Günter Jansen Schul-Experte

Grundschulmisere: „Moderner“ Unterricht zerstört Zukunftschancen

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Interview mit Günter Jansen

Der Schreibunterricht an deutschen Grundschulen ist eine Katastrophe. Verglichen mit den 70er Jahren sind die Leistungen heutiger Schüler beschämend. Freiewelt.net spricht mit dem Schul-Experten Günter Jansen über Hintergründe und Folgen der reformpädagogischen „Revolution“. Jansen war Fachleiter am Gesamtseminar Düsseldorf und jahrzehntelang in der Lehrerfortbildung tätig.

Freiewelt.net: Seit 2005 streiten Sie bereits gegen die in deutschen Grundschulen weitverbreitete Lehrmethode „Lesen durch Schreiben“. Was hat Sie bewegt, sich für – aus Ihrer Sicht - vernünftigen Unterricht stark zu machen?

Jansen: Was den Unterricht anbetrifft, war es der Einzug sog. offener Lernmethoden in den Unterricht, seinerzeit noch fast ausschließlich in die Grundschulen: Selbstbestimmtes, selbstgesteuertes, selbstregulatives Lernen „von Anfang an“ sollte den traditionellen Unterricht ersetzen, und schon für Grundschüler wurde vorgesehen, beim Lernen über das Was?, Wann?, Wie?, Wie viel? und Wie lange? selber bestimmen zu dürfen. Höchstes Ziel war es, mit den neuen Konzepten den Frontalunterricht zu überwinden. Zu der Zeit gehörte aber schon lange nicht mehr einzig der Frontalunterricht zu den etablierten Unterrichtsformen: Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Unterrichtsgänge, handtätiges Tun sowie Projektunterricht z. B. fanden schon spätestens seit den 60er Jahren über die Lehre an den Hochschulen weite Verbreitung in den Schulen. Hattie fand übrigens in seiner weltweit viel beachteten jüngsten Studie heraus, dass offener Unterricht völlig unwirksam ist, 'direct instruction' (nicht gleichzusetzen mit 'Frontalunterricht') hingegen tatsächlich höchst effektiv ist. Es geht bei der Studie also um ungelenkte und vermeintlich erleichternde Methoden versus gelenkte und fordernde.

Die oben genannten Akzente 'modernen' Grundschulunterrichts bestimmen auch die Konzeption der unterschiedlichsten Lehransätze von 'Lesen durch Schreiben'. Völlig vernachlässigt wird die Tatsache, dass die Beherrschung einer Schriftsprache keineswegs ein Naturgut ist, Kinder sich die Schriftsprache also nicht irgendwie selber aneignen können, sondern dass diese Kulturtechnik als ein Wissen von Lehrern vermittelt werden muss. Die Kritik der forschenden Wissenschaft (der Fachdidaktik, der Germanistischen Linguistik, der Hirnforschung) an der Methode 'Lesen durch Schreiben' ist inzwischen eindeutig und unüberhörbar. Deren eindeutige Argumentation würde tatsächlich durchaus ein sofortiges Verbot dieses Lehransatzes rechtfertigen.

Freiewelt.net: Wie ist dieses reformpädagogische Konzept eigentlich entstanden und wie konnte es sich in den Grundschulen derart verbreiten?

Jansen: Weil die Frage die um sich greifende Reformpädagogik anspricht, möchte ich gerne darauf eingehen. Wenig bekannt ist, dass eine große Anzahl der bekanntesten Reformpädagogen keineswegs eine solide pädagogische Ausbildung vorweisen konnte. Zu ihnen übrigens gehörte auch der ehemalige Leiter der reformpädagogischen Odenwaldschule Ummo Gerold Becker, der nicht einmal seine Ausbildung zum evangelischen Pfarrer zu Ende geführt hatte. Der Erfinder der auch unter dem Namen 'Spracherfahrungsansatz' bekannten neuen Lehre 'Lesen durch Schreiben', gleichzeitig mit Hilfe von 'Netzwerken' auch Motor für die Verbreitung des Konzepts 'Lesen durch Schreiben', ist ein in Deutschland seit Jahrzehnten gefeierter Reformpädagoge, Kultpädagoge sogar, 1980 wurde er Professor für Anfangsunterricht mit dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben. Dieser Reformpädagoge und Professor mit dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben, ein studierter Jurist und Soziologe,  hatte weder ein Studium für das Lehramt an Grundschulen noch für ein anderes Lehramt absolviert, er hätte also nicht einmal an einer Grundschule unterrichten dürfen. Auf eine solide Unterrichtspraxis konnte er nicht verweisen, nachweisen konnte er auch kein Fachstudium in einer der an der Erforschung des Schriftspracherwerbs beteiligten Einzelwissenschaften wie der

Fachdidaktik Deutsch, der Sprachwissenschaft oder der Psychologie. Dass er bei Antritt seiner Professur in Bremen von Lese- und Schreibdidaktik „kaum Ahnung“ hatte, bekannte er später selber und ist bis heute in einem Aufsatz des Grundschulverbandes nachzulesen. Inzwischen werden solche Verhältnisse von Eltern als bedrohlich für ihre Kinder und für unser Land wahrgenommen.

