Wer mit seinem Baby wie mit einem Erwachsenen spricht, fördert die Lernfähigkeit am besten. Eine zu geringe Ansprache in den ersten beiden Lebensjahren ist oft ein Grund, weshalb Kinder im Einschulungsalter um bis zwei Jahre hinter ihren Altersgenossen herhinken. „Die Sprache muss reich und komplex sein“, sagte eine der Autorinnen, die Psychologin Prof. Erika Hoff von der Florida Atlantic University.
Das menschliche Gehirn entwickelt sich in den ersten Jahren unglaublich schnell: Bis zum Alter von drei Jahren bildet es tausend Billionen Neuronenverbindungen. „Die frühkindlichen Erfahrungen spielen eine zentrale Rolle bei der Frage, ob die Verbindungen stärker oder schwächer werden“, sagte Prof. Kimberly Noble, Neurologin an der Columbia University.
Prof. Noble verglich mit ihren Kollegen die Gehirne von Kindern aus schwierigem Umfeld und aus Familien mit hohem Bildungsstandard. Am stärksten waren die Unterschiede bei den Hirnstrukturen, die für die Sprachentwicklung zuständig sind. Mit zunehmendem Alter setzen Kinder mit hohem sozioökonomischen Hintergrund diese Regionen stärker ein.
Die Psychologin Prof. Anne Fernald von der Stanford University untersuchte, was eine Gruppe Kinder aus Spanisch sprechenden Geringverdienerhaushalten den ganzen Tag zu hören bekommt. Dabei fanden sie heraus, dass die Kinder nicht viel von dem mitnehmen, was ihre Eltern oder andere Bezugspersonen untereinander sprechen. Echtes Lernen stellte sich nur ein, wenn die Kinder direkt angesprochen wurden. Es sei daher äußerst wichtig, Eltern dazu zu bringen, dass sie sich Zeit nehmen, mit ihren Kleinkindern zu reden.
Prof. Hoff zufolge ist es meist sinnvoller, wenn Einwanderer-Eltern ihre Muttersprache mit dem Nachwuchs sprechen. Eltern können ihren Kindern eine Zweitsprache nur dann wirklich beibringen, wenn sie sie selbst sicher beherrschen. Ansonsten lernen Kinder nur ein begrenztes Vokabular, was wiederum ihre allgemeinen sprachlichen Fähigkeiten einschränkt.
Die Erwartung von Eltern, dass ihre Kleinkinder in Krippen und Kitas gebildet würden, zerplatzt schon allein daran, dass in diesen Einrichtungen bei einem mangelhaften Betreuungsschlüssel gar keine Zeit bleibt für eine direkte Ansprache der Kinder: „Die Qualität der Kita-Betreuung und die Qualität der Einrichtungen sind nach aktuellen Studien nur mittelmäßig“, so der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Dr. Wolfram Hartmann. Die Förderqualität liegt sogar nur im unteren Drittel der Qualitätsskala. „Krippen und Kindergärten gelingt es derzeit nicht, sozial benachteiligte Kinder angemessen zu fördern und damit die Chancengleichheit auf einen qualifizierten Schulabschluss und eine gute Sozialprognose zu erhöhen“, so Dr. Hartmann.
Quellen: Fernald, A. et al.: Talking to Children Matters: How Early Language Experience shapes Later Life Chances. AAAS Annual Meeting. Chicago 14.02.2014.
Hartmann, W.: Deutsches Ärzteblatt, 31.07. 2013
Kommentare zum Artikel
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"Sozialgefüge": Ich habe jahrzente in Kindergärten oder Tagesstätten gearbeitet - auch in Eurasien. Das Sozialleben baut sich erst nach dem Spracherwerb weiter aus und beide bedingen einander. Natürlich brauch es in einem Ein-Kind-Gefüge auch die Kontakte. ABER Vorausetzung ist einen festen Bezugspunkt (Eltern di-polar: Mutter und Vater) zu haben. Hinzukommen die dauerenden Wechsel der Angestellten und das personal nur oberflächliche Interesse an den persönlichen Erlebnissen eines Kindes. (Welche Pädagogin weiß schon wie zuhause das Sofa aussieht, welche Familienereignisse stattfanden, individuelle Berichte können nur mit aha und soso kommentiert werden. ...Das ist Fakt.
Das ohnehinschon geschwächte Elternbewusstsein wird permanent untergraben und in dieser Verunsicherung verstummen manche Bemühungen und Regungen junger - in sich noch unsicherer Mütter und Väter. Ja- man macht ja Zitat "ein schlechtes GEWISSEN, wenn man sein Kind nicht aus der Hand gibt!"
Mir geht es ähnlich wie Ihnen. Frau Meves' Bücher über Erziehung habe ich geradezu verschlungen und als wertvolle Hilfe empfunden.
Man soll dem Kind seine Kindheit nicht berauben und entstellen. Für das Erwachsenwerden soll es sich ruhig die Zeit nehmen. Und da in unser Gesellschaft eine Menge über 40-jährigen die Kinderzeit vermissen, bleiben sie "ewig" die pubertierenden, manipulierbaren Clowns. Siehe z.B. das Fernsehprogrammangebot, die Grüne Partei, u.ä. Zuerst die emotionelle Stabilität, danach die Festigkeit des Geistes, dann werden wir nicht so viel Soziologen, Psychologen, Psychiater, Drogen, Rechtsanwälte, Gefängnisse, e.t.c. brauchen. Sic!
Schön, wie belesen Sie doch sind. Ich kenne kaum ein Buch über Gehirnforschung, geschweige denn jedes.
Frau Meves bin ich immer wieder dankbar für ihre Veröffentlichungen. So auch für diesen Artikel.
Ihnen als Bücherwurm kann ich das Buch "Manipulierte Maßlosigkeit" wärmstens empfehlen. Es hat zwar schon Jahrzehnte auf dem Buckel, ist aber aktueller denn je. Sowohl in der privaten als auch beruflichen Erziehungsarbeit war es mir eine enorme Hilfe.
"Mut zum Erziehen" ist übrigens auch sehr gut und passt ebenfalls in die heutige Landschaft.
Sie erzählen nichts an Neuigkeiten, kann man in jedem Buch über Gehirnforschung lesen.
Schön, wieder von Ihnen zu hören, Frau Meves!
Lassen Sie sich auch weiterhin nicht von solch Unterste-Schublade-Niveau einiger weniger Kommentarschreiber, Sie in die Nähe des Gedankenguts der Braunsozialisten zu verorten, davon abhalten.
Ein guter Text, vielen Dank für die Informationen!
In Kitas und Kindergärten wird im Wesentlichen betreut, der Bildungs- und Erziehungsauftrag kommt da oft recht kurz, sofern man nicht das Kleingeld für einen Privatkindergarten mitbringt (mit allen Vor- und Nachteilen, die ein solcher hat). Wenn man sich die Zeit nimmt, sich mit seinen Kindern zu beschäftigen, kann nach meiner Beobachtung aber der Besuch von Kitas ähnlich wie bei Spielkreisen enorm dazu beitragen, dem Kind zu lehren, sich in einem Sozialgefüge zurechtzufinden.