Wenn die Falken fliegen

Wenn ich ehrlich bin, bin ich kein regelmäßiger Zeitungsleser, auch Nachrichten im Fernsehen erfreuen sich bei mir nicht besonderer Beliebtheit, was im einen wie im anderen Fall damit zusammenhängt, dass insbesondere sogenannte Hintergrundberichte mich bisweilen auf die Palme bringen.

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Das betrifft einerseits die Berichterstattung über die Kirche aber auch weltliche Themen: Wer heute beobachtet, was so alles als „Alternative“ zur Euro-Politik vorgebracht wird, der muss annehmen, dass sich die entsprechenden Korrespondenten noch nie mit Volkswirtschaft auseinandergesetzt haben; und wer heute Kommentare und Artikel zur Familienpolitik in der sogenannten Mainstreampresse liest, dem wird Angst und Bange, wenn er annehmen muss, dass einige der Schreiber möglicherweise selbst Kinder haben (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, ich will Journalisten nicht in Bausch und Bogen in den Senkel stellen). Da dies, Religion, Wirtschafts- und Familienpolitik, drei Themen sind, die mich interessieren und bei denen ich es auf mich nehme, auch mal im Rahmen meiner begrenzten Mittel etwas tiefer zu recherchieren, nur um dann festzustellen, in den gängigen Medien falsch informiert oder besser desinformiert zu werden, mag ich mir gar nicht vorstellen, wie es um die Themen steht, zu deren tieferer Analyse mir schlicht die Zeit oder zusätzlich oft das Know-how fehlt.

Dazu gehört ganz wesentlich in diesen Tagen die Berichterstattung aus Syrien. Das Assad-Regime (die entsprechende Bezeichnung enthält bereits eine Wertung), gegen Freiheitskämpfer (dito)? Oder ein der Region angemessener Machthaber gegen islamistische Terrorgruppen? Video-Schnipsel im Fernsehen, die Kriegsverbrechen der Machthaber nachweisen sollen – und doch erstens kaum unterscheiden lassen, wer hier gegen wen kämpft und noch dazu als Druckmittel zum Einsatz fremder Kräfte im Land herangezogen werden. Hat die syrische Regierung Chemiewaffen eingesetzt? Oder ist das nur ein „Kriegsargument“ wie seinerzeit die „aus den Brutkästen gerissenen Babies“ im Fall des Irak (eine Anschuldigung, die die US-Bevölkerung auf den Kriegseintritt in den ersten Irakkrieg animieren sollte und sich anschließend als falsch herausstellte)? Oder haben vielleicht Rebellengruppen selbst entsprechende Waffen und diese eingesetzt und benutzen diese Bilder jetzt, um „den Westen“ moralisch zum Eingreifen zu zwingen? Und während man im Westen sicher ein Bild davon hat, wer dieser Assad eigentlich ist, ist man sich der Hintergründe der Rebellen eher unsicher: läuft man Gefahr, einen vermeintlichen Teufel mit den Belzebub auszutreiben und am Ende wie im damaligen Afghanistan im Versuch, die Sowjetunion zurückzudrängen eine neue Al-Qaida heranzuzüchten?

Wer diese Blog liest weiß, dass ich den US-Präsidenten Obama am liebsten abgewählt sähe, aber dass er in diesem Fall zögert ist vor dem Hintergrund der unterschiedlichsten Interessen, die in Syrien zusammentreffen, durchaus verständlich. Umso wesentlicher die Frage: Was, wenn das nun so wäre, wenn Assad tatsächlich auf eine Bevölkerung, die sich in der Mehrheit eine andere, demokratische, Regierung wünscht und gegen das „Regime“ aufbegehrt schießen und sie mit Giftgas angreifen lässt? Dürfen wir (wer immer diese „wir“ dann sind) dann eingreifen? Müssen wir dann eingreifen? Machen wir uns nichts vor: wer in einen Krieg eintritt wird Menschenleben aufopfern – auf eigener Seite wie auf Seiten des Gegners!

„Du sollst nicht töten!“ spricht Gott, einige übersetzen mit „Du sollst nicht morden!“ um den Unterschied zur Notwehr deutlicher zu machen. Ein Soldat, der in den Krieg zieht, ist beauftragt zu töten – nicht zu morden! – und nicht wenige werden sich die Frage stellen: Wie macht man das im Krieg? Wie kämpft man gegen einen Feind und tötet einen Feind und gefährdet dabei – bewusst oder unbewusst – auch das Leben Unbeteiligter und bleibt gleichzeitig in Gottes Augen gerecht? Der Soldat selbst hat nicht im Kampf die Möglichkeit zu unterscheiden, ob er „gerecht kämpft“ oder nicht, er muss sich seines Auftrags sicher sein, kann sich höchstens im Vorfeld eines Kampfes verweigern (mit allen möglichen Konsequenzen) wenn er den Kampf, wenn er das Töten nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann.

