Wenn die Kinder müde sind

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Die vor-dem-Urlaub-Müdigkeit

Vor den (Schul-)Ferien sind unsere Kinder regelmässig müde. Doch so müde wie dieses Jahr waren sie noch nie. Wie äussert sich das? Sie sind gereizter; die Produktivität sinkt; das Aufnahmevermögen nimmt ab. Es geht länger, bis sie Aufträge erledigt haben. Wir müssen sie häufiger an bestehende Aufgaben erinnern und sehen uns konstant in der Versuchung, nachzuhelfen. Dadurch findet ein Rollenwechsel statt. Nicht mehr der Lernende steht in der Hauptverantwortung, sondern der Betreuende. Das wird dann besonders augenfällig, wenn ein Kind unwillig wird. Die Schuld wird dann bei der Betreuungsperson gesucht – wo sonst?

Massgeschneiderter Unterricht: Sich fordern bis an die Grenze

Der Privatunterricht erfolgt massgeschneidert. Jedes Kind lernt dort, wo es gerade steht. Wir unterscheiden zwar grundsätzlich nach Klassen, doch die Aneignung des Lehrstoffs wird durch das Aufnahmevermögen des Kindes gesteuert. Das haben wir über die Jahre als grossen Vorteil erlebt. Das hat allerdings auch eine Kehrseite: Wir fordern unsere Kinder, bis sie müde sind. Das bedeutet natürlich auch, dass wir uns selbst fordern. Auch wir sind müde.

Ein verinnerlichter Tagesablauf

Zudem beobachte ich: Sie haben über die Monate und Jahre einen eigenen Ablauf verinnerlicht. Jedes Kind folgt seinem eigenen Rhythmus. Das kann sein: Mathematik, Instrument üben, Geschichte im Kreis, Aufsatz, Sprachen. In der Pause geht es nach draussen. Wenn es müde ist, legt es sich schon mal hin – und nimmt ein Buch zur Hand. Dieser Ablauf ist mit Abstand inhaltsreicher als an der öffentlichen Schule. Wie soll ich das beurteilen können? Die Kinder tun es selbst. Sie besuchen nämlich regelmässig den Besuchstag „ihrer“ Klasse an der öffentlichen Schule. Ehrlich gesagt gehört dies nicht zu ihren Höhepunkte. Sie kommen heim und meinen, in der Schule laufe „nichts“. Es sei absolut langweilig.

Die Grenze zwischen Selbstversorgung und Überforderung

Die Kinder haben sich also zu dem entwickelt, was man als Selbstlerner und Selbstversorger nennen kann. Sie versorgen sich selbst mit Material und wählen das aus, was sie herausfordert. Nun hat das ganze seine Kehrseite. Eine Person, die näheren Einblick in unsere Familie hat, verglich uns mit Kühen, die ständig am Futtern sind. Kühe können stundenlang fressen. Ihr Magen beginnt sich auszuweiten. Solche Kühe stehen jedoch in der Gefahr, dass ihr Magen übersäuert.

Unmittelbare Reaktion

Was tun? In gewissen Wochen schalten wir bewusst einen anderen Gang ein. Der Müdigkeit wird statt gegeben. Das bedeutet: Ich schicke die Kinder früher ins Bett (nicht ganz einfach). Wir verkürzen die formellen Lernzeiten. Die Kinder wissen sehr gut, was sie mit der Zeit anfangen können. Oft spielen sie stundenlang, machen gemeinsam ein Gesellschaftsspiel oder treiben draussen Sport. In diesem Frühling hat meine Frau das Thema „Wald“ eingeschaltet. Sie verknüpft das Thema mit Naturbeobachtung und Werken im Freien.

Mittelbare Reaktion

Neben diesen unmittelbaren „Massnahmen“ stellen wir uns Fragen: Wenn wir unser Wochenprogramm überblicken, welche Veranstaltungen müssen sein? Was könnten wir mittelfristig streichen? Gibt es Unternehmen, deren emotionalen und/oder energiemässigen Aufwand wir unterschätzt haben? Als Vater stellt sich die Frage: Inwiefern lebe ich selbst ein Modell der Ruhelosigkeit vor? Wo verlange ich selbst zu viel von mir ab? Wie kann ich selbst zur „verdauenden Kuh“ werden?

Erschien zuerst unter hanniel.ch.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: harald44

Warum nur wird alles immer wieder so umständlich gemacht???
Deutschland hatte die allergrößten Erfolge in der nationalen und internationalen Forschung, und das ist abzählbar nachweisbar, als es das preußische Schulsystem in den Jahrzehnten von 1910 bis 1940 etwa perfektioniert hatte. Da war der Lehrer die absolute Respektsperson, der streng war, sich aber um Gerechtigkeit bemühte, und der seine Schüler forderte, und zwar Leistungen forderte, wozu auch das lästige Abschreiben und Auswendiglernen z. B. von Geschichtszahlen gehörte.
Und vor allen Dingen sollte man um einer besseren Leistung willen wieder die Jungens von Lehrern auf Jungenschulen unterrichten udn die Mädchen von Lehrerinnen auf Mädchenschulen, weil beide Geschlechter unterschiedlich gefordert werden müssen. Das nämlich war früher der Unterschied zwischen dem Jungengymnasium und dem Mädchenlyzeum.
Und jetzt bitte nicht mit dem albernen Argument kommen, ich wolle das Rad der Zeit zurückdrehen! Wenn neue Methoden nichts taugen und alte Methoden nachweisbar besser waren, dann ist es eine Sache der reinen Vernunft wieder zum Besseren zurückzukehre.
Der Name des Kultusnarren, der seinerzeit den gemischten Schulunterricht durchgesetzt hatte, gehört wegen pädagogischer Unfähigkeit öffentlich an den Pranger gestellt.

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