Zufrieden vielleicht, glücklich nicht

Eindrücke von einer besonderen Wahlnacht in der CDU-Zentrale

Mit den Siegern lässt es sich am besten feiern. Das gilt vor allem in der Politik. Dementsprechend stark war der Andrang bei der zentralen Wahlparty der CDU im Berliner Konrad-Adenauer-Haus.

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3.000 mehr oder minder überzeugte Parteigänger, versierte Verbandsvertreter und erfahrene Journalisten fanden sich in der Klingelhöferstraße am Tiergarten ein, um den „sicheren“ Wahlsieg zu feiern. Sicher war nach allen Umfragen zumindest der Status als stärkste Fraktion und der damit verbundene Auftrag zur Regierungsbildung. Mit „Wir wählen die Kanzlerin“-Großplakaten hatte die Union in den letzten Wochen dementsprechend die größer werdende Zahl von Unentschlossenen noch auf ihre Seite zu ziehen versucht.

Das Publikum einer solchen Wahlparty wäre eine eigene sozialwissenschaftliche Studie wert. Geprägt wird das Bild von denen, die der Union laut eigener Mitgliederstatistik und parteiinterner Strategie-Papiere so sehr fehlen: Männer zwischen 30 und 50 Jahren alt, dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte, Typ wirtschaftlicher Leistungsträger oder politischer Topentscheider. Frauen zwischen 20 und 40 Jahren alt, Abendkleid, sportlich schick, Typ Vorstandsassistentin oder Büroleiterin im Polit-Betrieb. Es sind die aktuellen Leistungsträger, Entscheider, Meinungsmacher, die sich an einem Wahlabend in der Parteizentrale einfinden. Einer kurzen, sicher nur bedingt repräsentativen Feldumfrage am Sonntag Abend zufolge haben lange nicht alle ein CDU-Parteibuch – aber sind eigenen Angaben zufolge „treue Sympathisanten“, die eine Partei im vorpolitischen Raum doch so sehr benötige. „Vorpolitisch“ ist in Berlin am Wahlabend, aber auch sonst gar nichts mehr. Netzwerkpflege, Medienwirksamkeit, Informationsmanagement – all das findet im Zeichen der großen Politik statt, wird zum politischen Instrument. So auch am Sonntag Abend.

Als sich am frühen Nachmittag das insgesamt 900 Meter lange Zelt langsam füllt, ist die Stimmung angespannt. Erste Zahlen von den Instituten machen die Runde. Sie zeichnen alle ein ähnliches Bild: Die Union verliert im Vergleich zum schlechten Wahlergebnis von 2005 noch einmal knapp zwei Prozentpunkte, die FDP fährt jedoch im Gegenzug Ergebnisse in Richtung Projekt 18 ein, ein hauchdünner Vorsprung für das bürgerliche Lager vor dem Schreckgespenst Rot-Rot-Grün. Obwohl vor allem junge Mitarbeiter aus der Parteizentrale dem hadernden Parteivolk versichern, „es reicht diesmal“, wollen selbst langjährige Parteigänger noch nicht so wirklich in Fahrt kommen. Zu tief sitzt der Schock von 2002, als Edmund Stoiber die Wahl als bereits „gewonnen“ titulierte, um am nächsten Morgen als Verlierer das Adenauerhaus zu betreten. Zu stark sind die Erinnerungen an 2005, als 14 Stunden vor der Wahl die Mehrzahl der deutschen Meinungsforschungsinstitute die Union bei knapp 40 Prozent sah und man dann bei 35,2 Prozent die Arme kaum hochbekam, als Kamerateams sämtlicher Fernsehanstalten die entsprechenden Bilder einzufangen versuchten. Die Anspannung der angereisten Wahlkämpfer und Unterstützer bleibt bestehen, auch als bei den Mitarbeitern der Parteizentrale Entspannung einzusetzen scheint.