Dass von einer deutschen Universität aus, die damals verschrieen war als "rote Kaderschmiede", deren Kritiker sich über das Schwergewicht dort an „Laberfächern wie Pädagogik und Politik“ beklagten, deutschlandweit eine Pädagogik verbreitet wurde, die anstatt auf empirischen Untersuchungen zum größten Teil auf absurden Annahmen und seichten Theorien aus aller Welt basierte, ist erschreckend. So war es denn in den 80er Jahren nicht verwunderlich, dass die Stadt Bremen nichts mehr mit ihrer Uni zu tun haben wollte und sich weigerte, deren Lehramtsabsolventen zu übernehmen.

Freiewelt.net: Beim  Konzept „Lesen durch Schreiben“. “sollen Kinder nicht mehr lernen, wie man ein Wort richtig schreibt, sondern sich in der ersten und zweiten Klasse eine eigene „Recht“-Schreibung erfinden. Im Vergleich zum klassischen Unterricht sind die Ergebnisse katastrophal. Bis jetzt zeigen die Eltern dagegen recht wenig Widerstand?

Jansen: Lernen sollen die Kinder schon, wie man richtig schreibt. Nur, mit dem Konzept „Lesen durch Schreiben“ lernen es viele Kinder eben nicht, denn im Deutschen lässt sich die richtige Schreibung, Kulturtechnik eben, nicht nach reformpädagogischer Rezeptgebung einfach so „entdecken“. Nach der letzten Untersuchung zur nationalen Ergänzungsstudie IGLU-E 2006 mit Fokus auf den Orthographieunterricht stand fest, dass nach Klasse 4 einem Viertel aller Schülerinnen und Schüler der Weg zur Schriftlichkeit verwehrt bleibt. Andere Untersuchungen belegen darüber hinaus, dass Kinder, die bei solchen Studien im Mittelfeld gelandet waren, mit solidem Unterricht zu besseren Leistungen hätten geführt werden können. Wie hinreichend belegt ist, finden wir mangelnde Rechtschreib- und Lesekompetenz zumeist bei Schülerinnen/Schülern aus sozialschwachen und bildungsfernen Elternhäusern sowie bei Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund. Widerstand aus den zuerst genannten Elternhäusern  ist kaum zu erwarten, auch wegen gewisser Ängste vor dem Umgang mit der Institution Schule. Eltern mit Migrationshintergrund vertrauen ohne Argwohn oft genug auf den guten Ruf der deutschen Schule.

Ausgeklammert bleibt regelmäßig bei solchen Untersuchungen der Aspekt, dass eine Vielzahl von Kindern nur dadurch die vorgesehenen Kompetenzen erreicht, weil deren Eltern, die über die finanziellen, zeitlichen und entsprechenden kompetenzbasierten Ressourcen verfügen,  ihre Kinder in den professionellen Nachhilfeunterricht schicken oder als Privatlehrer am Nachmittag den Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen selbst in die Hand nehmen. Für die vielen interessierten Eltern mit Migrationshintergrund muss oft aus sprachlichen Gründen die private Nachhilfe zu Hause entfallen, aus bildungsfernen Elternhäusern sind aus naheliegenden Gründen Bemühungen um die Förderung ihrer Kinder eher unüblich. Über die Jahre hinweg berichteten mir etliche Eltern davon, dass sie, um ihren Kindern einen effektiven Nachhilfeunterricht ermöglichen zu können, Nebenbeschäftigungen angenommen haben oder auch Verzicht geleistet hätten, in zwei Fällen z. B. auf eine Urlaubsreise. In zahlreichen Schreiben an mich ist allerdings ziemlich deutlich geworden, dass viele Eltern sich nicht regen, weil sie Angst davor haben, sich mit den Lehrern ihrer Kinder „anzulegen“.

Freiewelt.net: Man gewinnt den Eindruck, die Schulen würden als Versuchsfelder missbraucht?

