Interview mit dem Lateinamerika-Experten René Fuchslocher

Unkontrollierte Einwanderung: Die Wurzel des argentinischen Debakels

Im Gegensatz zu den USA hatten die großen Einwanderungsphasen in Argentinien sich zu massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Langzeitfolgen geführt. Für Professor Gabriel Berczely hat besonders die Einwanderung zwischen 1880 und 1910 zu Folgen geführt, die bis heute spürbar sind.

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Freie Welt: Herr Fuchslocher, wie erklären Sie die schreckliche wirtschaftliche Situation Argentiniens, nachdem es doch einst das reichste Land der Welt war?

René Fuchslocher: Zwischen 1850 und 1900 brach Argentinien mit 5% pro Jahr einen Weltrekord von 50 ununterbrochenen Wachstumsjahren in einem weltweiten Wachstumskontext von unter 1%. Das Land war nicht nur eine landwirtschaftliche und eine Viehmacht geworden, sondern auch eine industrielle. Trotz allem, was angenommen wird, war die Industrie mehr als die Landwirtschaft gewachsen und wurde zu einer Weltreferenz. 1889 konnte sich der argentinische Industriepavillon auf der Universal Expo in Paris deutlich von den anderen abheben.

Gegenwärtig ist Argentinien nach Venezuela die zweitschlechteste Volkswirtschaft der Welt. General Perón, der 1946 an die Macht kam, wird normalerweise für den Beginn des Debakels verantwortlich gemacht. Für den chilenisch-argentinisch-ungarischen Professor Gabriel Berczely war die Wurzel jedoch der Tsunami der Einwanderung, der das Land zwischen 1880 und 1910 traf.

Zwischen 1880 und 1910 kamen 2,5 Millionen Einwanderer nach Argentinien, wo es kaum 2 Millionen Einwohner gab. Die Neuankömmlinge bildeten eine mächtige städtische Mittelschicht, die es vorher nicht gab und starken Spannungen im politischen und wirtschaftlichen System Argentiniens hervorrief, indem sie soziale und wirtschaftliche Bestrebungen über jede wirtschaftliche Möglichkeit hinaus aufzwingen wollten. Ganz anders war der Fall in den Vereinigten Staaten, wo eine ähnliche Anzahl von Einwanderern in ein Land mit damals 63 Millionen Einwohnern integriert wurde, mit hoch entwickelten sozialen Schichten und einer soliden Kultur, die von Einwanderern gestärkt werden konnte, sich aber nicht änderte.

Diese neue argentinische Mittelschicht brachte Hipólito Yrigoyen 1916 zur Präsidentschaft. Er förderte - unter dem Druck der Masse der Einwanderer - soziale und wirtschaftliche Reformen, die auf die Umverteilung des Wohlstands durch Subventionen, Wohlfahrt, Protektionismus und eine starke Ausweitung der öffentlichen Beschäftigung abzielten. Dies durch einen starken Anstieg der mit Inflation und Verschuldung finanzierten öffentlichen Ausgaben.

Freie Welt: Wie erklären Sie, dass sich seitdem nichts geändert hat?

René Fuchslocher: Perón kristallisierte die nationale Kultur heraus, die den Wohlfahrtsstaat bestätigt, den Weltimperialismus für die argentinischen Krankheiten verantwortlich macht und es ermöglicht, Rechte ohne entsprechende Verpflichtungen zu fordern.

Von allen künftigen Präsidenten war Carlos Menem der einzige, der versuchte, den argentinischen Markt zu öffnen, aber er begleitete dies mit enormen öffentlichen Ausgaben und populistischer Politik im treuesten peronistischen Stil, so dass er das öffentliche Erbe niemals ausgleichen konnte.

Dann kamen die Kirchners, die auch Peronisten genannt werden, aber politisch sich ganz links befinden, und der Populismus hörte nicht auf. Zuerst war es Néstor, dann Cristina und jetzt Máximo, ihr Sohn, der bereits wie ein Kandidat für die Casa Rosada klingt. Der derzeitige argentinische Präsident Alberto Fernández hat es bereits gesponsert und gesagt: »Ich hoffe, Máximo Kirchner ist der nächste Präsident.« Dazwischen hatte die frühere Regierung von Mauricio Macri - von seinen Gegnern als neoliberal bezeichnet - die Gelegenheit, das peronistische Klientelgerüst abzubauen, wagte dies jedoch nicht und scheiterte wirtschaftlich kläglich.

