Freie Welt – Geschichte

4. Juni 1942 – Midway

Vor 80 Jahren trafen in Weiten des Pazifik die Flugzeugträger der amerikanischen und japanischen Flotten aufeinander.

Schwere Kreuzer Mikuma, Naval History & Heritage Command
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Es ist in Europa üblich, über die angebliche Unwissenheit der Amerikaner zu lästern. Dabei könnten die meisten, sagen wir, Deutschen, Franzosen oder Italiener, den Ort der wichtigsten Seeschlacht des Zweiten Weltkriegs weder nennen noch auf einer Karte zeigen: Midway. Eine Insel knapp 2.000 Kilometer westlich von Hawaii.

Nordwestlich von Midway, einem Atoll, das aus zwei kleinen Inseln besteht, fand vor 80 Jahren zwischen der US-Navy und der Kaiserlichen Japanischen Marine die Seeschlacht statt, die den Pazifischen Krieg entschied. Bis dahin hatten die Schiffe Nippons praktisch in jeder Seeschlacht gesiegt. Ja, es hatte kleinere Rückschläge gegeben. Nichts ernstes, wie es schien. Die Südostasiatische Wohlstandssphäre unter der Ägide des japanischen Kaisers war im Frühjahr 1942 im wesentlichen erobert.

Erst ein Luftangriff amerikanischer Bomber auf Tokio und das Ziel, die Reste der US-Flotte im Kampf zu vernichten, führte zur Idee eines Angriffs auf das Atoll. Der Aufmarsch der japanischen Flotte war umfassend und kompliziert. Zum eigentlichen Hauptangriff kam ein Ablenkungsangriff auf zwei Inseln in Alaska. Die anmarschierenden Verbände waren zudem über einen riesigen Raum im Nordwestpazifik verstreut.

Die Hauptmacht bildeten vier Flugzeugträger unter dem Kommando des in Pearl Harbor so erfolgreichen Admiral Nagumo. Begleitet wurden sie im Abstand von mehreren hundert Seemeilen von Verbänden aus Schlachtschiffen, Kreuzern und einem Konvoi aus Transportern mit Truppen. Midway sollte nicht nur angegriffen, sondern zudem erobert werden. So war der Plan.

Doch der Plan hatte Schwächen. Schwächen, um die auch die japanische Marineführung wusste. Allerdings ignorierte sie jede Kritik. Die Männer um Admiral Yamamoto waren sich ihrer Sache sicher. Zu sicher, wie sich zeigen sollte.

Anders als der japanische Planungsstab annahm, war die US-Navy gewarnt. Dank einer bemerkenswerten Analysearbeit, war es ihren Funkaufklärern gelungen, den Marinecode der Japaner wenigstens in Teilen zu knacken und eine ungefähre Ahnung von den Absichten zu erlangen. Nachdem sie mit einem filmreifen Trick das Angriffsziel der japanischen Flotte erfuhr, machte die US-Navy sich bereit.

Und anders als die Planer aus der kaiserlichen Marineschule auf Etajima, setzte der Kommandierende der Pazifikflotte Chester Nimitz alles daran, alles vor Ort aufbieten zu können. Eigentlich standen ihm nach der Versenkung der ›Lexington‹ und der Beschädigung der ›Yorktown‹ lediglich zwei Flugzeugträger zur Verfügung. Drei Monate würden die Reparaturen dauern, hieß es bei der Ankunft der ›Yorktown‹ in Pearl Harbor. Tatsächlich war das Schiff nach drei Tagen einsatzbereit.

Wie anders die Japaner. Sie ließen zwei ihrer großen Träger zurück. Mit im Grunde guten Gründen: Der eine war schwer beschäftigt, dem anderen fehlten die Flugzeuge, die hätten eingesetzt werden können. Schlechte Omen der Zukunft.

So standen sich am frühen Morgen des 4. Juni vier japanische und drei amerikanische Flugzeugträger mit ihrer direkten Begleitung gegenüber. Zusätzlich besaßen die US-Verbände Unterstützung aus Midway. Weil sie frühzeitig von den Absichten ihres Gegners wussten, hatte die USA Zeit, die Insel aufzurüsten. Doch was nach einem zahlenmäßigen Gleichgewicht aussieht, war keines. Der weitaus größte Teil der amerikanischen Maschinen war alt und seinen japanischen Gegenstücken technisch unterlegen. Die Qualität der Piloten auf den Trägern ›Akagi‹, ›Kaga‹, ›Soryu‹ und ›Hiryu‹ machten daraus ein weit überlegen.

Was dann folgte, gehört in seiner dichten zeitlichen Folge wohl zum dramatischsten, was die Kriegsgeschichte erzählt. Am frühen Morgen steigen zunächst etwa die Hälfte der japanischen Bomber begleitet von Jägern auf, um Midway anzugreifen. Zeitgleich schicken die begleitenden Kreuzer Aufklärungsmaschinen los, um eventuell in der Nähe liegende Feindverbände aufzuspüren.