Jansen: Hier verweise ich auf Wissenschaftler, die solche Fragen bereits schlüssig beantwortet haben. Zunächst sei da der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. J. Oelkers zu nennen. Über Neuerungen in der Schule spöttelte er schon vor Jahren, „dass ihre Erprobung paradoxerweise mit dem Ernstfall beginnt.“ Prof. J. Brenner von der Universität Köln weiß, dass es sich bei dem, was so rund um die Schule 'geforscht' und 'untersucht' wird, oft um nicht viel mehr als "weisungsabhängige Auftragsforschung" handelt, für die die Ziele und die Regeln bereits vorformuliert sind. Da kann man nicht einmal mehr von der Schule als Versuchsfeld sprechen. Solche Untersuchungen und Studien gelingen immer, und deren Ergebnisse sind deshalb bestens geeignet, damit Schulpolitik zu machen. Selbstlernkonzepte wie 'Lesen durch Schreiben' waren seinerzeit auch in Berlin sehr willkommen, z. B. zur Einführung der flexiblen Eingangsstufe: Nach diesem Konzept  werden die beiden ersten Schuljahre zusammen unterrichtet. Vorgesehen war bei dieser neuen Unterrichtsorganisation auch, dass sich die Kinder in Einzel- oder Partnerarbeit den Weg ins Lesen und Schreiben weitgehend selber erarbeiten sollten. Der erfolgversprechende pädagogische Befund kam von den Pädagogik-Professoren Renate Hinz und Dagmar Sommerfeld: "Kinder haben eine ausgeprägte Fähigkeit, anderen Menschen etwas beizubringen und in die Rolle einer Lehrperson zu schlüpfen." Diese pädagogische Schützenhilfe  genügte der Schulpolitik, nicht nur in Berlin, sich mit dem Gedanken zu befassen, für den Doppeljahrgang den zweiten Lehrer einzusparen. In Berlin scheiterte inzwischen die Schulpolitik mit diesem kühnen Vorhaben.

Es gibt allerdings auch reformpädagogisch orientierte Professoren, die geneigt sind, es der Schulpolitik noch ein Stück einfacher machen: der Professorin Hanke genügt es, wenn der "pädagogisch-didaktische Ansatz“ eines Konzepts „sich als ein Konstrukt aus theoriegeleiteter Perspektive als plausibel und für die Realisierung des Bildungsauftrags der Grundschule als brauchbar erweist."

Freiewelt.net: Ist es Ideologie oder ist es Trägheit? Warum halten so viele Schulen und Lehrer trotz ausbleibender Erfolge an diesem Konzept fest?

Jansen: Es ist wohl eher nicht daran zu denken, dass Ideologien an Grundschulen eine große Rolle spielen. Es ist eher zu vermuten, dass Lehrer über Jahre hinweg mit 'Lesen durch Schreiben' gearbeitet und daher gewisse Routinen entwickelt haben. Wenn Schulen Eltern gegenüber die unübertroffene Wirksamkeit offener Konzepte Jahr für Jahr aufs Neue gerühmt und – was nicht ungewöhnlich ist – den offenen Unterricht mit abenteuerlichen Versprechungen verteidigt haben, wird es ihnen wegen des damit verbundenen Image-Schadens nicht so leicht fallen, von den falschen Methoden abzulassen. Nicht zu vergessen sind wohl auch diejenigen Lehrer, die jegliche Anbindung an die pädagogischen Wissenschaften verloren haben und daher nur noch mit eingeschränkter Urteilsfähigkeit über Unterrichtsmethoden und Lehrwerke urteilen können. Sicherlich ist es auch so, dass an manch einer Schule über Jahre hinweg viele teure Materialien eingekauft wurden, deren Anschaffung es zu verteidigen gilt.

Freiewelt.net: Welche Schritte sollte ein Staat unternehmen, um für jedes Kind die bestmögliche Schulbildung zu gewährleisten.

Jansen: Die Schulpolitik müsste sich endlich von ihren Vorstellungen befreien, strukturelle Veränderungen in der Schullandschaft brächten Chancengerechtigkeit für alle Kinder. Schon lange bevor Hattie seine Befunde dazu veröffentlichte, war der leider allzu früh verstorbene Direktor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung (München), Prof. Dr. Dr. Franz E. Weinert, zu der Erkenntnis gekommen, dass nicht die Schulorganisation bzw. die schulorganisatorischen Bedingungen ausschlaggebende Bedeutung für die Entwicklung von Kindern haben. Weinert hielt schon vor Jahren andere Faktoren für die tatsächlich entscheidenden: die Qualität des Unterrichts sowie anspruchsvolle Lernziele und kognitiv herausfordernde Lernaufgaben. Zur Verbesserung der  Qualität des Unterrichts benötigen wir qualifizierte  Universitätslehrer mit Praxiserfahrung und ständigem Praxisbezug, Professoren also, die in der Lage sind, Schullehrer auf die späteren tatsächlichen Anforderungen hin auszubilden. Der Hirnforscher Prof. Spitzer hält es für absurd, daran zu denken, dass ein Professor der Medizin nach dem Studium für ein paar Monate an eine Klinik geht, „um sich dann der Didaktik der Medizin und der Ausbildung der Ärzte (und sonst nichts)“ zuzuwenden. Während die Professoren der Medizin mit einem großen Anteil ihrer Arbeitszeit noch Patienten versorgen, haben Professoren für Pädagogik im Normalfall nie mehr etwas mit eigener Unterrichtspraxis und mit Schülern zu tun. Spitzer: „Die Lehren der Professoren sind nicht in der Praxis geerdet.“ Die Folge ist: Nirgends erfahren Lehramtsstudenten, wie ihr theoretisches Wissen von demjenigen, der es lehrt, konkret angewendet wird.

