Tolerierbare Intoleranz?

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Zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hatte ich gestern ein Zitat – zugegeben aus dem Zusammenhang gerissen – des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch gepostet. Ich zitiere nämlichen Bischof eher selten und wenn dann oft nicht in einer positiven Konnotation, aber in diesem Fall hat er so eindeutig Recht und so erfrischend klar Position bezogen, dass man das hier auch mal sagen sollte.

Man konnte dann auch gestern diesem Jahrestag, abgesehen von der Trauerbeflaggung an öffentlichen Gebäuden, nicht entgehen, so gut wie alle einigermaßen ernstzunehmende Fernsehsender brachten Berichte, insbesondere auch Zeitzeugenberichte über das, was in den KZs geschehen ist. Diese Berichte zu hören lässt einen kaum schlafen: dabei geht es mir nicht mal in erster Linie darum, dass es Deutsche waren, die diese Verbrechen begangen haben, sondern darum, dass Menschen überhaupt in der Lage sind, anderen Menschen das anzutun, offenbar deren Menschsein vollständig ausblenden und ihrer hasserfüllten Ideologie folgen können, damit sie zu den menschenverachtenden Taten überhaupt in der Lage sind. Der Satz von Bischof Zollitsch ist insofern tatsächlich eine treffende Diagnose der damaligen Zeit in Deutschland:

Der Schritt ist nicht weit: Von einer geistig entkernten Gesellschaft zum gewissenlosen Menschen, der keine innere Verpflichtung mehr spürt; zum rastlosen Menschen, der um Stille und Besinnung nicht mehr weiß; zum apathischen Menschen, dem das geistliche Rückgrat gebrochen wurde; oder gar zum aggressiven Menschen.

Dies vorausgeschickt hinterlässt mich ein Ausspruch des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, der es in die Schlagzeilen geschafft hat ein bisschen ratlos:

In Deutschland ist Intoleranz nicht mehr tolerierbar.

Ich möchte an dieser Stelle nicht über die sprachliche Besonderheit reflektieren, die nahelegen würde, dass es eben doch eine tolerierbare Intoleranz gibt, nämlich die gegen Intoleranz oder – den Schritt wird man schon gehen müssen – gegen intolerante Menschen und ihre Verhaltens- oder Ausdrucksweisen.

Man muss Herrn Lammert auch zugute halten, dass der obige Satz nicht allein für sich steht, sondern in eine Rede eingebunden war, in der erläuternd auch klargestellt wurde:

Nie wieder dürfen Staat und Gesellschaft zulassen, dass Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung, ihrer sexuellen Orientierung, wegen ihrer Andersartigkeit zum Feindbild einer schweigenden Mehrheit gemacht, verachtet, gedemütigt oder bedroht werden.

Den Satz kann man als Christ sicher unterschreiben (wenn man auch die Frage stellen muss, wie Staat – also Regierung – und Gesellschaft – also die Menschen einer Nation – diese Aufgabenstellungen verteilen sollten). Die Verachtung, Demütigung und Bedrohung eines Menschen ist mit der Nachfolge Christi ebenso unvereinbar wie die generelle Verurteilung von Menschen, anhand der obigen Kriterien, die man aber auch noch erweitern könnte. Letztlich ist das nichts anderes als eine Konkretisierung der Menschenwürde, die jedem Menschen, eben ganz unabhängig von den genannten oder ungenannten Attributen zusteht. Der Satz, dass Intoleranz nicht tolerierbar sei, setzt allerdings ganz andere Schwerpunkte. Denn was bedeutet in diesem Zusammenhang Toleranz bzw. Intoleranz, oder wie wird sie verstanden?

Eine enge Definition des Begriffes übersetzt das Fremdwort (lat.: tolerare = ertragen, (er)dulden) direkt in Duldsamkeit. Selbst Wikipedia, in dieser Hinsicht nicht gerade zimperlich mit Ausweitungen eines solchen Begriffs beschreibt das so:

Toleranz, auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten. Umgangssprachlich ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung gemeint, die jedoch über den eigentlichen Begriff („Duldung“) hinausgeht.

Die enge Definition ist nun eine, die heute kaum noch Anwendung findet. Oder wann haben Sie das letzte mal jemanden nach Toleranz rufen hören, der damit meinte, man müsse seine Verhaltensweisen lediglich „dulden“? Dabei ist selbst diese Engführung, angewandt auf die Beschreibung dessen, was Lammert an Kriterien benennt, nicht ganz ohne: Duldung aller politischer Einstellungen? Das wird nur dann bestätigt werden können, wenn diese Einstellungen sich nicht in Handlungen äußern, die andere in ihrer Freiheit beschränken.

Selbst das würde im Extremfall bedeuten, dass auch nationalsozialistische Einstellungen geäußert werden dürfen, toleriert werden müssen, so lange nicht andere Menschen in ihrer Freiheit eingeschränkt und geschädigt werden. Das wird Lammert nicht gemeint haben, ließe sich aber so argumentieren. Wo bliebe also die Toleranz gegenüber Nazis?

Über diese Argumentation kommt man sehr schnell in die Diskussion, welche Einstellungen und Äußerungen denn welches Handeln befördern könnten: das Argument des „Brandstifters“. Wenn ich mich also heute hinstelle und behaupte, dass ich die Praktizierung fremder Sitten durchaus zu dulden bereit bin, diese aber als rückständig verunglimpfe oder sie in einer Art und Weise nachzeichne, die ehrverletzend sein muss – bin ich dann tolerant nur weil ich nicht selbst gewalttätig werde? Oder bin ich mitverantwortlich für Taten von Menschen, die aus dieser Verurteilungen Handlungen ableiten, die ich zumindest offiziell nicht gutheiße?

Und gehe ich jetzt über die enge Definition hinaus und stelle in den Raum, dass derartige Äußerungen nicht nur zu tolerieren sind sondern auch gleichberechtigt mit anderen politischen und gesellschaftlichen Äußerungen zu sein haben – mir scheint, wir landen bei einer Gesellschaft, die keine Werte mehr kennt, keine mehr kennen kann, weil sie alles anerkennen muss, was irgendjemand als seine Überzeugung geltend macht.

So gesehen wirft die „Punch-Line“ des Bundestagspräsidenten mehr Fragen auf als sie zu gesellschaftlichem Konsens beiträgt. Der gestrige Jahrestag verbietet es in meinen Augen, die in den KZs verübten Verbrechen mit heutigen Diskriminierungen oder auch heute anzutreffender Intoleranz zu vergleichen. Gerade aus diesem Grund eignen sich aber solche Tage auch nicht für rednerische Platitüden, selbst – oder besonders – dann, wenn sie mit allgemeinem Applaus bedacht werden.

Beitrag erschien zuerst auf: papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Wolfgang Klosterhalfen

Herr Dr. Zollitsch sprach in seiner Neujahrsansprache von einer geistlichen Entkernung. In dieser Rede suggeriert er wieder einmal, dass Nichtchristen minderwertig und in Gefahr sind, Verbrecher zu werden. Das halte ich für Hetze gegen die Hälfte der deutschen Bevölkerung und ich habe deswegen Strafanzeige erstattet. Leider ist mir dabei ein Fehler unterlaufen, indem ich ihn falsch zitiert habe. Er hatte, s. oben, nicht von einer geistigen, sondern von einer geistlichen Entkernung gesprochen. Die Anzeige findet man hier: www.reimbibel.de/Zollitsch.htm

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