wir die Sache mit dem gebührenden Ernst. Denn es sind ja wirklich eine Reihe von Skandalen aufgedeckt worden, deren Ausmaß einem schier den Atem nimmt: Los ging es 2007, als bundesweit insgesamt sechs Vogelgrippe-Ausbrüche bei Nutzgeflügel festgestellt wurden. 2011 folgte die Schweinegrippe-Pandemie, die für fast 0,9% aller Grippetoten des Jahres verantwortlich war. Immerhin blieb jener Mallorca-Tourist unversehrt, der gegenüber Reportern bekannte, dass er eh kein Schweinfleisch esse. Ebenfalls 2011 versetzte eine bis dato unbekannte „Killer-Seuche“ das Land in Panik (O-Ton Bild: „So brutal wütet Ehec in Deutschland“), dessen Ausgangspunkt der von einem Betrieb in Bienenbüttel aus Ägypten importierte Bockshornkleesamen war. Das Ganze gipfelte schließlich 2012 im Skandal um Stutenlasagne, wobei hier zum Glück keine Opfer zu beklagen waren, weil Pferdefleisch nicht tödlich ist.

So kann nur der entfesselte Staat die Kollwitzplatz-Klientel retten, während alles, was nach Marktwirt-schaft riecht, konsequent in die Schranken zu weisen ist („Eine von Kapitalinvestoren bestimmte Landwirtschaft lehnen wir ab“). Gleiches gilt für den Fortschrittsgeist, weswegen man sich auch „gegen die Patentierbarkeit von landwirtschaftlichen Nutztieren und Nutzpflanzen“ aussprechen muss. Und schließlich hat das zeitschnittige Wahlprogramm noch die „Sicherheit von Kinderspielzeug“ zu thematisieren. Zwar gibt es immer noch ein paar ewig Gestrige, die ihren Kindern Barbies und Kano-nen kaufen. Aber alle nicht-neurotischen Eltern wollen inzwischen anhand der Ökotest-Zertifizierung auswählen, und so muss ihnen der Staat am Ende auch noch beim Spielzeugkauf helfen.

Frau sucht Bauern

Doch man darf sich nicht täuschen: Bei aller mainstreamigen Rhetorik signalisiert das Merkel-Lager auch einer alten Stammwählergruppe, dass sie auch künftig nicht vergessen wird. Milliardensubventionen für die Bauern werden wie gehabt mit deren Rolle bei der „Landschaftspflege“ begründet. „Überlegungen von Rot-Grün, die Direktzahlungen an die Landwirte zu kürzen, lehnen wir ab“, erklärt die Union klipp und klar. Und gerade kleinere Betriebe, deren Eigentümer immer zur treuesten Kund-schaft von CDU und CSU gehörten, will man in Zukunft besonders unterstützen, auch wenn man damit den Strukturwandel abbremst. So sollen „die ersten Hektare jedes Landwirtschaftsbetriebs künftig mit einem höheren Betrag an Direktzahlungen“ gefördert werden, heißt es im Wahlprogramm.

So verbindet die Union das Bemühen um Modernität bei den Themen Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit einer konventionellen Politik für die Landwirtschaft. Umgekehrt wäre es besser gewesen.

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