Wie man Barmherzigkeit durchdekliniert

Das Interviewbuch des Papstes ist eine Fundgrube zur Barmherzigkeit. Man lernt darin eine Menge über Gott und über sich selbst.

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Der Papst hat ein Interview gegeben! Dieser Satz macht im Vatikan in der Regel schweißnasse Hände. Wie man hört, ist die Antwortpraxis des Papstes in Zeitungsinterviews nicht jedem Recht. Und man muss schon sagen: Die Kurie war in den Jahren Papst Benedikts verwöhnt, der druckreif formulieren konnte … und nebenbei wohl auch nicht auf die Idee gekommen wäre, einfach ein Interview zu geben, über dessen Inhalt seine engsten Berater keine Kenntnis gehabt hätten. Und so geht der Streit auch innerkirchlich ab und zu hoch her, ob der Papst das denn dürfe oder dürfen solle, ob es nicht besser wäre, wenn er sich zurückhielte, anstatt das am Ende immer irgendjemand etwas klarzustellen habe. Die moderne Medienwelt verzeiht keinen Formulierungspatzer, was der Papst gerade wieder bei seiner Äußerung über die „islamische Invasion Europas“ lernen musste, in der etwas ganz anderes gemeint war als die Mehrheit der Journalisten und Kommentatoren daraus gemacht haben.

Da ist ein Interviewbuch schon weniger dramatisch, weil man dabei vorher korrigierend eingreifen kann. Und doch wird es auch mit „Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“ absehbar Kritiker geben, die das Papstwort auf die Goldwaage legen werden und analysieren, ob die päpstlichen Ansichten zur Barmherzigkeit Gottes, besonders zur Beichte, eigentlich kirchlicher Lehre entsprechen oder nicht. Denn der Papst belässt es hier nicht bei Andeutungen – im wiedergebebenen Interview macht er mehr als deutlich, dass es im Charakter Gottes sowas wie den Primat der Barmherzigkeit gibt. Dabei ist es vielleicht ein kleiner Kniff, der mit dem Titel des Buches angewandt wurde: Dass Gottes Name Barmherzigkeit wäre, diese These stammt nämlich nicht zuerst von Papst Franziskus, das hat bereits Papst Benedikt so formuliert. Das mag dem einen oder anderen konservativen Katholiken die Schnappatmung verschlagen, der bereits im Titel des Buches auf einen Widerspruch zwischen BXVI und F lauerte. Aber wie seit drei Jahren des Pontifikats: Kein Widerspruch, höchstens eine andere Schwerpunktsetzung.

Damit komme ich zurück auf meine alte These, dass zwischen Benedikt und Franziskus nur insofern ein Unterschied besteht, dass der eine eher (nicht nur) theologisch geprägt ist, der andere eher (auch nicht nur) seelsorgerisch. Beides gehört in der Kirche zusammen, ergänzt sich quasi komplementär – jedenfalls dann, wenn sich die Schlüsse nicht widersprechen. Bei aller Kritik, die ich an sozialpolitischen Vorstellung des Papstes ansonsten habe: Auf den Nachweis eines solchen Widerspruchs warte ich bis heute! Und so hebt der Papst mit dem Postulat einer unbegrenzten Barmherzigkeit Gottes auch keine Kirchenlehre auf. Gerade in seinen Erläuterungen zur Beichte wird dies deutlich: Damit Gottes Barmherzigkeit wirken kann ist die Reue des Sünders notwendig, die Erkenntnis, gesündigt zu haben und der Wunsch, sich zu ändern. Dann aber – so erläutert es der Papst – ist Gottes Barmherzigkeit größer als wir uns das menschlich vorstellen können.

