Interview mit Wolfgang Schröter

»Staatsschulden als risikofrei definiert – ein Fehler!«

Wie kam es zur Schuldenkrise? Bankmanager Wolfgang Schröter zieht im Interview Bilanz: In den achtziger Jahren haben die OECD-Staaten die Weichen im Finanzbereich falsch gestellt.

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FreieWelt.net: Sie waren fast dreißig Jahren im Bankgewerbe tätig. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Wolfgang Schröter: In der Zeit zwischen 1980 und heute fand die größte Transformation des Bankgeschäfts der jüngeren Neuzeit statt. Aus Einlagen- und Kreditinstituten, die mit ihrem »guten Namen« und ihrer Bilanz gehaftet hatten, wurden zunehmend Verkaufsstellen für neue Teilnehmer in den Finanzmärkten, bekannt als Schattenbanken. Ein Großteil der Banken entwickelte sich zu Dienstleistern für Hedgefonds, Investmentfonds, für die Staaten sowie für die aufstrebenden Geld- und Kapitalmärkte.

FreieWelt.net: Wie lief diese Transformation konkret ab?

Wolfgang Schröter: Von nun an handelten Banken Wertpapiere und entwickelten Produkte, die nicht mehr auf ihrer Bilanz, sondern weitgehend in den Büchern Dritter landeten. Entscheidend dabei: Die Dienstleistungs-, die Risiko- und die Haftungsfunktion wurden dabei auseinandergerissen. Die Gewinne der Banken stiegen, mit ihnen die Boni und die Verschuldungsgrade – bis 2007/8 das Kartenhaus unhaltbarer Kredite und Wertpapiere in der größten Finanzkrise aller Zeiten in sich zusammenbrach. Seitdem leben wir in einer Zeit der Neuregulierung und einer anhaltenden Unsicherheit in das Vertrauen der Geschäftsmodelle von Banken. Es wird lange dauern, bis wieder eine neue »Normalität« bei Kreditinstituten angebrochen sein wird. Und niemand weiß, wie erfolgreiche, stabilere Banken von morgen aussehen werden. Die aktuellen Auseinandersetzungen in der Frage der Neuausrichtung der Deutschen Bank, der Commerzbank wie auch der öffentlichen Banken in Deutschland zeigen, wie schwierig eine solche Suche ist.

FreieWelt.net: Was war dabei der wichtigste Auslöser, war es die Gier nach Gewinn und nach Boni?

Wolfgang Schröter: Im gegenwärtigen öffentlichen Diskurs stehen in der Rückbetrachtung die Gier der Banker und der sogenannte Neoliberalismus von Margaret Thatcher und Ronald Reagan als die zwei entscheidenden Hauptsünder fest. Ähnlich negativ werden die Privatisierungen und Deregulierungen in Europa nach dem Mauerfall und die Einführung des Euro bewertet. Damit scheinen die finanzwirtschaftliche und die politische Schuld geklärt. Das ist aber ein Mythos, den viele schüren, nur um von ihrer eigenen Verstricktheit in den Schuldenaufbau abzulenken. In Wirklichkeit waren die Banken zuerst Opfer, bevor sie zu Tätern wurden. Der Beginn der Transformation von Geld und Kredit war tatsächlich ein Ergebnis von großen Bankenkrisen der frühen 80er Jahre, von sich daran anschließenden staatlichen Rettungsversuchen, von neuen, staatlich sanktionierten Risikomodellen, die wissenschaftlich daherkamen, dabei aber ungetestet waren und einer zunehmenden Überbelastung von neuen, untauglichen Kreditpfändern, an die viele glaubten, die aber in der Finanzkrise versagten.

FreieWelt.net: Was meinen Sie damit?

