Volker Hauff im Tiefschlaf

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Wenn man sich die Frage stellt, wie „Nachhaltigkeit“ als politisches Leitprinzip in der Bundesrepublik verankert wurde, kommt man an Volker Hauff nicht vorbei. Der ehemalige Bundesminister für Forschung und Technologie (1978 bis 1980) und für Verkehr (1980 bis 1982) ist ein zentraler Knoten des Netzwerkes in Medien, Wirtschaft und Verwaltung, das die Nachhaltigkeitsideologie in Deutschland etablierte. Ein Blick auf seinen Lebenslauf zeigt Parallelen zu Maurice Strong. Man findet bei beiden diese Mischung aus politischem Gestaltungswillen und ökonomischem Engagement, die Strong sinngemäß mit der Aussage beschrieb, er wäre ein Sozialist, der sich kapitalistischer Methoden bedient. Von 2001 bis 2011 prägte Hauff als Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung die Konzepte unterschiedlicher Bundesregierungen entscheidend mit. Der ihm zugemessene Wert als Berater wurde durch die Berufung in die Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ in 2011 deutlich. Nach dem Störfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi etablierte Kanzlerin Merkel dieses Gremium, um eine geistig-moralische Begründung für ihre Energiepolitik zu entwickeln.

Volker Hauff hat viele sehr grundlegende Reden zur nachhaltigen Entwicklung gehalten, die einen tiefen und erhellenden Einblick in Denkweisen und Argumentationsschemata der Nachhaltigkeitsideologie gestatten. Exemplarisch soll ein Vortrag aus dem Jahr 2010 betrachtet werden. Hauff versucht in diesem, aus Herkunft und Geschichte des Nachhaltigkeitsbegriffes seine aktuelle Relevanz zu begründen. Und verirrt sich dabei.

Im 17. Jahrhundert gab es in Europa eine sich verschärfende Knappheit an Holz. Das hat mit der beginnenden Industrialisierung zu tun: Zur Verhüttung von Erz brauchte man große Energiemengen und konnte dafür nur auf Holz zurückgreifen. Es kam zum Raubbau. Mehr Holz wurde eingeschlagen als nachwachsen konnte. Das ging schief, ökologisch und ökonomisch. Vielerorts kam es zu drastischen Einbrüchen und Schäden an der Natur.

Das ist korrekt.

In Deutschland empfahl Hans Carl von Carlowitz in seiner Publikation „Sylvicultura oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ (1713) eine „nachhaltende Nutzung“ mit dem Ziel, dass man „mit dem Holz pfleglich umgehe“. Das Buch gilt als ein erstes Werk zu Forstwirtschaft. Wilhelm Gottfried Moser nahm Carlowitz Gedankengut auf und modifizierte in seiner Publikation „Grundsätze der Forst-Oeconomie“ 1757 den Begriff „nachhaltend“ zu „nachhaltig“.

[...]

Carlowitz prägte den Begriff in einer Zeit, die von einer Energiekrise geprägt wurde, die ein Ausmaß annahm, das bis dato kein Beispiel hatte und an die Grenzen des damaligen Wachstumsmodells führte. Die hitzige Debatte im 17. Jahrhundert war ähnlich brisant wie die, die wir heute über die fossilen Brennstoffe führen. Was für das 21. Jahrhunderts das Erdöl ist, war zu Beginn der Industrialisierung der Forst. Nachhaltigkeit war ein Begriff, der sich gegen einfaches lineares Denken gewendet hat und versucht hat, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, auch im Zusammenhang von Generationen.

Nun, da kann man aber froh sein. Ohne den Herrn Carlowitz wäre die Erde wohl eine entwaldete Ödnis geworden. Glücklicherweise haben die damaligen absolutistischen Monarchen Europas aber schnell die Kurve genommen und die Prinzipien der Nachhaltigkeit etabliert. Fortan wurde nur mehr Holzkohle in dem Umfang erzeugt, wie ihr Ausgangsmaterial Holz nachwuchs.  Ein europaweit eingeführtes Zertifikatsystem definierte strikte Obergrenzen für die Produktion von Eisen. Die ärmeren Schichten konnten sich bald Werkzeuge aus Stahl nicht mehr leisten und kehrten zum bewährten steinernen Faustkeil zurück. Wo dies zu sozialen Spannungen führte, beruhigte der Adel mit der kostenlosen Verteilung von Kuchen. Von Carlowitz genialer Plan wies Nachhaltigkeit in allen drei Dimensionen auf: Ökologisch, ökonomisch und sozial.

Wie jetzt? So war das gar nicht? Okay, ich sollte Herrn Hauff nicht zu früh unterbrechen.

Es folgten 300 Jahre Holz, Kohle, Erdöl, Erdgas und Kernenergie – ein kulturpolitischer Tiefschlaf. Ein 300-jähriger energiepolitischer Rauschzustand. Man hat nicht erkannt, was das heißt, verantwortlich zu handeln. Der erste Impuls zur Nachhaltigkeit blieb Episode. Der Wald verlor kurz nach der Entstehung der ersten forstlichen Nachhaltigkeitskonzeption seine wirtschaftsstrategische Bedeutung als Ressourcenlieferant für die Industrialisierung.

