Wo sind die Geradeausdenker?

Unseren Eurorettern sind nicht nur die ökonomischen Argumente für die Beibehaltung der Einheitswährung abhanden gekommen, auch die politischen Gründe zerbröseln ihnen zwischen den Fingern.

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Dass „Deutschland wirtschaftlich am meisten vom Euro profitiere“, ist unter anderem durch die Tatsache widerlegt, dass der Anteil unserer Exporte in die Eurozone seit Einführung des Euro von 44% auf 40 gesunken ist - von den jetzt auf Deutschland zukommenden Lasten durch diverse Rettungspakete einmal ganz abgesehen.

Dass der Euro die Völker Europas zusammenführt, kann nur noch jemand behaupten, der seinen Kopf in den Sand steckt und die täglich sich neu auftuenden Risse innerhalb der Eurozone ignoriert. Vor der Krise war die deutsche die beliebteste Nation in Griechenland, heute sind wir dort die am meisten verhasste. Und wie sehr innerhalb der EU der Euro den Graben zwischen den Ländern mit und denen ohne Euro vertieft, zeigte soeben das Treffen zwischen dem britischen Premier und unserer Kanzlerin.

Anstatt endlich einzugestehen, dass die Europolitik immer weiter von den ursprünglich gesetzten Zielen abweicht, tritt die deutsche Politik, mit Ministerin von der Leyen und Minister Schäuble an der Spitze, die Flucht nach vorn an: „Mehr Europa“ soll nun plötzlich die Lösung sein. Statt unterschriebene Verträge einzuhalten („Maastricht“); gibt es jetzt wachsweiche Versprechen („Euro-plus-Pakt“); statt eine Transferunion zu verhindern, wird sie durch einen skandalösen Etikettenschwindel („Stabilitätsunion“) kaschiert, statt reinen Wein über die Folgen diverser Rettungsschirme für den deutschen Steuerzahler einzuschenken, werden jetzt Visionen für einen europäischen Zentralstaat serviert.

Den Vogel hat Minister Schäuble mit seinem Vorschlag abgeschossen, den EU-Präsidenten zukünftig vom Volk wählen zu lassen. Das Motiv ist klar: damit will er von einer offenen Diskussion über den Europäischen Stabilitätsmechanismus („ESM“) ablenken, der das nationale Budgetrecht aushöhlen soll. Ist dieser erst einmal in Kraft, werden nicht etwa demokratisch gewählte Parlamente oder nationale Regierungen, sondern 17 Finanzminister mehrheitlich über Milliarden und Billionen von Rettungsmilliarden abstimmen. Dass dabei, wie schon jetzt beim gesetzeswidrigen Aufkauf von Schrottpapieren aus den Südländern im EZB-Rat der Fall, die potenziellen „Geberländer“ von der Mehrheit der „Nehmerländer“ immer überstimmt werden können, nimmt unser oberster Euromantiker nicht nur gern in Kauf. Er findet das wohl auch besonders gut, weil „europäisch“!. Sein Kalkül: während die deutschen Medien den hingeworfenen Knochen („Direktwahl Bundespräsident“) laut schmatzend abnagen, kann er weiter leise an seiner Vision eines Eurozonen-Zentralstaates zimmern.

Anstatt zu konstatieren, dass sein Vorschlag nicht mal als Vision taugt, haben sich unsere euromantischen Feuilletonisten reihenweise von dieser Nebelkerze die klare Sicht verschleiern lassen. Eine löbliche Ausnahme stellte Nikolas Busse von der FAZ dar. Jetzt will die CDU die Direktwahl des EU-Präsidenten sogar in ihr Parteiprogramm aufnehmen! Eine Schnapsidee! Wieso sollen die Deutschen einen Europapräsidenten wählen, wenn sie noch nicht mal für ihren Präsidenten, ihren Kanzler und ihre Ministerpräsidenten zur Wahlurne gehen dürfen? Erkennt die CDU denn nicht die Scheinheiligkeit eines solchen Vorschlags, wenn dieser ausgerechnet aus einem Land kommt, in dem das Volk nicht befragt wurde, ob es den Euro haben will? Wäre es nicht angemessener, analog zur Mitgliederbefragung in der FDP, den deutschen Souverän als potenziell größten Gläubiger zu den Rettungspaketen zu befragen?

Da den Schäubles und von der Leyens hier die Vereinigten Staaten von Amerika („Vereinigte Staaten von Europa“) anscheinend als Vorbild gelten: Wie stellen sich die Visionäre in der CDU eigentlich die Wahl eines Europapräsidenten in einem Europa mit 27 Ländern und fast so vielen Sprachen vor? Müssen die Wahlreden finnischer, spanischer und französischer Kandidaten bei Anne Wills Talk Show und Wahlveranstaltungen auf deutschen Markplätzen zukünftig simultan ins Deutsche übersetzt werden?

So amüsant die Vision auch sein mag, dass ein deutscher Präsidentschafts-Kandidat zukünftig mit der Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, ein französischer mit der Kernkraft und ein britischer mit dem Linksverkehr werben könnte: Die Idee, einen Europa-Präsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen, ist ungefähr so ausgegoren wie die, eine Einheitswährung für völlig unterschiedliche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialkulturen  einzuführen

War es Helmut Schmidt, der mal meinte: „Wer Visionen hat, muss zum Arzt!“? Ich habe eigentlich nichts gegen Visionäre und sogenannte Querdenker. Aber in der CDU scheint es an Geradeausdenkern zu fehlen.

Handelsblatt.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Elmar Oberdörffer

@ Nemayer:
Nicht mal für die Länder mit nur geringen wirtschaftlichen Problemen ist der Euro gut, er ist allenfalls erträglich. Eine Gemeinschaftswährung setzt eine Gemeinschaftsregierung voraus, und die haben und wollen wir nicht.

Gravatar: Rainer Nemayer

Zum Europroblem sage ich folgendes:
Der Euro ist gut, für die Länder die nur geringe Wirtschaftliche Probleme haben.
Die Problemländer sollten den Euro aufgeben und zu ihrer alten Währung zurückkehren.
Es mag am Anfang schmerzlich sein.
Aber nach einiger Zeit werden sich im Land die Lebenshaltungskosten, der Währung angleichen.
Durch den Wechselkursgewinn, wird das Land für Besucher und Investoren aus den reicheren Ländern, preiswert und interessant.
Da die Produktionskosten in dem Land durch den Wechselkurs auch sinken, ist es auch für Unternehmen interessanter, in dem Land produzieren zu lassen oder Produkte zu kaufen.
Das schafft weitere Arbeitsplätze.

Gravatar: Friedrich Dominicus

Auf die wurde in den letzten 20 Jahren nicht gehört. Alles Zauderer, nach unseren Delebets.

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