Warum Benedikt XVI. wirklich zurückgetreten ist

In Agambens “Das Geheimnis des Bösen” geht es vordergründig um die Analyse des Rücktritts von Papst Benedikt XVI., tiefergehend aber um die Rolle der Kirche in der Welt – die in den Augen Agambens freilich den Hauptgrund für den Rücktritt liefert.

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Wie rezensiert man ein Buch, von dem man nicht sicher ist, ob man es wirklich verstanden hat? Als mich die eigentümlich frei bat, einen Text zu Giorgio Agambens “Das Geheimnis des Bösen – Benedikt XVI. und das Ende der Zeiten” zu verfassen, war ich mir noch nicht im Klaren, auf was ich mich einlassen würde. Und jetzt, im Nachgang, muss ich zugeben, dass ich eine interessante und kurze (69 Seiten) Lektüre verpasst hätte, wenn ich dem nicht näher getreten wäre. Ich kann aber darüber nur mit der Maßgabe schreiben, selbst kein “geschulter” Philosoph oder Theologe zu sein und zu hoffen, ihn nicht missverstanden zu haben.

Letztlich bewegt sich “Das Geheimnis des Bösen” über mehrere Ebenen von Betrachtungen. Vordergründig geht es um die Analyse des Rücktritts von Papst Benedikt XVI., tiefergehend aber um die Rolle der Kirche in der Welt – die in den Augen Agambens freilich den Hauptgrund für den Rücktritt liefert. Die Argumentation im einzelnen nachzuvollziehen würde hier zu weit führen – ich kann die Leser nur animieren, sich das Buch selbst zuzulegen, das Volumen ist wie gesagt überschaubar und es ist auch nicht zu schwer zu lesen – aber in der Betrachtung der Kirche folgt Agamben dem frühkirchlichen Theologen Tyconius, zu dem auch der junge Joseph Ratzinger zustimmende Texte verfasst hatte und der in der Kirche sowohl das Gute als auch das Böse vereint sieht. Während aber viele Theologen meinen, am Ende der Zeiten werde sich eine große Trennung dieser beiden Teile vollziehen, sieht Agamben die Notwendigkeit einer Entscheidung schon heute.

Er betrachtet dabei die Kirche selbst als ein “aufhaltendes” Element des Weltenendes, die sich in dieser Rolle zu sehr der Welt zugewandt habe (wie es Papst Benedikt mit dem Wort der “Verweltlichung” bzw. der notwendigen “Entweltlichung” deutlich gemacht hat) und sich darum nicht mehr mit der Eschatologie beschäftige. Wir sehen also heute eine Kirche, die sich mit dem Diesseits und dem (eher weltlichen) Wohlergehen der Welt befasst, nicht aber mit den letzten Dingen. Das Risiko liegt dabei darin, dass diese letzten Dinge gar nicht mehr vorkommen, die Kirche damit ihren Sinn verliert. Agamben schreibt:

Eschatologie bedeutet nicht […] die Lähmung des historischen Geschehens, weil das Ende der Zeiten jedes Handeln sinnlos werden lässt. Vielmehr besteht die Bedeutung der letzten Dinge gerade darin, den Umgang mit den vorletzten Dingen anzuleiten und auszurichten.

Agamben deutet nun den Amtsverzicht Benedikts als Zeichen seiner Abwendung von der Weltlichkeit, den Erfordernissen von zweitrangigen Dingen wie “Wirtschaft und weltlicher Macht”, und der Zuwendung zum Geistlichen. Diese Unterscheidung der Sphären der Kirche, als deren theologischen Ausgangspunkt Agamben wie Tyconius und Ratzinger den wirklich lesens- und bedenkenswerten zweiten Brief an die des Apostels Paulus an die Thessalonicher (Thessalonicher 2,1-10) mit den Beschreibungen der Zeichen der Endzeit sieht, die demnach bereits angebrochen ist, kann tatsächlich ein Augenöffner sein bei der Bewertung der Themen, die die Kirche und ihre Vertreter aber auch die Welt heute so umtreiben.

Der zweite Teil des Buches enthält einen Vortrag unter dem Titel “Mysterium Inaquitatis” der bereits im November 2012 gehalten wurde und sich naturgemäß nicht auf den Rücktritt des Papstes bezieht. Durch die Verbindung der Betrachtungen – der zeitlich früheren als theoretische Grundlage, die spätere als quasi praktische Anwendung – erhärtet Agamben seinen “Verdacht”, dass es beim Rücktritt Benedikts XVI., wie schon beim Rücktritt Papst Coelestins V. 1294, nicht die körperlichen Einschränkungen des Alters waren, die dazu geführt haben, sondern eben jene Notwendigkeit der Abwendung vom Weltlichen, von “der aufhaltenden” Kirche und der Zuwendung zu den vorletzten, zu den geistlichen Dingen.