Soweit die Historie. Eine Geschichte, die uns mahnt, dass lineares Denken und kurzfristig angelegtes Handeln zwei Bedingungen sind, die eine Gesellschaft in die Krise führen. Auch heute. Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der entstanden ist, um eine Krise beim Namen zu nennen. Daran will ich immer wieder erinnern. Nachhaltigkeit ist ein streitbarer Begriff, ein Krisenbegriff.

Was Volker Hauff hier als “kulturpolitischen Tiefschlaf” bezeichnet, ist in Wahrheit eine Phase des Erwachens gewesen. Technische Fortschritte zogen die Entstehung der modernen Naturwissenschaften und damit das Zeitalter der Aufklärung nach sich. In der Folge wurden verkrustete und diktatorische Herrschaftsstrukturen überwunden. Die Menschen lernten, sich als freie und gleichberechtigte Individuen zu sehen. Die Zunahme von Produktivität und Wohlstand in eben jenen letzten 300 Jahren gestattet es heute Politikphilosophen wie Volker Hauff, solche Reden zu halten und anschließend mit seinen Gastgebern schön essen zu gehen.

Ganz gleich, wie man den Nachhaltigkeitsbegriff nun auslegt, ob man das konservative Modell der drei Säulen, das ökologistische der starken Nachhaltigkeit oder irgendetwas dazwischen vertritt, eines ist allen diesen Ansichten gemein: Alle treffen sich auf der Ebene, die Volker Hauff hier definiert. Bei der Vorstellung von Grenzen der Entwicklung, die zu überschreiten große Gefahren beinhalte.

Niemand bestreitet die Existenz solcher Grenzen. Der gedankliche Fehler ist vielmehr, diese als statisch anzusehen. Sie sind veränderbar. Durch technische Innovationen. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Waldfläche in England seit dem Mittelalter. Rodung für die Landwirtschaft, den Schiffbau und schließlich zur Gewinnung von Holzkohle haben diese immer weiter reduziert. Der Umschwung aber gelang gerade nicht durch Nachhaltigkeit. Sondern durch den Umstieg auf Kohle als Energieträger mit erstens höherer Energiedichte und zweitens höherer Verfügbarkeit. Die darauf aufbauenden Entwicklungen gestatteten eine höhere Produktivität in der Landwirtschaft und schließlich auch den Bau von Schiffen aus Stahl. Nur so konnte sich der Wald erholen. Die Ideen des Carl von Carlowitz waren nicht etwa ein entscheidender “kulturpolitischer” Fortschritt, sondern unnötig.

Wald_England2

Es ist das Wesen von Innovationen, gegebene Grenzen der Entwicklung irrelevant zu machen. Weil es durch sie möglich wird, Bedarfe auf eine andere, auf eine neue Weise zu erfüllen. Auf eine Art, die wiederum neue Möglichkeiten schafft. Und am Ende auch wieder neue, völlig anders geartete  Grenzen.

Wenn Volker Hauff meint, wir wären heute in derselben Situation wie die Menschen des 17. Jahrhunderts – man ersetze “Holz” durch “Kohle, Erdöl und Erdgas” – dann hat er rein faktisch gesehen unrecht. Kohlenwasserstoffe sind nicht knapp. Gerade die technische Basis, die in den vergangenen 300 Jahren geschaffen wurde, versetzt die Menschheit in die Lage, immer neue Vorkommen zu erschließen – Lagerstätten, die noch vor wenigen Jahren eben nicht in technischer oder ökonomischer Reichweite lagen. Und wer dies nicht wahrhaben will, der sollte sich an den Begriff “Methanhydrat” gewöhnen.

Aber selbst wenn unsere heutigen Brennstoffe knapp würden, was eigentlich hindert uns daran, erneut den Lösungsweg zu gehen, den die Menschen vor Jahrhunderten schon einmal erfolgreich eingeschlagen haben (und seitdem immer wieder)?

Noch einmal Volker Hauff:

Das Foto der Erde, das die Astronauten einst aufnahmen, hat uns alle fasziniert. Das Bild des blauen Planeten hat den Umweltgedanken gefördert.

Dieses Bild entstand, weil es dem Menschen möglich wurde, seinen auf die Erde beschränkten Wirkungsbereich durch Technologie zu verlassen. Der Jadehase fährt auf dem Mond herum (gut, momentan schläft er), Opportunity auf dem Mars, Rosetta wird bald auf einem Kometen landen und die NASA will einen Asteroiden einfangen. Letzteres planen auch private Firmen bereits. Wenn also Ressourcen tatsächlich einmal wieder zur Neige gehen sollten, wenn die weitere Nutzung des Mineralienschatzes der Erdkruste an absolute Grenzen stößt, wäre Nachhaltigkeit noch immer keine zwingende Option. Denn Mond und Asteroiden werden dann für den Bergbau längst in Reichweite sein.

Die Nachhaltigkeitsideologie negiert Pioniergeist, Kreativität und Erfindungskraft der Menschen. Deswegen ist sie nutzlos und unsinnig. Der Tiefschlaf, den Volker Hauff ausgerechnet für die Zeit der industriellen Revolution ausmacht, hat in Wirklichkeit ihn selbst befallen.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptikal.de

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