Lautes Lachen und dauerhaftes Grinsen jedenfalls scheint in diesem Moment solchen  Menschen vorbehalten, die in orangefarbenen „TeAM-Deutschland“-T-shirts versuchen, in so viele Kameras wie möglich ihre Freude über die Kanzlerschaft von Frau Merkel reinzuschreien. Es sind die überwiegend jungen Unterstützer der CDU-Freiwilligenkampagne. Knapp 30.000 sollen es laut Dankansage der Kanzlerin am Ende gewesen sein, die sie durch eine Unterschrift und einen mehr oder minder ausgeprägten Wahlkampfeinsatz unterstützt haben. Ursprünglich hatte der CDU-Generalsekretär Pofalla sechs-, wenn nicht siebenstellige Mitstreiterzahlen angestrebt. Ein weiterer Import aus dem Obama-Wahlkampf sollte erfolgreich kopiert werden. Der hatte Millionen Amerikaner als „volunteers“ für seine Kampagne gewinnen können. Warum es bei der CDU trotz mehrfacher Aufrufe auch an die eigene Parteibasis dann so überschaubar blieb, darüber will am Sonntag Abend niemand so richtig Auskunft geben. Es könnte am Ende ja vielleicht an der Kandidatin gelegen haben. Oder an ihrem nicht-existenten Programm. Doch derlei „parteizersetzende Äußerungen“ tuschelt man sich nur unter der Hand zu. Als um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmern, wird der Jubel des Parteivolks von den Kommentatoren als „verhalten“ beschrieben. Lediglich im orange-farbenen Pulk scheint unbändige Freude auszubrechen. Begeisterung über 33,8 Prozent, von denen 6,5 Prozent der CSU zu verdanken sind, die CDU selbst also nur 27,3 Prozent einfährt. Die Vertreter der Jungen Union wirken bei ihren Analysen gegen das TeAM Deutschland wie Spielverderber und Miesepeter. „Ich dachte, mit 35,2 Prozent sei die Talsohle erreicht“, so ein stellvertretender Bundesvorsitzender der christdemokratischen Jugendorganisation. „Unsere Stammwähler sind zuhause geblieben“, ist sich Henrik Bröckelmann, nordrhe in-westfälisches Mitglied des JU-Bundesvorstands, bald nach den ersten offiziellen Zahlen sicher. Sein Vorsitzender Philipp Missfelder, auch Präsidiumsmitglied der Mutterpartei, wird dieselben Worte an gleicher Stelle am Montag Morgen noch vor den Gremiensitzungen in die Kameras sagen und fordern, mehr für die Konservativen und Alten zu tun. Die Journalisten am Sonntag Abend warten auf solche Statements, verstehen die ausgelassene Partystimmung des immer noch in Orange herumspringenden Merkel-Teams nicht wirklich. Peter Hahne vom ZDF geht die Vertreter der Unionsführung denn auch entsprechend scharf an. Doch seine Gesprächspartner beginnen jedes Statement mit dem Ausdruck ihrer Freude über das erreichte Wahlziel des Regierungswechsels. Verzweifelt weisen die zahlreichen Reporter ihre Interviewpartner auf die Verluste der CDU hin. Vor allem beim TeAM Deutschland haben sie es jedoch nur mit Gewinnern zu tun. Auch die Parteigranden lassen sich nicht aus der Ruhe bringen, selbst Jürgen Rüttgers nicht, für den die zu erwartenden Einschnitte der schwarz-gelben Koalition bei seiner Landtagswahl im Mai des kommenden Jahres ein großes Problem darstellen könnte. 33,8 Prozent scheinen der Union also zu reichen. Vom Projekt 40 plus X spricht niemand mehr an diesem Abend. Lediglich einzelne junge und ältere Parteifunktionäre geben sich für mutige Aussagen her. Hans-Gert Pöttering, bis Juli Präsident des Europäischen Parlaments, konstatiert, dass im konservativen, vor allem im katholischen Bereich „sicher einige verloren gegangen sind, um die man sich aufs Neue bemühen muss.