Wer schlägt den Takt?

Ich vermute, dass es nur ein paar hundert Menschen sind, die hierzulande die öffentliche Meinung machen, Journalisten, Verleger, Parteipolitiker, Wirtschaftslobbyisten, Verbandsfunktionäre und Professoren, also tatsächlich Klüngel, im direkten Sinne einer Produktion (und Selektion) von medial zu verbreitetenden und damit für zulässig erklärten Ansichten.

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In der DDR selig lief die Sache so, dass jeden Nachmittag des Presseamt in den Redaktionen der Zeitungen anrief und den Genossen Journalisten vorschrieb, mit welchem Thema, welchen Fotos, in welcher Spaltenbreite und mit welchen Schlagzeilen die Zeitungen »aufzumachen« und womit sie ihre politischen Seiten desweiteren zu gestalten hatten. Die dazu passenden Kommentare lieferte die staatliche Nachrichtenagentur ADN sicherheitshalber auch gleich selber. In der Bundesrepublik sind die Medien bekanntlich frei, was den durchschnittlichen Journalisten Tag für Tag vor das schwerwiegende Problem stellen würde, wie er Themen zu gewichten und mit welcher Tendenz er sie zu kommentieren habe, weil er immer nur meinen kann, was andere auch meinen, und sogar seine Entrüstung üblicherweise aus zweiter Hand bezieht. Als Wegweiser aus diesem Dilemma existieren sogenannte Leitmedien, so etwas wie Leitplanken, an denen sich der Journalist orientieren darf, will, ja muss, und die er, wenn's ungefährlich ist, sogar zuweilen couragiert links zu touchieren wagt.

Woher beziehen aber nun diese Leitmedien ihre Richtlinien? Gibt es informelle Treffen, exzellent funktionierende Verbindungen, politische Klüngel, in denen ausgehandelt wird, dass am Ende die veröffentlichte Tendenz über den staatsreligiösen »Kampf gegen rechts« hinaus so uniform ist, wie sie ist? Auf welche Weise geschieht es, dass wie auf Zauberwink oder Presseamtsbefehl regelmäßig alle Leitmedien zu welchem Thema auch immer tendenziell dasselbe schreiben? Sei es über Putins Schreckensregime oder über das nahezu gleichschreckliche Fukushima (wo es ja nur einen Toten weniger gab als auf der Krim, nämlich keinen), über schlechter bezahlte (stimmt zwar nicht, aber 24 Prozent!) und überall benachteiligte Frauen, denen die Gesellschaft mit »positiver Diskriminierung« von Männern zu helfen hat, über »Jugendliche« garantiert ohne Herkunft, die anderen, meist deutscher Herkunft, auf den Kopf treten, über Rassisten, die an so etwas wie Herkunft auch nur denken, und Nazis, die »Heimat« dazu sagen, über die tollen, charmanten, innovativen, weltoffenen Grünen und die hinterweltlerischen, peinlichen, dumpfen Rechtspopulisten von der AfD, über »gruppenbezogene Menschenfeinlichkeit« der »extremistischen Mitte«, über homophobe Heteronormati ... – brechen wir hier ab. Vielleicht haben sie ja unisono recht!

Momentan folgen sie allesamt dem Wink, Bücher wie die von Sarrazin oder das neue von Akif Pirincci als wutspießergrolltriefende »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«-Literatur zu verspotten – diese Formulierung taucht auf einmal gehäuft auf – und den solchen Dunkelmännerpamphleten gezollten Applaus von Menschen, die alltäglich unter leitmedial beschwiegenen Problemen leiden, als rassistisch und »rechts« zu diskreditieren. – Wie, um die Frage zu repetieren, kommt dieser Chorgesang zustande? Wer bestimmt die Tonart? Wer gibt den Einsatz? Wer schlägt den Takt?

