Talk-Rezension (Folge 11): Die ehrenwerten Steuerhinterzieher

“Hart aber fair” am 3.2.2014

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Stellen Sie sich vor, Sie würden sich über den aufwendigen Lebensstil Ihres Nachbarn wundern. Zwei große Autos, ein Boot und ein Ferienhaus am See - irgendwie passt das nicht zu seiner beruflichen Stellung. Sie vermuten: Der hinterzieht Steuern. Also machen Sie sich auf zum Finanzamt, geben die Adresse Ihres Nachbarn ein und Sie erhalten ohne weitere Nachfragen Auskunft über die Höhe der Steuern, die er einzahlt. Passen diese mit dem Lebensstil zusammen, können Sie wieder ruhig schlafen und müssen sich nicht vor Neid nachts im Bett wälzen. Sollten Sie allerdings feststellen, dass er nur wenige Euro überweist, dann wäre der zuständige Finanzbeamte für einen Tipp dankbar.

Was wäre das wohl für ein Staat, der so mit seinen Bürgern umgeht, in dem es kein Steuergeheimnis gibt sondern totale Transparenz herrscht? Eine Diktatur? Eine von Linksradikalen gekaperte Demokratie? Weder noch – so und ähnlich ist die Rechtslage in Skandinavien. Und von diesen nordischen Staaten, die in vielem uns als Vorbild angepriesen werden kann nun niemand behaupten, sie seien undemokratisch. Sie haben eben nur ein anderes Verhältnis zu Steuern, jenem Anteil des Einkommens, den jeder entrichtet, damit das Gemeinwohl blühen und gedeihen kann.

In seiner Talkrunde „Hart aber fair“ arbeitete sich Frank Plaßberg an dem Thema ab: „Wie, die auch – kein Recht auf Steuergeheimnis für Alice Schwarzer.“ Sowohl die Frage, wie auch die sich anschließende Diskussion muss sich nicht nur für Skandinavier, sondern auch für die Bürger vieler anderer Staaten sehr seltsam angehört haben. Da bestielt eine den Staat, zahlt nachdem sie Angst haben muss, erwischt zu werden, ein Drittel des geklauten Geldes zurück und ist nun tief gekränkt, weil ihr Fehltritt bekannt geworden ist und die meisten Mitbürger dieses Verhalten verurteilen.

Während der ganzen Sendung hatte ich das Gefühl, dass das Steuergeheimnis als Grundpfeiler unserer Demokratie angesehen wird. Schlimmer als die Tat ist es für große Teile der Gesellschaft, wenn ein Steuerhinterzieher erwischt und das dann auch noch öffentlich bekannt wird. Diese Gesetzesbrecher unterliegen in Deutschland einer besonderen Fürsorge des Staates, damit ihre Rehabilitation nicht gestört wird. Vielleicht bin ich kein Maßstab, weil ich zulange im Ausland gelebt und mich auch dort mit der Steuergesetzgebung beschäftigte. Eines habe ich ganz bestimmt begriffen: Das Steuergeheimnis ist keine Voraussetzung für eine auf Rechtsstaatlichkeit beruhende Demokratie. Wohl aber wird um die Steuern ein umso größeres Geheimnis betrieben, je korrupter und ungerechter es in einem Staat zugeht.

In Japan wurden zum Beispiel die Steuersünder in einer Hitliste veröffentlicht. Auf Platz 1 landete derjenige, der am meisten am Fiskus vorbeischmuggeln wollte. Diese Aufstellungen gab es auf nationaler und regionaler Ebene. Kein Mensch wäre in Japan auf die Idee gekommen, darin eine Persönlichkeitsverletzung zu sehen, denn jeder auf dieser Liste hatte sich freiwillig dazu entschieden, das Risiko einzugehen, berühmt zu werden. Nun mag dies Ihre Abscheu vor Japan noch vergrößern. Die Ausreden habe ich alle schon gehört, angefangen von der Begründung, dass dies eine uns fremde Kultur sei, bis hin, dass Japan ja nicht mit unserer Demokratie vergleichbar sei.

