Steffen J. Roth Institut für Wirtschaftspolitik an der Kölner Universität

Betreuungsgeld aus Zweifeln an anderen staatlichen Wohltaten geboren - Interview mit Steffen J. Roth

Steffen J. Roth ist Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Kölner Universität. In einem ordnungspolitischen Kommentar hat Roth gefordert, lieber die Krippensubventionen auf den Prüfstand zu stellen, als das Betreuungsgeld „aus den falschen Gründen“ zu kritisieren. Was seiner Meinung nach die richtigen Gründe dafür sind, verrät er im Interview mit FreieWelt.net

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FreieWelt.net: Die Einen beschimpfen und verunglimpfen es als Fernhalte-, Herd- oder gar Verdummungsprämie, die Anderen halten es für einen richtigen und wichtigen Schritt hin zu mehr Wahlfreiheit – die Rede ist vom Betreuungsgeld, das voraussichtlich ab 2013 für Eltern gezahlt werden soll, die ihre Kinder nicht in einer staatlich subventionierten Kinderkrippen betreuen lassen. Warum wird so heftig über das Betreuungsgeld gestritten?

Steffen J. Roth: Grundsätzlich wird immer viel gestritten und diskutiert, wenn nicht eine bestimmte Lösung eindeutig vorherrschender common sense ist, wenn die Mehrheiten eben alles andere als eindeutig sind. Solche Themen eignen sich für politische Profilierungsversuche. Im Fall der frühkindlichen Betreuung kommt hinzu, dass es nicht nur hoch-emotionale Themen sind, die hier zur Sprache kommen, sondern sich auch beinahe jeder als Experte fühlt: Wenn man nicht selbst Kinder hat und seine eigenen Betreuungsentscheidungen zu rechtfertigen versucht, dann war man doch früher zumindest selbst einmal Kind. Aber Abseits dieser Begründungen ist es natürlich in der Tat so, dass das Betreuungsgeld ein kurioses Novum wäre, da hier diejenigen steuerfinanzierte Barauszahlungen erhielten, die staatlich angebotene Leistungen nicht nutzen wollen.  Umgekehrt ist auch die Politik der einseitigen Krippenplatzsubventionierung zu Recht umstritten, da sie unzweifelhaft ein bestimmtes Betreuungskonzept stark privilegiert, ohne überzeugend zeigen zu können, dass dieses Konzept in einem relevanten Sinne überlegen ist.

FreieWelt.net: Die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen hat kürzlich in einem Interview im „Spiegel“ mit Blick auf das Betreuungsgeld davor gewarnt, nicht in den „Muff des letzten Jahrhunderts zurückzufallen“. Zementiert das Betreuungsgeld, wie von den Kritikern behauptet, „veraltete Rollenmuster“?

Steffen J. Roth: Frau von der Leyen gebärdet sich seit langer Zeit als große Modernisiererin. Siescheint keinerlei Bedenkengegenüber paternalistischer Politik zu haben, sondern versteht ihre Rolle als Politikerin so, dass sie die Bevölkerung erziehen darf oder vielleicht sogar erziehen muss. Denken Sie nur an die von ihr vorgenommene 180-Grad-Wende vom Erziehungsgeld für sozial bedürftige Eltern zum Elterngeld als Privilegierungsprogramm für Hochverdiener-Eltern. Und denken Sie hier speziell an Details wie die bedingte Auszahlung der Subvention für zwei zusätzliche Monate, wenn beide Partner eine Auszeit vom Beruf nehmen.Um eine solche eindeutig bestimmte Einkommensschichten und bestimmte Lebensentwürfe privilegierende Politik durchzusetzen müssen Sie sich ihrer Sache schon sehr sicher sein. Ich gehe davon aus, dass Frau von der Leyen und ihre Vertrauten fest davon überzeugt sind, dass sie überdas notwendige bessere Wissen verfügen, um die Bürger „freundlich aber bestimmt und unnachgiebig“ auf den rechten Pfad zu führen. Wenn diese schöne neue Welt eine Doppel-Erwerbstätigkeit der Eltern vorsieht, aus welchen Gründen auch immer, dann ist aus dieser Perspektive jede Maßnahme kontraproduktiv, die die Modernisierung aufhält. Ja, selbstverständlich konterkariert das Betreuungsgeld, sofern es denn überhaupt entscheidungsverändernde Effekte bei jungen Eltern haben sollte, die Wirkung der einseitigen Krippenplatzsubventionierung.                                                                                                                                

FreieWelt.net: Wirtschaftsverbände wie der Arbeitgeberverband halten das Betreuungsgeld für ein „grundverkehrtes Vorhaben“, weil es Kinder von „frühkindlicher Bildung“ fernhielte. Geht es den Vertretern der Wirtschaft nicht doch nur darum, die Mütter als günstige Arbeitskräfte von der „Reservebank“ zu holen?

Steffen J. Roth: Worum es einzelnen Vertretern wirtschaftlicher Interessen in bestimmten Meinungsäußerungen tatsächlich geht, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht sind auch diese Menschen von der Richtigkeit und Notwendigkeit frühkindlicher Krippenbetreuung überzeugt. Klar ist jedoch zweierlei: Erstens müssten die Betroffenen ohne die Subventionierung der Fremdbetreuung durch die Steuerzahler selbst mehr bezahlen, wenn sie ihre Kinder dennoch in die Krippe bringen wollten. Entweder müssten die Eltern auf verfügbares Einkommen verzichten oder die Arbeitgeber müssten höhere Arbeitsentgelte bieten bzw. sich selbst in der Bereitstellung von Betreuungsmöglichkeiten engagieren. Natürlich ist auch ein Kompromiss vorstellbar. Jedenfalls gehören Arbeitgeber von jungen Eltern und junge Eltern mit dem Wunsch nach Fremdbetreuung zur Ermöglichung eigener Erwerbstätigkeit einer Interessenkoalition an. Das Betreuungsgeld erhöht nun das Anspruchsniveau, was nicht nur die Finanzierbarkeit des Gesamtpakets noch stärker in Frage stellt sondern außerdem die potenziellen Lohnforderungen der Eltern weiter erhöht. Beides liegt eindeutig nicht im Interesse der Arbeitgeber. Zweitens ist es nach meiner Informationslage über einschlägige pädagogische und psychologische Erkenntnisse ziemlich gewagt, die Fremdbetreuung von Ein- und Zweijährigen in staatlich subventionierten Krippen aus Bildungsgründen der Betreuung durch Eltern, Großeltern, Tagesmütter, Aupairs oder in Elterninitiativen vorzuziehen. Es würde mich wundern, wennArbeitgeberverbände da signifikante wissenschaftliche Erkenntnisse haben sollten.                                                                                                                              

FreieWelt.net: Die Betreuung der Kinder in einer staatlichen Kinderkrippe bzw. Kindergarten wird derzeit vom Staat im Durchschnitt monatlich mit 1.000 Euro pro Betreuungsplatz subventioniert. Warum fördert der Staat Ihrer Meinung nach bislang einseitig nur dieses eine Betreuungsmodell?

Steffen J. Roth: Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Allerdings ergeben die Argumente der Bildung, der Sozialisation und der Integration immer mehr Sinn, je höher das Alter der Kindergartenkinder ist, deren Subventionierung zur Debatte steht. Ein letztes Kita-Jahr vor dem kostenlosen Besuch der Grundschule könnte ähnlich begründet werden, wie die öffentliche Finanzierung der Schulen auch. Natürlich bleibt dennoch die Frage kritisch, warum bei der Subventionierung von Kinderbetreuung und Schule danach diskriminiert wird, wer der Träger der Einrichtung ist. Qualitätskontrollen könnten eine Alternative sein. Ich habe allerdings auch diese immer wieder kursierende Zahl von 1.000 Euro pro Platz und Monat nicht überprüft.

FreieWelt.net: In Ihrem kürzlich erschienenen „Ordnungspolitischen Kommentar“ titelten Sie, „das Betreuungsgeld wird aus den falschen Gründen abgelehnt“. Was wären denn die richtigen Gründe, das Betreuungsgeld abzulehnen?

Steffen J. Roth: Das Betreuungsgeld muss aus ökonomischer Vernunft heraus abgelehnt werden, weil es eine Transferzahlung darstellt, die sich nicht positiv begründen lässt, sondern nur aus den Zweifeln an anderen staatlichen Wohltaten geboren wurde. In der Tat würde es sich beim Betreuungsgeld um eine Zahlung aus Steuermitteln handeln, die Bürger alleine aus dem Grund erhalten, dass sie eine andere staatlich bereitgestellte Leistung nicht in Anspruch nehmen. Der häufig angestellte Vergleich mit dem Opernbesuch hält meiner Ansicht nach ohne Weiteres stand. Auch bei der Subventionierung von Opernhäusern und anderem mehr müsste regelmäßig kritisch überprüft werden, ob deren Bezuschussung überzeugend begründbar ist. In einer auf Privateigentum und Eigenverantwortung basierenden freien Gesellschaft geht es darum, den Bürgern nur so viel Steuern abzuverlangen wie zur Finanzierung allgemein als notwendig akzeptierter Staatsaufgaben erforderlich ist. Die Bürger müssen bereit sein, Teile ihres eigenen Einkommens an den Finanzminister zu überweisen, damit der davon Leistungen einkauft, deren öffentliche Bereitstellung aus irgendeinem nachvollziehbaren Grund vernünftig erscheint. Die Steuerfinanzierung von Krippenplätzen und Opernhäusern ist heute wohleher nicht allgemein als notwendig akzeptiert. Im Gegenteil, große Teile der Gesellschaft sind nicht einmal davon überzeugt, dass die Betreuung von Einjährigen in der Krippe oder der Besuch einer Opernaufführung überhaupt unzweifelhaft wertvoll ist. Wenn die Krippenplatzsubventionierung fragwürdig ist, folgt daraus aber eben keinesfalls, dass man zur Kompensation der Nichtnutzer zusätzlich den Transfer des Betreuungsgeldes etablieren sollte. Diese Logik würde es ermöglichen, eine noch viel höhere Steuerbelastung der Bürger anzustreben um noch mehr zweifelhafte Leistungen öffentlich bereitzustellen und den Nörglern im Gegenzug eine kleine Schweigegeldzahlung anzubieten. Das entspricht der Perspektive eines allumfassenden Wohlfahrtsstaates, der seinen Bürgern ausnahmsweise Taschengeld gibt.

