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Auf dem Weg zur Sockelrente

Im europäischen Vergleich steht Deutschland in Sachen Rentenreform bisher am besten da. Mit dem Rentenpaket der Großen Koalition, das diese Woche verabschiedet wird, ändert sich das.

Foto: SPD Schleswig-Holstein/flickr.com/CC BY 2.0
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Im europäischen Vergleich steht Deutschland in Sachen Rentenreform nicht nur relativ gut, sondern am besten da. Der zentrale Grund dafür ist, dass die Frühverrentung gestoppt und die Erwerbsbeteiligung Älterer seit der Jahrtausendwende so stark gesteigert wurde wie nirgendwo sonst in Europa. Die Lebensarbeitszeit wurde so der steigenden Lebenserwartung ein Stück weit angepasst – Stichwort Rente 67. Dank dieser Reformen ist Deutschland das einzige Land, in dem sich die Ausgaben für die Renten gemessen am Bruttoinlandsprodukt seit dem Jahr 2000 verringert haben, überall sonst sind sie gestiegen, am stärksten in Griechenland, Portugal und Italien, übrigens Länder mit der stärksten Alterung in Europa. Wegen der derzeit guten Konjunktur sind die Kassen auch ordentlich gefüllt, möglicherweise kommt über den Mindestlohn und höhere Tariflöhne noch mehr rein - es schien,anders als sonst in Europa, einen gewissen Spielraum für neue Ausgaben zu geben. Dieser Spielraum ist nun ausgeschöpft, das Rentenpaket, das diese Woche verabschiedet wird, kostet zehn Milliarden pro Jahr, damit steigen die Rentenleistungen insgesamt auf 265 Milliarden jährlich. Kernstück des Pakets ist die Rente mit 63: Baby-Boomer der 1950er und 1960er Jahre (mithin etliche der derzeit aktiven Politiker) dürfen mit 63 in Rente gehen. Aufkommen dafür dürfen die Jüngeren, die selber erst mit 67 in Rente gehen können – ein Schlag ins Gesicht der Generationengerechtigkeit.

Aber das ist heute. Die ganze Wahrheit kommt morgen. Ab 2015 gehen, so der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, 300.000 Arbeitnehmer mehr in Rente als auf dem Arbeitsmarkt antreten, und in den nächsten zehn Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente und schmilzt die Erwerbsbevölkerung, so dass die eigentliche Frage nach dieser Rentenreform lautet, frei nach einem fröhlichen Karnevalslied: Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt? Bestellt haben es alle Bundesregierungen seit Adenauer, denn das System berücksichtigt kaum den "generativen Beitrag", den das Bundesverfassungsgericht anzurechnen fordert. Die "Mütterrente schließt diese Lücke ein wenig. Demographisch allerdings viel zu spät. Es bleibt beim Durchwursteln,eine grundlegende Systemkorrektur findet nicht statt.

Zur Finanzierung hat Arbeitsministerin Andrea Nahles jetzt immerhin etwas die Decke gelüftet. Zwei Milliarden sollen aus dem Steuertopf kommen und die Beiträge werden auf 22 Prozent erhöht. Zwar sagte sie am Dienstag im Deutschlandfunk, das geschehe bis 2030. Aber wie und wann genau das geschieht, das bleibt offen. Das geht auch nicht anders, denn es hängt von der Konjunktur ab. Sicher ist nur: Die Rentenleistungen werden steigen und die verbliebenen Rücklagen auch bei anhaltend guter Konjunktur verschlingen. Über kurz oder lang wird auch der Anteil der Steuerfinanzierung steigen müssen. Das räumt die Arbeitsministerin in dankenswerter Offenheit ebenfalls ein.

Das ist der Weg in die Grundsicherung oder in die Sockelrente. Und das ist die eigentliche Bestellung, mehr ist auf Dauer nicht zu bezahlen. Die Diskussion um die Vermeidung einer Frühverrentungswelle, die jetzt die Gemüter erregt, ist Schattenboxen mit der Wirtschaft. Interessanter ist da schon der Einstieg in die Flexi-Rente. Sie ermöglicht es, dem zunehmenden Mangel an Fachkräften ein kleines Paroli zu bieten. Noch besser wäre es gewesen, die Lohnabhängigkeit der Rente in eine Einkommensabhängigkeit zu wandeln (wie in der Schweiz). Es wäre solider und gerechter und würde eine Sockelrente auf eine breitere Grundlage stellen. Aber für solche Fundamentalreformen hat diese Koalition zwar die Mehrheiten, aber ganz offensichtlich nicht die Kraft. Für die Reformanstrengungen in Europa ist das kein gutes Signal.

Weiterführende Links

Interview mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles im Deutschlandfunk:

www.deutschlandfunk.de/rentenpaket-dass-das-was-kostet-ist-klar.694.de.html

Interview mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung Carsten Linnemann,

www.deutschlandfunk.de/rentendebatte-fuer-die-sozialsysteme-nicht-gut.694.de.html

 

Zur Diskussion um die Sozialsysteme veranstaltet das Idaf zusammen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung am 24. Juni um 18.30 im Ketteler-Saal des Erbacher Hofs in Mainz einen Vortrags-udn Diskussionsabend unter dem Thema:

Sozialsysteme vor dem Zusammenbruch - Wie der Generationenvertrag wiederbelebt werden kann. Vorträge von Prof. Anne Lenze und Dr. Jürgen Borchert.

Programm unter typo3.i-daf.org/fileadmin/Newsletter-Druckversionen/2014/Einladung_240614.pdf

 

Abbildungen:

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Eine theoretische Frage die sich praktisch so nicht stellt.

Bekommen Migranten auch mit 79 Jahren Rente oder früher ? Sie sollen sich doch wohlfühlen,da wäre auch eine fette Pension ab 45 richtig oder.

Gravatar: Rüdiger Braun

Zitat:
" Kernstück des Pakets ist die Rente mit 63: Baby-Boomer der 1950er und 1960er Jahre (mithin etliche der derzeit aktiven Politiker) dürfen mit 63 in Rente gehen. Aufkommen dafür dürfen die Jüngeren, die selber erst mit 67 in Rente gehen können – ein Schlag ins Gesicht der Generationengerechtigkeit."

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Sind Sie sicher? Ich meine, haben Sie das auch wirklich recherchiert?

Ist es nicht vielmehr so, das die Rente 63, die vielmehr eine Rente 45 ist, nämlich eine Rente nach 45 Arbeitsjahren, im Zeitverlauf automatisch angepasst und mit dem Renteneitritssalter ansteigt bis auf 65 (zu 67 Renteneintrittsalter).
Ist es nicht vielmehr so das die 60er Geburtsjahrgänge zum Grossteil (ab 1963) erst mit 65 in die Rente mit 45 Arbeitsjahre einsteigen können und so schon wesentlich mehr leisten werden, nämlich 47-48 Arbeitsjahre.

Haben Sie wirklich recherchiert?

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