Wolfgang Schröter: Ein Kreditpfand ist dann werthaltig, wenn es im Fall der Insolvenz eines Kreditnehmers einen Beitrag zur Gläubigerbefriedigung leisten kann. Der Kreditnehmer wird in der Folge vom Markt ausgeschlossen, die Gläubiger bluten, erholen sich dann aber zumindest in Teilen durch die Verwertung der Pfänder. Dieser Zerstörungsprozess einer instabil gewordenen Schuldner-Gläubiger-Beziehung, der gleichzeitig ein Klärungsprozess ist, hat in den letzten 30 Jahren immer weniger stattgefunden. Dabei blieben viele schwierig gewordene Kredite im System. Die Schuldner wähnten sich sicher. Das hat zu weiteren Schulden geführt.

FreieWelt.net: Was waren die Gründe für diese Entwicklung?

Wolfgang Schröter: Zum einen wurde die Insolvenz von Schuldnern wie beispielsweise von großen Banken oder Unternehmen von staatlicher Seite nicht mehr zugelassen, zum anderen entwickelten sich Scheinpfänder wie Kreditausfallversicherungen, staatlich sanktionierte Kreditratings sowie wachsende öffentliche Schulden, die von staatlicher Seite für die Banken als risikolos eingestuft wurden. Damit wuchsen Kreditpyramiden aus staatlichen und finanzwirtschaftlichen Schulden, die sich gegenseitig hochschaukelten, immer in dem Glauben, das sie sich in einer Krise gegenseitig stützen würden. Die Finanzkrise und die sich anschließende Euro-Krise haben diese Hoffnung zerplatzen lassen. Inzwischen sind die viel zu hohen Finanz- und Staatsschulden zu gefährlichen Kontrahenten geworden. Beide Seiten wissen, dass sie sich in der nächsten Eskalationsstufe gegenseitig zerstören können. Das macht die gegenwärtige Situation so gefährlich, sowohl in der Eurozone wie auch im Verhältnis des Westens mit den Schwellenländern, hier insbesondere mit China.

FreieWelt.net: Die Staaten haben aber doch die Banken, und nicht umgekehrt, die Banken die Staaten gerettet. Versuchen Sie, die Banken von ihren massiven Fehlern reinzuwaschen?

Wolfgang Schröter: Ganz im Gegenteil. Mir geht es in meinem Buch in erster Linie nicht um die Schuldfrage, sondern um die Frage, wie, wann und mit welchen Intentionen und Konsequenzen die viel zu hohen Finanz- und Staatsschulden entstanden sind. Dass die Banken und ihr Umfeld seit Ender der 90er Jahre dabei größte, in Teilen unentschuldbare Fehler begangen haben ist völlig unbestritten. Die weit über 100 Milliarden Euro an ausgesprochenen Strafen wegen Steuerbetrug, kriminellen Preisabsprachen und unverantwortlichem Finanzierungsverhalten sprechen eine eindeutige Sprache. Und doch erklären sie weniger die Ursachen als die Symptome eines aus dem Ruder gelaufenen Systems der Finanzpraktiken von Banken, der Realwirtschaft und den öffentlichen Haushalten.

FreieWelt.net: Worin liegt die konkrete Schuld der Staaten?

Wolfgang Schröter: Noch einmal: Die Schuldfrage hilft nicht wirklich weiter. Das gilt auch für die Staaten. Sie wird in allen Schuldenkrisen als erstes gestellt, weil man glaubt, es gäbe einfache Ursache-Wirkungszusammenhänge, die eine Schuldenkrise erklären könnten. Genau die gibt es aber nicht. Wir müssen damit leben, dass es komplizierter ist. Die Suche nach dem Sündenbock ist so alt wie es Schuldenkrisen gibt, also älter als 5000 Jahre. Die Gläubiger belasten dann die Schuldner, und umgekehrt, die Schuldner belasten die Gläubiger. Aus schwierig gewordenen Schuldner-Gläubiger-Verhältnissen entstehen dann Konfrontationen, zuerst finanzwirtschaftlich, dann politisch, sozial und gesellschaftlich. Im schlimmsten Fall entwickeln sich große Konfrontationspotentiale zwischen Staaten.