Das Betreuungsgeld ist falsch und entspricht nicht den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Systematisch richtig wäre es, die angemessene Neutralität der Gesellschaft gegenüber den unterschiedlichen Betreuungskonzepten durch eine entsprechende Kürzung der Subventionen zum Krippenplatzausbauherzustellen oder auf die staatliche Förderung der Kinderkrippen völlig zu verzichten.

FreieWelt.net: Armutsforscher sehen in Kindern inzwischen das Armutsrisiko Nummer eins. Sollte dem Staat die Unterstützung der Familien mit Kindern besonders in der Familiengründungsphase nicht doch einiges an finanziellen Mitteln wert sein, angesichts der Kosten, die uns mit dem demographischen Wandel drohen?

Steffen J. Roth: Natürlich müssen wir unsere Sozialversicherungszweige so reformieren, dass sie der Privatentscheidung zugunsten oder gegen Kinder auch neutral gegenüberstehen und nicht etwa Kinderlosigkeit privilegiert wird. Ansonsten aber halte ich es für den besseren Ansatz, die gesellschaftlichen Strukturen an die veränderten demografischen Bedingungen anzupassen und nicht umgekehrt die Bürger dazu zu bringen, sich so zu verhalten, dass die alten Institutionen funktionsfähig bleiben.Ich halte es also für den falschen Weg, die demografischen Herausforderungen angehen zu wollen, indem man Kinder subventioniert.Auch hier droht im Übrigen wieder die Verkehrung der Verhältnisse. Wenn wir die Familie schützen wollen, dann gerade weil die Familie Privatangelegenheit ist. Dann aber ist es auch Privatsache junger Paare, ob sie sich für Kinder entscheiden und wenn ja, wann und für wie viele.

Natürlich muss bei der Bemessung der Steuerlast die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Familien mit Kindern angemessen berücksichtigt werden. Und natürlich sollte allen Menschen Hilfe geleistet werden, wenn sie in materielle Notlagen und Bedrängnis kommen.In unserem System der sozialen Mindestsicherung wird das Problem der Armut von Familien ebenso wie das Problem der Armut aus anderen Gründen mittels bedürftigkeitsgeprüfter Hilfen aufgefangen.Man kann über die angemessene Höhe der Transfersätze streiten. Aber es ist jedenfalls nicht sinnvoll, den Bürgern Steuern aufzuerlegen um wirtschaftlich ohnedies starken Familien mit Kindern zum Zweck der Armutsvermeidung Einkommenstransfers zu zahlen.

  • Dr. Steffen J. Roth ist Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln. Vorher studierte er Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und am Trinity College Dublin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Analyse des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherung, der neuen Institutionenökonomik, insbesondere der Verfassungsökonomik sowie der Untersuchung der wechselseitigen Beeinflussung von gesellschaftlichen Normen und ökonomischen Anreizstrukturen.
  • Kontakt: www.iwp.uni-koeln.de; steffen.roth@wiso.uni-koeln.de
  • Zum Ordnungspolitischen Kommentar von Steffen J. Roth zum Betreuungsgeld: www.iwp.uni-koeln.de/DE/Publikationen/komment/pdf-Dateien/OK_05_2012.pdf

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Bazo

@ Lupengucker
Dito: Ich bin auch dagegen, kein Widerspruch!
Die vorigen Äußerungen spiegeln nur meine Meinung darüber, weshalb uns die politischen Gauner zwangsbeglücken wollen: Letztendlich um uns zu abhängigen Sklaven zu machen!

Gravatar: Lupengucker

@Bazo
Ich bin gegen Krippensubventionen und Betreuungsgeld. Der Staat soll sich raushalten aus der Kindererziehung und nach anderen, wertneutralen Wegen eines finanziellen Ausgleichs für die Mehrbelastung der Eltern suchen.

Gravatar: Ich

Das mit dem Opernbesuch ist ein prima Vergleich. Dementsprechend müssten auch die Käufer von klassischen CDs oder Musikinstrumenten eine Prämie erhalten, dass sie das häusliche Musizieren dem subventionierten Besuch einer Oper vorziehen. Ob sie die CD oder Instrumente auch spielen, kann ja genauso wenig überprüft werden wie ob Eltern ihre Kinder überhaupt erziehen...

Gravatar: Lupengucker

Was Sie sagen, Herr Roth, leuchtet mir auf ganzer Linie ein.
Es sollte weder Subventionen für Krippen geben noch ein Betreuungsgeld. Sinnvoller wären Unterstützungen bei der Rente für Mütter oder Väter, die durch Kindererziehung Nachteile in der Bemessung der Altersbezüge hinnehmen müssen.

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