Vor ein paar Wochen, es gingen stürmische Winde, hatte ich an meiner alten Arbeitsstelle zu tun. Dort kam ich mit zwei Kolleginnen ins Gespräch, die sich sogleich nach dem Stand meines Landlebens erkundigten. Frauen sind extrem countryaffin; solange jedenfalls, wie sie noch nicht auf dem Lande leben. Ich erwähnte diverse Verrichtungen und manche auch nicht (finale Maulwurfsvergrämung und anderes). Dann machte ich einen Fehler. Derzeit, sagte ich leichthin, regne es wieder Massen von Laub - ich käme selbst mit dem Laubbläser kaum dagegen an. Sofort legte sich ein kalter Hauch über unsere Konversation.
Laubbläser?! entfuhr es der Kollegin A, einer akademisch gebildeten Fachkraft aus dem Faktencheckbereich. Kollegin B, ebenfalls in diesem Metier tätig, blickte mich entgeistert an, als litte ich unter Koprolalie. Hätte ich den Damen berichtet, ich plante, in meinem Garten demnächst ein kleines, günstig im Internet erworbenes Atomkraftwerk in Betrieb zu nehmen, das Ausmaß ihres nonverbalen, gleichwohl unignorierbaren Abscheus wäre kaum größer ausgefallen.
Laubbläser, das hatte ich völlig vergessen, sind für rotgrün grundierte Zeitgenossen, die nicht zufällig in einem linksliberal angestrichenen Verlagshaus arbeiten, neben „SZ“ und „Spiegel“ auch „taz“ und „Ökotest“ abonniert haben, in sanierten Vier-Zimmer-Altbauwohnungen der besseren Hamburger Quartiere wie dem Stadtteil Eppendorf wohnen und bereits zur zweiten „Generation Bio“ zählen, stinkige Laubbläser also sind für diese Spezies der absolute No-go. Für Menschen, welche die Erde von ihren Kinder geliehen bekommen haben, freigebig Wörter wie „achtsam“ und „nachhaltig“ verteilen und auch fragwürdigen Erscheinungen des modernen Lebens allzeit Toleranz & Respekt vorschießen, sind Laubbläser das Aller-, Hinter-, ja das Ultraletzte.
Weil, Laubbläser sind nicht bloß laut. Das sind die städtischen Müllabfuhrwagen samt ihrer krakeelenden Mannschaften auch. Ebenso die ratternde U-Bahnlinie 3 entlang der Hamburger Isestraße, wo viele Bäume stehen, die Blätter fallen lassen, wo aber noch mehr Laubbläserhasser aus dem Journalistenmilieu nisten. Laut ist auch das Marktgeschehen, das sich unter der U-Bahnbrücke längs der Isestraße entfaltet. Krachend laut sogar, wenn man den zweimal wöchentlichen Auf- und Abbau mit in Betracht zieht. Aber Märkte dürfen Krawall veranstalten, und zwar je mehr, desto bunter ihre Beschicker sind, damit das mal klar ist.
Laubbläser hingegen gehören verboten. Laubbläser sind was für Faschos. Sie werden zu Recht als Hausmeister-Porsches gegeißelt. Wer ein Rasennazi ist (so schimpfte der Liedermacher Reinhard Mey mal seine schnittwütigen Sylter Nachbarn), besitzt gewiss auch einen kampfstarken Laubbläser. Den schmeißt er zu jeder Tages- und Nachtzeit an, auf dass sein Garten „ordentlich“ ausschaut. Wie’s der anale deutsche Zwangscharakter nun mal so braucht.