Von den zu großen Schulklassen wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder gesprochen. Mehr als 25 Kinder sollten auf keinen Fall in einer Klasse sein. Zu bedenken ist aber wohl, dass auch in Kleinstklassen mit 10 Kindern ein Unterricht mit falschen Methoden verheerende Wirkungen entfalten kann.

Freiewelt.net: Herr Jansen, wir danken Ihnen herzlich für das Interview.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Urs

" Diese um ihre Lebenschancen gebrachten jungen Menschen" sind für mich das größte Ärgernis dieses skrupellosen Treibens der Neo-Reformpädagogen.
Als Lehrer empfinde ich schon lange eine ungeheure Wut, auch auf Kollegen, die unbedingt als modern und fortschrittlich gelten wollen und jedem Dreck hinterherlaufen, der als neue Erkenntnis und Methode von einem Professor oder mindestens Doktor aus eigennützigen Motiven durchs Dorf getrieben wird.
"geli" hat absolut Recht, Lehrer sind als erste gefordert, nicht auf Betrüger reinzufallen und ihnen sogar das Handwerk zu legen. Entweder sind viele von ihnen zu dumm oder aber zu feige, um gegen Methoden vorzugehen, die weitere Generationen von Schülern um ihre Lebenschancen bringen.
Auch Anne hat Recht, wenn sie sagt: "Eltern wehrt Euch!!!"

Gravatar: lebeque

@Jan Sen
Zu Ihrer Einlassung vom 4. Juli, 14:36: Wenn Ihnen tatsachenbezügliche Argumente fehlen, arbeiten Sie offenbar ganz gerne auch schon einmal mit Smileys. Das ließe sich als Anregung verstehen und noch perfektionieren! Seine schriftliche Kommunikation bzw. seine Argumentation anstatt verbal weitgehend nonverbal über Smileys abzuwickeln, ist eine faszinierende Idee. Damit könnten Sie sicherlich auch den großen Reformpädagogen Brügelmann begeistern. Der würde bald schon ein neues Reförmchen erfinden und allen denjenigen Kindern, die - nach seinem Spracherfahrungsansatz (schreiben lernen "nach Gehör" u. mit der Anlauttabelle) unterrichtet - in der dritten Klasse noch immer „DER MAN SCHDIT AUS DEr BARDWAN UT DER HUNT DANEBN UT DER MAN RÄN SE AP UT DER HUND SCHDÖ SECH“ schreiben, anraten, das Schreibenlernen lieber zu lassen und sich anstatt dessen über 'entdeckendes Lernen' kommunikationstaugliche Smileys und Piktogramme anzueignen.

Sie, Jan Sen, mögen den Herrn Jansen nicht. Aber, überwinden Sie sich und schauen dennoch einmal auf dessen homepage! In seinem Elternbrief Nr. 13/ Kap. XVIII. und XIX. (http://www.grundschulservice.de/Elternbrief%20Nr.%2013.htm) könnten Sie sich davon überzeugen, wie sich die „Schlechtschreibung“ in den letzten Jahrzehnten fortentwickelt hat. Allerdings: Ich traue Ihnen zu, dass Sie das längst wissen. Mag sein, dass Computer und Medienmissbrauch dabei auch eine gewisse Rolle spielen. Dass die Fraktion der Neo-Reformpädagogen darauf mit einer von der forschenden Wissenschaft für „maximal falsch“ gehaltenen Schriftspracherwerbsmethode reagiert, ist geradezu unmoralisch.

Im Übrigen: Die Zitate Ute Andresens scheinen Sie in besonderem Ausmaß aus der Fassung gebracht zu haben. Schauen Sie sich bitte im Internet um: Eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Beobachtern der 'reformpädagogischen' Szene teilt inzwischen mit Andresen dieses Wissen. Sie, Jan Sen, würden sehr erschrocken sein! Ihrem Argumentationsmuster auch weiterhin folgend werden Sie dann ganz sicher nicht umhin können, diese kritischen Zeitgenossen allesamt als „unterbelichtet“ oder so etwas zu bezeichnen. Damit wären wir dann auch schon bei Ihrem stärksten Argument gegen den Schulexperten Jansen – wenn Sie ihn oben als „Windmühlenritter“ bezeichnen, ist das ein wohl besonders überzeugendes Argument, mit dem allerdings auch ein Stück weit Sie sich selber charakterisieren. Sie wollen sich auf Jansens Argumentation aber nicht tatsächlich fundiert einlassen, sondern diese in Slalom-Manier – nicht immer ganz geschickt – umkurven: Genau das gehört zum Repertoire der neo-reformpädagogischen Diskussionsstrategien.