Und Gott ist nicht nur hier großzügig: Er will vergeben, es ist sein Ziel, uns zu vergeben um uns bei sich zu haben. An keiner Stelle ist es Gottes Ziel, den Menschen für seine Sünden zu bestrafen. Möglicherweise bedarf es bisweilen eines Weckrufs, um dem Sünder seinen Zustand deutlich zu machen. Das Ziel hinter einer solchen Intervention – die man als Strafe misinterpretieren könnte – ist aber wiederum, Schuldbewusstsein und Reue zu wecken um Barmherzigkeit fließen lassen zu können. Und diese Vorstellung eines Primats der Barmherzigkeit dekliniert der Papst gemeinsam mit Andrea Tornielli auf den gut 120 Seiten und in neun Kapitel durch. Dabei ist fast jeder Satz des Papstes eine Goldgrube, wenn auch – so viel Kritik muss leider sein – der Interviewstil nicht gerade eine Gesprächsatmosphäre wiedergibt, was aber auch der Übersetzung geschuldet sein mag.

Der Papst macht mit eigenen Worten deutlich, dass Barmherzigkeit nichts mit einer Vorstellung eines Laissez-faire-Gottes zu tun hat: Unsere Verletzung durch die Erbsünde ist elementar zum Verständnis des Menschen, das Anerkenntnis der Sünde und die Reue ebenfalls. Man versteht Gottes Barmherzigkeit nicht, wenn man nicht auch die Sünde versteht und den Drang des Menschen dazu. Der Papst erläutert, wie Gott tatsächlich nach einem „Türspalt“ sucht, zumindest den Ansatz der Reue oder des schlechten Gewissens eines Sünders, damit er ihm seine Barmherzigkeit – vor allem in der Beichte – schenken kann. Der Papst macht auch deutlich, dass es Situationen gibt – wie die von wiederverheirateten Geschiedenen – bei denen in der Beichte keine Lossprechung erfolgen kann – und bei denen man doch als Priester Barmherzigkeit zeigen kann, indem er zumindest einen Segen spendet. Einen Segen nicht für die Situation, aber doch für den Menschen, der ihr zu der Zeit nicht gewachsen ist.

Ähnliches wäre schließlich auch für andere kritische Situationen denkbar, in denen das Spenden von Sakramenten nicht möglich ist, man aber auch alles tun sollte, um dem hilfesuchenden Menschen nicht die Kirchentür vor der Nase zuzuschlagen. Auch hier und auch für uns – nebenbei nicht nur Priester sondern auch Laien – gilt die Prämisse der Barmherzigkeit. Suche ich nach einer Lösung, Barmherzigkeit zu zeigen, dem anderen auf diesem Weg auch zu helfen, oder habe ich mit ihm – vielleicht menschlich verständlich aber trotzdem nicht christlich – bereits abgeschlossen? Immer wieder macht der Papst deutlich, dass dazu zwei Seiten gehören: Einerseits der Sünder, der sich seiner Sünde bewusst ist, der nicht einfach eine Sakramentenspendung einfordert, der sich klar ist, dass seine Situation alles andere als geordnet ist, der sich aber bemüht, ein Leben zu führen, dass ihn nicht zerreißt. Aber andererseits auch derjenige, der in erster Linie barmherzig und nicht verurteilend sein will.

Ich habe das Buch zwei mal gelesen, und ich werde es auch noch einmal lesen. Es ist kein stilistisches Highlight, offenbar ist durch die Übersetzung einiges an Schönheit des Textes verloren gegangen. Aber ich lerne, ich lerne vom Papst zum Thema Barmherzigkeit, wie ich von Papst Benedikt Glaubenswissen gelernt habe. Und zum Lernen gehört auch die Wiederholung und die Übung: Darum ist es so wichtig, immer wieder etwas zum Thema der Barmherzigkeit Gottes zu lesen, und dann zu versuchen, barmherzig zu sein, wie es der Vater im Himmel ist. Es gehört dazu, mich immer wieder zu fragen, ob Gott auch so reagieren würde, wenn ich der Meinung bin, diesem oder jenem müsse ich aber nun wirklich nicht mehr barmherzig gegenübertreten. Mir fehlt jetzt schon die Phantasie, dass ich diese Frage mal bejahen könnte. Und darum – vielleich ist das bevorstehende Osterfest auch eine Möglichkeit, ein solches Buch zu verschenken oder es sich selbst zu schenken – bin ich bereit, für „Der Name Gotte ist Barmherzigkeit“ einen Lesebefehl zu erteilen. Ich erlege ihn mir einen solchen Befehl jedenfalls für das Jahr der Barmherzigkeit noch mal auf!

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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