Wie Auftragsforschung heute funktioniert

Im akademischen Kapitalismus werden Wissenschaft und Forschung zu Mägden der Politik. Am Beispiel der Islamwissenschaft wird gezeigt, wie sich Forschung gegen Geld mißbrauchen läßt, um politisch gewünschte Ergebnisse zu produzieren. Mit diesen gelenkten "wissenschaftlichen" Expertisen kann dann Politik gemacht werden.

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Die zunehmende Ökonomisierung der Forschung führt zu verschiedenen Problemen. Forschung soll kommerziell verwendbar sein oder zumindest einen praktischen Nutzen haben, der dann wiederum indirekt einen kommerziellen Aspekt bekommt. Von "Wissenschaft" ist gar nicht mehr die Rede. Denn Technik, also die Produktion nützlicher Geräte und Gegenstände, ist keine Wissenschaft, die Ideen hervorbringt; Wissenschaft hat keinen praktischen Nutzen, nur den des Erkenntnisfortschritts. Das aber darf heute nicht mehr genügen.

Entsprechend sind die früher Geisteswissenschaften genannten Fächer zu "Kulturwissenschaften" geworden. Auch in diesen Fächern sollen praktisch verwertbare Fertigkeiten vermittelt werden. Beispiel: Das klassische philologische Fach der Islamistik ist durch "Islamstudien" abgelöst worden. Wie Richard Münch, Soziologe an der Universität Bamberg, so schön schreibt, werden "vom Islamexperten in der Nachrichtensendung keine Exegesen religiöser Texte, sondern handfeste Informationen über politische Vorgänge und Hintergründe erwartet." Wir sehen uns statt Gelehrten betriebswirtschaftlich geschulten Dienstleistern gegenüber, die Sachbearbeiter von vergleichbar banalen Themen wie der Kopftuchfrage sind, anstatt philologische Grundlagenarbeit zu machen.

"Verbundforschung", Großforschungszentren werden benötigt, um an diejenigen hohen Beträge von Forschungsgeldern heranzukommen, die Individuen niemals zugestanden würden. Diese Moloche grasen dann, "in Analogie zur Übernutzung einer Gemeinweide durch zu große Rinderherden", alles ab: "Angesichts dessen, was schon alles zu den >kulturellen Grundlagen gesellschaftlicher Integration< [...] erforscht worden ist, ist nicht abzusehen, welche revolutionären Erkenntnisse die entsprechenden, mit 6,5 Millionen Euro geförderten Exzellenzcluster hervorbringen könnten. Solche Leistungen werden immer von einzelnen Personen erbracht, man kann sie nicht mittels Großinvestitionen erzwingen." Auch dürfte klar sein, dass nur politisch opportune Vorhaben an diese Gelder herankommen.

Corpus Coranicum - ein typisches Großprojekt

Ein solches Großvorhaben ist das Corpus Coranicum. Es "umfasst drei Module: (1) die Dokumentation des Korantextes in seiner handschriftlichen und mündlichen Überlieferungsgestalt, (2) eine Datenbank, die inhaltliche und sprachliche Überschneidungen spezifischer Koranstellen mit vorkoranischen Literaturen dokumentiert, und (3) einen umfassenden Kommentar, der den Text im Rahmen seines historischen Entstehungskontextes zu deuten versucht. Das an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelte Projekt besteht seit Januar 2007 und hat seinen Sitz in Potsdam. Projektleiterin ist Prof. Dr. Angelika Neuwirth (Freie Universität Berlin); die Potsdamer Arbeitsstelle wird derzeit von Michael Marx geleitet. Innerhalb der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wird das Vorhaben seit 2008 durch das Zentrum Alte Welt (unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Seidensticker) betreut." Soweit der offizielle Text, der auch sehr schön die aktuelle Rhetorik ("Module", "Projekt") spiegelt. Welchen praktischen Nutzen hat nun dieses Projekt zu erfüllen? Dazu sei zunächst auf Verlautbarungen der Forscher selbst eingegangen.

Ziel ist nicht Erkenntnis, sondern Konsens und Beschwichtigung

Am 6. November 2007 antworteten sie auf einen Artikel Frank Schirrmachers, der völlig unrealistische Erwartungen in das Corpus Coranicum setzte, unter anderem: "In den vergangenen Monaten konnten wir in Teheran, Qom, Damaskus, Fes, Rabat und während einer Sommerakademie in Istanbul mit iranischen, arabischen und türkischen Gelehrten zahlreiche Diskussionen über unser Projekt führen, bei denen sich zeigte, dass auch aus innerislamischer Perspektive theologisch überzeugend für eine kontextualistische Koranlektüre argumentiert wird: Selbst wenn man den Koran als wortwörtliche Gottesrede betrachtet, so muss sich eine für Menschen verständliche Offenbarung doch auf den kulturellen und religiösen Horizont ihrer Adressaten einlassen und stellt insofern auch einen legitimen Gegenstand historischen Fragens dar. Wir knüpfen hieran die Hoffnung, dass nichtislamische und islamische Forscher von unterschiedlichen Ausgangspunkten her zu manchen gemeinsamen Fragestellungen, zumindest aber zu einer fruchtbaren Streitkultur finden können."

Corpus Coranicum setzt also auf eine fruchtbare Streitkultur mit Leuten, die den Koran als wortwörtliche Gottesrede betrachten. Solche Leute heißen gewöhnlich "Fundamentalisten". Dieser fromme Wunsch nach Konsens um jeden Preis ist dem edlen Anspruch einer internationalen Zusammenarbeit geschuldet, der ja grundsätzlich zu begrüßen ist. In diesem Fall ist es aber mehr ein politischer denn ein wissenschaftlicher Anspruch. Wenn 1934 ein englischer Historiker eine Arbeit über die Freikorps machen will, für die er Einsicht in deutsche Archive benötigt und überhaupt auf deutsche Unterstützung auch behördlicher Art angewiesen ist, was soll er da schon groß herausfinden? Genauso ist aber die Situation der Islamwissenschaft. Wenn bei Corpus Coranicum bekopftuchte Wissenschaftlerinnen aus arabischen Ländern mitarbeiten und der Dialog mit Fundamentalisten in Qom angestrebt wird, was kann dabei an freier, ergebnisoffener Forschung schon herauskommen? Es geht doch gar nicht darum, dass unbedingt etwas Anderes als das tradierte Bild des Korans das Ergebnis dieser Forschung sein muss (obwohl dies bei freier Forschung wahrscheinlich der Fall wäre); sondern es geht um die Vorbedingungen von guter Forschung, die verletzt werden. Hier soll eine Politik der Beschwichtigung betrieben werden, um die Muslime nur ja nicht zu beunruhigen: Das Forschungsergebnis wird auf jeden Fall muslimkonform sein. Und wenn Politik anstatt Forschung betrieben wird, dann können die Forscher des Corpus Coranicum Fachleute sein wie sie wollen, es ist trotzdem falsch, was sie machen.

Fehlende historische und philologische Standards

Nun ist der erste Band mit Ergebnissen des Projektes erschienen (Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang. Verlag der Weltreligionen 2010). Er bestätigt leider die Befürchtungen, dass es sich bei Corpus Coranicum um ein wegen fehlender historischer und philologischer Standards zum Scheitern verurteiltes Projekt handelt. Zu seinem problematischen Konzept gehört die Ablehnung bzw. Nichtwahrnehmung der modernen kritischen Philologie: "Nicht den Koran müssen wir aufgrund neuer Handschriftenfunde oder mit Hilfe linguistischer Experimente ummodellieren – unsere Perspektive auf den Koran müssen wir entscheidend ändern." Überprüfbare Quellen werden also für unnötig befunden, Textkritik wird als "linguistisches Experiment" denunziert. "Der Koran wird so als ein vertrauter Text erkennbar, den wir unbeschadet zum ‚europäischen Erbe‘ rechnen könnten, trennten ihn nicht uralte Vorurteile von einer unvoreingenommenen Wahrnehmung." Nun ist die Katze aus dem Sack: Der Koran soll integriert werden, er gehört zu Europa. Dieses politische Programm, das schon feststeht, soll mit Hilfe eines aus Steuergeldern finanzierten Großprojekts unterstützt werden, auch um den Preis, daß hier um mindestens 150 Jahre kritischer Theologie zurückgerudert wird. Bei den Islamwissenschaften scheint wissenschaftliche Inzucht (nämlich das Negieren der Methoden der Nachbardisziplinen) durch den Elfenbeinturm noch potenziert. In diesem Fall kommt das der politischen Absicht entgegen.

Die wissenschaftliche Kritik entzündet sich nicht an der an sich selbstverständlichen Absicht, den Koran als Text der Spätantike und als Produkt von Gemeindebildung lesen zu wollen. Immerhin - er ist auch für Frau Neuwirth nur ein Text und keine göttliche Offenbarung; man konnte schon fast Schlimmeres befürchten. Das ist zwar nun wissenschaftshistorisch kalter Kaffee, aber vielleicht in den Islamwissenschaften neu und daher zu begrüßen. Aber wie um alles in der Welt kommt Frau Neuwirth zum Beispiel darauf, dass der Text des Korans zwischen 610 und 632 entstanden sei? Das sind die klassisch tradierten Eckdaten der mohammedanischen Prophetie. Woher weiß sie das? Immer noch werden die legendarischen Ausführungen der muslimischen Literatur seit dem 9. Jahrhundert wiedergegeben, so als handele es sich bei diesen Texten um die Wiedergabe historischer Abläufe. Letztlich ist damit das gesamte Vorhaben entwertet. Der große argumentative Aufwand des o. g. Einleitungsbandes dient somit nur dazu, und das ist jetzt schon absehbar, minimale Verschiebungen in der zeitlichen Reihenfolge der Surenentstehung zu begründen, die aber immer noch ungebrochen und unhinterfragt einer mohammedanischen Lebensgeschichte zugeordnet wird. Das geht kaum über die traditionelle Auffassung hinaus. Das ist eine wissenschaftliche Katastrophe - der Berg kreißt eine Maus. Das wird die Diskussion für mindestens 50 Jahre blockieren, weil es einen Standard setzt, auch wenn er falsch ist.

Typische Auftragsforschung

Corpus Coranicum ist ein gutes Beispiel für verdeckte Auftragsforschung. Natürlich gibt es keinen konkreten Auftrag. Man will politisch ein gutes Zusammenleben mit den Muslimen, wogegen ja niemand etwas hat. Dafür wird aber nun mit viel Geld nur dasjenige Forschungsprojekt gefördert, das in den politischen Zeitgeist passt. Ziel ist es, den muslimischen iranischen, arabischen und türkischen Gelehrten soweit entgegenzukommen, dass ein Konsens möglich wird. Dieser Konsens ist faul, denn er wird durch Opferung wissenschaftlicher Standards erreicht. Ziel ist ferner, den Islam auch theoretisch in Europa zu integrieren. Dafür soll mittels eines prestigeträchtigen Unternehmens wie Corpus Coranicum die Deutungshoheit errungen werden. Wirklich kritischer Forschung, die modernen philologischen Standards genügt, aber politisch nicht opportun ist, wird finanziell der Hahn abgedreht.

Alternativen werden bekämpft, die Medien sind wie gleichgeschaltet

Denn freie und ergebnisoffene Versuche, den tatsächlichen Abläufen bei der Entstehung des Korans und des Islams nahezukommen, nämlich anhand zeitgenössischer und überprüfbarer Quellen sowie einer kritischen philologischen Arbeit, gibt es sehr wohl. Diese Forschungen unter dem Namen INÂRAH (Aufklärung) sind in Teilen auf einer Webseite (www.inarah.de) nachlesbar; die bisherigen Ergebnisse wurden in bislang fünf Sammelbänden beim Hans Schiler Verlag, Berlin, publiziert. Es war zu erwarten, dass diese, mittlerweile auf große internationale Resonanz stoßenden Unternehmungen von der (nicht nur) deutschen traditionellen Islamwissenschaft, deren Mittelpunkt natürlich Frau Neuwirth ist, bekämpft werden, allerdings, ebenfalls nicht unerwartet, ohne sachliche Argumente.

Die der Politik ohnehin dienstbare Qualitätspresse verschweigt aber diese unabhängige Forschung. Die FAZ hat zwar einige Male berichtet, aber unter Federführung von Patrick Bahners ihre Linie geändert. Kritische Forschung wird nun als islamfeindlich verunglimpft. Unterbindung von Kritik am Islam ist auch der Tenor seines neuen Buches "Die Panikmacher". Die ZEIT, die SÜDDEUTSCHE usw. berichten überhaupt nicht, der SPIEGEL hat zwar schon Redakteure, die tagelang Interviews veranstalteten und auch sehr gute Zusammenfassungen schrieben, zu den Forschern geschickt. Aber die Herausgeber druckten diese Texte nicht, angeblich aus Sorge um ihre Mitarbeiter (in Frankreich ist es ähnlich). So sieht zur Zeit die westliche Pressefreiheit aus.

Wohlgemerkt: An dieser Stelle kann nicht entschieden werden, ob das Corpus Coranicum nicht auch einige wichtige und richtige Ergebnisse zeitigt, ebensowenig wie gesagt wird, INÂRAH sei fehlerlos. Es geht aber um eine freie, unabhängige und ergebnisoffene Wissenschaft, die modernste Methoden anwendet. Bei der einem praktischen Nutzen dienenden kulturwissenschaftlichen Großforschung werden diese Prinzipien, wie beispielhaft gezeigt wurde, verletzt. Die mit viel Geld unterstützten Projekte haben kümmerliche, aber politisch gewünschte Ergebnisse, die dann auch bei renommierten Verlagen erscheinen, um so einen normativen Druck zu erzeugen. Das hat mit Wissenschaft nichts mehr zu tun.

 

Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike

www.inarah.de

INÂRAH in der FAZ

INÂRAH beim Hans Schiler Verlag


 


 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: dr bernd f schulte

Gratulation zu diesem offenen Wort. Mir ist das alles aus den Frontstellungen der 60iger bis 80iger Jahre in der deutschen Geschichtswissenschaft noch sehr präsent.
An der HSBw Hamburg wurde mir 1977ff. "verboten", "noch etwas über den Ersten Weltkrieg zu schreiben" (Ekkart Opitz, SPD - Professor. Aus dem Beritt von Helmuth Schmidt im Bündnis mit Klaus-Jürgen Müller zuständig dort für den Zweiten Weltkrieg und Frankreich).
Die Presse (SPIEGEL berichtete gar nicht, da im Herzen nationalliberal. Augstein zu Fritz Fischer 1983: "Wenn die Tagebücher gefälscht wären, dann würden wir schreiben"), die Südddeutsche Zeitung und FAZ druckten gern Verrisse meiner Arbeiten (Volker Ullrich(später die ZEIT) trat an den Chefredakteur der SZ heran, um mein Buch zur Riezler Kontroverse zu verreissen (dessen Bericht an E.Zechlin). Verlage waren zumeist an Bundeswehr oder ähnlich konservative staatliche Institutionen existentiell gebunden (DROSTE in Düsseldorf druckte die Bundestagsprotokolle). Herr Lotsch, der Verlagsdirektor druckte mein Buch zur Balkankrise, und prompt kam im selben Verlag ein Aufsatzband (Leitaufsatz dazu) von Egmont Zechlin, dem Hamburger Intim-Gegner meines Lehrers Fritz Fischer.
So ging ich mit meiner Arbeit zur Fälschung der Riezler Tagebücher zu Peter Lang in der Schweiz, der inzwischen (90iger Jahre) so "arriviert" ist, dass ein Gespräch überflüssig erscheint.
Gott-sei-Dank gibt es seit 1997 das Internet, das - vor diesem Hintergrund genutzt - doch eine gewisse Liberalität, mittelbar auch an den Universitäten, erzeugt. Sind doch die Traditionsträger auf bundesdeutschen und schweizerischen Lehrstühlen immer noch der national-konservativen Tradition ihrer Vorväter verbunden und erfanden leitende Köpfe der Zunft - wie Wolfgang Mommsen - das an sich unglaubliche Bündnis der Geschichtswissenschaft in Deutschland mit den Geldtöpfen der Bundeswehr (so etwa Schöningh/Paderborn //Militärgeschichlicher Arbeitskreis).
Wie sagte 1980 der Kreisvorsitzende der CDU Hamburg Rothenbaum-Eimsbüttel zu mir: "Es ist Alles verteilt".

Gravatar: mj

Ich hoffe, mit Ihrem vorletzten Satz wollen Sie nicht implizieren, der Verlag Hans Schiler sei nicht renommiert?

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Ich dachte bisher, daß sei nur in der Klimaforschung so. Offenbar ist aber die Politik dabei, die gesamte Wissenschaft zu korrumpieren.

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