Aber auch in den USA habe ich Hitlisten von Steuerhinterziehern in den Zeitungen gesehen, auch in Bundesstaaten, die als sehr konservativ gelten. Mir ist schon bewusst, dass ich in Deutschland keine Wahl gewinnen könnte, wenn sich auf meiner Agenda die Abschaffung des Steuergeheimnisses finden würde. In der Sendung betonten auch alle drei Parteienvertreter, Norbert Walter-Borjans, SPD, Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Kubicki, FDP und Katrin Göring-Eckardt, Parteivorsitzende der Grünen deshalb immer wieder: Nein das Steuergeheimnis muss gewahrt werden, selbst dann wenn ein Steuerhinterzieher erwischt wird.

Diese aufgeregte Debatte verdanken wir Alice Schwarzer, die in den 80er Jahren eine nicht genannte Summe in die Schweiz gebracht hat und die darauf anfallenden Zinsen dem deutschen Fiskus verschwieg. Es kann sich jedenfalls nicht um Almosen gehandelt haben, denn für die zehn Jahre, die sie nachgezahlt hat, waren 200 000 Euro fällig, das bedeutet, dass sie immer noch etwa 400 000 Euro gespart hat – dank einer großzügigen Verjährungsfrist.

Seither diskutiert die Republik wieder einmal, ob die Strafen für Steuerhinterziehung nicht zu niedrig sind. Ja, das sind sie. Selbst wer einige Hunderttausende und sogar Millionen verschwiegen hat, kann durchaus noch mit einer Bewährungsstrafe davon kommen. Ex-Postchef Klaus Zumwinkel zum Beispiel. Er sitzt jetzt mit seinen Restmillionen in einem Schloss am Gardasee und ist vorbestraft. Das ist nicht schön. Aber was muss das für ein elendes Leben sein, in dieser wunderschönen Gegend ohne materielle Not leben zu müssen. Auch Theo Sommer, Ex-Chefredakteur und Herausgeber der Zeit, einer der großen Erklärer unserer Gesellschaft und Prediger gegen die Marktwirtschaft ist jetzt vorbestraft: 1 Jahr und 7 Monate auf Bewährung. Ich fürchte, er wird von seiner Umgebung eher bedauert als geächtet. Zumwinkel und Sommer wären in den USA unweigerlich im Gefängnis gelandet, in Italien könnten sie eine neue Partei gründen. Irgendwo dazwischen bewegt sich die Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn noch so sehr die moralische Keule geschwungen wird und ein überdrehter Finanzminister Steinbrück sogar mit der Kavallerie in die Schweiz einreiten will, wenn es dann ein „ehrenwertes Mitglied“ unserer etablierten Machtelite trifft, überwiegt schnell das Mitleid, wird eine eigenartige Solidarität mit den „verdienten“ Repräsentanten unserer Gesellschaft sichtbar.

Oder wie erklären Sie sich das Verhalten des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit, der weiß dass sein von ihm so geachteter Kulturstaatssekretär André Schmitz wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde? 25 000 Euro hat Schmitz nachgezahlt, weil er ein Erbe von 425 000 Euro in der Schweiz vergessen hatte. Wowereit betrachtete dies offensichtlich als Kavaliersdelikt, jedenfalls nicht so schlimm, wie ein abgeschriebener Doktortitel. Die Allgemeinheit zu beklauen ist eben trotz aller öffentlich zur Schau getragenen Entrüstung ein weit verbreitetes und geduldetes Phänomen.