FreieWelt.net: Gibt es dafür Beispiele?

Wolfgang Schröter: Wir sehen diese gefährliche Überlappung von gegenseitigen Bedrohungen in der gegenwärtigen dritten Eskalationsstufe der Griechenland-Krise. Aber diese Kombination aus gegenseitigen Beschimpfungen und Unterstellungen hilft nicht weiter. Damit werden die Folgen für die Gläubiger wie für die Schuldner nur noch schlimmer und die letzten Auswege einer Deeskalation werden verbaut. Entscheidend in Schuldenkrisen ist das Wissen, wie die Schulden entstanden sind. Nur wenn wir wissen, wie wir in die gegenwärtige Situation gelangt sind, werden wir eine Chance haben, daraus wieder herauszufinden, ohne wie unsere Urgroßeltern in den 20er und 30er Jahren von unhaltbar gewordenen Schulden und Ansprüchen erschlagen zu werden. Das gilt für den Euro, für die Banken wie auch für die gesamte westliche Staatengemeinschaft. Sie haben allesamt zur Schuldeneskalation beigetragen und die Begründung für die Schuldenerhöhung war zu ihrer Zeit jeweils rational. Das gilt bis heute.

FreieWelt.net: Machen Sie es sich damit in der Frage der Ursachen nicht zu leicht?

Wolfgang Schröter: Ich habe dieses Buch geschrieben, um die tatsächlichen Ursachen und Verbindungslinien zwischen Staat, Markt und Finanzmarkt beim Schuldenaufbau aufzuzeigen. Natürlich ist es viel leichter und eingängiger, mit einer einzigen These aufzuwarten. Das schafft öffentliche Aufmerksamkeit. Picketty oder Graeber sind dafür beste Beispiele. Ich habe aus eigener Anschauung und Recherche aber festgestellt: Weder allein die Banken, noch ein sich verschuldender Staat oder die Kräfte der Marktwirtschaft, der Globalisierung und der Digitalisierung sind für unsere heutige Situation als singuläre Ursache verantwortlich. Es war, ist und bleibt ein Zusammenspiel vieler Faktoren. Mir geht es um Aufklärung und Versachlichung der Schuldendebatte, nicht um die Frage der Schuld und damit des Beweises, dass man nur auf einen deuten muss, und schon hat man die Ursachen geklärt. Die Schuldfanatiker bedienen mit vermeintlich leichten Antworten nur die Verfechter am politisch linken oder rechten Rand. Das hilft unseren demokratischen Marktwirtschaften auf dem Weg zu Lösungen nicht weiter, sondern führt nur zu weiterem Eskalationspotential, politisch, sozial und geopolitisch. Wollen wir aus der Schuldenkrise herausfinden, müssen uns den Realitäten stellen, auch wenn wir etwas tiefer graben müssen.

FreieWelt.net: Welche staatlichen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte haben die Schuldenkrise von heute mitbefördert?

Wolfgang Schröter: Als erstes muss man wissen, dass Banken nicht erst seit der Finanzkrise, sondern schon seit mehr als 150 Jahren von staatlicher Seite beaufsichtigt werden, und das mit gutem Grund. Kreditinstitute arbeiten zu mehr als 90 Prozent mit Fremdkapital, also überwiegend mit dem Geld anderer Leute. Das macht sie potentiell sehr fragil. Genau diese Fragilität steht im Mittelpunkt jeglicher staatlicher Regulierungsbemühungen. Als sich in der Zeit der Stagflation der 70er Jahre die westlichen Banken über massive ungedeckte Kredite an Südamerika vergaloppiert hatten, rettete sie der damalige US-Präsident Ronald Reagan. Gleichzeitig schuf er die Möglichkeit, große Kreditportfolios wie Hypotheken oder auch Unternehmenskredite in den Finanzmärkten handelbar zu machen. Die Idee dahinter war aber nicht, wie vielfach behauptet, die Finanzindustrie von der Kette zu lassen, sondern das genaue Gegenteil: Er beabsichtigte damit, die Finanzindustrie sicherer zu machen. Gelungen ist das aber nicht.