Ihre Argumentation insgesamt nährt übrigens die Annahme, dass Sie zu dem Netzwerk derjenigen gehören, deren Aktivitäten Ute Andresen so trefflich beschreibt. Die also jetzt darum bangen müssen, dass ihre vorgeblich reformpädagogischen Konzepte mit ihrer Fülle von Lehr-/Lernmaterialien samt der sie stützenden 'pädagogischen' Wohlfühlliteratur ihren Markt verlieren und dass die für ihre eigenen Zwecke und Bedürfnisse zurechtgeschneiderte ‘Pädagogik’ entlarvt wird als Missbrauch wertvoller und ehrlicher reformpädagogischer Ideen aus dem ausgehenden vorletzten und dem beginnenden letzten Jahrhundert. Aber vor allem als Missbrauch von Kindern entlarvt wird! Seit der ersten Einführung der Methoden des Schreibens nach Gehör und mit der Anlauttabelle vor etwas mehr als dreißig Jahren dürften inzwischen die Lebensbiographien Hunderttausender von Kindern methodenverursacht massiv beeinträchtigt worden sein. Dabei zählt aber nicht nur die Tatsache an sich, dass die Kinder die Rechtschreibung nicht mehr beherrschen. Prof. Dr. Schulte-Körne vom Klinikum der Ludwig-Maximilian-Universität München, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, listet die möglichen Folgen bei Kindern mit Minderleistungen in der Rechtschreibung auf (aus Elternbrief 13/Jansen):

"Verhaltensstörungen (Hyperaktivität, Impulsivität, Aufmerksamkeitsstörung, Gewalttätigkeit, provozierende Verhaltensweisen)
inversive Störungen (Zurückgezogenheit, traurige Stimmung, depressive Störungen mit Selbstmordgedanken, Schlafstörungen, Gewichtsverlust, morgendliches Erbrechen, Kopf- und Bauchschmerzen, nächtliches Einnässen, auch wenn zuvor bereits seit Jahren trocken, diverse psychosomatische Erkrankungen)
negatives Selbstkonzept, geringes Selbstwertgefühl, negatives Selbstbild mit einer pessimistischen Zukunftserwartung
Störungen, die die gesellschaftliche Integration negativ beeinflussen
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne übrigens "hält den Glauben an die Wunderkraft der Anlauttabelle für unheilvoll."(in: Spiegel 25/2013)

Denken wir aber auch daran: Diese um ihre Lebenschancen gebrachten jungen Menschen fehlen auch bei der Fortentwicklung unseres Landes.

Gravatar: Klaus Kolbe

Als Korrektor und jemand, der seinerzeit jahrelang gegen die „Schlechtschreib"reform aktiv (leider ohne Erfolg) gekämpft hat, kann ich Ulrike, die 40 Jahre als Lehrerin tätig war, nur beipflichten.

Wie sagte die damalige KMK-Vorsitzende Wanka in einem Spiegel-Interview doch so treffend: Die Kultusminister wissen längst, daß die (Rechtschreib-)Reform gescheitert ist. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.

In den Anfängen noch aüßerte sich Spiegel-Chefredakteur Aust wie folgt:

Die Reform ist eine zwangsneurotische Bürokratenlösung.

Die Rechtschreibreform war eine Anmaßung und keine Reform. Ein Resultat bürokratischer Regelungswut.

Damals sprach der Spiegel auch noch treffenderweise von einer staatlich verordneten Legasthenie, was man jetzt bitter bewahrheitet sehen kann.

Mehr muß man eigentlich zu diesem horrenden Wahnsinn und dem, was man den Kindern damit angetan hat, nicht sagen.

Ach ja, und dann gab es da damals noch einen Herrn Sommer-Stumpenhorst mit seiner Methode, daß man die (Grund-)Schüler erst einmal nach Gutdünken schreiben lassen sollte. Korrekturen sollten erst in der zweiten Klasse angebracht werden.
Da fehlten mir zuerst die Worte. Dieser Methode habe ich damals bei meinen eigenen Kindern vehement widersprochen, habe sie zu Hause jedesmal auf falsch geschriebene Wörter hingewiesen und gezeigt, wie sie richtig geschrieben werden und mir damit den Unmut der damaligen Klassenlehrerin zugezogen, was mir jedoch herzlich egal war. Die volle Bestätigung meines Handelns haben die Jahre danach gezeigt.

Das Zerschlagen des gegliederten Schulsystems, um das Deutschland damals fast alle beneidet haben, hat ein übriges zum Niveau-Verfall des deutschen Schulwesens beigetragen.

Gravatar: quapp

Sehr richtig, Anne: "Eltern wehrt Euch!!!!"
Wehrt Euch darüber hinaus aber auch gegen so manchen unseriösen "Elternratgeber". Diese haben (ebenfalls aus wirtschaftlichen Interessen heraus) über Jahrzehnte hinweg die häusliche Erziehung schwer geschädigt und Eltern ziemlich hilflos gemacht. Viele trauen sich kaum mehr, ihre Kinder konsequent zu behandeln, was zu kleinen misslaunigen "Tyrannen" führt.
Eltern, wehrt Euch auch hier gegen Fremdbestimmung und Bevormundung, die nicht Euch und Euren Kindern zugute kommt, sondern nur dem dicken Portemonnaie selbsternannter "Erziehungsexperten".