Der Makel an diesem bestechenden Gedankengang: Agamben liefert keine Beweise, weder durch die Rücktrittserklärung noch durch spätere Äußerungen von Papst Benedikt. Er schlägt lediglich eine Erklärung vor, die einleuchtend erscheint. Ob man dem näher treten möchte, muss der Leser selbst entscheiden. Eingedenk der theologischen Größe Papst Benedikts bin ich aber geneigt, hinter seinem Rücktritt ein größeres Bild als das eines Mannes zu erkennen, der sich aufgrund körperlicher Schwächen aufs Altenteil zurückziehen möchte.

Neben diesen geistlichen und philosophischen Betrachtungen, die dem Thema angemessen sind, kann es sich Agamben leider nicht verkneifen, auch tages- bzw. wirtschaftspolitisch zu argumentieren. Wenn ich Presseberichte richtig lese, steht er nicht gerade im Verdacht, ein Marktwirtschaftler zu sein; das kommt auch in “Das Geheimnis des Bösen” zum Ausdruck. So argumentiert er eigentlich zu Recht – in einer Übetragung seiner Gedankengänge von der Kirche auf die Gesamtgesellschaft – gegen einen um sich greifenden Legalismus, der Legitimität durch Legalität abzulösen versucht. Dann aber schreibt er in einer Umkehrung der Tatsachen;

Wie beim Legitimitätsproblem sucht man seine Erlösung auf der Ebene der Vorschriften, die untersagen und ahnden, bloß um im Nachhinein feststellen zu müssen, dass die Spaltung des Gesellschaftskörpers mit jedem Tag weiter voranschreitet. Aus Sicht der gegenwärtig herrschenden Ideologie des Liberalismus hat das Paradigma der Selbstregulierung des Marktes das der Gerechtigkeit abgelöst. Deshalb glaubt man, eine immer unregierbarere Gesellschaft nach rein technischen Kriterien regieren zu können.

(Hervorhebung durch mich)

An dieser Stelle hoffe ich wirklich, Agamben missverstanden zu haben, denn ausgerechnet dem Liberalismus einen Drang zu Vorschriften und zur Legalität anstatt Legitimität zuschreiben zu wollen, scheint mir die Sache doch auf den Kopf zu stellen (von der Frage, wo er die “herrschende Ideologie des Liberalismus” beobachtet, ganz zu schweigen) und stellt den Wert des Textes dann als Ganzes in Frage. Vielleicht war es aber auch nur der untaugliche Versuch, einen leichten Schuldigen für ein in der Tat feststellbares Phänomen zu finden.

Davon abgesehen ist “Das Geheimnis des Bösen” eine wirklich interessante Lektüre, die zum Rücktritt von Papst Benedikt, aber auch zum Zustand der Kirche, Erklärungsmuster liefert, die man sich in dieser Deutlichkeit mehr wünschen würde.

Giorgio Agambens “Das Geheimnis des Bösen – Benedikt XVI. und das Ende der Zeiten” ist im Februar 2015 im Verlag Matthes & Seitz Berlin erschienen:

Das Geheimnis des Bösen

Zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Carlosmiguel

Warum auch immer Papst Benedikt XVI. das Papstamt niedergelegt hat, werden wir zu Erdzeiten wohl niemals erfahren. Ich werde mir jenes Büchlein wohl bestellen, wenngleich ich bereits im Vorfeld meine Zweifel daran anmelde, Papst Benedikt hätte sich womöglich wegen einer für ihn nimmer mehr erträglich gewordenen „Verweltlichung der Kirche“ zurückgezogen. Das erscheint mir wenig plausibel und hielte auch einer Überprüfung nicht stand – wedre anhand seiner Theologie, noch seines eigenen Werdegangs.
Keinesfalls stellt sich die pharisäische Frage, ob er vielleicht selber ein böser Mensch sei oder nicht: Wer von uns böse ist und wer gut, das entscheidet Unser Herrgott selber, wenn wir dereinst ausnahmslos alle eines Tages vor seinen Richterstuhl treten müssen. So weit ich weiß, ist Benedikt kein Freimaurer, so wie jetzt der Rotarier Franziskus. Dieser Prolog ist mir wichtig, weil ich nicht mißverstanden werden möchte, etwa im Sinne einer Selbsterhöhung, die mir bitteschön fern sei.
Nein, Benedikt XVI. hat selber und eigenhändig für Zwiespältigkeiten en masse gesorgt: Er hat postkonziliar die „Katholische Tradition“ immer verfolgt, hat je und je versucht, sie zu tilgen. Dann sein Lavieren, Taktieren in den 80-er Jahren, als es darum ging, der FSSPX doch endlich einen Bischof zu gewähren; man hatte damals wohl gehofft, das – nun ja - „Problem“ rund um die FSSPX möge sich doch bitteschön biologisch „lösen“. Seit dem Konzil hat er auch nur noch die sogenannte „Neue Messe“ zelebriert, fallweise auch mal auf Latein, aber die Heilige Tridentina hat er niemals mehr zelebriert; nicht ein einziges Mal! Auch seine Theologie hat, bei Lichte betrachtet, nicht allzu viel getaugt: Wenn er allein in seinem Buch „Einführung in das Christentum“ schreibt, Jesus Christus sei der „perfekte Mensch“, dann ist das, ich bitte um Nachsicht, schlicht akatholischer Humbug. Mehr noch und viel wichtiger: Jeder, der die „Summa Theológica“ von Sankt Thomas von Aquín studiert hat, bemerkt den eklatanten Bruch: Jesus Christus ist vielmehr eine Person mit zwei Naturen: Der menschlichen, und, was noch viel wichtiger ist: Der göttlichen. Verhielte sich die Schose analog Benedikt, dann wären Christentum und Heilige Katholische Kirche in der Tat obsolet. Von Anfang an völlig obsolet!
Genau darin liegt ja auch eines der Konzils-Ansinnen, diese Abwendung von Gott und Zugewandtheit zur Welt: Alles verläuft nur noch „versus pópulum“ und nichts mehr „versus Dóminum“. Die Menschen, einschließlich Klerus, schauen einander an, aber auf Unseren Herrgott Jesus Christus schaut keiner mehr. Man kann keine zwei Herren gleichzeitig anschauen, man kann keinen zwei Herren gleichzeitig dienen! Freilich, die eine oder andere Retouche und Systemkosmetik hat er versucht, wie etwa die wahren Wandlungsworte wieder zur Geltung kommen zu lassen – aber niemand soll sich täuschen: Das Zweite Vatikanum war Benedikts Leben; er war und ist durch und durch Konzilskleriker!
Ich vermute jetzt ein wenig ins Blaue, denn wissen kann ich das natürlich nicht: Benedikt steht am Ende seines Lebens, und womöglich hegt er Reue. Mag schon sein. Die konziliaren (Un-)Geister, die das Konzil in das Innerste der Kirche hineingerufen hatte, wird man nun nicht mehr los, auch er nicht, und er war von Anfang an mit dabei! Ebenso negativ auffällig sind Inkonsistenz, Inkonsequenz und Paradoxoi der eigenen theologischen Lehre: Einerseits geißelt er den Orwell'schen Relativismus, andererseits praktiziert er ihn, indem er zum Assisi-Treffen geht. Einerseits meint er, die Tridentina und jener „Novus Ordo“ stünden integral für Tradition und Kontinuität, „versus pópulum“ und „versus Dóminum“ wären demnach im Grunde das selbe, andererseits hebt er jene von Anfang an latae sententiae null und nichtigen Exkommunikationen gegen die nunmehrige Neo-FSSPX wieder auf, weil sie seinem Verständnis zufolge eben doch gültig gewesen waren.
Und dann „wendet er sich von der Welt ab“, weil offenbar die Endzeit angebrochen sei? Mit Verlaub: Welcherart Verständnis liefert derlei denn vom obersten Hirtenamt? Der Papst ist unser oberster Hirte, und wir sind die Schafe, sind die Herde - „Weide meine Schafe!“ spricht Unser Herrgott Jesus Christus. Und jetzt macht sich besagter Hirte vom Acker, läßt seine Schafe im Stich, und wir sollen womöglich Rätsel raten, warum das alles? Das Petrus-Amt an den Nagel gehängt? Ein Job wie jeder andere? Nein, da paßt einfach gar nichts zusammen. Wie auch immer: Ich vermute, Benedikt XVI. wird bestenfalls als tragische Figur in die Kirchengeschichte eingehen. Nochmals zur Verdeutlichung und abschließend: Ich bin kein besserer Mensch als irgendwer anders.

In Cristo per Mariam.

Carlosmiguel

Gravatar: Crono

Mein Satz bezieht sich auf:
@Joachim Datko sagt: (6. Mai 2015 um 12:49)

Gravatar: Crono

SIe haben hier nichts zu sagen!

Gravatar: Joachim Datko

Theologie ist eine Pseudowissenschaft!

Zitat: " Ich kann aber darüber nur mit der Maßgabe schreiben, selbst kein “geschulter” [...] Theologe zu sein und zu hoffen, ihn nicht missverstanden zu haben."

Da wird über etwas, was es nicht gibt, geredet. Meiner Ansicht nach ist es sogar peinlich, Theologe zu sein.

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