Spocht!

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Es ist schon leidlich erstaunlich, was die Medienwelt in den vergangenen Tagen so in Atem hält:

Zuerst der Skiunfall von Michael Schumacher: Ich wünsche ihm und seiner Familie persönlich ganz viel Kraft, hoffe auch, dass er genesen wird – ob sein schwerer Unfall aber tatsächlich über Tage die Nachrichten beherrschen muss inkl. Newsticker?

Noch ein Skiunfall, diesmal die Bundeskanzlerin beim Langlauf: Dieser Unfall war nicht so schwer, wie der von Schumacher, aber ein Beckenbruch ist auch kein Spaß und so wünsche ich ihr auch persönlich beste Genesung, möchte aber meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, dass dieser Unfall eine der Top-Politikmeldungen war. Gut, deutschlandweit gesehen ist ein Unfall der Bundeskanzlerin sicher von schwerwiegenderer Bedeutung als der eines Sportlers – dafür aber wiederum wird das Thema auf im Vergleich kleinerer Flamme gekocht.

Heute zwei Meldungen, die die Gemüter erhitzen:

Apropos Hitze: in der Wüste ist es heiß, und auf der Nordhalbkugel der Erde in unserem Sommer sogar noch mehr als sonst. Das hat jetzt auch die FiFa eingesehen und wird die WM 2022 in den Winter verlegen. Gut, das sind auch noch acht Jahre hin, und bei all den Klimaprognosen kann es sein, dass Katar bis dahin im Winterhalbjahr eher unter der Wasseroberfläche liegt – aber dafür findet man dann sicher auch eine Alternative. Aber mit Geld hat die Fifa-Entscheidung, die des WM-Standorts Katar wie die der Verlegung in den Winter, ganz sicher nichts zu tun – Ehrensache, oder?

Und nun DIE Top-Nachricht des Tages: Thomas Hitzlsperger ist homosexuell! Ganz ehrlich, das steht auf google-News ganz oben als erste Nachricht (vor der Katar-Nachricht), muss also wichtig sein. Begründet hat er sein „Outing“ offenbar mit den Worten, er wolle „die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen“.

Nun frage ich mich zwei Dinge: Gibt es erstens wirklich keine wichtigeren Themen, die man voranbringen müsste? Und glaubt wirklich da draußen noch eine relevante Menge von Menschen, dass Homosexuelle nicht, schlechter, oder nur anders Fußball spielen können als Heterosexuelle? Oder schwimmen? Oder Leichtathletik betreiben? Zum typischen Schwulen-Klischee gehört es vielleicht, dass Homosexuelle kein Interesse an Fußball hätten – ob es dazu statistische Erhebungen gibt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber selbst wenn sich das bestätigen ließe, wäre das noch keine Aussage über die schlichte Möglichkeit, guten Fußball zu spielen.

Interessant ist, dass in den Online-Kommentaren der Medien die Leser genau diese Frage immer wieder stellen: „Hitzlsperger ist schwul – Na und?“ Für mich ist das genau so relevant, wie das in seinem Nachnamen entschieden zu viele Konsonanten hintereinander liegen, als das ich ihn flüssig, ohne zu stutzen schreiben könnte. Und trotz dieses Desinteresses an dem Thema jubeln die Medien über den „Mut“, sich als Fußballer zu outen. In einem online veröffentlichten Kommentar überbietet sich der stellvertretende Chefredakteur der „Zeit“, Bernd Ulrich, selbst mit Mutmaßungen, was wohl passiert wäre, hätte Hitzlsperger sein Outing zu seiner aktiven Zeit gehabt:

Dutzende, wahrscheinlich Hunderte von Spielern hatten und haben Angst, sich als Schwule zu zeigen. Sie haben aus den "Witzen" unter der Dusche, aus den Sprüchen von der Tribüne, aus den gut gemeinten Ratschlägen ihrer Berater geschlossen, dass es sie ungeheuer viel, wahrscheinlich sogar ihre Karriere kosten würde, wenn sie sich outen. […]

[Hitzlspergers] Einschätzung ist kaum zu bestreiten, dass der erste aktive Profi, der sich zu seinem Schwulsein bekennt, noch mal alles abkriegen würde, was der deutsche Fußballfan und -funktionär und -spieler an Homophobie so zu bieten hat. Die Tribüne hätte sich an Hitzlsperger ausgetobt, die Mitspieler wären zumindest verunsichert worden. Keiner hätte erst mal mehr darauf geachtet, wie Thomas Hitzlsperger seine Rolle im defensiven Mittelfeld interpretiert, sondern nur darauf, ob er irgendwie schwul spielt, was immer das sein soll. […]