“ Die Erfahrung zumindest habe er während des Wahlkampfs in Niedersachsen gemacht.  Hermann-Josef Arentz, langjähriger Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse, sieht die Schuld für das schlechte Abschneiden der Union dagegen vor allem bei der bayrischen Schwesterpartei. Wenn die CSU in einem so bevölkerungsreichen Bundesland wie Bayern knapp 10 Prozent einbüße, wirke sich das mit ein bi s zwei Prozenten auf Bundesebene aus, „eben den Verlusten der Union, welche die Fernsehanstalten voraussagen.“ Arentz hält sich damit an die Rederegelung, wie sie auf den Fluren der oberen Stockwerke des Adenauerhauses ausgegeben wird: Schuld ist die CSU, in Bayern und in Baden-Württemberg wurden die Verluste eingefahren. Die beabsichtigte Schlussfolgerung drängt sich geradezu auf: Horst Seehofer und Günther Öttinger sind die Verlierer, Angela Merkel dagegen eine Wahlkampflokomotive. Wertkonservative Positionen werden es in der neuen Bundestagsfraktion schwerer haben: Mit der bayrischen wie mit der baden-württembergischen Landesgruppe wurden zwei Rückzugsorte und Werkstätten für wirklich bürgerliche Politik empfindlich geschwächt.  Übrig bleiben einige Hoffnungsträger aus Nordrhein-Westfalen und aus Hessen. „Konservative Stammwähler sind zuhause geblieben“, so lautet das Fazit von vielen  am Sonntag Abend.  Doch werden sehr unterschiedliche Konsequenzen gezogen: Während die einen vom Volk als Souverän ausgehen und sich und ihr Politikangebot in Frage stellen, suchen die anderen sich einfach ein anderes Volk. Merkel jedenfalls wird klar machen, bei wem sie die Verantwortung für die Niederlage sieht. Sie selbst sieht sich als Siegerin. Dazu macht die CDU-Vorsitzende sich einfach kurzerhand zur Vorsitzenden des gesamten bürgerlichen Lagers, wenn sie davon spricht, dass „wir“ eine eigene Regierung des bürgerlichen Lagers bilden wollten und damit das Wahlziel erreicht hätten. Es wirkt, als habe Merkel auch den Wahlkampf der FDP erfolgreich gestaltet. Die punktet vor allem durch ihre Glaubwürdigkeit, was nicht wenige Beobachter auf der Wahlparty als Anlass dazu sehen, von einem deutlich selbstbewussteren und letztlich gefährlicheren Koalitionspartner auszugehen. Merkel selbst bleibt ein Phänomen: Mit dem zweitschlechtesten Ergebnis der Parteigeschichte w ird sie 2005 Kanzlerin, mit einem noch schlechteren Ergebnis kann sie nun ihre Wunschkoalition eingehen.

Wie ihre Politik künftig aussehen soll, das lässt die Kanzlerin in ihrer kurzen Ansprache durchscheinen, ob bewusst oder unbewusst: Sie wolle die Kanzlerin aller Deutschen sein. Weiter heißt es: „Wir wollen jedem ein Angebot machen“. Eine treffendere Zusammenfassung des CDU-Wahlprogramms und Wahlkampfs gibt es wohl nicht. Merkel wirkt sichtlich gelöst, als sie ihre wenig vorbereitet wirkenden Worte spricht. Sie dankt ihrem Generalsekretär Ronald Pofalla, den nicht wenige für das mangelnde Profil verantwortlich machen. Anschließend fordert sie die Gäste auf, „die Party richtig knallen zu lassen“, da nur der ordentlich arbeite, der auch richtig feiere. Es wirkt wie eine von oben verordnete Feierlaune, die vor allem bei „ihrem“ Team ankommt: Die haben mittlerweile ihre orangefarbene Oberbekleidung in schwarze T-shits eingetauscht, auf denen zu lesen ist: „Wir bleiben Kanzlerin“. Über viel mehr jedoch kann man sich im Adenauerhaus an diesem Wahlabend nicht freuen.

Dierser Artikel erschien zuerst in der Tagespost

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