Teflon im Ruhrgebiet

 

Bei Thyssen-Krupp denkt man an Kohle und Stahl, bei Gerhard Cromme eher an Teflon. An kaum einem perlt Kritik so ab wie an dem Chefaufseher. Er sollte gehen – und andere Firmen mit seinem Verantwortungssinn verschonen.

 

Veröffentlicht:
von

 

Dachte der Verfasser bisher an das Ruhrgebiet, fiel ihm meist Kohle und Stahl ein. Neuerdings kommt ihm eher Teflon in den Sinn. Im kleinen Kreis werden bei keinem Namen so ostentativ die Augen verdreht, geht anderen Wirtschaftsbossen so leicht „das Messer in der Tasche auf“, wie wenn das Gespräch auf den Aufsichtsratsvorsitzenden von Thyssen-Krupp kommt. Kein Wunder, denn an kaum einem Wirtschaftsboss perlt Kritik an Verstößen gegen selbst aufgestellte Ansprüche so ab, wie an Gerhard Cromme. Als Vorsitzender der „Regierungskommission für gute Unternehmensführung“ ließ Cromme allerlei Regeln festschreiben, was ihn nicht daran hinderte, einige davon im eigenen Interesse zu verletzen.

 

 

Als Korruptionsvorwürfe gegen Siemensmanager erhoben wurden, war Cromme zwar schon längst im Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats von Siemens, aber nur der Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer übernahm die politische Verantwortung und trat zurück. Statt sich daran ein Beispiel zu nehmen, übernahm Cromme den Aufsichtsratsvorsitz selbst und ließ sich fortan als Saubermann feiern.

Nachdem Thyssen-Krupp wegen betrügerischer Kartellabsprachen im Fahrstuhl- und Rolltreppengeschäft zu einer Rekordstrafe verurteilt wurde, hatte man vergeblich darauf gewartet, dass Cromme die Verantwortung bei Thyssen-Krupp übernehmen würde, wie von Pierer es bei Siemens tat. Jetzt kam heraus, dass Crommes Firma auch an einem Schienenkartell mitgewirkt und uns als Bahnkunden und Steuerzahler übers Ohr gehauen hat. Auch für den Luxusreisenkandal eines seiner engsten Vertrauten übernahm Cromme keine Verantwortung. Crommes Teflon-Strategie folgt immer dem gleichen Muster: ein von ihm beauftragter Wirtschaftsprüfer oder Anwalt findet die Sündenböcke überall im Unternehmen, nur nicht im Aufsichtsrat.

 

Auch die vor kurzem vermeldete Begünstigung seines Stellvertreters perlt an Teflon-Cromme ab. Wer, wenn nicht er, hätte diese Luxusreisen genehmigen müssen? Einen Vertreter der Arbeitnehmer erst in Versuchung zu führen, ihn dann die Folgen allein tragen zu lassen, ist nicht nur verantwortungslos; es ist schlicht feige.

Dass die seinen Konzern existenziell gefährdende Entscheidung, in Brasilien und den USA Milliarden in neue Stahlwerke zu investieren und diese jetzt verramschen zu müssen, nur Konsequenzen für den halben Vorstand, nicht aber für den Aufsichtsratsvorsitzenden hat, spricht ebenfalls eher für Teflon als für Stahl. Cromme hat auch als Stahlstratege längst versagt. Trotz der Fusionen von Krupp, erst mit Hoesch und dann mit Thyssen, ist sein Konzern nicht einmal mehr unter den 20 größten Stahlproduzenten zu finden.

 

 

Trotzdem will Cromme auch als Aufsichtsratsvorsitzender bei Siemens unverzichtbar sein. Um die dort bisher gültige Altersgrenze zu umgehen, ließ er deshalb kurzerhand die Satzung ändern.

Wenn sogar ein Politiker wie Wowereit die Konsequenzen aus dem Schlamassel am Berliner Flughafen zieht und den Aufsichtsratsvorsitz abgibt, hätte es für den Industriellen Cromme längst Ehrensache sein müssen, bei Thyssen-Krupp das Gleiche zu tun und Siemens in Zukunft mit seinem Verständnis für Verantwortungsbewusstsein zu verschonen.

Zu Recht weist laut „Spiegel“ die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) darauf hin, dass Crommes Umgang mit Skandalen ein falsches Bild der Aufsichtsräte in Deutschland wirft, die „mit großer Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit versuchen, gute Unternehmensführung zu praktizieren“. Deshalb ist er bei vielen seiner Kollegen unter vier Augen längst unten durch.

 

 

Dass sich mit Ausnahme der „FAZ“ keins der versagende Aufsichtsräte sonst so kritisch begleitenden Medien diese Sichtweise zu eigen macht, hat natürlich gar nichts damit zu tun, dass er auch noch im Aufsichtsrat von Deutschlands größtem Medienhaus sitzt.

Und dieser Mann will immer noch die Nachfolge von Berthold Beitz an der Spitze der Krupp-Stiftung antreten. Beitz ist eins der großen moralischen Vorbilder in der Industrie. Klar, es ist anspruchsvoll, einen ähnlich überzeugenden Nachfolger für die Stiftung zu finden. Es heißt, Beitz hätte die Entscheidung längst getroffen. Möge es eine für jemanden sein, der weiß, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.

Auch erschienen beim Handelsblatt

 

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang