Zur Frage des Bedarfs an U3-Betreuungsplätzen

Von Politikern unterschiedlichster Richtungen wird - quasi als große Koalition - immer neu verkündet, die Ganztagsbetreuung sei der "Königsweg" zu einem stattlicheren Kindersegen.

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Parallel dazu wird suggeriert, dass damit auch die besten Bildungs Chancen für den Nachwuchs verbunden wären. Oft wird diese Stoßrichtung durch Frauenverbände und in die Erwerbstätigkeit strömen wollenden Frauen unterstützt.

Dieser Irrglaube wird sowohl durch die Zahlen in den neuen Bundesländern als auch durch die Entwicklung in Skandinavien widerlegt. Eine Zauberlosung für die Notwendigkeit des weiteren U3-Ausbaus ist fast für alle Regierungskoalitionen gleichermaßen der deutlich feststellbare Betreuungsbedarf an Krippenplätzen.

Kaum in einem anderen Bereich unseres Staatswesens wird so undifferenziert mit Bedarfsäußerungen umgegangen, wie im Bereich der Kinderbetreuung. Rief das Volk, die Steuern abzuschaffen oder das Parken auf Bürgersteigen zu erlauben, es würde ignoriert. Wollen Eltern aber ihre Säuglinge oder Kleinkinder ganztägig in die Krippe geben, schon wird das Ganze als wichtige Bedarfsäußerung aufgegriffen. Die Frage, ob die Väter und Mütter sich hier überhaupt als Erziehungspersonen - in Abgrenzung von Eigen-Interessen - äußern, bleibt meist unberücksichtigt. Solche Willenbekundungen dürften wegen Befangenheit und offensichtlicher Interessen-Kollision gar nicht ungeprüft aufgegriffen werden.

Denn einen tatsächlichen Bedarf zu ermitteln, ist viel mehr als auf "das hätte ich auch gerne"-Aussagen zu reagieren. Erst recht, wenn die Kosten für dieses "Angebot" wie im Beispiel der Krippenbetreuung zu ca. 80% von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Man möge sich einmal vorstellen, was passieren würde, wenn Fast-Food-Ketten ihre Produkte ähnlich stark staatlich subventioniert auf dem Markt der Möglichkeiten anbieten würden. Ein Riesenbedarf würde sich dann "über Nacht" ergeben. Die Menschen würden die Verkaufstellen stürmen, die häusliche Küche noch intensiver ignorieren und sich bald als Weltmeister innerhalb der Kombi-Disziplin der Ungesündesten und Überernährtesten auf dem Welt-Sieger-Podest befinden. Nein, so lässt sich keinesfalls ein Bedarf ermitteln.

Echte Bedarfermittlung ist ein sehr schwieriger Prozess, denn im Grunde geht es darum, ethische und ökonomische Aspekte zu erkunden und möglichst zusammen zu führen. Als erstes wäre also zu klären, was ein Mensch bzw. ein Kind braucht, wichtig ist, seinem Leben Sinn, Qualität und Zukunft gibt. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geht es um die Frage, für was Menschen welchen "Preis" zu zahlen bereit sind. Dabei geht es nicht nur um finanzielle und zeitliche Aspekte, sondern auch um den Anstrengungsaufwand. Ist der Preis zu hoch, kauft niemand; ist er sehr niedrig, aber der restliche Aufwand zu hoch, wird das Produkt ebenfalls keine Chance haben. Andererseits schafft es die Konsumindustrie ständig neu, uns Produkte zu verkaufen, die niemand braucht und häufig genug sogar schädlich sind.

Die bisherigen "Bedarfserhebungen" zum Thema Kinderbetreuung orientieren sich stark am Muster: "Hätte ich auch gerne"! Es wird weder überprüft, welche Gründe dafür sprechen, ob dies für das Baby oder Kleinkind gut ist und wie die durch Fremdbetreuung entstandene Sondersituation fürs Kind ausgeglichen werden könnte. Nein, ein Kreuzchen genügt in den meisten Fällen. Auch wird nicht "von Amts wegen" darauf geachtet, ob dies überhaupt dem Kindeswohl dient und für diese bzw. jene Familien-Situation angemessen ist. So kann es sein, dass die "Bedarfsäußerung" einer verheirateten, nicht berufstätigen und finanziell abgesicherten Mutter eines 6 Monate alten Kleinkindes genauso aufgegriffen wird wie der Bedarf einer berufstätigen alleinerziehenden und finanziell auf sich gestellten Mutter für ihr zweijähriges Kind.
Kämen die Krippenplätze zum tatsächlichen Preis auf den "Angebotsmarkt" - der öffentlich finanzierte Anteil liegt schon bei ca. 1.200 Euro pro Monat - würde sich schnell herausstellen, wem welcher Betreuungsumfang was wert ist. Diese Finanzierungsart setzt voraus, dass alle Eltern mit einem einheitlichen Erziehungsgeld, beispielsweise in Höhe von 600 Euro ausgestattet werden, um dann frei zu entscheiden, ob sie sich eine Betreuungsleistung kaufen und das Geld zur Krippe tragen oder ihr Kind im eigenen Haushalt aufwachsen lassen. Damit würde auch die von Eltern erbrachte Erziehungsarbeit honoriert. Wenn dann Eltern unter eine finanzielle Zumutbarkeitsgrenze geraten sollten, sind hier immer noch individuelle Mitfinanzierungslösungen möglich. Und für den Fall, dass Menschen auf die Idee kommen sollten, Kinder in die Welt zu setzen, um sich ihre "Verwahrlosungs-Leistung" mit einer kräftigen Prämie honorieren zu lassen, dann sind alle öffentlichen Stellen gleichermaßen aufgerufen, dem einen Riegel vorzuschieben. Dies ist aber auch heute schon notwendig, weil solche Menschen - Väter oder Mütter möchte ich sie nicht nennen - schon seit Jahren häufig den in der Sozialhilfe eingerechneten Versorgungsteil nicht im entsprechenden Umfang für den Nachwuchs einsetzen.

Werden diese Ausführungen berücksichtigt, würde sich dem tatsächlichen Bedarf - wenigstens unter ökonomischen Gesichtspunkten - viel umfangreicher angenähert. Denn ob eine Fremdbetreuung, welche zu häufig mit ständigem Fachkräftewechsel (bei Schichtbetrieb täglich); mangelhaftem Personalschlüssel und ungünstigen Rahmenbedingungen verbunden ist, für ein Kind gut oder nur als Ersatzlösung für Sondersituationen anzusehen ist, bleibt bei dieser pekuniären Betrachtung außen vor.

Der folgende Kurztext aus dem Deutschbuch "Drucksache" rückt den - in der politischen Diskussion restlos verdrängten - Beziehungs- und Bindungsaspekt innerhalb der Frage "eigene Erziehung" oder "Betreuung durch Fremde" ins Blickfeld:

Entwicklungsphasen vieler heutiger Kinder und Jugendlicher:

-Geboren als Prinz oder Prinzessin,
-im Burgverlies aufgewachsen und
-mit vielen Defiziten ins Leben gelassen!

Oder ganz konkret:

-als Säugling wurde ich mit Zuwendung und Geschenken überschüttet
-als Kind erfuhr ich, dass ich zum Störfaktor in Beruf und Tagesablauf wurde
-als Jugendlicher geriet ich per Geld und Konsumgüter in die Abschiebung
-als Erwachsener warf man mir vor, mein Leben nicht in den Griff zu bekommen.

Wenn sich Eltern häufiger daran orientieren würden, was denn das Förderlichste für die ersten drei Lebensjahre ihres Kindes sei, sähen viele von ihnen hoffnungsvoller in die Zukunft und wären besser auf die vielfältigen Herausforderungen des Lebens vorbereitet.

Wenn prägende Kräfte in einer Gesellschaft immer noch meinen, Mütter und Väter aus dem vermeintlich engen Korridor zwischen Kinderzimmer und Küche in Richtung Erwerbsarbeit befreien zu müssen, werden so gleichzeitig Kinderinteressen und Erziehungsleistungen torpediert. Denn wer Eltern klar zu machen sucht, dass Kindererziehung und Haushaltsführung recht leicht neben einer außerhäusigen Berufstätigkeit ausgeübt werden kann, hat entweder vom jeweiligen Tätigkeits- und Zeitaufkommen keine Ahnung, oder huldigt selbst dem Schein-Ideal, dass nur der Gelderwerb Lebenssinn schafft. Setzt hier kein Kurswechsel ein, geraten noch mehr Kinder mitsamt ihren vielfältigen Bedürftigkeiten auf den Verschiebebahnhof zwischen Geburts-Elternhaus, Fremdbetreuung und Selbstüberlassung als Ausdruck der nonverbalen Kernaussage: "Du bist mir nicht so wichtig"! Aber ein Kinderlächeln lässt sich nicht in Gold aufwiegen und es gibt auch keine zweite Chance für originäre Beziehungszeiten mit dem eigenen Nachwuchs.


Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17

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