FreieWelt.net: Was ist dabei schiefgelaufen?

Wolfgang Schröter: Mit der entstehenden Dominanz des Investmentbanking und der rapiden Entwicklung der institutionellen Anleger entstanden völlig neue Kraftfelder in der Finanzindustrie, in der die führenden Groß- und Investmentbanken das produzierten und handelten, was andere dann verwerteten: Neue Produkte, bekannt als Derivate, gebündelte Kredite und Handelsplattformen für faktisch Alles, was mit einem Preis belegt werden kann. In vielen dieser Produkte und Praktiken steckten neue Schulden. Die Banken wurden in Wirklichkeit zu Börsen. Reguliert wurden sie aber weiterhin, als handelte es sich bei ihnen noch um Einlagen- und Kreditbanken. So entstand das, was Hans Werner Sinn vom ifo-Institut Kasino-Kapitalismus genannt hat.

FreieWelt.net: War dies der entscheidende Grund für den Ausbruch der Finanzkrise?

Wolfgang Schröter: Nein, das allein hätte nicht ausgereicht. Die Gründe für unsere gegenwärtige Malaise liegen tiefer. Die Finanzkrise wie die sich anschließende Staatsschuldenkrise hatte viele Ursachen, die aber allesamt miteinander zusammenhängen. Der wichtigste grundsätzliche Fehler der staatlichen und internationalen Bankenregulierer bestand darin, dass sie davon überzeugt waren, die neue Kombination aus Banken, Geld- und Kapitalmärkten und neuen institutionellen Investorengruppen seien insgesamt stabiler als das alte Bankengeschäftsmodell, in dem der Herdentrieb immer wieder zu großen Verwerfungen geführt hatte. Zweitens glaubten viele, dass die Zusammenfassung vieler Einzelkredite in große Kreditportfolios durch wissenschaftliche Risikomodelle in sich stabil sein würde. Drittens wurde die Kreditanalysefunktion zunehmend auf die Ratingagenturen übertragen. Viertens, postulierten die westlichen Staaten, ihre eigenen Staatsschulden seien risikolos. Und fünftens, entstanden institutionelle Anlegergruppen, die bis auf wenige Ausnahmen allein mit dem Geld Dritter arbeiteten. Diese fünf Entwicklungen entpuppten sich am Ende als jeweils eigene Schuldenwachstumsmaschine. Sie stabilisierten das System nicht, sondern trugen allesamt zu einer massiven Destabilisierung des Gesamtsystems Geld und Kredit bei.

FreieWelt.net: Gab es noch andere Fehlentwicklungen?

Wolfgang Schröter: Ja, und zwar mehrere: Die meisten westlichen Zentralbanken gingen seit Ende der 90er Jahre davon aus, dass geldwirtschaftlich eine neue stabile Zeit der Mäßigung erreicht sei. Die Zeit der heftigen Konjunkturschwankungen sei vorbei. Die Inflation war gering und die Zinsen verharrten auf sehr niedrigem Niveau. Gleichzeitig glaubten die führenden europäischen Zirkel mit Ausnahme Großbritanniens, dass die Einführung des Euros zur staatlichen Schuldenmäßigung beitragen würde. Und drittens investierten Schwellenländer seit Ende der 90er Jahre einen Großteil ihrer Exporterlöse in westliche Staatsanleihen. Die westlichen Schulden kehrten aus China & Co. damit als zusätzliche Liquidität in die westlichen Finanzmärkte zurück. Dieses Gemisch entpuppte sich in den Nuller-Jahren als toxisch, weil fast alle Teilnehmer in den Finanzmärkten davon ausgingen, dass diese Liquiditätsschwemme mit sehr niedrigen Zinsen und mit einer Versicherung der Zentralbanken versehen mittelfristig anhalten würde.

FreieWelt.net: Mit welchen Konsequenzen?