Ob wegen des Lärminfernos die Kohlmeise aus der Tanne kippt, der Katze das Nackenfell einläuft oder Karl der Käfer vom bis zu 300 km/h schnellen Luftschwall ins Gulli gedrückt wird, ist dem Laubblasenden genau so wurscht wie das Schicksal der Polarbären. Denn der Ordnungsfanatiker mit der rotweißen Stihl (die führende Herstellerfirma gehört bezeichnenderweise einem schwerkonservativen Familienclan aus Schwaben) verbrennt ja fossile Energie und stößt dabei klimaschädliches CO2 aus. Was der Eisbär letztlich ausbaden muss, wenn die letzte Scholle endgültig geschmolzen sein wird. Da bekanntlich alles mit allem zusammenhängt, trägt der Laubblasende letztlich zur baldigen Überflutung von Kiribati, der Malediven sowie der Hallig Hooge bei. Millionen Klimavertriebene gehen auch auf sein Konto.
Hauptsache, der Mistkerl hat seinen Spaß.
Benzingetriebene Laubbläser sind Werkzeuge der Weltzerstörung, keine Frage. Aber es ist noch mehr, was sie so verachtenswert macht. Sie sind praktisch ein Symbol für den ewigen Kampf zwischen Böse und Gut, Groß und Klein, Brutal und Sanft. Wer das entzückende Scharren und Rascheln im Ohr hat, das der Hotelresortgast aus höherpreisigen Ferienanlagen Thailands, Indiens oder Ostafrikas kennt, wo ein kopfstarkes, erfreulich ungehetzt wirkendes Gartenpersonal jeden Morgen per Handrechen die Hinterlassenschaften der üppigen Lokalflora zusammenkehrt, der weiß, wie eine Welt jenseits der Laubbläserei aussähe, wie sie sich anhören würde. Stille statt Stihl. Respekt statt Anmaßung. Entschleunigung statt Effizienzwahn.
Apropos: Würde sich die EU-Kommission entschließen, die Laubbläser zu verbieten, so wären wir beschäftigungspolitisch einen Riesenschritt weiter. Jeder Extrembläser, wie der rückenseitig getragene BR 600 Magnum von Stihl, vernichtet ja die Arbeitsplätze von schätzungsweise 10 bis 15 mit der Harke arbeitenden Laubsammlern. Millionen europäische Arbeitslose sowie die zu uns strömenden Migranten aus industriefernen Ländern könnten, zumindest vorübergehend, im Laubsammeldienst untergebracht werden, gäbe es keine Laubblasmaschinen.
Was die Eingangsszene betrifft, so habe ich noch halbherzig versucht, gegenüber den Kolleginnen meine Laubblassünden zu relativieren. Ich bräuchte die Stihl nun mal wegen der erheblichen Grundstücksgröße etc. Außerdem würde ich per Bläser Laubhaufen an den Gartenrändern auftürmen, „ideale Winterquartiere für Igel“. Normalerweise geht bei Frauen immer was mit Igeln. Doch diesmal stach nicht mal die Mecki-Karte. Das Gesprächsklima blieb frostig. Bedrückt fuhr ich zurück aufs Land, die doofe Blasmaschine verfluchend.
Kürzlich stand ein Nachbar vor der Tür, Arzt im Ruhestand, ökomäßig hochsensibel, „Zeit“-Leser, Tierfreund, das volle Programm. Du hast doch einen Laubbläser? fragte er. Ich nickte schuldbewusst. Eigentlich mag ich die Dinger ja nicht, erklärte mein Nachbar, aber ich hab’s seit Monaten in der Schulter. Deshalb liegt das verdammte Herbstlaub noch rum. Leihst du mir mal den Apparat?
Ein Laubbläser ist, scheint’s, ein bisschen wie ein Mensch. So ganz schlecht ist keiner. Nicht immer.
Zuerst erschienen auf achgut.com
Kommentare zum Artikel
Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.
Die besten Satiren schreibt halt das Leben!