Dass dies nicht nur die finanzielle, sondern auch die geistige Elite tief durchdrungen hat, machte die Journalisten und persönliche Freundin von Alice Schwarzer, Gisela Marx deutlich. Für sie ist der Rufmord an Schwarzer schlimmer als die Steuerhinterziehung. Ihr tiefes Mitgefühl mit dieser verdienstvollen Feministin offenbarte Abgründe abwegiger Gedankenkonstruktionen. Ernst Elitz, dem Ex-Intendanten des Deutschlandfunks warf sie vor, er habe Schwarzer exekutiert, weil er den Versuch Schwarzers, sich als Opfer zu sehen nicht akzeptierte.

Bei Gisela Marx verwandelte sich Alice Schwarzer in eine Heilige des Feminismus, deren selbstlose Aufopferung für die Frauen die doch nicht mit einer Lappalie wie einer Steuerhinterziehung beschmutzt werden kann. Schließlich habe sie aus braven Hausmütterchen selbstbewusste Frauen gemacht. Abgesehen davon, dass sich die Rolle und das Bild der Frauen auch ohne Alice Schwarzer geändert hätten, wie dies in allen Industriestaaten in den letzten Jahren geschehen ist, hat sie ein sehr eigensinniges nicht sehr nachhaltiges Familienbild propagiert, in dem Kinder kaum vorkommen und das deshalb zum Aussterben verdammt ist.

Alice Schwarzers Verdienst ist, dass sie aus der weltweiten Veränderung des Frauenbildes ein Geschäftsmodell gemacht und mit dem sie offensichtlich sehr gut verdient hat. Oder woher kommen die beträchtlichen Summen, die sie in die Schweiz verschoben hat und woher kommt sonst die Million mit der sie jetzt eine gemeinnützige Stiftung für die Chancengleichheit für Mädchen und Frauen gründen will? Und schrieb nicht Thea Dorn hier in der Achse von den mickrigen Honoraren bei „Emma“?  Alice Schwarzer´s Geschäftsmodell ist durchaus bekannt: Die einen arbeiten für Minibeträge, weil es um eine „gute Sache“ geht und die Galionsfiguren der „guten Sache“ werden dabei wohlhabend. Ich verstehe die Aufregung und das Entsetzen von Alice Schwarzer so: Mit dem Konto in der Schweiz hat ihr Geschäft an Glaubwürdigkeit eingebüßt und das tut doppelt weh. Im Ansehen und im Portemonnaie. Sie kann sich ja beim ADAC erkundigen, wie man damit umgeht.

Gisela Marx hat aber auch deutlich gemacht, dass es einen harten Kern unerschütterlicher Fans gibt, die sich von keiner Steuerhinterziehung und sei sie noch so übel, irre machen lassen. Mal sind es Fußballfans (Hoeness), mal Manager (Zumwinkel) mal Parteifreunde (Schmitz) mal Feministinnen (Schwarzer) mal Intellektuelle (Sommer), immer werden Erklärungen gefunden, warum diese Steuerhinterziehung ein anderer Fall ist, entschuldigt werden muss, nicht an die Öffentlichkeit darf, die Persönlichkeit verletzt usw. – so bleibt Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt. Die Masse der Deutschen will es so.

In der Debatte, die jetzt durch das Land schwappt, bleibt ein Aspekt leider völlig außen vor. Bevor wir die Strafgesetze verschärfen, bevor wir die Selbstanzeigen nicht mehr straffrei stellen, bevor wir irgendetwas rund um unser Steuerrecht ändern, muss der Gesetzgeber erst einmal ein Steuerrecht schaffen, dass von den Steuerpflichtigen auch verstanden werden kann. Professor Paul Kirchhof, der sich vergeblich für ein bürgernahes Steuerrecht einsetzt, hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Wie soll ein Bürger ein Gesetz befolgen, dass er nicht versteht. Er soll seine Unterschrift unter eine Steuererklärung setzen, in der er strafbewehrt erklärt, dass alles in seiner Steuererklärung richtig ist, obwohl er es nicht versteht.“ Erst also brauchen wir eine Steuerreform, die jedem ganz deutlich erkennen lässt, ob er Steuern hinterzieht oder ob er ehrlich ist. Dann sollten wir die Strafen erhöhen – so dass sie wirklich abschreckend sind. Dazu gehört auch die Veröffentlichung der Namen der Steuersünder. Ein bisschen mehr Skandinavien und USA und ein bisschen weniger Italien und Balkan würden unserer Demokratie nicht schaden.