Was ich hier so munter am trockenen Schreibtisch runter schreibe sind elementare Gedanken, sind Gedanken, die jeden Soldaten treffen werden, egal ob vor oder nach einem Einsatz. Ich selbst stamme aus einem Jahrgang, der 12 Monate Grundwehrdienst leisten musste (wenn man nicht den Dienst an der Waffe verweigerte) und es stand damals – trotz Krieg gegen den Irak – nicht zur Debatte, meine erworbenen Kenntnisse an der Waffe einmal einsetzen zu müssen. Für heutige Soldaten sieht das schon ganz anders aus, sie müssen damit rechnen, dass ihre Gewissensentscheidung sie durch einen Krieg tragen können muss. So ist es sicher für diejenigen unter ihnen wichtig zu wissen, wie Krieg auch seitens der Kirche gewertet wird. Wie gesagt: es geht dabei nicht darum, sich im Kampf für oder gegen den Waffengebrauch zu entscheiden, sondern darum, im vorhinein Klarheit darüber zu erlangen, ob ein Kriegseinsatz gerechtfertigt ist, oder nicht.

Was schreibt nun also beispielsweise der Katechismus zu dem Thema? Zunächst mal wird in den Nrn. 2307 ff darauf hingewiesen, dass Krieg wegen „der Übel und Ungerechtigkeiten, die jeder Krieg mit sich bringt“ zu vermeiden und „jeder Bürger und jeder Regierende verpflichtet [ist], sich für die Vermeidung von Kriegen tätig einzusetzen“. Aber:

2308 […] Solange allerdings „die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen" (GS 79,4).

Krieg als Verteidigung wird also von der Kirche nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Im folgenden weist der Katechismus aber auf einige Bedingungen hin, unter denen ein solcher kriegerischer Einsatz als „gerechter Krieg“ gewertet werden kann:

2309 […]

- Der Schaden, der der Nation oder der Völkergemeinschaft durch den Angreifer zugefügt wird, muss sicher feststehen, schwerwiegend und von Dauer sein.

- Alle anderen Mittel, dem Schaden ein Ende zu machen, müssen sich als undurchführbar oder wirkungslos erwiesen haben.

- Es muss ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen.

- Der Gebrauch von Waffen darf nicht Schäden und Wirren mit sich bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel. Beim Urteil darüber, ob diese Bedingung erfüllt ist, ist sorgfältig auf die gewaltige Zerstörungskraft der modernen Waffen zu achten.

Unter diesen Bedingungen, so der Katechismus, kann der Krieg gerecht sein, wobei die Entscheidung, ob diese vorliegen „dem klugen Ermessen derer zu [kommt], die mit der Wahrung des Gemeinwohls betraut sind.“, letztlich also den Regierungen, aber auch moralischen Instanzen, die in diesem Fall zu hören sein werden. Treffen diese Bedingungen zu, so haben die betreffenden Regierungen darüber hinaus „das Recht und die Pflicht, den Bürgern die zur nationalen Verteidigung notwendigen Verpflichtungen aufzuerlegen. (Nr. 2310)“, was sowohl den Dienst an der Waffe einschließt als auch den Zivildienst. Neben dem Hinweis auf diejenigen, die den Dienst an der Waffe verweigern, erläutert der Katechismus zu den Militärangehörigen:

Diejenigen, die sich als Militärangehörige in den Dienst ihres Vaterlandes stellen, verteidigen die Sicherheit und Freiheit der Völker. Wenn sie ihre Aufgabe richtig erfüllen, tragen sie zum Gemeinwohl der Nation und zur Erhaltung des Friedens bei [Vgl. GS 79,5.].

Gleichzeitig schränkt der Katechismus den Einsatz auf das erforderliche Maß ein, wenn formuliert wird:

2312 Die Kirche und die menschliche Vernunft erklären, daß das sittliche Gesetz während bewaffneter Konflikte in Geltung bleibt. Es „wird nicht deshalb, weil ein Krieg unglücklicherweise ausgebrochen ist, damit nun jedes Kampfmittel zwischen den gegnerischen Parteien erlaubt" (GS 79,4).

2313 Die Zivilbevölkerung, die verwundeten Soldaten und die Kriegsgefangenen sind zu achten und mit Menschlichkeit zu behandeln.

Handlungen, die mit Wissen und Willen gegen das Völkerrecht und seine allgemeingültigen Grundsätze verübt werden, sowie Befehle, solche Handlungen auszuführen, sind Verbrechen. Blinder Gehorsam ist kein ausreichender Entschuldigungsgrund für jene, die sich solchen Befehlen fügen. So ist die Ausrottung eines Volkes, einer Nation oder einer ethnischen Minderheit als eine Todsünde zu verurteilen. Man ist sittlich verpflichet, sich Befehlen, die einen Völkermord anordnen, zu widersetzen.