Wobei "countryaffin" nicht zwangsläufig nur Frauen sind - allerdings haben "Nicht-Country-Bewohner" bisweilen seltsame Vorstellungen vom "Country":
Heute lebe ich in einer Millionenstadt mit ebenfalls sehr starkem "grünen" Einfluss. Und während hier den Leuten einer abgeht, wenn vor ihrer Haustür ein Auto nach Frittenfett anstatt ordentlich nach Diesel stinkt ("Hach, wie ööökooo!"), präsentiert mir meine frühere Heimatregion ganze Spargelfelder an Windrädern (die häufig genug still stehen - wie soll auch Wind entstehen, wenn die ihre Stromrechnungen nicht bezahlen?) und quadratkilometerweise Monokulturen an Rapsfeldern, die es dort vor 10 Jahren noch nicht gab. "Öko"?
Versinnbildlichend dazu ein Fall aus 1996. Einer der Landwirte am Ort betreibt auf seinem Aussiedlergehöft auch einen Pensionsbetrieb und bietet "Ferien auf dem Bauernhof" an. Der Mann ist Kunde meines früheren Arbeitgebers. Just an dem Tage, als er ohnehin einen Termin in unserem Betrieb hatte, vermeldete die Heimatpresse einen Prozess vor dem örtlichen Amtsgericht, in den er involviert war: ein grün angehauchter Familienvater aus dem Ruhrpott war der Meinung, seine Kinder müssten auch mal Kühe in natura sehen anstatt nur lila eingefärbt auf dem Bildschirm. So buchte er für die Sippe 2 Wochen Urlaub auf dem Bauernhof. Um selbigen nach vier Tagen zornentbrannt wieder zu verlassen. Da sich der Betreiber "uneinsichtig" zeigte, erhob der Grüne Klage vor dem lokalen Amtsgericht. Es ging um "entgangene Urlaubsfreuden", Geruchsbelästigungen, mangelnde Hygiene, Insektenbefall und Ruhestörung i. w. S.
Unser Amtsrichter klärte den Öko-Besessenen darüber auf, dass auf einem (echten) Bauernhof nun einmal der Arbeitstag nicht um 8 Uhr, sondern auch schon mal um 4 Uhr morgens beginnt. Die Erkenntnis, dass Kühe (auf dem Bildschirm) nicht nur nett anzuschauen sind, sondern in natura auch lauthals zu brüllen vermögen, war dem Herrn offenbar auch neu, ebenso wie das Quieken und Grunzen der Schweine, vom Krähen der Hähne ganz zu schweigen. Dass sich in Ställen nun einmal Mist befindet, der nicht direkt vom Kuhafter in die Kläranlage führt, mithin stinkt und auch Insekten anzieht, war zuvor ebenfalls unbekannt. Und wenn man dann einen Stall ausmistet, so zieht man dazu Gummistiefel an, die notgedrungen während der Tätigkeit mit Tierkot besudelt - aber danach eben auch mit einen kräftigen Wasserstrahl schnell und einfach zu reinigen sind.
Die Klage wurde hochkant abgeschmettert; die Heimatpresse enthielt sich nicht eines recht süffisanten Untertones in ihrem Bericht. Wir hatten beim Lesen unseren Spaß, und als dann der Betreiber kam, gab es ein großes Hallo und viel Gelächter. Am nächsten Tage traf ich den Amtsrichter abends bei unserer Chorprobe. Er, der ansonsten immer sehr zurückhaltend und um einen ausgleichenden Tonfall bemüht war, fand ob der offenkundigen Weltfremdheit des grünen Ruhrpötters recht barsche Worte, die er nach eigenem Bekunden auch gern im Gerichstsaal verwendet hätte: erstmals in seiner Laufbahn ("... und hoffentlich nie wieder") habe er über einen Außerirdischen richten müssen. Wenn jemand in seinem Urlaub den Standard des Hilton erwarte, dann dürfe er eben nicht Ferien auf dem Bauenhof buchen.
"Country-Affinität" aus anderem Blickwinkel - in diesem Sinne ein gutes Neus Jahr!