Da haben US-Aufklärer die japanische Flotte schon lange entdeckt. Ab etwa viertel vor sechs beginnen erste Angriffe gegen die vier Flugzeugträger. Um kurz nach sieben, mittlerweile sind die Maschinen, die Midway angreifen, wieder auf dem Rückflug zu ihren Trägern, greifen zwei weitere Wellen amerikanischer Bomber und Torpedobomber die vier Träger an. Vergeblich.

Was an Bord der Träger mittlerweile jeder ahnt, wird um etwa 7:45 bestätigt: Wahrscheinlich feindliche Schiffe sind im Nordosten. Während die nächsten Wellen amerikanischer Flugzeuge ab kurz vor acht Uhr wiederum erfolglos angreifen erfährt Nagumo, dass ein Flugzeugträger den entdeckten Verband begleitet.

Hätte der japanische Kommandierende die andere Hälfte seiner Kampfmaschinen angriffsbereit in den Hangars seiner Träger zur Verfügung gehabt, stünde es schlecht um die Entdeckten. Doch die Reserve hatte im Laufe des Morgens die Order erhalten, von Seezielen auf Landziele umzurüsten, weil ein zweiter Angriff gegen Midway notwendig ist. Nun wurde neuerlich auf Seeziele umgesattelt. In den Hangars machte sich Unordnung breit. Und da alles schnell gehen musste, blieben Torpedos und Bomben neben den Flugzeugen liegen.

Mitten in der dritten Angriffswelle der Amerikanischer treffen die japanischen Angriffsverbände aus Midway bei ihren Trägern ein und wollen möglichst bald landen. Ein Unding während des Angriffs. Erst mit dem Ende der amerikanischen Angriffe stehen die vier Decks ab etwa 8:40 den Rückkehrern zur Verfügung.

Nachdem gegen 9:20 alle Flugzeuge gelandet und unter Deck verbracht worden sind, greifen die Amerikaner schon wieder an. Auch diese vierte Welle erzielt in der nächsten Stunde zunächst nicht einen einzigen Treffer. Aber sie sorgt zum einen dafür, dass die zweite japanische Angriffswelle nicht an Deck ihrer Träger gebracht werden kann. Zum anderen zieht sie die Jäger, die zum Schutz über den Trägern kreisen, auf die Höhe der See.

Mittlerweile sind die vier Träger und ihre Begleitung über einen Abstand von etwa 10 Kilometern verteilt. Eine Koordination der japanischen Verteidigung ist kaum noch möglich. Da die US-Maschinen in den vorherigen Stunden jedoch keine Treffer erzielten, bleibt man auf den Brücken von ›Akagi‹, ›Kaga‹, ›Soryu‹ und ›Hiryu‹ angespannt aber zuversichtlich. Nach diesem Angriff würden die eigenen Maschinen gestartet und das Schicksal der zwar tapferen, aber dilettantisch operierenden US-Verbände wäre besiegelt.

Doch der Kriegsgott ist an diesem 4.Juni lang genug mit den Söhnen Nippons gewesen. Jetzt wendet er sich von ihnen ab.

Um 10:25 stürzen Bomber der amerikanischen Träger fast senkrecht in Richtung der japanischen Decks. 5 Treffer auf ›Kaga‹, 3 Treffer auf ›Soryu‹ und ein Treffer auf ›Akagi‹ besiegeln das Schicksal der Kaiserlichen Japanischen Marine und mit ihr das Japans in nur fünf Minuten. Allein ›Hiryu‹ kommt zunächst ungeschoren davon.

Die Treffer sind tödlich! Selbst der eine auf der ›Akagi‹. Denn noch immer stehen die Maschinen der zweiten Welle dicht an dicht unter Deck neben den Bomben, die für die Angriffe auf Midway bereitgestellt waren. Vollgetankt und teilweise munitioniert, verwandeln sie jeden der drei Träger in wenigen Sekunden in eine lodernde Hölle. Sämtliche verzweifelten Versuche, auch nur eines der Schiffe zu retten, scheitern in den folgenden Stunden.

Bis zum nächsten Morgen wird auch der vierte japanische Träger versenkt. Dass drei Tage später die ›Yorktown‹ durch ein U-Boot versenkt wird, ist nur ein schwacher Trost. Zugleich verlieren die Japaner als Folge eines Ausweichmanövers den Schweren Kreuzer ›Mikuma‹. Die Bilder seiner Agonie in den Weiten des Pazifik gehören zu den meistgezeigten des Zweiten Weltkriegs.