Wolfgang Schröter: Das hat alle Teilenehmer in den Finanzmärkten wie die Kühe aufs Eis getrieben. Dabei haben sich viele viel zu hoch verschuldet. Das gilt für US-amerikanische Hypothekenschuldner, für die meisten westlichen Staaten, für das gesamte westliche Bankensystem sowie für viele südliche Euroländer. Die letzteren nutzten die mit der Euro-Einführung verbundene Zinsreduktion nicht zum Schuldenabbau und zu Investitionen, sondern zu konsumtiven Ausgabenerhöhungen, fragwürdigen Verteilungsaktionen sowie unhaltbaren Lohn- und Gehaltserhöhungen. Und das zu einer Zeit, als die Schwellenländer ihr wirtschaftliches Potential weiter ausbauten. Länder wie Spanien, Griechenland oder Portugal verloren auf diese Art mehr als 15 Jahre in der Frage ihrer Anpassungsfähigkeit an die ökonomischen Realitäten einer sich globalisierenden Welt. Genau das macht es für diese Staaten so schwierig, heute Wirtschaftswachstum zu generieren. Auf mannigfachen staatlichen und finanzwirtschaftlichen Ebenen entstand eine Kultur des angstlosen Schulden-Machens und Geld-Verteilens. Kurzfristig wurde dies – politisch und finanzwirtschaftlich – belohnt. Dabei hat es die marktwirtschaftlichen Kräfte massiv geschwächt. Mittelfristig führte es in die Katastrophe.

FreieWelt.net: Was heißt das für die Zukunft?

Wolfgang Schröter: Zuerst müssen wir über die Gegenwart sprechen. Seit Ausbruch der Finanzkrise vor sieben Jahren haben sich die westlichen Gesamtschulden noch einmal um 40% erhöht. Dabei sind die Zentralbanken zu den letzten Versicherern der Staats- und Finanzschulden geworden, und das mit einem faktischen Zinsverbot. Abgesehen davon, dass dies mittelfristig unhaltbar ist, geht der gesamte Westen immer noch von einer Normalität aus, die es aber schon seit Jahren nicht mehr gibt. Dabei wachsen die Schulden weiter. Die monetären Rettungsmaßnahmen der Zentralbanken stützen in erster Linie prekäre Staats- und Finanzschulden, verstärken die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, das Wirtschaftswachstum kommt nicht in die Gänge und die Geldschwemme der Zentralbanken und ihre gefährlichen Konsequenzen unterminieren zunehmend die Kräfte der demokratischen Legitimität. Damit sind die Zentralbanken zum letzten Bollwerk gegen den Absturz geworden. Der gesamte Westen läuft damit weiter auf eine gefährliche Klippe zu. Niemand weiß, was danach kommt, aber saftige Wiesen sollten wir im Fall der nächsten Eskalation nicht erwarten.

FreieWelt.net: Welche Lösungen schlagen Sie vor?

Wolfgang Schröter: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir in einer der gefährlichsten Situationen leben, die nur mit den Wirren der letzten Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren vergleichbar ist. In diese Zeit müssen wir zurückschauen und uns fragen, was damals funktioniert hat und was schiefgegangen ist. Sowohl die Marktwirtschaft wie auch die Demokratie geraten in ausgreifenden Schuldenkrisen in Gefahr. Bis heute geistert der Mythos durch die Lande, der »New Deal« der 30er Jahre unter dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt hätte in den USA die Weltwirtschaftskrise gelindert. Dabei fiel die US-Wirtschaft 1937 erneut in eine tiefe Depression. Staat und Marktwirtschaft bekämpften sich mehr, als dass sie zusammenarbeiteten. Erst die massive Aufrüstung im 2. Weltkrieg hat die US-Wirtschaft aus der Talsohle geholt. Der »New Deal« ist für unsere heutige Situation kein taugliches Vorbild.

FreieWelt.net: Woran sollen wir uns dann orientieren?

