Warum promovieren?

Fragen an die unheimlichen Verteidiger des aktuellen Plagiators, aber auch an die deutschen Universitäten: Sind die Promotionsordnungen noch zeitgemäß?

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Der österreichischen, etwas exzentrischen Vorliebe für Titel steht in Deutschland mittlerweile die Miss-, wenn nicht Verachtung solcher gegenüber. Hier, wie eigentlich immer, übertreiben die Deutschen. Das sieht man an der Nonchalance, mit der jetzt der Plagiatsfall Dr. zu Guttenbergs ad acta gelegt wird. "Ist doch nicht so schlimm!", heißt es, oder: "Die mit dem Doktor schummeln doch alle!" Die braven Deutschen denken, es sei besonders locker, gegenüber Unehrlichkeit, Dreistigkeit und Betrug besonders nachsichtig zu sein. Sie denken, so entfernten sie sich positiv von der preußischen Vergangenheit. Fast könnte man meinen, dieser Gesinnungswandel sei endgültig mit der "geistig-moralischen Wende" gekommen, als es nicht mehr für schlimm gehalten wurde, mit Bembeskoffern durch die Republik zu reisen, sondern nur, sich dabei erwischen zu lassen. Man nennt das Befreiung von der Doppelmoral. Früher sei Betrug theoretisch schlecht gewesen, aber in praxi sei doch betrogen worden. Heute seien Theorie und Praxis endlich identisch geworden. Der Höhepunkt dieser Denkungsart war es, leider kann ich mich der Quelle nicht mehr erinnern, sich über die Bestechlichkeit von Politikern zu freuen, da ein bürgernahes Parlament natürlich genauso bestechlich sein müsse wie der normale Bürger. Und die Honoratioren klatschten Beifall, als der Oggersheimer sagte, ein Ehrenwort gehe ihm über alles und er damit eine klassische Definition der Korruption gab; die Cosa nostra hätte nicht besser mit dem Ehrenwort argumentieren können.

Natürlich ist es gut, dass der "Herr Kommerzienrat" oder ähnliche Figuren keinen Respekt ohne (Vor-)Leistung mehr erwarten dürfen oder empfangen. Und erst recht keine sozialen oder materiellen Vorteile. Aber darum geht es gar nicht im aktuellen Plagiatsfall. Es geht um saubere Wissenschaft und Forschung und was die uns wert sind. Dass der Verteidigungsminister jetzt auf den Titel verzichtet hat, ist eigentlich selbstverständlich und einen Tick zu spät erfolgt. Er sollte auch im Amt bleiben, dessen Führung durch ihn weiter kritisch beobachtet werden sollte wie jedes andere Regierungsamt. Stürzen sollte er über politische Fehler. Das ändert aber an der Problematik nichts.

Jürgen Kaube hat in der FAZ vom 22. Februar das abschließende Wort zu den Verteidigern zu Guttenbergs geschrieben. Er hat vier Argumente zu dessen Gunsten gezählt: zunächst das "Die paar Fehler"-Argument. Nach sorgfältiger Prüfung muss man mit Kaube zum Schluß kommen, dass man "eine so aufwendige und liebevoll hergestellte Täuschung [...] in der jüngeren deutschen Universitätsgeschichte nicht so leicht" findet. Dann das "Alles Vorverurteilung"-Argument. Es macht die Prüfung durch die Bayreuther Fakultät, schreibt Kaube, nicht überflüssig. Zumal sie sich ja zum Affen machen würde. Man wird sehen, wieweit die Fakultät, der man erhebliche Verflechtung mit der CSU vorwirft, zu einer ernsten Prüfung überhaupt in der Lage ist. Das nächste Argument ist noch bedenklicher: "Gibt es denn nichts Wichtigeres?" Kaube zählt auf: "Es gibt auch Wichtigeres als Steuerhinterziehung, Fahren im angetrunkenen Zustand, das Heraustelefonieren von Lustmädchen aus Untersuchungsgefängnissen durch Ministerpräsidenten, Vulgarität und was nicht noch alles." Sind wir jetzt schon so locker drauf, dass wir das alles gar nicht mehr ansprechen? "Der Bundestagsabgeordnete Lauterbach (SPD) hat es richtig gesagt: Man kann das Prüfen an den Universitäten einstellen, wenn das Argument, es gebe Wichtigeres, Schule macht. Ein solches Argument ist sogar geeignet, dem Rechtsstaat in die Kniekehlen zu treten." Kommt das letzte Argument: "Right or wrong, my Guttenberg" - Wir brauchen den Mann! Damit kann eigentlich alles entschuldigt werden. Und dann der billige Spruch der Kanzlerin, sie habe keinen wissenschaftlichen Assistenten ins Kabinett berufen. Er sei, so Kaube, "herablassend gegen Leute, die es mit der Wahrheit und der Leistung ernster nehmen. Denn nicht die juristische Qualität der Arbeit, sondern die Ehrlichkeit des Verfassers steht in Frage." Und Kaube beendet den Artikel so: "Wie gescheit [soll] man sich jemanden vorstellen, dessen Ehrgeiz ihn für so wenig so viel hat riskieren lassen?"