Gravatar: Anne

"Es ist nicht ratsam, erst etwas Leichtes, aber Falsches zu lernen"
So ist es. Schreiben nach Gehör, so ein Schwachsinn!
Fragt niemand, woher die vielen Legastheniker kommen?

Eltern wehrt Euch!!!!

Gravatar: geli

@lebeque
Von Ihrem großartigen, fundierten Kommentar bin ich begeistert!
Ich verstehe die Lehrer nicht. Wie können bzw. konnten sie sich massenweise auf so hirnrissige Wege der Reformpädagogik einlassen?
Wer - wenn nicht sie - sollte Mogelpackungen sonst durchschauen können?

Gravatar: lebeque

@Jan Sen

Die Ausschnitte aus den Andresen-Zitaten eignen sich in der Tat nur wenig, hier über das Feld Schreibschrift/VA/Grundschrift zu diskutieren. Sie sind hingegen hervorragend geignet, von kompetenter Seite tiefe Einblicke in das Netzwerk Brügelmann – Brinkmann – Grundschulverband zu erhalten, dessen Oberspielleiter über Jahrzehnte der Grundschuldezernent H. Bartnitzky war - seinerzeit noch ohne Dr. hc., den er erst nach seiner Pensionierung für seine „Erforschung und Modernisierung der Grundschulpädagogik“ von der Universität Siegen verliehen bekam, just von der Universität, an der auch Herr Brügelmann tätig war. Die Laudatio hielt: Prof. Brügelmann.

Ihnen scheint es ein besonderes Anliegen zu sein, eine Antwort darauf zu bekommen, ob denn wohl ein Nicht-Pädadgoge dennoch herausragende pädagogische Arbeit leisten könne. Diese Frage bejahe ich für den Bereich der pädagogischen Elternarbeit ohne Abstriche, für die professionelle Arbeit in der Schule oder gar für die Eignung zur Verbreitung von Lehren an einer Universität antworte ich mit einem klaren 'Nein'. Ein Lehrer, sagen wir 45 Jahre alt, von dem man sagt, er sei ein guter Lehrer, ist nicht am Schreibtisch zu einem guten Lehrer geworden, sondern durch seine solide theoretische Fachausbildung durch fähige Professoren an einer Universität, seinen täglichen Umgang mit Kindern und durch seine jahrzehntelangen Erfahrungen, die ihn in fachlicher, fachdidaktischer und psychologischer Hinsicht zum guten Lehrer haben reifen lassen.

Warum Jansen diesen „Professor-der-nicht-genannt-werden-darf“ nicht mit Namen nennt, ist von hier aus nicht zu ergründen: Fragen Sie Ihn ganz einfach über seine homepage! Meine Vermutung: Es ist Prof. Brügelmann. Das würde passen. Er ist derjenige, der über den Antritt seiner Professur in Bremen als 'Professor für Anfangsunterricht mit dem Schwerpunkt Erstlesen/Erstschreiben' seine 'Kompetenz' so beschrieb:

„Als ich 1980 von der Universität Bremen auf eine Professur für Anfangsunterricht berufen wurde, hatte ich von Lese- und Schreibdidaktik kaum Ahnung. Um mich vor den Studierenden nicht zu blamieren, las ich alles, was ich in die Hände bekam – und war irritiert: Überall konnte ich lesen, wie man Lesen und Schreiben lehrt, aber ich fand kaum empirische Befunde bzw. Erklärungsansätze dazu, wie Kinder lesen und schreiben lernen.“

In seinem Nachruf zum Tode Jürgen Reichens bekannte Brügelmann zudem:

„Damals war Mut nötig zu fordern, was heute in der Didaktik fast schon Gemeingut ist und in der Praxis eher der Differenzierung bedarf. 500 Jahre Fibeltradition waren so fest etabliert, dass ein Verzicht auf Lehrgänge noch in den 1970er Jahren den meisten undenkbar schien. Mir persönlich haben Reichens Arbeiten damals geholfen das, was ich als Außenseiter am Schreibtisch gedacht hatte, entschiedener zu formulieren und trotz meiner Unsicherheit zu veröffentlichen. Reichen hatte seine Pädagogik und Didaktik im Schulalltag erfolgreich erprobt. Er konnte aus eigener Erfahrung zeigen, dass praktisch möglich war, was ich nur argumentativ begründen konnte.“ [.....]