Midway bringt vieles zusammen, was dank des unermüdlichen Verlangens insbesondere auf amerikanischer Seite, ihren ehemaligen Gegner kennen und verstehen zu lernen, sehr gut dokumentiert ist. Dass sich einige Legenden bis weit über 60 Jahre nach der Schlacht hielten, spricht nicht dagegen, sondern zeigt, wie sehr Kriegsgeschichte auch Geschichte erzählen bedeutet: Bis 2006 wurde geschrieben, um 10:25 hätten die Maschinen der zweiten japanischen Angriffe startbereit auf den Decks der Träger gestanden, was nachweislich falsch ist – aber es klingt eben dramatisch.

Midway brachte auch zwei Kulturen zusammen. Eine rücksichtslos auf Angriff getrimmte Samurai-Tradition, die am 4. Juni 1942 grundsätzlich scheitert, weil sie der Verteidigung und Sicherheit zu wenig Raum eingeräumt hatte. Eine hemmungslos auf Trial and Error setzende Siedlermentalität, die nahe daran war, katastrophal vor Midway zu scheitern.

Das nach dem Liebesglück wankelmütigste Glück war im Spiel: Das Kriegsglück. Da sind die zwei japanischen Aufklärer, von denen der eine die amerikanischen Träger hätte finden müssen aber nicht fand, und der andere, der die Amerikaner nur fand, weil sich sein Start verzögerte und er über dem Seegebiet erschien, in dem die US-Schiffe operierten. Da ist der US-Pilot, der nicht weiß, wo die gesuchten feindlichen Träger liegen und zufällig einen Zerstörer entdeckt und ihm folgt. Da sind die japanischen Piloten, die zweimal den gleichen Träger angreifen und die amerikanischen, die die japanischen Träger erst gar nicht finden. Da sind die US-Piloten, die ihr Glück, die Japaner zu finden, mit dem Leben bezahlen, ohne einen einzigen Treffer zu landen. Und die japanischen Mannschaften, die in den Tiefen ihrer Träger um das Überleben der Schiffe kämpften, und verbrannten oder erstickten oder schließlich ertranken.

In der Geschichte bleibt Midway eine Seeschlacht, die den Krieg im Pazifik zu Gunsten der westlichen Alliierten entschied und das waren ganz zuerst die Amerikaner. Sie haben in denkbar schlechter Ausgangslage gegen einen in jeder Hinsicht weit überlegenen Gegner gesiegt. Von wegen, Amerikaner könnten nicht kämpfen, Japaner wären unfähig, ein Flugzeug zu fliegen. Ein Sieg der Kaiserlichen Japanischen Marine hätte wahrscheinlich die Anstrengungen der USA mehr in den Pazifik gelenkt. Er hätte Japan Möglichkeiten im Indischen Ozean eröffnet. Doch so, nach Midway, konnten die verbliebenen japanischen Mannschaften nur weiter kämpfen und taten es auch. Von der Niederlage am 4. Juni 1942 erfuhren sie erst nach dem Krieg und in den vielen Gesprächen mit ihren ehemaligen amerikanischen Gegnern, aus denen nicht selten Freundschaften wurden.

[Wolfgang Hebold]

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Doch der Kriegsgott ist an diesem 4.Juni lang genug mit den Söhnen Nippons gewesen. Jetzt wendet er sich von ihnen ab.“ ...

Wird sich der „Kriegsgott“ aber auch vom „Bären“ abwenden, wenn er wahr macht, was Putin bei westlicher Lieferung von Langstreckenraketen an die Ukraine scheinbar versprach?
https://www.anti-spiegel.ru/2022/droht-russland-mit-der-versenkung-eines-us-flugzeugtraegers/?doing_wp_cron=1654368272.3104529380798339843750

Wurden die auch m. E. von diesem Melnyk Andrij Jaroslawowytsch so diplomatisch(?) beleidigenden „Bitten“ etwa per US-Diktat derart vorgetragen
https://opposition24.com/meinung/entweder-bitten-oder-beleidigen-beides-passt-nicht-zusammen-herr-melnyk/,
weil die Verzweiflung diesem Biden & Co. auch aus meiner Sicht längst ins Gesicht geschrieben steht?
https://www.handelsblatt.com/politik/international/verteidigungspolitik-schreckenswaffe-fuer-us-flugzeugtraeger-russland-ruestet-massiv-auf/27929394.html

Darf ich deshalb vermuten, dass dieses Melnyk ganz einfach nur per US-Druck ´funktionierte`, da die ´tatsächlichen` Interessen der Ober-Amis an diesem Krieg für die Öffentlichkeit sicherlich ´nich so ganz` gedacht sind???
https://www.youtube.com/watch?v=5fTtXTfUl8A

Gravatar: Markus Hermes

Vielen Dank für die spannende Aufarbeitung ! Auch ich war bislang im Glauben gewesen, die japanischen Bomber wären beim Angriff um 10:30 auf den Decks der Träger gestanden.

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