Gastbeitrag von Robert Royal

Der Franziskus-Effekt, zehn Jahre danach

Obwohl er immerfort von »Barmherzigkeit« spricht, ist Papst Franziskus einer der autoritärsten Päpste des 20. und 21. Jahrhunderts. Ein Fazit.

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[Wir veröffentlichen einen Gastartikel von Robert Royal* mit freundlicher Erlaubnis in eigener Übersetzung. Original hier zu finden.]

Am 13. März vor zehn Jahren, auf die Stunde genau (wegen der Zeitverschiebung), arbeitete ich in der Lobby des Atlante Star Hotels in Rom an einem Artikel über das Konklave 2013 für diese Website.  Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als der große Flachbildfernseher dort den weißen Rauch zeigte, der aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle kam - und das Hotelpersonal anfing zu schreien: »É l'americano!« Sie hatten sich geirrt. Es war nicht - wie sie erwartet hatten - der New Yorker Kardinal Timothy Dolan, dessen große Persönlichkeit in den italienischen Medien großen Eindruck gemacht hatte.

Die Leute rannten zum Petersplatz. Mich eingeschlossen. Ich wollte ein solch seltenes Ereignis mit eigenen Augen sehen, bevor ich zum Dachstudio ging, um meine Pflicht als Teil der »EWTN Konklave-Crew« (Vorläufer der »Papst-Posse«) zu erfüllen. Der Petersdom ist einer der größten Plätze in Europa, aber er füllte sich fast augenblicklich. Es regnete und war laut, und es war fast unmöglich, die Loggia der Basilika durch den Wald von Handys und iPads zu sehen, die die Leute hochhielten, als Jorge Mario Bergoglio, jetzt Papst Franziskus, herauskam.

Die Wahl eines Papstes ist immer eine Überraschung, fast ein Mysterium, aber dieses Mal war es ganz besonders, denn niemand hatte erwartet, dass er es sein würde. Er setzte sofort einen persönlichen Akzent. Johannes Paul II. hatte bekanntlich verkündet: »Habt keine Angst!« Benedikt XVI., ein weniger demonstrativer Mann, sagte schlicht und einfach: »Liebe Brüder und Schwestern«, nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Kardinäle mich gewählt, einen einfachen, bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Die ersten Worte von Franziskus waren: »Buona sera«. In diesem Moment war es eine charmante Lässigkeit. Trotz vieler späterer Berichte über ein feuriges lateinisches Temperament ist es klar, dass Papa Bergoglio eine bemerkenswerte Fähigkeit hat, seinen Charme einzusetzen, wenn er will.

Die Menschen begannen, vom »Franziskus-Effekt« zu sprechen, von der Hoffnung, dass eine weniger »verurteilende« und einladendere Kirche Außenseiter anziehen und den evangelikalen Eifer neu entfachen würde. Ich selbst dachte schon vor Beginn des Konklaves, dass wir vielleicht einen pastoralen und keinen lehrenden Papst brauchen, der das große intellektuelle und soziale Erbe von JPII und Benedikt überall in der Kirche, bis hinunter auf die Gemeindeebene, umsetzen würde. Und für einen kurzen Moment sah es so aus, als hätten wir genau das bekommen.

Zumindest war das das Bild, das Franziskus in diesen ersten Tagen in den Medien aufrechterhielt. Aber gerade bei den Medien, von denen er einige Tage nach seiner Wahl Tausende zu einem besonderen Treffen einlud, traten andere Züge zutage. Er lobte die anwesenden Journalisten dafür, dass sie erkannt hatten, dass die Wahl ein geistlicher und nicht nur ein politischer Prozess war. Bei EWTN haben wir das erkannt, aber fast alle anderen "Journalisten" waren nur an Abtreibung, Schwulen und weiblichen Priestern interessiert. Dennoch war es ein geschickter Einstieg, der eine Gruppe, die der Kirche größtenteils feindlich gesinnt war, für einen Moment in seinen Bann zog.

Dann nahmen die Dinge eine unheilvolle Wendung. Er erklärte - jetzt auf Spanisch vor den versammelten Journalisten -, dass er wisse, dass viele in der Menge nicht gläubig seien, und sagte, er werde seinen apostolischen Segen nicht nach außen geben, sondern ihn nur im Stillen sprechen. Er neigte für einige Augenblicke den Kopf und verließ dann die Bühne.

Damals wollte ich denken, dass dies eine kluge Evangelisierungsstrategie sein könnte, die gute Auswirkungen haben könnte. Aber nach einer mehrmonatigen Schonfrist, in der es immer schwieriger wurde, herauszufinden, was Franziskus genau vorhatte, wurde klar, dass die Presse - und die Welt - seine Gesten in eine andere Richtung deuteten: als Zeichen, dass dieser neue Pontifex ein Nichtkämpfer im "Kulturkampf" sein würde.

In der Tat tadelte er schon früh - ohne die Feindseligkeit zu übersehen - jene Katholiken, die er als beharrlich und besessen in Bezug auf Abtreibung, Homosexuelle und all die anderen üblichen Konfliktpunkte einstufte und die eine Bedrohung für die Kirche darstellten. Er betonte die Notwendigkeit der Barmherzigkeit nicht nur als theologische, sondern auch als praktische Angelegenheit: »Andernfalls droht sogar das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammenzufallen.«

Dieses seltsame Urteil kam, gelinde gesagt, bei glühenden Katholiken nicht gut an, die sich für die Verteidigung der Kinder im Mutterleib und der Ehe aufgeopfert hatten - und die in den letzten zehn Jahren an mehreren Fronten erfolgreich waren, ohne dass die Kirche merklich Schaden genommen hätte.