Brügelmann, der wegen fehlender Ausbildung niemals an einer Grundschule hätte unterrichten dürfen und können, blieb ohne 'handwerkliche' Praxis Theoretiker ein Leben lang. Da konnte es passieren, dass seine Lehren immer obstruser wurden, zumal er auch kein Fachstudium in einer der an der Erforschung des Schriftspracherwerbs beteiligten Einzelwissenschaften wie der Fachdidaktik Deutsch, der Sprachwissenschaft oder der Psychologie absolviert hatte. Ein Professor der Medizin, der ohne Fachstudium Medizin, ohne Approbation, ohne je eine Blinddarmoperation selber durchgeführt zu haben, vor Medizinstudenten träte, um ihnen zu erklären, wie nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Blinddarm zu entfernen sei, würde ausgelacht - ohne Ende. Ohne hinreichenden theoretischen Hintergrund und ohne eigene praktische Erfahrung Professor zu sein in Studienrichtungen, die auf die späteren praktische Tätigkeiten in bestimmten Berufen hin ausgelegt sind, ist undenkbar und indiskutabel. In der Medizin ließen sich im Übrigen die Folgen einer Lehre mit bedenklichen Inhalten schon bald durch die fatalen Auswirkungen für die Patienten belegen. Professoren in Sachen Grundschulpädagogik müssen solche Risiken nicht befürchten. Die Folgen obskurer pädagogischer Lehren auf der Basis weltabgehobener Ideologien werden in ihrem ganzen Ausmaß zumeist erst an den weiterführenden Schulen deutlich erkennbar, zudem wird – zumindest zunächst - kein Kind daran körperlich leiden oder gar sterben müssen.

Natürlich muss ein Professor für Historische Erziehungswissenschaft nie vor einer Klasse gestanden haben, auch kein Hirnforscher wie Spitzer, Güntürkün oder Schleich, die im Bereich prozedurales Lernen/prozedurales Gedächtnis geforscht haben, muss das: Ihre Erkenntnisse, dass das prozedurale Gedächtnis alle automatisierten Handlungsabläufe "beherbergt" und somit deren Gedächtnis für geübte Fertigkeiten ist, sind bedeutsam für alle Bereiche, in denen es ums Lernen geht: Prozedurales Lernen erfordert sehr viel Übung. Die Gesamtarbeitsmenge führt zu einer starken Konsolidierung des Erworbenen. Es ist nicht ratsam, erst etwas Leichtes, aber Falsches zu lernen. Der bessere Weg ist, sofort das Richtige zu lernen, auch wenn dieser zunächst schwieriger ist. Diese Regel gilt für alle prozeduralen Lernprozesse, auch für das Lesen, Schreiben und die Anwendung einfacher Rechengesetze, auch für das Erlernen des Geigespiels, des Mauerns, des Autofahrens etc. Die Hirnforscher Spitzer, Güntürkün oder Schleich halten übrigens mit fundierter Begründung die modernen Schriftspracherwerbsmethoden für „maximal falsch“.
Im Übrigen: Brügelmann ist auch immer skeptisch, wenn in Studien seine Lehre in Gefahr gerät, aber nicht nur das. Er wetterte geradezu gegen PISA, IGLU, Hattie … .

Zur Frage, wie sind diese reformpädagogischen Konzepte eigentlich entstanden: Sie sollten mehr Oelkers lesen, seine Bücher, seine Veröffentlichungen im Internet zur Reformpädagogik. Sie könnten erfahren, dass viele der bekanntesten Refompädagogen ziemlich absonderliche Figuren waren, die ihre Konzepte den Eltern und Kindern aufzwängten. Es heißt, dass viele von ihnen 'Reformpädagogik' vortäuschten und sie ihre zurechtgeschneiderte 'Pädagogik' für ihre eigenen Zwecke und Bedürfnisse missbrauchten. Dazu gehören auch einige der bekanntesten, aber das wissen Sie sicherlich schon. Heute steht der Vorwurf im Raum, die reformpädagogischen Konzepte mit ihrer Fülle von Lehr-/Lernmaterialien dienten in erster Linie wirtschaftlichen Interessen.

Noch einmal zu Becker: Vieles von dem, was der pädophile Gerold Ummo Becker - seinerzeit Vorzeigepädagoge der Reformpädagogik – als Leiter der Odenwaldschule propagierte, ist längst – auch in die Grundschulen – eingezogen, dazu gehört auch die erweiterte Definition des sozialen Lernens. Das war geradezu Beckers Spezialgebiet. Dass ausgerechnet er in Zeiten sexuell motivierter gröbster Gewalttätigkeiten seine Schrift „Schule, Lehrer und Gewalt - was tun?“ veröffentlichte, ist eine nicht zu überbietende Dreistigkeit. Pikanterie am Rande: Noch nach dem ersten Bekanntwerden des beckerschen Missbrauchssystems an der Odenwaldschule im Jahre 1999 demonstrierten beim Bremer Bildungstag, am 06.02.2003 im Bremer Rathaus, Becker, Brügelmann und Harder ihre einvernehmliche reformpädagogische Zusammenarbeit: Dr. Wolfgang Harder als Moderator, Prof. Dr. Hans Brügelmann als Referent mit dem Thema "Sprach- und Lesekompetenz und selbstständiges Lernen", Gerold Becker als Referent über das Thema "Bessere Bildung für ‘Risikogruppen‘ und Ausgleich von sozialen Benachteiligungen".