Ich vermute, dass es nur ein paar hundert Menschen sind, die hierzulande die öffentliche Meinung machen, Journalisten, Verleger, Parteipolitiker, Wirtschaftslobbyisten, Verbandsfunktionäre und Professoren, also tatsächlich Klüngel, und zwar nicht nur Paul Sethes bekannter Sottise folgend, Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten, sondern im direkten Sinne einer Produktion (und Selektion) von medial zu verbreitetenden und damit für zulässig erklärten Ansichten (die von Sethe genannten Reichen finanzieren das Prozedere gemeinhin nur und geben da und dort die Richtung vor). Gewiss, über bestimmte außenpolitische Fragen werden die publizierenden Herrschaften auf transatlantischem Wege eingenordet, aber wie ein bloßes Zeitgeistphänomen innerdeutscher Relevanz zu behandeln ist, entscheiden letztlich eine Handvoll Journalisten und ihre Einflüsterer. Wie sie dazu kommen und warum sie es tun, weiß ich nicht, und ebenso unklar ist mir, weshalb sie überhaupt meinen, sie sollten etwas meinen und damit fingieren, es sei an ihnen, der Nation bzw. Bevölkerung den Weg zu weisen, statt sie einfach nur zu informieren – vielleicht können sie nichts anderes, und sie müssen schließlich irgendwie ihr Geld und ihre Reputation erschleichen. An diesen paar Hanseln mit schwer durchschaubaren, aber wahrscheinlich erschütternd trivialen Motiven orientieren sich wiederum zunächst die Streber, sodann die Mitschwimmer in den jeweiligen Redaktionen. Der Rest nimmt den medial produzierten – bzw. reproduzierten – Zeitgeist mit einem Organ wahr, welches der Seitenlinie der Sardine gleicht und beim Deutschen besonders ausgeprägt zu sein scheint.

Allerdings ist Schwarmzugehörigkeit unter vernunftbegabten Kreaturen eine tägliche Entscheidung, und das gelegentliche Überfliegen der Leserkommentare unter den Einlassungen der Meinungsvorturner aus den Leitmedien, nicht nur den Fall Putin betreffend, erweckt den Eindruck, dass der Schwarm derer, die sich von den besagten Klüngeln mal dahin, mal dorthin und jedenfalls regelmäßig in die Irre dirigieren lassen, tagtäglich kleiner wird.

P.S.: Aber Sie, Klonovsky, meinen doch auch, jetzt gerade eben und überhaupt ständig! »Ins Schwarze treffen und der Scheibe nicht wehtun, das wäre freilich eine vortreffliche Kunst.« Spricht die Amme in Hofmannsthals Erzählung Die Frau ohne Schatten. Und dann erst, wenn man beides zugleich ist!

Ebenfalls erschienen auf michael-klonovsky.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Sermon

Und wieder so schön geschrieben!
Es bleibt als Problem, dass in den Kommentarspalten nur alte Leute sich beschweren, während der Teil der Jugend, der uns Hoffnung sein sollte täglich kleiner wird.

Gravatar: Bilderzwerg

An den Bilderberg Konferenzen, die im Geheimen stattfinden, nehmen die führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und - wen wundert's - der Presse teil.

Die Verstrickung der Politik mit der Presse sind doch seit Anbeginn dieser Republik bekannt. Warum sonst war das Urteil des BVG im Zusammenhang mit dem ZDF nötig?

Die Frage ist doch nur, wie kann es sein, dass praktisch alle großen Verlagshäuser und Fernsehsender bei wichtigen Themen im Gleichschritt marschieren?

Bei allem Konkurrenzkampf dieser Medien wird doch das System, von dem sie profitieren, bis auf's Blut verteidigt, incl. der Geldgeber. Dies sind beim ÖR die Politiker, die das Geld zuteilen und bei den privaten ist es die mächtige Wirtschaft mit Werbeeinnahmen.

Abweichungen vom Mainstream kostet Zuschauer und damit viel Geld, aber genau darum geht es: So viel Geld zu verdienen, wie möglich.

Gravatar: Michael Schwarz

Über jede Umgehungsstraße wird in Deutschland 20 Jahre diskutiert.
Beim relativ neuen und ungeplanten Sujet "Krim" war sich die veröffentlichte Meinung nach wenigen Stunden einig, was man davon zu halten habe.
Das hat mich sehr gewundert, zumal man hier mal wieder den Gegensatz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung sehen konnte.

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