Zuerst erschienen auf achgut.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: guteronkel

Sehr geehrter Herr Elsener,
da haben Sie aber in der Kürze des Kommentars dem dämlichen Volk einen Spiegel vorgehalten. Meine Frage an meine Kollegen, was denn am Steuerzahlen so ehrenhaft und gut ist, blieb zumeist unbeantwortet. Als ich dann ausführte, dass ich keine Steuern zahlen würde, sondern dass mir diese schon im Vorfeld abgeknöpft werden, fand große Zustimmung. Deshalb waren Ihre Ausführungen wie Salbe in einer tiefen klaffenden Wunde, wo sonst nur Salz hineingestreut wird.
Danke Ihnen recht herzlich für Ihre Bemühungen und Ihren klaren Blick.

Gravatar: guteronkel

Sehr geehrter Herr Ederer,
Sie haben mehrmals den Namen Alice Schwarzer genannt. Beim Fall von A. Schwarzer ist doch viel interessanter, woher sie so viel Geld hatte. Hier wäre es doch dringend angebracht investigativ zu recherchieren. Mit dem Schund-Heft Emma lässt sich sicherlich nicht so viel Geld auf die Seite legen, dass man das in die Schweiz verschieben muss. Sie hat nicht nur Steuern hinterzogen, sie hat belogen und betrogen. Dafür gehört sie eingesperrt.

Gravatar: Libero

Steuerverschwendung muss strabar werden

Gravatar: Klimax

Hier wird ein Pranger für sog. Steuerhinterzieher gefordert und keinem fällt es offenbar auf. Solche Widerwärtigkeiten traue ich dieser Regierung durchaus zu. Einem besonnenen Autor nicht.

Gravatar: Marcel Elsener

Ich muss mich Herrn FDominicus lakonischer Auslassung anschliessen.

Wer ist der Bestohlene und wer ist der Dieb?

Ein Steuerhinterzieher kann nur unter einer Prämisse ein Dieb sein: Wenn seine Arbeitskraft nicht ihm selbst sondern dem Staat gehört.

Wie nennt man so etwas bloss, wenn eines Menschen Arbeitskraft nicht ihm selbst sondern einem anderen gehört? Sklaverei?

Traurig, dass solche simplen Wahrheiten heute nicht mehr erkannt werden. Alle aufrechten Umverteilungsbefürworter wären halt gerne der Sklaventreiber, der die Arbeitskraft der jeweils anderen ohne Gegenleistung abschöpfen kann, und erreichen damit doch nur die eigene Versklavung durch den Staat. Tragikomisch, aber gerecht.

Gravatar: FDominicus

Formulieren wir es mal um
Steuerhinterziehung
Diebstahlhinterziehung

Ihr Zug....

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Das ist alles richtig und unterstützenswert, was Sie da schreiben, Herr Ederer, vor allem der letzte Absatz zur dringend nötigen Steuerreform. Aber eines haben Sie vergessen: Steuerverschwendung durch Politiker oder Beamte müßte ebenso hohen Strafen unterliegen wie Steuerhinterziehung. Sie ist bisher völlig straflos und ohne jegliche Konsequenzen für die Steuerverschwender. Die straflose Steuerverschwendung, die jährlich im Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes nachzulesen ist, ist sicher häufig mit ein Anreiz zur Steuerhinterziehung, nach dem Motto: was soll ich mein sauer verdientes Geld dem Staat überlassen, der es doch nur verschwendet.

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