Heute morgen scheint die Sonne. Gutgelaunt ziehe ich die Joggingschuhe an und absolviere mit Vierbeiner Alex die übliche Morgenrunde, heute also im Laufschritt. Am Salzachufer nähert sich eine laufende Frauengestalt. Als sie auf meiner Höhe ist, formt sich mein Mund zu einem U für ein freundliches „Guten Morgen!“. Der Gruß bleibt mir jedoch im Halse stecken, denn die Sportskollegin schaut mich nicht einmal an. Schon ist sie vorbeigerauscht. Im Weiterlaufen hockt mir der „Gute Morgen“ wie einen Kloß im Magen. Während ich mit der Verdauung desselben beschäftigt bin, kommt uns eine Radfahrerin entgegen, die ich aber erst wahrnehme, als mir ein fröhliches „Guten Morgen!“ um die Ohren weht. Da ist sie schon weg, und jetzt bin ich diejenige, die unhöflich war! Ich drehe mich um und rufe der Entschwindenden einen Gruß hinterher.
Wenig später wird hinter uns das Knirschen von Fahrradreifen hörbar. Wo ist Alex? Er folgt gerade einer aufregenden Duftfährte und wechselt abrupt die Wegseite, wodurch die Radfahrerin im Überholvorgang zweimal aus dem Konzept gebracht wird. Ich erwarte einen Tadel und lege mir schon eine Entschuldigung zurecht. Aber was geschieht? Die Frau zeigt sich belustigt. Als sie auf meiner Höhe ist, grüßen wir einander freundlich. Lachend radelt die humorvolle Dame davon. In der Nähe unserer Heimstatt ruft mir ein Nachbar aus dem geöffneten Fenster zu: „Schönen guten Morgen! Na, schon eine Runde gemacht?“ An unserer Haustür leine ich Alex ab und tätschle ihn fröhlich. Meine gute Laune ist zurückgekehrt.
Grüßen ist ein uraltes kulturelles Ritual, das sozial befriedet und positive Gefühle weckt. Neulich sagte eine gute Bekannte zu mir, eine einzige Taktlosigkeit brächte sie seelisch derart aus dem Gleichgewicht, daß zur Neutralisierung der unguten Gefühle mindestens drei erfreuliche Begegnungen notwendig seien. Schon eigentümlich, welch starken negativen Einfluß auch marginale Ereignisse, wie ein unerwiderter Gruß, auf unser Wohlbefinden ausüben.
Kommentare zum Artikel
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Vielleicht ist der zunehmende Verfall bewährter Sitten und Gebräuche auch ein Grund für die auffallende Häufung seelischer Krankheiten.
Anscheinend geht das vielen so, mir nämlich auch. Aber warum ?
Theoretisch bedeutet das doch eine große Gefahr für die seelische Gesundheit, wenn vom einen immer ein Vielfaches nötig ist als vom anderen, um nicht aus den Latschen zu kippen.
Die Gefahr ist umso größer, je raubeiniger die Gepflogenheiten werden, was m. E. der Fall ist.
Ein Artikel nach meinem Herzen.
Mir geht es übrigens auch so wie der guten Bekannten. Etwas Negatives wirkt durchschlagender als etwas Positives. Auch ich brauche nach einer Taktlosigkeit mindestens die doppelte Portion an Zuspruch, um wieder ins Lot zu kommen.