Die Reaktionen des offiziellen Fußballs auf Hitzlspergers Bekenntnis lassen sich leicht voraussehen. Alle werden ihn unterstützen, ihm zu seinem Mut gratulieren und natürlich vor Homophobie warnen – um dann möglichst rasch zur Tagesordnung überzugehen. Tatsächlich, Thomas Hitzlsperger ist ein mutiger Mann, denn der Erste zu sein ist immer das Schwerste. Doch das eigentliche Problem liegt ja nicht bei ihm, es besteht vielmehr darin, dass es so lange Zeit und so viel Mut brauchte, um sich zu etwas zu bekennen, das so selbstverständlich und normal sein sollte wie der Einwurf oder der Pass in den freien Raum oder eben die Spielerfrau. […]

Man kann nur hoffen, dass bald die nächsten, dass auch aktive Spieler sagen, wer sie neben dem Platz noch sind. Und dass sie dafür dann in den Stadien einen Sonderapplaus bekommen.

Ich bin kein besonderer Fußballfan – Ob es ein Klischee darüber gibt, dass aktive und überzeugte Katholiken eher nicht auf Fußball stehen? Gut, dass ich da ausreichend Gegenbeispiele kenne!–, erst Recht kein Fußballmanager, aber wenn ich einer wäre, würde ich mich gegen die Mutmaßungen dieses überheblichen Redakteurs verwahren! Und wäre ich homosexueller Fußballer würde ich mir Applaus für ein Outing statt Applaus für ein grandioses Tor ebenfalls verbitten, erst recht die implizite Aufforderung, doch nun bitte auch mein Sexualleben offen zu legen.

Ich will nicht blauäugig wirken: Da es Millionen Fußballfans in Deutschland gibt, wird es unter ihnen auch Schwachköpfe geben, die tatsächlich meinen, ein Homosexueller hätte im Fußball nichts verloren, könne nicht spielen, sei gar schädlich für den Fußball. Für diese Gruppe Menschen ist Hitzlsperger nun vielleicht sogar ein Stein des Anstoßes – zum Nachdenken oder sich bestätigt zu sehen. Aber bitte, könnten wir die Relationen wieder herstellen – und einsehen, dass das homosexuelle Outing eines Ex-Fußballers keine Top-Nachricht ist?

Wie der geneigte Leser vielleicht gemerkt hat: Ich habe mich in diesem Beitrag jeder moralischen oder religiösen Wertung des Outings enthalten. Und der Grund ist genau der: Wie die katholische Kirche Homosexualität bewertet hat mit den fußballerischen Fähigkeiten eines Homosexuellen aber auch gar nichts zu tun. Klar soweit?

Beitrag erschien zuerst auf: papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Olli Schaefer

"Ich bin ebenfalls dafür zu sagen, daß die sexuellen Vorlieben die Privatsache jedes einzelnen sind und nicht nur nicht an die Öffentlichkeit gehören, sondern von dieser eigentlich auch ignoriert werden müßten."
Wenn diese Ignoranz dann auch die damit einhergehen würde, rechtliche Ungleichheiten abzuschaffen, damit diese Themen gar nicht mehr thematisiert werden müssten, würde ich Ihnen da sogar zustimmen.

Gravatar: Jochen Reimar

Diesem Beitrag ist nur zuzustimmen, indes gibt es eine Ausnahme: Das Beispiel Brasiliens zeigt, daß sich Katholizismus und Fußball nicht ausschließen, andere Länder können da auch mithalten.
Ich bin ebenfalls dafür zu sagen, daß die sexuellen Vorlieben die Privatsache jedes einzelnen sind und nicht nur nicht an die Öffentlichkeit gehören, sondern von dieser eigentlich auch ignoriert werden müßten. Die gesellschaftliche Tragweite spielt sich jedoch auf einem anderen Gebiet ab und ist wohl noch nicht zu überblicken: Der Fußball hat eine Funktion in der Gesellschaft und zwar die eines Ventils: Hier dürfen Männer noch Männer sein. Das gab es auch mal bei der Bundeswehr, da ist die Entwicklung ähnlich. Seit mehreren Jahren versuchen relevante Gruppen, dieses Ventil immer mehr einzudrosseln. Entweder es kommt irgendwann zum Knall oder die Leute suchen sich ein anderes Feld. Und dann wird Fußball uninteressant werden und so spannend wie "Was bin ich?"
Kann es sich die Gesellschaft leisten, solche Ventile zu schließen?

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