Gastbeitrag von Robert Royal

Lichter im Osten

Der Weltjugendtag war ein Zeichen der Hoffnung für die Welt.

Bild: 206 Tours
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[Wir veröffentlichen einen Gastartikel von Robert Royal* mit freundlicher Erlaubnis in eigener Übersetzung. Das Original hier zu finden.]

Letzte Woche haben sich über eine Million Jugendliche in Lissabon am westlichen Rand Europas zum Weltjugendtag (WJT) zusammengefunden. Trotz der Kontroversen darüber, ob dieser WJT der Evangelisierung dienen soll oder lediglich ein neutrales, synodenartiges »Zusammenkommen« ist, kann man sicher sein, dass das Ergebnis wie in der Vergangenheit eine bedeutende Begegnung mit Jesus und seiner Kirche sein wird.

Ebenfalls in dieser Woche treffen sich etwa zwei Dutzend christliche Dozenten und Studenten aus Europa, dem Vereinigten Königreich, Nord- und Südamerika am östlichen Rand Europas, genauer gesagt an der Grenze zur kriegsgebeutelten Ukraine, zum einundzwanzigsten jährlichen Sommerseminar über die freie Gesellschaft (FSS) in der Slowakischen Republik.

Der Terminkonflikt war nicht beabsichtigt und ist nicht dazu gedacht, die besseren Engel des WJT zu untergraben. Aber wir treffen uns, wie schon seit mehr als zwei Jahrzehnten, um tief in die katholische Soziallehre einzutauchen und darüber nachzudenken, wie ihre Prinzipien, die ihre Wurzeln in den besten säkularen und religiösen Gedanken und Erfahrungen haben, uns in die Lage versetzen könnten, trotz der sich abzeichnenden Hindernisse und Bedrohungen ein authentischeres menschliches - d.h. ein voll und ganz christliches - Leben zu führen.

Die FSS ist eine Idee von Michael Novak, dem großen slowakisch-amerikanischen Sozialdenker (und einem der Gründer von The Catholic Thing). Als wir anfingen, war es unser Ziel, Völkern wie den Slowaken und anderen zu helfen, die vom Kommunismus unterjocht und deren christliche Werte entstellt worden waren. Heute haben wir etwa 500 ehemalige Teilnehmer des Programms, die in ganz Europa, Amerika und sogar auf den Philippinen tätig sind und in der Regierung (sogar in der EU!), im Bildungswesen, in den Medien, in der Wirtschaft und in anderen Bereichen arbeiten - und geduldig die Saat für eine andere und bessere Zukunft legen.

Dies mag als ein zu gradueller Ansatz für verschiedene Krisen erscheinen, die zuweilen nach starken populistischen und anderen radikalen Maßnahmen zu rufen scheinen. Aber wie ich Studenten, Dozenten und jeden, der es hören will, gerne erinnere, wusste niemand, dass die Sowjetunion fallen würde, als sie es tat. Weder die CIA, noch der MI6, noch die schlauen Analysten an renommierten Universitäten und Think Tanks. Keiner. Aber einige wenige Persönlichkeiten - vor allem der heilige Johannes Paul II., Ronald Reagan und Margaret Thatcher - wussten, dass der Kampf letztlich menschlich und moralisch war. Das zusammengebrochene Sowjetrussland verfügte immer noch über Atomwaffen, tonnenweise hochmoderne Waffen, eine riesige Armee und ein Spionagenetz des KGB, das in der Lage war, den Gegner zu unterwandern und die eigene Bevölkerung zu unterdrücken. Und doch wurden sie von moralischen Argumenten - natürlich gestützt durch militärische Bereitschaft - überstimmt.

Seitdem hat sich vieles geändert, und auch unsere Seminardiskussionen haben sich weiterentwickelt. Aber vieles hat sich nicht geändert. Mir ist besonders aufgefallen, dass in diesem Jahr eine immerwährende Frage wieder aufgetaucht ist, wenn auch nicht in der gleichen Form wie während des Kalten Krieges.

Einfach ausgedrückt, stehen wir vor einer Frage, die unsere Zivilisation mindestens seit der Aufklärung und in mancher Hinsicht sogar seit der protestantischen Reformation plagt: Können echte Freiheit, menschliches Wohlergehen und eine erträgliche Gesellschaftsordnung ohne Gott existieren?

Ich bin beeindruckt, wie sehr sich unsere Teilnehmer - meist Studenten, junge Berufstätige und sogar ein Offizier der US-Armee im aktiven Dienst - der tiefen Wurzeln des Problems bewusst sind. Unsere Politiker, Medien und Akademiker halten die Idee für zu simpel, aber es ist einfach wahr, dass ohne Gott - und einen Gott, der ein Schöpfer ist und Logos, eine rationale Ordnung, in das Gefüge der von ihm geschaffenen Welt gelegt hat - warum sollten wir uns nicht an den verschiedenen Formen des sozialen Wahnsinns beteiligen, die wir um uns herum sehen?