Was im Katechismus nicht beschrieben steht ist die Frage des Waffeneinsatzes zu Gunsten von Menschen anderer Länder. Man wird aber sicher nicht falsch liegen, wenn man annimmt, dass ein Volk, das unter der Verletzung von Völker- und Menschenrechten durch einen äußeren oder inneren Feind leidet, unserer Unterstützung bedarf und wir – unter den vielen oben genannten Einschränkungen – verpflichtet sein können, ihnen zu helfen, notfalls eben auch mit Waffengewalt. Sollte also zutreffen, dass die Regierung Syriens einen Krieg gegen Teile seines eigenen Volkes führt, sich also nicht nur undemokratisch verhält sondern mit Waffengewalt inkl. Massenvernichtungswaffen gegen Teile des Volkes vorgeht, dann ist ein angemessenes Eingreifen auch aus christlicher Sicht nicht nur möglich sondern sogar geboten.

Wieder eine andere Frage ist es, ob man sich durch einen Kriegseintritt mit einer der kämpfenden Parteien gemein macht. Ein Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen eines Regimes kann nicht in jedem Fall gemeinsam mit der Unterstützung des Gegners gewertet werden. In Syrien steht zu befürchten, dass auf beiden Seiten Parteien stehen, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen, nur dass eine der Parteien über die militärischen Mittel verfügt, wie es hier die Regierung tut. Eine solche Überlegung macht den Einsatz aber natürlich erheblich komplizierter, schränkt sie doch die Chancen für einen begrenzten Einsatz ein: die syrische Regierung „kampfunfähig zu schießen“ kann dem Völkerrecht, kann der Gerechtigkeit einen Bärendienst erweisen. Schon jetzt kommt es zu Übergriffen von Rebellen gegen Bevölkerungsschichten, die unter Assad bislang nicht besonders zu leiden hatten, namentlich ist dies wohl auch die christliche Minderheit im Land. Überlässt man sie wehrlos den Kämpfern der anderen Seite wird man sich über kurz oder lang mit den nächsten Menschenrechtsverletzungen auseinandersetzen müssen. Eine kluge, dem Gemeinwohl dienende Entscheidung der Regierungen muss dies berücksichtigen. Einen einfachen Krieg wird es wohl nie geben!

Wie sich bereits zu Anfang abzeichnete: Aus diesem Beitrag wird man keine zwingende Apologetik für einen Kriegseintritt in Syrien herauslesen können. Eher schon sollte jedem, der jetzt einen schnellen Kriegseinsatz fordert, unser Misstrauen entgegenschlagen. Derjenige muss deutlich machen, wie er sich zu den obigen Themen stellt. Es muss nicht mal eine zwingende Antwort sein, aber ich misstraue jedem, der nicht deutlich machen kann, dass er die Fragen nicht zumindest erwogen hat.

Andererseits und abschließend ist mir folgendes wichtig: Auch die deutsche Armee ist in Krisengebieten weltweit im Einsatz, ob zu humanitären oder zu Kampfeinsätzen. Unsere Soldaten dürfen auf das kluge, an Menschenrechten und Gemeinwohl orientierte Abwägen der Entscheidungsträger, sei es die Regierung, sei es die militärische Führung, vertrauen. Sie setzen ihr Leben ein zugunsten von Menschen, die sie nicht kennen, von denen sie nur wissen, und auch darauf dürfen sie vertrauen, dass sie ihre Hilfe benötigen. Sie setzen ihr Leben auf’s Spiel indem sie „zum Gemeinwohl der Nation(en) und zur Erhaltung des Friedens bei[tragen]“ Nicht auszuschließen, dass sich eine Entscheidung ihrer Führung einmal als falsch erweist, nicht auszuschließen, dass ihr Einsatz sich sogar als kontraproduktiv erweist, das Gemeinwohl der Nationen am Ende des Einsatzes noch mehr beeinträchtigt ist als vorher. So lange sie sich aber nicht bewusst an Völkermorden beteiligen, ist das nicht ihre Verantwortung. Ihnen gebührt daher unser Respekt, unsere Unterstützung und unser Gebet. Das letzte, was ihnen entgegen schlagen sollte, sind „Soldaten-sind-Mörder“-Rufe (von Anschlägen gegen Bundeswehreinrichtungen will ich erst gar nicht reden), vielmehr sollten wir ihnen danken, dass sie für uns und für die Menschen in den Krisengebieten der Welt den Kopf hinhalten.

Beitrag erschien zuerst auf: papsttreuer.bolg.de

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