Freie Welt: War die Pandemie ein entscheidender Faktor für das Debakel der argentinischen Wirtschaft?

René Fuchslocher: In Wahrheit haben das Coronavirus und eine strenge Quarantäne nichts Neues gebracht, sondern die Krise beschleunigt und verschärft, die bereits die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft erschwert und die Widersprüche des vom Kirchnerismus auferlegten Modells verschärft hat. Es war nie klar, ob die derzeitige Regierung kommen würde, um dieses Modell und seine Feier des Staates wiederzubeleben oder den Peronismus mit den Produktivkräften in Einklang zu bringen, um wieder einen lebensfähigen Kapitalismus zu fördern, der wachsen und gleichzeitig Steuern zahlen kann.

Der imaginäre Fluchtweg, um dieses Dilemma nicht zu bewältigen, bestand darin, die Auslandsschulden nicht mehr zu bezahlen. Das sollte ausreichen, sagte Präsident Fernández im vergangenen Dezember und erhielt die Zustimmung des Internationalen Währungsfonds (IWF), aber es würde nur ausreichen, damit das Land noch eine Weile überleben kann. Unterdessen ist das Land weiterhin einer ständigen Einwanderung ausgesetzt, hauptsächlich aus den ärmsten Ländern des Kontinents, die sich aus ungelernten Arbeitern zusammensetzt. Gleichzeitig haben sich viele argentinische Fachleute und Geschäftsleute auf den Weg gemacht, um im Ausland, vor allem in den USA und in Europa, neue Horizonte zu suchen.

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René Fuchslocher wuchs in Osorno auf, wo er auch die Deutsche Schule besuchte. Anschließend studierte er an der Universidad Católica de Chile Jura und machte sein Magister in Steuerrecht an der Universidad Adolfo Ibáñez. Seit dreizehn Jahren wohnt er in Puerto Montt, wo er mit seinen Geschäftspartnern die Kanzlei Fuchslocher, Bogdanic & Asociados und die Immobilienentwicklungsfirma Alpina gegründet hat. Dazu ist der 41-Jährige Mitglied in verschiedenen Institutionen der deutsch-chilenischen Gemeinschaft: des Deutschen Vereins zu Puerto Montt, der Corporación de Beneficencia Osorno (Deutsche Klinik in Osorno), des Deutschen Turnvereins zu Llanquihue, der Deutschen Schule zu Puerto Montt sowie Vorstandsmitglied von Agrollanquihue A.G. (Verband der Landwirte der Provinz Llanquihue).

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Unmnesch

Umverteilung ist halt nur ein anderes Wort für Raub.

Gravatar: Hartwig

Argentinien ist in den Händen der Freimaurer.

Und die von gewissen Kreisen erwünschte "illegale" Einwanderung von schwach qualifizierten Menschen, sichert den Linken die "ewige" Macht.

Linke sind faul, inkompetent, dumm, egoistisch, neidisch, lügen und bereichern sich sehr gern, zum Nachteil der Allgemeinheit. Vitamin B bestimmt den Rest.

Heute hat Argentinien angeblich etwas über 40 Millionen Einwohner. Die linke Oberschicht lebt sehr gut und will, das alles so bleibt. Der Kuchen soll unter deren Kontrolle bleiben. Die Krümmel bekommt das Volk.

Ohne eine unabhängige, kontrollierende Instanz, kann man dieses korrupte Netz nicht hochnehmen.

Die Österreichische Wirtschaftsschule (Austrian School) um Ludwig von Mises, Hayek, hatte sich mit Argentinien beschäftigt. Die korrupten Herrscher wollten diese vorzügliche Schule nicht, weil sie für deren Macht gefährlich wäre.

So dümpelt die Nation halt vor sich hin.

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Im Gegensatz zu den USA hatten die großen Einwanderungsphasen in Argentinien sich zu massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Langzeitfolgen geführt. Für Professor Gabriel Berczely hat besonders die Einwanderung zwischen 1880 und 1910 zu Folgen geführt, die bis heute spürbar sind.“ ...

Ist es auf Grund der von Drehhofer, Söder & Co. unterstützten - auch in meinen Augen total
vermerkelten - Politik etwa möglich, dass man in Argentinien nun panische Angst davor bekommt,
die Migration von indigen Deutschen nach
Argentinien am Beispiel vom Anfang der 1920er
Jahre könnte sich nun wiederholen???
https://www.uni-bielefeld.de/ias/pdf/despina.pdf

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