Wolfgang Schröter: Leichte Lösungen gibt es schon lange nicht mehr. Die drei klassischen Möglichkeiten, einer Schuldenkrise zu begegnen, Sparen, Wirtschaftswachstum oder Inflation werden die viel zu hohen Schuldenberge allein nicht abtragen können. Dabei müssen wir uns im Klaren sein, dass die Schulden des einen die Ansprüche des anderen sind. Ohne Schulden- und damit Anspruchsverzichte wird es nicht gehen. Dabei müssen wir uns entscheiden, ob wir uns wie in den letzten Jahrzehnten zunehmend auf den Staat verlassen oder ob wir einsehen, dass überschuldete Staaten schlechte Hüter sowohl der Marktwirtschaft, damit unseres Wohlstands wie auch der sozialen Kohärenz sind. Gerade in einer Situation eskalierender Staatsschulden bluten die wirtschaftlich Schwächsten am meisten. Auch das ist eine Botschaft aus der letzten Weltwirtschaftskrise, mit damals gefährlichsten politischen Konsequenzen. Solange wir diese Einsicht nicht gewinnen, tickt die Schuldenuhr unverändert weiter. Gerechtigkeit und Leistungsfähigkeit sind eben nicht, wie von so vielen bis heute geglaubt, Gegenpole, mit denen man erfolgreiche Politik machen kann. Sie bedingen sich gegenseitig. Wer Solidarität gegen Solidität ausspielt, verliert doppelt – und verschuldet sich weiter.

FreieWelt.net: Was heißt das für die Zukunft des Euro?

Wolfgang Schröter: Stabile Währungssysteme zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Lage sind, aus dem Ruder laufende Schulden und hohe Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen auszugleichen – ohne Konfrontation, aber mit für alle Marktteilnehmer klaren Regeln, damit sie sich nicht mittelfristig zu strukturellen Schulden verfestigen. Weder das Währungssystem des US-Dollars noch des Euro leisten diesen Ausgleichsmechanismus. Unsere gegenwärtige Schuldenkrise ist auch Ausdruck dieser Schwäche. In einer Welt, in der die Wertschöpfung des Westens dabei ist, unter 50 Prozent der Wertschöpfung der Welt zu fallen, wird deutlich: Schon heute befinden wir in einer Zeit, in der nicht nur die gesamte westliche Finanzindustrie und die öffentlichen Haushalte unter Generalverdacht stehen, sondern auch die Währungssysteme, unter denen wir operieren. Auch hier gilt: Leichte Antworten gibt es nicht. Was viele aber vergessen, wenn sie den Euro für nicht reformierbar halten und ihn am liebsten schon morgen abschaffen möchten: Bei den anstehenden Verhandlungen um eine stabilere Weltwährungsordnung werden dann die europäischen Länder an den Katzentischen sitzen.

FreieWelt.net: Danke für das Interview.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hans von Atzigen

Ausgezeichnete Analyse.
Leider werden die direkten und indirekten Wirkungen und Auswirkungen
auf und in der Realwirtschaft praktisch vollständig ausgeklammert.
Die hervorragende Analyse der Monetären Fehlentwicklungen hatte
,,so nebenbei,, extreme und umfangreiche Auswirkungen in und auf
die Realwirtschaft.
Im Schlepptau dieser Fehlentwicklung im Monetären Bereich haben,
wurden Strukturen und vor allem Bruttovolumina in der Realwirtschaft aufgebaut
und gebildet , die ganz real und nüchtern besehen nicht aufrecht erhaltbar sind.
Die getrennt Abhandlung von Finanz und Realwirtschaftsfaktoren,
ist der alles entscheidende Fehler in der Ökonomischen Forschung und Lehre.
Wirtschaft ist ein eng verzahnter Gesamtmechanismus.
Diesem Gesamtmechanismus wird man nur gerecht wenn man
diesen auch als solchen behandelt und wenigsten im Grobraster als
untrennbare Einheit abhandelt und bearbeitet.
Freundliche Grüsse

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