Wie das mit den Leistungen der Kinder aus Migrantenfamilien ist, mein Rat: Informieren Sie sich bitte! Sämtliche OECD-Studien! Kinder aus Migrantenfamilien und die Kinder aus bildungsfernen und unterprivilegierte Familien sind diejenigen, die in Deutschland abgehängt werden. Studieren Sie die Ergebnisse aus der nationalen Ergänzungsstudie IGLU-E 2006 und dieses hier von K. Kowalski /A. Voss, dass rund einem "Viertel aller Schülerinnen und Schüler der Weg zur Schriftlichkeit mit den etablierten didaktischen Vermittlungsansätzen verwehrt bleibt". Dabei untertreiben die beiden, aber das wäre eine neue Diskussion.

Gravatar: Jan Sen

Glauben sie, was sie als Zitat posten?

Zitat Andresen:
und ist ein mächtige Lobby geworden. Sein Vorstand hat jetzt Zugang zu allen entscheidenden Instanzen in den 16 Kultusministerien, kann auf Referenten und Lehrpläne einwirken und will offenbar versuchen, gleich die ganze Kultusministerkonferenz für die neue Schrift – werbewirksam “Grundschrift” – für alle zu begeistern.

Ein Lehrerverband, ein GRUNDSCHULlehrerverband soll in Deutschland eine MÄCHTIGE Lobby geworden sein? Leider gibt es hier keine Smileys, ich würde den auswählen, der sich am meisten, heftigsten und dollsten kaputt lacht.

Ein Lehrervand soll auf Lehrpläne EINWIRKEN können? :D

Ernsthaft frage ich mich dann aber: Wenn man es schaffte die gesamte KMK für die Sache Grundschrift zu begeistern, was soll dann falsch sein?
(wieder: entweder ist die Unterstellung die KMK sei zu doof und würde auf Scharlatane reinfallen ODER die KMK prüft und kommt dann zu dem Schluss: Davon können wir begeistert sein - dann ist doch alles in Butter).

Gravatar: Jan Sen

Verärgert oder aufgeregt war ich nur, als ich einen langen Beitrag verlor... aufgrund eines falschen Klicks ;)

Spannend wofür Ute Andresen herhalten muss und wieder, dass man der einen Expertin einseitig "alles" glaubt, dem anderen "Experten" aber den Expertenstatus abspricht.

Ute Andresens Klage gegen die Grundschrift ist doch insofern beachtlich, weil sie eine eigene "handgeschriebene Druckschrift" verkauft (= vermarktet und in ihrem Shop auch Materialien verkauft).
http://www.achtsam-schreiben-lernen.de/start_hds.html

Sie wird sich damit sicherlich keine goldene Nase verdienen, aber dies ist analog zu den Grundschriftmenschen.

Da ich jetzt nicht die Zeit habe:

Es ist nicht meine Frage: „Wie ist dieses reformpädagogische Konzept eigentlich entstanden und wie konnte es sich in den Grundschulen derart verbreiten?“
Es ist die Frage im Interview der FreienWelt. Jansen beantwortet sie nicht, sondern führt von dem Einzelfall-Nichtmals-Theologe (glauben sie nicht auch, dass man auf Einzelfall hervorragende Beispiele findet: Kein Pädagoge, herausragende pädagogische Arbeit?) Becker zu demProfessoren-der-nicht-genannt-werden-darf.
Die Frage wird Jansen unter diesem Titel auch nicht in Brief #23 beantworten. Wenn ich was über Verfehlungen von Reformpädagogen wissen möchte, lese ich bei Oelkers, Ortmeyer usw. Kein Problem.
Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage nach der Verbreitung und wieder bleiben zwei große Alternativen: Die Grundschulen bzw. deren Lehrer sind geblendet oder unfähig auf der einen Seite oder jenseits der Verfehlungen waren es herausragende Prinzipien oder Ideen, die sich durchgesetzt haben.

Zur Methode und den MigrantInnen:
Jansen behauptet wiederholt: Die Migrantinnen schneiden bei den neuen Methoden so schlecht ab. Steinig behauptet den Leistungsverfall. Selbst wenn man diesen Verfall als gesetzt hinnähme (was ich nicht tue, dafür sprechen sowohl die widersprüchlichen Studienbefunde nicht, als auch die leo.studie, die ich mir nach Brügelmanns Hinweis http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/rechtschreibung-hans-bruegelmann-erklaert-den-spracherfahrungsansatz-a-907998.html) angeschaut habe (http://blogs.epb.uni-hamburg.de/leo/), stellt sich ja die Frage, ob neue Methoden daran ursächlich wären. Schaut man sich Studien zur Verbreitung offener Lernformen an, bin ich auch hier skeptisch.
Bei der Methodendebatte werden von Jansen vor allem zwei Gruppen als Verlierer ausgemacht: bildungsferne, unterprivilegierte Gruppen und MigrantInnen. Bei Steinig aber schneiden die MigrantInnen nur unwesentlich verschlechtert vor allem relativ als die Gewinner ab. Wenn man davon ausgehen, dass „die neuen Methoden“ für den Leistungsverfall verantwortlich seien, dann muss mir diesen relativen Gewinn einmal erklären....

Viele Grüße
Jan

Gravatar: Ulrike

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