Selbstverständlich braucht ein Minister keinen Doktortitel. Er braucht auch keinen Freiherrntitel, obwohl man bei der Hype um die adelige Familie der zu Guttenbergs meinen könnte, die Deutschen wollen ihren Kaiser wiederhaben. Darum geht es nicht. Man sollte aber die Gelegenheit nutzen, über die Grade der wissenschaftlichen Qualifikation nachzudenken. Warum überhaupt sollte man den Doktor machen wollen? Für die meisten dürften zwei Gründe im Vordergrund stehen: Karriere und Geld. Die einen machen den Doktor, um sich bestimmte Karrierestufen zu eröffnen, die ohne Doktortitel verschlossen blieben. Die anderen wollen den Titel als Akquise-Instrument, um mittels dieses Wettbewerbvorteils in Kanzlei oder Praxis Kunden anzulocken. Beide haben den Sinn einer Promotion nicht verstanden. Es geht um den Nachweis, selbständig wissenschaftlich arbeiten zu können. Das hat zunächst mit Karriere oder Geld nichts zu tun. Sinnvoll wäre allein, eröffnete die Promotion Chancen im wissenschaftlichen Sektor, und nur dort.

Dem stehen leider, zumindest in Deutschland, traditionelle Vorstellungen entgegen. Der Deutsche Hochschulverband schreibt dazu auf seiner Webseite (auf Pädagogik gemünzt, was aber durchaus verallgemeinert werden kann): "Die durch den Promotionsprozess erworbenen Kompetenzen beziehen sich nicht nur alleine auf dissertationsrelevante Themen, wie beispielsweise wissenschaftliche Theorien oder Methoden. Im Rahmen einer Promotion werden regelmäßig auch Kompetenzen im Bereich Zeitmanagement, Projektmanagement, Vermittlungskompetenz, Zielstrebigkeit und Führungskompetenz erworben. Insoweit ist eine Promotion nach wie vor regelmäßig Voraussetzung für eine Position mit Führungskompetenzen. Insoweit spricht nach unserem Dafürhalten grundsätzlich nichts gegen ein Promotionsvorhaben. [Der Fragesteller hatte Bedenken, später außerhalb der Universität für überqualifiziert gehalten zu werden; AFK.] Sie sollten sich [...] allerdings einen klaren zeitlichen Rahmen setzen und im Benehmen mit Ihrer Betreuerin oder Ihrem Betreuer ein klar konturiertes Promotionsthema wählen, so dass der Promotionsprozess in schnellstmöglicher Zeit beendet ist. Ein Verbleib an der Hochschule ist mit einer Promotion im Übrigen ohnehin nicht möglich. Dies wäre regelmäßig nur dann denkbar, wenn Sie nach der Promotion auch eine Habilitation als Voraussetzung für eine Universitätsprofessur anstreben."

Man sieht, dass auch für vollkommen wissenschaftsferne Bereiche der Doktortitel als Voraussetzung angesehen wird. Das sollte meines Erachtens geändert werden. Die alte Einheit von Praxis, Forschung und Lehre, von der her diese traditionellen Vorstellungen rühren, ist ohnehin obsolet. Das mag bedauerlich sein, denn gerade die Humboldtsche Universität hat Deutschland viel Ruhm gebracht, aber es ist eine Folge der modernen ökonomisierten Wissensgesellschaft. Heute wäre es nur konsequent, die Werdegänge von Praktikern, Forschenden und Lehrenden weitgehend zu trennen. Dann würde der Doktortitel im Rahmen einer bereits bezahlten Assistententätigkeit nach dem Studium im Rahmen eines Forschungsvorhabens erworben, um sich für höhere Aufgaben in der wissenschaftlichen Welt zu qualifizieren. Es würde weniger Doktoren geben, aber auch weniger Leute, die "wissenschaftlich posieren wollen, ohne etwas Eigenes anbieten zu können", um nochmals Jürgen Kaube zu zitieren. Es würde also, wenigstens im praktischen Karrieresektor, weniger Unehrlichkeit, Dreistigkeit und Betrug geben, um an einen Titel heranzukommen, der eigentlich mit der betreffenden Karriere nichts zu tun hat. Es wäre ebenso nicht mehr nötig, ein "klar konturiertes Promotionsthema", auf gut deutsch also ein relativ simples, zu wählen, um den "Promotionsprozess in schnellstmöglicher Zeit" zu beenden, also besser: rasch und leicht hinter sich zu bringen, wie es der Deutsche Hochschulverband empfiehlt, damit man in einem wissenschaftsfernen Bereich wie der Politik besser Karriere machen kann.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Crono

Zitat:
...obwohl man bei der Hype um die adelige Familie der zu Guttenbergs meinen könnte, die Deutschen wollen ihren Kaiser wiederhaben...

Ja, ich hätte gerne einen Kaiser, könnte es auch ein König sein.
Sonst vielen Dank für einen hervorragenden Artikel.

Dipl.-Ing. (kein FH).

Gravatar: genscher

danke für den guten beitrag, herr prof. kovacs.

ich denke genauso. ziemlicher Schaden, den sich das Bürgerliche Lager derzeit (auf unbestimmte Zeit) selbst zufügt, sowohl materiell in Form der Person Guttenberg, als auch moralisch hinsichtlich der Werte unserer Kinder

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