Versprochen ist versprochen

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Meine Frau meint immer, meine besten Beiträge seien die, bei denen ich aus persönlichen Erfahrungen berichte. Und in den letzten Tagen bewegen uns, meine Frau und mich, die kleinen Nickeligkeiten des Alltags mit zwei kleinen Kindern: Die Kleine, gut ein Jahr alt, die die Welt immer mobiler für sich entdeckt, Kuschel- und Bilderbuchstunden aktiv einfordert, sich Spielzeug (oder was sie dafür hält) nimmt, egal, ob es gerade jemand anderes in der Hand hat. Der Große, jetzt drei Jahre alt, der für die Kleine immer auch mal zurück stecken muss, der „seine“ Spiele im Moment nur dann spielen kann, wenn die Kleine gerade schläft oder sich ausnahmsweise mal mit was anderem beschäftigt, und der seine Schwester trotzdem offensichtlich lieb hat, wenn man sieht, wie er ihr von seinem Spielzeug oder Essen abgibt oder sie streichelt.

Soweit so idyllisch, aber was, wenn diese heile Welt mal aufbricht, und dazu reichen schon Kleinigkeiten: zusätzliche Zähne, Schlafunterbrechungen, verlorenes Spielzeug, Alltagshektik mit Einkaufen, Arztbesuche, dringende andere Aufgaben von Mama und Papa, oder ein kaputter Fernseher, der die Abendroutine mit dem Kikaninchen oder der Sesamstraße unterbricht. Die Kleine brüllt (und – wenn ich das mal so sagen darf – sie ist ein Mädchen, die kann richtig brüllen), bündelt einen Großteil der Aufmerksamkeit, der Große fühlt sich – subjektiv zurecht – zurück gesetzt, das versprochene Spiel wird nicht gespielt, er schubst oder haut seine kleine Schwester, als Vater oder Mutter geht man dazwischen, was aber nur dazu führt, dass jetzt beide brüllen … die Nerven liegen blank.

Erst mal muss ich an dieser Stelle – mal wieder – darauf hinweise, wie großartig der Job ist, den da Millionen Frauen als Mütter machen, die sich um ihre Kinder kümmern, während Papa „arbeiten“ geht. Das ist ein echter Knochenjob, was man als Papa meist erst mitbekommt, wenn man ihn selber machen muss. Mein Dank und vor allem auch Respekt an meine Frau und all die Mütter (oder auch Väter), die das den ganzen Tag lang machen!

Aber worauf ich hinaus will: Kinder haben natürlich eine andere Wahrnehmung! Sie beziehen Dinge auf sich. Wenn ich mit dem Großen nicht spiele, obwohl ich es ihm versprochen habe, weil die Kleine gerade Amok läuft, dann sieht er nicht diesen Grund: Er sieht mein gebrochenes Versprechen, und fragt sich, was er falsch gemacht hat, dass ich es nicht einhalte. Wenn ich schimpfe, weil er seine Schwester gehauen hat, dann sieht er nicht in erster Linie das Schimpfen, er sieht, dass er jetzt endlich meine Aufmerksamkeit hat, auch wenn die im Moment negativ ist. Und wer wollte bestreiten, dass das Wesentliche für Kinder in dem Alter die liebende Aufmerksamkeit der Eltern ist. Wozu das führt, mögen zwei Beispiele beschreiben:

Weil er sich (eigentlich) gerne um seine Schwester kümmert, nimmt unser Großer eine Puppe mit ins Bett, deckt sie behutsam zu, kümmert sich auch um sie. Letztens konnte ich eine Szene beobachten, die wunderschön war und mich doch nachdenklich hinterließ: vor dem abendlichen Zähneputzen legt er die Puppe in sein Bett, deckt sie zu und sagt zu ihr: „Ich bin gleich wieder da!“. Nach dem Zähneputzen und Abendgebet legt er sich dann ins Bett, nimmt die Puppe und sagt zu ihr „Da bin ich wieder. Habe ich doch versprochen.“ So wunderbar wie diese Szene einerseits einen „Kümmerinstinkt“ belegt, so sehr stelle ich mir die Frage: Wie viel an Erfahrung gebrochener Versprechungen, die seiner Mutter und mir nicht mal bewusst sein mögen, mag in dieser Formulierung liegen?