Und seither ist eine verwirrende Zweideutigkeit der Modus Operandi gewesen. Franziskus hat zum Beispiel mehrfach gesagt, Abtreibung sei »wie die Beauftragung eines Auftragskillers, um ein Problem zu lösen.« Er hat tatsächlich Auftragskiller in Süditalien exkommuniziert, aber wenn es um das weltweite Abschlachten von Unschuldigen geht - mehr als 60 Millionen Jahr für Jahr - hat er wenig getan.

Dasselbe gilt für LGBT-Fragen. Erst vor drei Tagen sagte er in einem Interview mit der argentinischen Zeitung La Nación zu Recht: »Die Gender-Ideologie ist heute eine der gefährlichsten ideologischen Kolonisationen. Warum ist sie gefährlich? Weil sie die Unterschiede und den Wert von Männern und Frauen verwischt.«

Ganz recht, und wenn wir ideologische Killer und ideologische Gender-Kolonisatoren haben, die in großer Zahl vor allem in den Industrieländern umherlaufen und versuchen, ihre Vorherrschaft über internationale Institutionen überall auszudehnen, dann sollte die »Barmherzigkeit« - wenn sie wirksam sein soll, um die Unschuldigen zu schützen, und nicht bloßes Gerede - die Kirche dazu bringen, etwas Konkretes zu tun, um sie aufzuhalten. Vielleicht sogar ein wenig besessen.

Eine der sauren Früchte der übermäßigen Betonung der Barmherzigkeit ist ganz offensichtlich in der Art und Weise, wie sich die »Synodalität« in der Kirche entwickelt.  Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Wunsch, barmherzig zu sein - den Sündern den Vorzug zu geben - und, sagen wir, dem Synodalen Weg der deutschen Bischöfe, der bereit ist, einige Dinge zu zelebrieren, die die Kirche schon immer zu Sünden erklärt hat. Und die deutsche Synode ist nur der offenste Vorgeschmack auf das, was bei den weltweiten Synoden im Oktober dieses Jahres und im Oktober 2024 sehr wahrscheinlich passieren wird.

Die Barmherzigkeit war auch in den Päpsten Johannes Paul II. (siehe sein Dives in Misericordia, d.h. »Reich an Barmherzigkeit«) und Benedikt XVI. recht präsent (»Die Barmherzigkeit ist in Wirklichkeit der Kern der Botschaft des Evangeliums; sie ist der Name Gottes selbst, das Gesicht, mit dem er sich im Alten Testament und in Jesus Christus, der Inkarnation der schöpferischen und erlösenden Liebe, voll und ganz offenbart.«). Aber in den letzten zehn Jahren hat sich der Begriff in etwas anderes verwandelt: »Inklusion« und »Offenheit«, in der aktuellen säkularen und nicht in ihrer authentischen christlichen Bedeutung - im Gegensatz zum historischen Christentum.

Was ist also nach zehn Jahren »der Franziskus-Effekt«? Auf der einen Seite steht eine bescheidene Reform der vatikanischen Finanzen, aber auch eine Finanzkrise, die möglicherweise die anhaltenden Sorgen der Laien darüber widerspiegelt, wohin das Geld fließt. Und es gibt einige Verbesserungen im Umgang mit sexuellem Missbrauch, auch wenn die Sonderbehandlung der Freunde des Papstes - sogar des satanischen Marko Rupnik - die Bemühungen nicht gerade als ernsthaft erscheinen lässt.

Es ist schmerzhaft für einen Katholiken, das sagen zu müssen, aber es muss aus Treue zur Wahrheit gesagt werden: Der Franziskus-Effekt hat zu einer Kirche geführt, die nicht, wie erhofft, Menschen von außen angezogen hat und die diejenigen innerhalb der Kirche noch verwirrter und gespaltener zurückgelassen hat.

*Robert Royal ist Chefredakteur von The Catholic Thing und Präsident des Faith & Reason Institute in Washington, D.C. Seine jüngsten Bücher sind Columbus and the Crisis of the West und A Deeper Vision: Die katholische intellektuelle Tradition im zwanzigsten Jahrhundert.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hein

Werden die Kinderschändungen die dieser Verein bis heute vor- und durchexerziert dann auch als "barmherzig" beschrieben intern?

Wenn ich auf der Straße bin und 10 Menschen frage, was halten sie von der katholischen Kirche, werden sicher 8 von ihnen sagen, lassen sie mich mit den Kinderschändern bloß in Ruhe.

Gravatar: Karl Biehler

Der Leibhaftige wird ihn noch nicht holen. Erst muss er noch "sein" Werk beenden.

Gravatar: Hajo

Der Vatikan ist schon längst vom grünen westlichen Zeitgeist vereinnahmt und der südamerikanische Papst war nur noch der linke Deckel, der darauf gesetzt wurde, während die konservative Seite nur noch die Wahl hat, entweder mit den Wölfen zu heulen oder sich in Armut zu verselbstständigen, wo sie dann von der Ausgangslage der Kirche sich selbst wieder am nähesten wären.

Das Überlebensmodell der römischen Kurie war in dieser Frage von anfang an falsch eingefädelt worden, denn entweder hat man einen Standpunkt oder man hat ihn nicht, mal ganz von dem abgesehen, daß Gott und seine Gebote nicht reformierbar sind, denn das macht ja seine Allmacht gerade aus und seine Stellvertreter wären gehalten sich an seine Anweisungen zu halten und nicht an die der Atheisten, die schon lange davon träumen die katholische Kirche als letztes Hindernis für eigene Träume zu schleifen.

Lieber ein weiteres Schisma, als mit Häretikern an einem Tisch zu sitzen, denn der Herr wurde nicht nur einmal verraten und heute stehen wir wieder vor der gleichen Frage und davor sollte man sich nicht drücken, wenn man von der eigenen Berufung überzeugt ist.

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