Strukturelle Diskriminierung von Jungen im Gesundheitssystem

 

Soll sich die Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer öffnen oder soll man sich von ihr verabschieden?

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Der Medizinjournalist Lajos Schöne hat in dem sehr lesenswerten Artikel auf Welt-Online „Die Gesundheit von Jungen wird vernachlässigt“ auf die Benachteiligungen von Jungen im bundesrepublikanischen Gesundheitssystem hingewiesen. Jungen sind nachweisbar häufiger krank als Mädchen. Chronische Krankheiten treten bei Jungen doppelt so oft auf wie bei Mädchen. Jungen leiden häufiger unter Bronchitis, Neurodermitis, Asthma, Sprachstörungen, Bauchschmerzen, Zappelphilipp-Syndrom, Halsschmerzen, allergischem Schnupfen und motorischen Entwicklungsstörungen.

Ferner sind Jungen viermal öfter als Mädchen von Stottern, Legasthenie, Bettnässen und Autismus betroffen. Und nicht zuletzt erleiden Jungen viermal häufiger Stürze mit tödlichem Ausgang. Ähnliches gilt für den Tod durch Ertrinken, Verbrennungen, Vergiftungen und Verkehrsunfälle.

Während aber das Gesundheitssystem für Mädchen unzählige Angebote bereit hält, wie z.B. Mädchensprechstunden, sind jungenspezifische Hilfsangebote kaum vorhanden. „Alle hacken auf den bösen Jungen herum, dabei sind sie das eigentlich benachteiligte Geschlecht“, so die Meinung von Experten auf dem Kongress der Kinder- und Jugendärzte in Potsdam. Der Kinder- und Jugendarzt Bernhard Stier, einer der wenigen Ärzte, die sich um jungenspezifische Gesundheitsprobleme kümmern, betont: „Die gesundheitliche Benachteiligung von Jungen ist ein Paradox unseres Gesundheitssystems. Jungen haben höhere Risiken für Krankheit und Tod, dennoch gibt es mehr Versorgungsstrukturen für Mädchen und Frauen.“

Ein großes Problem besteht darin, dass viele Jungen sich nicht trauen, über ihre gesundheitlichen Probleme zu sprechen. Beschwerden sind ihnen peinlich, Hilfe suchen wird als Zeichen von Schwäche aufgefasst. Stier erläutert: „Auch männliche Jugendliche brauchen einen Arzt, der ihre spezifischen Probleme, Ängste und Verhaltensweisen versteht. Wir sollten ihnen mehr geschlechterbewusste Beratungsangebote machen, um ihre Gesundheitskompetenz zu verbessern.“

Angesichts der eklatanten Diskriminierung von Jungen im Gesundheitssystem, aber auch in anderen Bereichen (z.B. in der Bildung); stellt sich die Frage nach dem Sinn und den Aufgaben der Gleichstellungspolitik. Vieles hängt davon ab, wie man die Gleichstellungspolitik (neu) definiert. Soll sie geschlechtsspezifische Anliegen von Frauen und Männern gleichermaßen berücksichtigen oder in erster Linie ein Gleichheitsverhältnis bei der Besetzung von prestigeträchtigen Arbeitsstellen herstellen?

Die abberufene Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Goslar Monika Ebeling plädiert dafür, dass sich die Gleichstellungspolitik für die Anliegen von Jungen und Männer öffnet und nicht wie bisher einseitig auf die Probleme von Frauen konzentriert. Das bedeutet, dass zusätzlich zu den bestehenden mädchen- und frauenspezifischen Angeboten auch noch jungen- und männerspezifische Angebote bereitgestellt werden müssten. Das wäre gerechter, würde aber die Beibehaltung der Gleichstellungsbürokratie mit tausenden von Gleichstellungsbeauftragten bedeuten. Es wäre darüber hinaus höchstwahrscheinlich nicht finanzierbar. Ob geschlechtsspezifische Maßnahmen noch unter dem Namen „Gleichstellungspolitik“ durchgeführt werden sollten, bleibt eine offene Frage. Schließlich gab es schon vor der Institutionalisierung der Gleichstellungspolitik, also vor der Einrichtung der Gleichstellungsbürokratie, geschlechtsspezifische Maßnahmen, beispielsweise in der Bildung. Wäre es deshalb sinnvoller, die Gleichstellungsbürokratie allmählich abzubauen und ein anderes System zu schaffen, das sich punktuell bzw. „nach Bedarf“ geschlechtsspezifischen Anliegen von Männern und Frauen widmen würde? Auf jeden Fall sollte im Anschluss an die Ereignisse in Goslar eine breite Debatte über die Zukunft der Gleichstellungspolitik geführt werden.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Kolbe

Es ist höchste Zeit, dieser zerstörerischen Gender-Ideologie, bei der die Jungs (habe selber zwei) reihenweise die Verlierer sind, endlich Einhalt zu gebieten!

Gravatar: Stefanie Selhorst

Gleichstellungspolitik ist ihrer Sache nach immer ungerecht, weil die Menschen zum Glück nicht gleich sind. Stellt man Unterschiedliche gleich, so wird man ihrer Einzigartigkeit nicht gerecht. So gesehen ist Gerechtigkeit im Sinne von Gleichheit immer ungerecht. Daran sind schon politische Systeme zerbrochen. Auch ich bin der Meinung, dass Jungen unbedingt Eltern brauchen, die sie vor den Genderbestrebungen unserer Gesellschaft schützen. Man könnte z.B. Jungenschulen gründen. Am besten aber schützt man Jungs, indem man seber die Maßstäbe setzt. Als mein 10-Jähriger im Zeugnis dafür getadelt wurde, dass er sich nicht für die Weihnachtsvorbereitung finnischer Hausfrauen interessierte, sagte ich: "Das interessiert mich auch nicht, wie hat denn eigentlich Schalke gespielt?" Erleichtert erklärte er mir deren neueste Spieltaktik.

Gravatar: Birgit Kelle

Würde man in Ihrem Text mal Jungen durch das Wort Mädchen ersetzen, hätten wir schon längst hektische Betriebsamkeit in unserem Land. Alle würden nach Handlungsstrategien schreien, Worte wie Diskriminierung und Vernachlässigung, Ignoranz vor offensichtlichen Problemen wären die Schlagworte der Debatte. Aber es geht ja nicht um Mädchen und Frauen, sondern "nur" um die Jungs. Als Mutter von zwei Jungs (und zwei Mädchen) machen mir Ihre Beobachtungen große Sorgen. Es ist tatsächlich an der Zeit, dass wir unser Handeln nach echtem Bedarf ausrichten und nicht nach der Richtung, in die wir einfach schon seit Jahrzehnten laufen.

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