Ein zweites Beispiel: Am vergangenen Wochenende gab es eine mehr oder weniger durchwachte Nacht, woran immer es lag. Beide jedenfalls unruhig, meine Frau und ich beide mehr oder weniger immer auf den Beinen (überwiegend, das muss ich hier wieder anerkennen, die Mama). Absehbar, dass der nächste Tag, der Sonntag, anstrengend wird – zumal sich unser Großer beharrlich weigert, trotz Übermüdung einen Mittagsschlaf zu machen. Und nachdem der Große die kleine schon ein paar mal geschubst und gehauen hat und dafür schon eine Ansage bekommen hat, hören wir plötzlich aus dem Wohnzimmer ein Klatschen und dann das Brüllen unserer Kleinen. „Was hast Du gemacht?“ fragen wir den Großen – „Maria gehauen“ kommt die Antwort. Und wieder eine Ansage, diesmal verschärft dadurch, dass meine Frau mit unserer Kleinen spazieren geht, und er, zusammen mit mir, nicht mit darf. Und nach minutenlangem Geschrei beruhigt er sich und antwortet auf meine Frage, warum er die Kleine denn gehauen hat mit „Hab nicht gehauen“. Ich, alarmiert, bitte ihn mich anzuschauen, und mir zu sagen, ob er eben gerade, seine Schwester gehauen hat. „Nein“ kommt es kleinlaut aber mit einem Augenkontakt, wie ihn so nur Kinder hinkriegen. Und bei mir bildet sich ein Kloß im Hals – „Warum hast Du denn gesagt, dass du sie gehauen hast“ – „Hab sie ja gehauen“ – offenbar bezieht er sich auf die Szenen vorher, aber jetzt? Offenbar ist sie einfach hingefallen, und er hat nur gesagt, er habe sie gehauen. Und ich stelle mir die Frage: Hat er das nun nur gesagt, damit wir uns um ihn kümmern, wenn auch schimpfend? Und was bedeutet das, wenn ein Kind sich gezwungen sieht, zu solchen Mitteln zu greifen?

Ich glaube nicht, dass wir, meine Frau und ich, schlechte Eltern sind, besonders nicht meine Frau, aber es ist wohl auch noch Luft nach oben. Und die meiste Luft liegt wohl darin, unsere Kinder einfach ernst zu nehmen, die Welt mit ihren Augen zu sehen, ihre Prioritäten zu erkennen, auch wenn unsere, erwachsenen, Prioritäten gerade ganz andere sind. Versprechen nicht zu halten, das mögen wohlmeinende Menschen schon mal verstehen, für Kinder bricht dabei ein Teil von Vertrauen ins uns Eltern weg, den man (hoffentlich geht das) langsam wieder aufbauen muss.

Ich hoffe jedenfalls, dass ich beim nächsten mal, wenn unser Großer zu seiner Puppe sagt „Hab ich doch versprochen“ mehr mein Beispiel darin erkennen kann, als mich ertappt zu fühlen ob der Versprechen, und seien sie noch so klein, die ich ihm gegenüber nicht gehalten habe.

Beitrag erschien auch auf: papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Johannes Klinkmüller

So viel von wirklichem Leben in Ihrem Beitrag!
Und super finde ich, wie Sie sich in Ihre Kinder versetzen, zu versetzen suchen - denn immer gelingt es uns ja nicht, diese Sicht nochmal einzunehmen, doch probieren tun wir´s und ich glaube, das ist mit das Bereicherndste, was es gibt.
Der Blick auf die Wirklichkeit aus Kinderaugen ist zudem mit das Natürlichste, was es gibt :-)

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Frau viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Liebe, die ja auch Klarheit und Konsequenz erfordert - aber eben in Liebe.

PS Und ja, da haben Sie Recht: Es ist gut zu sehen, was die Mamas so leisten; denn, ob wir´s wollen oder nicht: Die Kinder rennen doch meist zuerst zur Mama, wenn´s weh tut - auch wenn mir damals das als Vater gar nicht so recht passen wollte :-))
An dem Weiblichen und Ewig-Weiblichen muss schon sehr viel dran sein . . .

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