Heutzutage hört man oft, dass selbst die grundlegendsten menschlichen Werte »sozial konstruiert« sind, was bedeutet, dass sie von Menschen in der Vergangenheit geschaffen wurden und von uns heute auf unterschiedliche Weise neu geschaffen werden können. Es ist eigentlich ziemlich logisch - ja fast unvermeidlich - alles auf diese Weise zu betrachten, wenn man den Gott der Natur aus der Gleichung herausnimmt.

Es ist fast unmöglich, diese Tatsache zu ignorieren, wenn es um Fragen wie den »Trans«-Wahn geht. Es ist weniger offensichtlich, wie verschiedene andere soziale Institutionen zerstört wurden, angefangen bei der Familie, aber auch die Kirche und sogar unsere weltlichen Institutionen, obwohl es einfacher ist, die kumulativen Auswirkungen zu sehen. Viele glauben, dass die Zerstörung vergangener Prinzipien und Grenzen zu radikaler menschlicher Freiheit und damit zu Zufriedenheit führt. Kaum ein vernünftiger Mensch würde behaupten, dass dies heute der Fall ist. Stattdessen fühlen sich die Menschen radikal entwurzelt und haben - abgesehen von ihren wechselnden Gefühlen - keine Anhaltspunkte dafür, wie sie ihr Leben leben sollen. Sie sprechen oft davon, dass sie ihre eigenen Länder nicht mehr wiedererkennen. Und sie sind nicht glücklich.

Einer der Texte, die die Schüler in diesem Jahr lesen, ist Carl Truemans Strange New World: How Thinkers and Activists Redefined Identity and Sparked the Sexual Revolution, in dem es um viel mehr geht, als der ehrgeizige Titel sagt. Zum Beispiel beginnt es so:

Viele von uns sind mit Büchern und Filmen vertraut, in denen die Hauptfiguren in einer Welt gefangen sind, in der sich nichts so verhält, wie sie es erwarten. Lewis Carrolls Alice im Wunderland und Alice hinter den Spiegeln sind vielleicht die klassischen Beispiele dafür in der Kinderliteratur. Aber auch in vielen anderen Werken ist dies ein gängiger Handlungsstrang. Von Franz Kafkas Der Prozess bis zur Filmreihe Matrix ist die dystopische Verwirrung ein fester Bestandteil unserer Kultur. Doch dieses Phänomen ist nicht mehr auf die fiktionalen Produkte unserer Zeit beschränkt. Für viele Menschen hat die westliche Welt, in der wir heute leben, eine zutiefst verwirrende und oft beunruhigende Qualität.

Hier in Mittel- und Osteuropa hat dieses verwirrende Phänomen noch nicht die Ausmaße erreicht, die es in den meisten Industrieländern hat. Und mehrere Länder, darunter die Tschechische Republik, Polen und Ungarn, sind bestrebt, dafür zu sorgen, dass dies nie geschieht. Deshalb bleiben wir bei der Aufgabe, solche Fragen in diesem Teil der Welt zu erörtern - die Peripherie, von der aus vielleicht etwas gesündere Winde zu unseren westlicheren, verwirrteren Völkern wehen.

*Robert Royal ist Chefredakteur von The Catholic Thing und Präsident des Faith & Reason Institute in Washington, D.C. Seine jüngsten Bücher sind Columbus and the Crisis of the West und A Deeper Vision: Die katholische intellektuelle Tradition im zwanzigsten Jahrhundert.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Otto Koloni

Seit Jahren schreibe ich auch: die Sonne steht im Osten auf.
Meine ich auch, daß weiter von Europa wird immer besser und weniger perverser.
In D. Osten geht auch die Sonne zuerst auf.
So soll es sein.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

… „Deshalb bleiben wir bei der Aufgabe, solche Fragen in diesem Teil der Welt zu erörtern - die Peripherie, von der aus vielleicht etwas gesündere Winde zu unseren westlicheren, verwirrteren Völkern wehen.“ …

Ja mei: „Vielleicht“!

Dabei stellen sich natürlich auch ´einem wie mir` die Fragen:

„Hat Jesus eine Kirche gewollt? Und diese?“??
https://www.kath.ruhr-uni-bochum.de/imperia/md/content/nt/nt/kircheimneuentestament-paulinischeekklesiologie/jesus_und_die_kirche_karlsruhe_2010.pdf

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